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Journal 2017

Fred Wander - "Doppeltes Antlitz. Pariser Impressionen".

(25.12.2017) Verlag Volk und Welt, Berlin 1967 (2.Auflage). Mit 165 Fotografien von Fred und Maxie Wander, 5 von Jochen Moll, 6 von Photo-Pic, Paris. Zweimal in der zweiten Dezemberhälfte gelesen.

Fred Wander, Pariser Impressionen

Der Band besteht aus zwei fast gleich langen Teilen: Im ersten Teil, der im Juni 1962 spielt, beschreibt Fred Wander seine Spurensuche zu Menschen und Lokalitäten, die er während seiner Emigration in den Kriegsjahren in Paris kennenlernte. Das aktuelle Paris spielt nur eine Nebenrolle. Im zweiten Teil, der im Mai 1964 spielt, versucht er, das neue Frankreich und die neuen Denkweisen zu verstehen.

Erster Teil.

Im Juni 1962 ist Fred Wander auf der Suche nach Menschen, die ihm in der Zeit seiner Flucht unterstützten - oder nach den Verwandten von Freunden und Genossen, die die Verfolgung und die Konzentrationslager nicht überlebt hatten. Auffallend und etwas unverständlich ist es, dass sich Fred Wander hier oft mit Lügen einführt und in den Gesprächen geradezu taktiert. Schon auf der ersten Seite findet sich der Satz:

"Aber natürlich", lüge ich.[S.7]

Wander bekommt die täglichen Attentate während der Endphase des französisch-algerischen Krieges mit, in dem sich Algerien schlußendlich die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich erkämpfte. Die Gleichgültigkeit der meisten Franzosen gegenüber der von Seiten Frankreichs mit brutaler Gewalt geführten Auseinandersetzungen verwundert Wander, der mit einer romantisierenden und idealisierten Vorstellung von Frankreich und den Franzosen sich vom Gewühl in den Straßen umhertreiben läßt, wenn er nicht gerade seinen Recherchen nachgeht:

Das Rauschen des großen Stromes hüllt mich ein, der Duft von Kaffee und Zigaretten, eine heftige Welle von Lebenslust.[S.10; interessant, wie sich die Zeiten gewandelt haben - würde man heute noch vom "Duft" von Zigaretten sprechen?]

Sein positives Frankreichbild schreibt sich aus der Zeit seiner Verfolgung her:

Auf meinen Fluchtwegen - von den Faschisten verfolgt, quer durch Frankreich in Montpellier, Lyon, Paris und an vielen anderen Orten - bin ich niemals einem Franzosen begegnet, der mir nicht Hilfe, Obdach oder wenigstens Trost und Rat geboten hätte. Und das unter Lebensgefahr für jeden von ihnen.[S.19]

Man meint, dass sich Wander immer noch auf der Flucht fühlt. Als er in Nanterre die Gegend des Hauses aufgesucht hat, in dem er versteckt war, antwortet er nicht direkt auf die Frage einer jungen Mutter, ob er hier einmal gewohnt hat:

Sorgfältig überlege ich meine Antwort.[S.22]

Dass er schlußendlich bei seinen Ansprechpartnern oft Mißtrauen weckt, ist nachvollziehbar:

Mißtrauisch und kühl sehen sie mich an, aber vielleicht scheint es mir nur so. Irgend etwas in meinem Verhalten war nicht richtig.[S.23]

Kein Wunder, unehrliche Antworten und Taktiererei spürt man eben.

Wander ist zwar mit einem Auto unterwegs, das hält ihm aber nicht davon ab, die langsame Fortbewegungsart zu preisen:

Und immer werde ich überzeugt sein, daß vernünftige Leute die langsamsten Fahrzeuge nehmen. Kann man denn, ohne sich innerlich vorzubereiten, hineinspringen in eine fremde Welt.

Hier ist er einer Meinung mit dem knorrigen Klassiker Johann Gottfried Seume, der am Anfang von "Mein Sommer" schreibt:

Wer geht, sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt. (...) Ich halte den Gang für das Ehrenvollste und Selbständigste in dem Manne und bin der Meinung, daß alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge. (...) Wer zuviel in dem Wagen sitzt, mit dem kann es nicht ordentlich gehen. (...) Wo alles zuviel fährt, geht alles sehr schlecht... Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.

Natürlich kann Wander nicht umhin, trotz seiner rosaroten Brille viel Elend zu sehen: vereinsamte und verarmte alte Leute, echte und unechte Bettler, Rassismus und Ungleichbehandlung von Flüchtlingen aus früheren Kolonien und so weiter. Besonders wenig Verständnis hat er für möchte-gern-Künstler übrig, die ihm wie Schmierenkomödianten vorkommen. Ein Elend ist auch die Berichterstattung in den Zeitungen, in denen ein Lustmord genußvoll in allen Details erzählt wird, die politischen Morde aber kaum Erwähnung finden. In solchen Details versteht er seine geliebten Franzosen nicht:

Beweisen diese Serien abscheulicher Greuel und Perversionen nicht eine Flucht vor der Realität, in die sich Hunderttausende gierig stürzen, eine Flucht vor der Langeweile und der Angst?

Fred Wander, Pariser Impressionen

Die Begegnungen mit den Verwandten seiner Leidensgefährten verlaufen meist anders als gedacht: Die damalige Braut (Denise) eines besonders vorbildlichen kommunistischen Kämpfers (Jacques) hat beruflich Karriere gemacht und sagt Wander offen ins Gesicht, dass seit damals eine Menge Wasser die Seine hinuntergeflossen ist [S.57]. Sie muss ihr Leben leben und kann keine Erbverwalterin der Ideen ihres früheren Freundes sein.

Als sich herausstellt, dass sie mit Jacques eine Tochter hat, von der dieser nie erfuhr, arrangiert er mit dieser Tochter ein Treffen (nicht ohne die Mutter wieder anzulügen "Meinem Instinkt folgend, log ich...")[S.58] Die Mutter Denise spürt, dass Wander ihr den erarbeiteten Reichtum zum Vorwurf machen will und lässt ihn auflaufen: Zum einen hat auch sie viele riskante Aktionen in der Zeit der Resistance durchgeführt, zum anderen weist sie den offenkundigen Vorwurf, dass sie nicht in einem spartanischen Leben alles dem Andenken ihres Bräutigams widmet, weit von sich.

Auch die Tochter Jacqueline lebt und redet nicht so wie er es hofft:

Wie schwiegen eine Weile. Dann sagte ich eindringlich: "Jacqueline, haben Sie nie empfunden, was es bedeutet, daß ihr Vater von den Faschisten ermordet wurde?"

"Wollen Sie damit sagen, daß ich berufen wäre, ihn zu rächen? Dafür habe ich kein Verständnis, tut mir leid.(...)

"Das mag schon stimmen", sagte ich bitter lachend, "aber man muß dennoch wissen, wohin man gehört!"

Tja, und das sieht Jacqueline, die Tochter eines kommunistischen Kämpfers, die ihren Vater nie kennengelernt hat, eben nicht so. Und Wander muss lernen, dass auch nach Auschwitz gilt "Lebbe geht weider".

Der einzige Überlebende der fünf Partisanen, deren Spuren Wander verfolgt, "Capitaine Yves", führt ihn dann in Paris herum und kann Wanders Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang bringen.

Zweiter Teil.

Im zweiten Teil, der zwei Jahre später spielt, ist es wieder "Captaine Yves" der Wander in Paris herumführt, Bekanntschaften mit Arbeiterfamilien und anderen Gesprächspartnern vermittelt, und hier ist das Buch in meinen Augen auch interessanter. Hier schildert Wander verschiedenste Lebensentwürfe, vom elend dahinvegetierenden Dropout bis hin zum kämpferischen Arbeiter, der Lichtgestalt in Wanders politischem Denken.

Ganz schlecht weg kommen immer mal wieder die Kunststudenten und Maler:

"... Possenreißer und Defraudanten bürgerlicher Moral. Sie haben den väterlichen Tisch verlassen, um aus ihren menschlichen Schwächen eine Religion zu machen[S.104]

Oder auch:

Das Künstlerviertel vom Montmartre ist heute nichts anderes als eine Filiale des gigantischen Geschäfts mit falscher Erotik und gefälschter Kunst, mit Talmiromantik und Frivolität für die Kleinbürger aus aller Welt.[S.138]

Ganz allgemein fehlt ihm das Verständnis für die Jugend (die Jugend von damals, 1964, sind übrigens die End-Sechziger von heute, die sich das Maul über die heutige Jugend zerreissen):

"Die Jugend will rasch vorankommen. Mit fünfundzwanzig fertig sein: eine Wohnung besitzen, eine Frau und ein Kind, das Auto selbstverständlich, das ist wohl das Ideal[S.106]

Wander erweist sich oft als reichlich patrialistisch und sexistisch: "Die Jugend" will eine Frau besitzen - die Frau also auf einer Stufe mit dem Auto gesehen, und "die Jugend" scheint also nur männlich zu sein. Gibt der Satz anders herum nicht auch Sinn: "Mit fünfundzwanzig fertig sein: eine Wohnung besitzen, einen Mann und ein Kind, das Auto selbstverständlich, ..."?

Wander mag zwar herum gekommen sein, aber manchmal stört die Lobhudelei über Paris halt doch:

Keine Stadt der Welt ist so vergangenheitsträchtig und fanatisch darauf bedacht, das alte, fadenscheinig gewordene Prunkkleid auszutragen, solange es möglich ist.[S.108]

Was ist denn mit Rom? London? Prag? Hongkong?

Der Autoverkehr in Paris ist schon 1964 eine Katastrophe, das Jammern über die öffentlichen Verkehrsmittel auch nicht ganz nachvollziehbar. Wenn man klagt, dass man für 5 Kilometer eine ganze Stunde braucht[S.116], dann soll man halt gleich zu Fuß gehen oder ein Fahrrad nehmen.

Über das Auto findet (und zitiert) der Autofahrer Fred Wander deutliche Worte:

Das Auto ist das konterrevolutionäre Element Nummer eins in der westlichen Welt. Es ist nicht nur eine Ware, die den Konzernen Profit bringt. Das Auto beschäftigt den Arbeiter von früh bis spät. Kann er sich nur eine alte Type leisten, muß er die Karre selbst reparieren. Das kostet ihn einen großen Teil seiner freien Zeit. Und ist es nicht besser, denken gewisse Leute, der Arbeiter beschäftigt sich mit dem Auto als mit der Politik?[S.118]

Natürlich muss man sich deswegen Sorgen über das politische Bewußtsein der Arbeiter machen:

Ist er, so fragt man, der Jakobiner und Revolutionär, der er nach seinen Reden zu sein scheint, oder ein leichtlebiger, charmanter und im Grunde harmloser Anarchist - gegen das Kapital, gegen die Regierung, aber versöhnt und eingelullt durch das Auto und die Wohlstandsideologie[S.120]

Es wird die Befürchtung geäußert, dass sich "der Prozeß der geistigen Auseinandersetzung ... sich vorwiegend außerhalb der Kommunistischen Partei ab[spiele]"[S.122] Und leider leider muß folgendes gesagt werden:

"In der gegenwärtigen Epoche ist die Arbeit der KPF und aller kommunistischen Parteien der hochentwickelten Industriestaaten sehr schwierig und unübersichtlich. Es ist ein auf breiter Front mit unsäglicher Mühe und Kleinarbeit vorgetragener Kampf. Ein Kampf, der zunächst der Einheit der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Teile der Bevölkerung gilt, der Aufklärung, der Verbreitung von Wissen und Information!"[S.123]

An solchen ollen Kamellen merkt man, wie alt das Buch geworden ist...

Interessanter sind die Schilderungen über das Leben der Afrikaner im "Gelobten Land", in Paris:

Der moderne Industriestaat braucht dringend billige Arbeitskräfte, eine Reservearmee von ungelernten Arbeitern, bereit, jede Arbeit zu machen, um jeden Preis. Die minderen, schlechtbezahlten Arbeiten werden zumeist von Afrikanern ausgeführt. Postausträger, Erdarbeiter, Straßenkehrer sind fast immer Farbige. Es gibt bereits ein System, das man offen den "schwarzen Sklavenmarkt" nennt, und das in doppeltem Sinne. Die Senegalesen kommen im Auftrag ihrer Familie oder ihres Clans. Die Überfahrt, die städtische Kleidung, ein kleiner Handkoffer mit etwas Wäsche werden kollektiv beigesteuert. Der junge Mann wird zwei bis vier Jahre in Paris arbeiten und seinem Dorf, seiner Sippe dienen. Geschäftstüchtige Araber haben alte Schuppen und Silos aufgekauft und als Massenquartiere eingerichtet. Längst abbruchreife Gebäude, "Hotel" genannt, bringen ihren Besitzern wieder gute Profite. Sogar die Keller und Gänge sind in "Zimmer" verwandelt, wo die Afrikaner zu sechst oder acht hausen. Diese Männer bilden kleine Kollektive, und jeder hat seine Funktion. Im Durchschnitt finden nur zwei Drittel der Afrikaner Arbeit. Wer keinen Job hat, besorgt die Einkäufe, das Säubern der Wäsche und die Küche für das Kollektiv. Alle Einnahmen kommen in eine Gemeinschaftskasse und werden in drei Teile geteilt: für den Unterhalt des Kollektivs, für Einlagen in ein Bankinstitut, die Zinsen tragen, und schließlich für Sendungen an das Dorf, die Familie.[S.132]

Wander muss lernen, dass man die Prostitution und Vergnügungsindustrie nicht einfach verbieten kann, denn:

Hunderttausende Kellner, Wirte, Weingroßhändler, Portiers, Bühnenarbeiter, Musiker, Taxichauffeure, Tänzerinnen und dazu alle Berufe, die von diesen Leuten leben, würden sich gegen eine derartige Zumutung wehren. (...) Wollen Sie ganze Stadtviertel brotlos machen?[S.136]

Darauf fällt auch einem strammen Kommunisten nichts mehr ein.

Auch die Wohnsituation ist ein interessantes Thema. Durch Gespräche mit Bewohnern der modernen Riesenbauten in den Schlafstädten erfährt Wander, dass diese neuen Wohnungen zu neuem Elend und zu Krankheiten führen: "In diesem Haus und in dieser Stadt ist man allein wie auf dem Mond."[S.147]

Als man mit einem Bauingenieur über die Wohnungsnot spricht und der die Probleme in den großen Schlafstädten schildert und wie man versucht, dem Herr zu werden und es besser zu machen, kommt natürlich wieder die alte kommunistische Leier, dass einfach in den nächsten 20 Jahren jährlich 500000 Wohnungen gebaut werden sollten. In der interessanten Diskussion weist der Ingenieur auf Untersuchungen, Kriminalstatistiken usw hin und darauf, dass in den sozialistischen Ländern die gleichen Probleme als Folge dieser Bauweise auftreten. Die Stimme des Sozialismus und Kommunismus darf natürlich das letzte Wort haben, und das lautet:

Aber der Sozialismus erzeugt bessere Voraussetzungen, mit diesen Problemen fertig zu werden. Es kann keine echte technische Revolution geben ohne eine gleichzeitige politische und moralische Revolution, keine neuen Städte ohne eine neue Art zu leben, kein neues Leben ohne eine alle Menschen begeisternde Idee![S.154]

Amen! ist man versucht zu sagen.

Ein ganzes Kapitel gehört der Kritik an den jungen Leuten, an ihrer Begeisterung für Beat, für Jazz, für Tanz, für andere Mode und so weiter. Dieses Kapitel kann man nur als dumm bezeichnen. Hier schreibt jemand, der aus der Zeit gefallen ist und noch nicht gemerkt hat, dass er einem ganz alten Topos aufsitzt, der von tausenden von Jahren schon von Konfuzius breit getreten wurde: Die Jugend ist schlecht, früher war alles besser. Wir waren ganz anders... Und gleichzeitig wird jede Selbstaussage für bare Münze genommen und nicht das Spiel mit Identitäten und Identitätsversuchen erkannt. Schade. Natürlich kann man wenn man will sich grenzenlos lustig machen über die Tänzer bei Twistmusik. Aber könnte man das nicht auch mit den Besuchern der ollen Bayreuth-Veranstaltungen machen, über klunkerbehangene Matronen zum Beispiel? Aber nein, es wird gejammert, dass die Jugend "verführt" ist, weil sie nicht so denkt, wie man selber. Oder nicht so "fortschrittlich" wie die "Burschen und Mädchen" der kommunistischen Jugend[S.174].

So endet denn das Buch mit einem vorsichtigen Optimismus und versöhnlich, denn es gibt ja auch eine "fortschrittliche" sprich kommunistische Jugend:

Vielleicht wird die Mischung von Zärtlichkeit und Ironie, von Ernst und Heiterkeit, von Verantwortung und Phantasie, die ich bei den fortschrittlichen, jungen Arbeitern und Studenten antraf, ein Lebensgefühl ergeben, das ihrer ganzen Generation zum Vorbild werden kann.[S.185]

Das Buch ist lesenswert, wenn auch vieles etwas (historisch) überholt erscheint. Aber viele Diskussionen wären auch heute noch interessant zu führen, nur muss man mit der Zuweisung des Wörtchens "fortschrittlich" etwas mehr Fantasie walten lassen.

Fred Wander, Pariser Impressionen
Bild 38: Maxie Wander am rechten Bildrand

Die Fotos im Buch sind im übrigen teils gut, teils sehr gut, teils schlicht das Ergebnis von Knipserei. Wie nicht anders zu erwarten findet sich mindestens einmal auch Fred Wanders Frau Maxie Wander auf einem Foto, nämlich auf Bild 38.

Neues Ölbild "Stelen" fertig

(12.12.2017) Ich weiß nicht, wie oft ich schon Stelen gemalt habe - das Thema gefällt mir aber. Auch dieses Bild wird nicht das letzte mit Stelen gewesen sein.

Stelen
"Stelen", Öl auf Hartfaser, 60 cm x 80 cm, 2017

Reiner Stach - "Kafka. Die frühen Jahre"

(05.12.2017) Reiner Stach hat seine dreibändige Kafka-Biographie mit den Bänden 2 und 3 begonnen, weil zu Beginn seiner Arbeit an der Biographie für den Band 1 wichtige Quellen zur Jugend Kafkas noch nicht frei zugänglich waren. Der Band 1 ("Die frühen Jahre") ist daher originellerweise als letzter der drei Bände erschienen.

Reiner Stach, Kafka, die frühen Jahre

Was soll man sagen! Ein tolles Buch, das man stellenweise fast als Roman lesen kann, und das doch gleichzeitig auch eine Sammlung von Mini-Essays und -Abhandlungen zu unterschiedlichsten Themen wie dem Schulsystem in Prag, der Anthroposophie, des Intellektuellen Weininger usw usf ist. Die "biographischen Essays" zu allen wichtigen Personen sind durchweg lesenswert und besser als jeder Lexikonartikel. Manche Protagonisten - wie zum Beispiel Max Brod - kommen dabei gar nicht gut weg.

Ich habe in zwei Etappen gelesen: Die Hälfte des Buches im Frühjahr, die zweite Hälfte jetzt im Dezember. Das war ohne Probleme möglich, weil viele in sich abgeschlossene Themenkreise bearbeitet werden.

Dies ist die mit Abstand beste Kafka-Biographie, die ich kenne - wenn der Umfang keine Rolle spielt. Für eine kurze Kafka-Biographie wüsste ich nicht, ob ich die Rowohlt-Monographie von Klaus Wagenbach oder den biographischen Comic von David Zane Mairowitz und Robert Crumb bevorzugen würde.

Riek Dekker - "Zeilmeisje Laura Dekker. Mijn verhaal"

(24.11.2017) Dieses Buch habe ich nicht nur intensiv gelesen, sondern komplett aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt - und zwar schriftlich. Weil ich Lust dazu hatte! Begonnen habe ich damit im Februar 2016, aber von August 2016 bis März 2017 pausiert, dann nach zwei Wochen wieder eine Pause eingelegt von Ende März bis Mitte November. Und nun bin ich endlich fertig. Möglich war mir die Übersetzung nur, weil ich den Text auch als Datei vorliegen habe, nicht nur in Buchform. Und so konnte ich mit dem Übersetzungstool von Google absatzweise den Text durchgehen. Irgendwann bekommt man auch ein Gefühl für das Niederländische, und kann die groben Übersetzungsfehler der Software leicht korrigieren. Ich lese ungern E-Books, aber ein als Datei vorliegender Text lässt sich eben leicht durchsuchen, wenn man nach einem Namen oder einen Begriff sucht. Wann wurde der Kutter "Havorn" nach Maurik umgezogen? Jetzt lässt sich so eine Frage sofort beantworten. Das "handgreifliche" Buch möchte ich natürlich trotzdem nicht missen.

Laura Dekker, Mijn verhaal

Riek Dekker ist die Großmutter von Laura Dekker. Laut dem Vorwort war es ihre Absicht, zum einen die Jugend von Laura zu beschreiben (wie wird man so segelverrückt?), zum anderen die Zeit zu schildern, als es wegen Lauras Plan, als jüngste Seglerin die Welt zu umsegeln, zu erheblichen Differenzen mit dem Kinderschutz und der Jugendfürsorge kam. Der Zeitraum, ab dem die Familie den Plan für die Weltumsegelung Mitte 2009 öffentlich machte, bis zur Abfahrt Anfang August 2010 dominiert das Buch: Die Jugendzeit wird auf den Seiten 9-44 beschrieben, die Mühen bis zur schließlichen Abfahrt auf den Seiten 45-111. Das ist aber kein Wunder, denn da geschieht wirklich viel, und es wird auch immer viel an den Behörden kritisiert (man wünscht sich manchmal eine Darstellung der Behördensicht). Eine Sicht der anderen Seite (Kinderschutz, Jugendfürsorge, Gerichte) wird in manchen Presseberichten der Zeit angerissen, aber so weit ich gefunden habe nie ausgearbeitet.

Mein Eindruck nach der Lektüre aller Blogs von Laura, dutzender von Interviews, ihres Reiseberichts und dieser Jugendschilderung ist: Die Dekkers sind ziemlich undiplomatisch und unprofessionell, teilweise pampig auf die Behörden zugegangen, stilisieren sich aber gerne als Opfer von Behördenwillkür. Immerhin stand auch schon mal die etwas freche Drohung der 13-jährigen Laura im Raum, nach Neuseeland zu gehen und von dort die Reise zu beginnen, wenn die Niederlande es nicht erlauben: "De Lange [ihr Anwalt] said earlier that Laura would consider moving to New Zealand if Dutch child protection workers blocked her record attempt. New Zealand authorities say they also could block her trip if they were convinced she would be endangering herself or potential rescuers) (Quelle). Schon dieser kurze Satz liefert die Begründung für die Hektik der Dekkers mit: Sie war natürlich dem dringenden Wunsch geschuldet, Laura zur jüngsten Solo-Weltumseglerin zu machen. Dieses Ziel wurde später bestritten, nachdem Guinness World Records mit explizitem Bezug auf Laura Dekker verkündete, keine Rekorde von Jugendlichen unter 16 Jahren für riskante Kategorien wie Weltumsegelungen mehr aufzunehmen, um Kinder ehrgeiziger Eltern nicht in Gefahr zu bringen. Zu Beginn des Unternehmens war dies aber ein klares Ziel und Laura trug Segelkleidung mit dem Banner: "youngest to sail around the world".

Tiefschürfend ist das Büchlein nicht, es zeigt eine etwas rosa gefärbte Sicht der Familie Dekker und verteufelt die Behörden, aber für Fans von Laura ist es auf jeden Fall interessant.

Eine kleine Timeline anhand des Buches:

Vergleicht man diese Timeline mit der in anderen Veröffentlichungen, gibt es gerade für die Jugendzeit einige Widersprüche. Für eigenhändige Biographien ist es aber normal, hier und dort etwas zu schönen, vielleicht auch zu dramatisieren, wie zum Beispiel die ständige Wiederholung, dass Laura auf dem Boot ihrer Eltern geboren sei: tatsächlich ist sie im Krankenhaus von Whangarei geboren. Oder dass für das grosse Medienecho zum Plan der Weltreise und dem Einschreiten der Behörden die Bildungsbeauftragte verantwortlich gemacht wird - dabei wurde schon Monate vorher mit der Planung für die Weltreise begonnen und nach Sponsoren gesucht, und im Bericht über die Englandreise in der Julinummer des Magazins "Zeilen" steht explizit das Ziel, die jüngste Weltumseglerin zu werden.

Gunter Gabriel - Interviews (auf YouTube)

(11.11.2017) Ich habe Gunter Gabriel als Sänger, Sprecher oder Fernsehmoderator nie wahrgenommen: Deutschsprachige Schlager- und Country-Musik ist nicht so mein Ding, und Fernsehen schaue ich sehr selten. Von dem ganzen Menschen Gunter Gabriel war mir nur der Name bekannt.

Gunter Gabriel
Standfoto aus: Gunter Gabriel (†75) über seinen Tod: "So will ich sterben!"
(Eine Produktion von ÜBERREDET.COM und Goldene Heimat Film, Redaktion: Johannes-Simon Zettel)

Aus irgend einem inzwischen vergessenem Anlass heraus habe ich nach Interviews mit Gunter Gabriel gesucht, habe einige angeschaut und war fasziniert. In allen angeschauten Interviews war er über 60, hatte also seine höchsten Höhen und tiefsten Tiefen hinter sich. Da sprach ein Typ, der sich ganz selbstverständlich inszenierte (er ist schließlich Medienprofi), der lebendig rumzappelte und gestikulierte, der emotional sprach, der ordentlich Sprüche klopfte. Natürlich hat man nach dem fünften gehörten Interview das Gefühl, dass sich manches wiederholt, natürlich nimmt man einem ehemals mehrfachen Millionär, der wieder dick im Geschäft ist, nicht das Kokettieren mit dem Malocher-Image ab, auch nicht sein Ranschmeissen an die Kleinen Leute. Aber ein Mann, der vier Ehen hinter sich hat, der eine Zeitlang sechsstellige Beträge im Monat verdient hat, der eine Zeitlang ziemlich pleite war und in einem Wohnwagen lebte, der die Wohnzimmerkonzerte für 1000 Euro erfand - der hat halt was zu erzählen. Und das kann er! Eine sympathische Stimme mit leicht norddeutschen Dialekt, eine rührende Art, sich bloß ja als ganzer Kerl und richtiger Mann verkaufen zu müssen, "Cowboy" als Lebensphilosophie und so weiter. Aber halt auch ein Künstler mit einer beeindruckenden Arbeitsmoral, mit diszipliniertem Tagesablauf, der eine Tournee natürlich professionell angeht (bis hin zum Engagement eines Fitnesstrainers, dem er wegen der Antreiberei - ganz atemlos - "am liebsten in die Fresse hauen würde" (O-Ton)) - das hat mir gefallen. Ich habe mir die Videos deswegen auch auf ein Tablett abgespeichert und im Urlaub in aller Ruhe noch einmal angesehen.

Seine Sprüche sind manchmal locker (die Frage, warum er immer Cowboy-Stiefel anhat, beantwortet er natürlich zum einen mit seiner Cowboy-Philosophie, aber auch mit dem Hinweis, dass diese Stiefel eine Waffe sind: Wenn er eine Frau verteidigen muss und diese Stiefel anhat, dann wehe dem Angreifer, "Das ist ein toter Mann!"), und manchmal sind sie sehr grenzwertig ("Wenn eine Frau beim Orgasmus nicht schreit, dann kann sie mich am Arsch lecken!").

Toll fand ich, dass er 20 Jahre lang auf einem ehemaligen DDR-Arbeiterschiff lebte. Das Hausboot, das den Video-Interviews nach zu urteilen, großzügig bemessen ist, war auch sehr großzügig eingerichtet, teilweise mit Stilmöbeln. Gabriel lag damit zuletzt im Harburger Binnenhafen in Hamburg. Da könnte ich mit meinem Faible für Seefahrt richtig neidisch werden.

Seine Bilanz mit 70 Jahren: "Aber ich hab’ ein paar geile Songs geschrieben. Und ich habe ein superinteressantes Leben gelebt mit allen Amplituden.“

Schade, dass Gunter Gabriel im Juni 2017 mit gerade einmal 75 Jahren an den Folgen eines Sturzes gestorben ist.

Hier die Links zu den Interviews (bzw Sendungen über Gunter Gabriel), die mir von den von mir angeschauten am besten gefallen haben.

Gunter Gabriel (†75) über seinen Tod: "So will ich sterben!"
Gunter Gabriel__Erinnerungen
Auf dem h1-Sofa. Zu Gast: Gunter Gabriel

Gottfried Benn / Thea Sternheim - "Briefwechsel und Aufzeichnungen. Mit Briefen und Tagebuchauszügen Mopsa Sternheims"

(10.11.2017) Gottfried Benn stilisierte sich gerne als ein großer Einsamer, der sich über die Abgründe der Zeiten hinweg mit den ganz Großen unterhielt, mit Goethe, mit Nietzsche, mit ... (you name it). Dass er aber ein großer Charmeur war, seine Frauengeschichten sowohl generationsübergreifend als auch Gesellschaftsschichten überschreitend waren - das kam erst nach und nach heraus, als immer mehr Korrespondenzen mit unterschiedlichsten Damen veröffentlicht wurden.

Benn, Sternheim, Briefwechsel

Unter den vielen Briefwechseln ist der mit Thea Sternheim (und ergänzend mit deren Tochter Mopsa Sternheim) etwas besonderes: Hier korrespondiert Benn mit einer Frau, die intellektuell auf gleichem Niveau unterwegs ist, die gleichermaßen unbestechlich die Schönheit seiner Sprache bewundert und seine charakterlichen Defizite erkennt, und die für lange Zeit den Kontakt abbricht, als sich Benn zu stark vor den Karren der Nazis spannen lässt. Diese Frau konnte er nicht verführen, wenn es auch nicht an Versuchen gemangelt zu haben scheint. Immerhin hatte er mit ihrer Tochter Mopsa eine kurze und intensive Liebesaffäre, die diese zeitlebends prägte.

Die Briefe Thea Sternheims und ihre Tagebucheinträge sind schon auf eine Art interessant, aber bringen keine wirklich neuen Aspekte zu Benn und seinem Werk. Natürlich sind es wertvolle Beiträge zur Zeit und zur Kulturgeschichte und zu manchen Personalia, aber dafür liest man ja dieses Buch nicht...

Überraschend und ein Glücksfund sind aber die Briefe und Tagebucheinträge von Mopsa Sternheim. Vor allem in ihren Tagebüchern (die chaotisch scheinen und formal vollkommen anders daherkommen als die Tagebücher ihrer Mutter, die Jahrzehnte lang in die gleichen linierten Bücher schrieb) zermartert sich Mopsa den Kopf über Benns Dichtung, über den Versuch, seine Bedeutung für ihr Leben zu verstehen, und gelangt zu sehr hellsichtigen Analysen, die Benn in einer Tiefe sezieren, wie es mir selten untergekommen ist. Sie hat gespürt und es in Worte zu fassen versucht, dass der Benn der fünfziger Jahre zwar die gleichen Themen bedichtet, zwar immer noch meisterlich mit der Sprache umgeht, ihm aber eine ganz wichtige Dimension verloren gegangen ist. Das, was er früher geglaubt und gelebt hat, ist für ihn Material geworden, mit dem er spielt. Das Existenzielle ist nicht mehr erlebt und erlitten, sondern ist Material für Collagen geworden.

Der 520 Seiten starke Band hat inhaltlich auf jeden Fall ein anderes Gewicht als einige der anderen Briefwechsel mit Frauen. Zum Glück konnte ich ihm einige Tage sehr intensiv widmen, der jährliche Herbsturlaub auf Spiekeroog machte es möglich.

Irmgard Keun - "Kind aller Länder"

(04.11.2017) Diesen kurzen Roman habe ich spontan als eine Lektüre für eine lange Bahnreise eingepackt - das dünne dtv-Taschenbuch hat gerade einmal 140 Seiten.

Irmgard Keun, Kind aller Länder

Irmgard Keun gehört zu den sogenannten "Verbrannten Dichtern", denen Jürgen Serke 1977 in einer stern-Serie und in einem darauf basierenden Buch wieder zu Anerkennung und Bekanntheit verholfen hat. Serkes Buch war damals für mich eine wichtige Sammlung von Lektüreempfehlungen, und nahezu von jedem der vorgestellten Schriftsteller habe ich etwas gelesen, teils auch fast alles.

Auch Irmgard Keun wurde vorgestellt und es lohnt sich, Serkes Text zur Keun vor einer Lektüre ihrer Romane zur Kenntnis zu nehmen. Vier Romane von ihr habe ich damals gelesen, "Kind aller Länder" habe ich mir irgendwann später auch noch besorgt, aber bis heute liegen gelassen.

Gemeinhin gilt der 1938 in Amsterdam veröffentlichte Text als ein Exil-Roman, ein Emigranten-Roman, und sicherlich ist er das auch - in manchen Aspekten. Aus der Perspektive eines zehnjährigen Mädchens werden die vielen Ortswechsel, die Bemühungen um Geld, die familiären Spannungen geschildert, die das Leben im Exil mit sich bringt. Aber: Auf der Flucht befindet sich die Familie eigentlich nicht, die häufigen Ortswechsel wären nicht nötig, die Geldknappheit ist hausgemacht.

Der Text ist nämlich auch ein Künstlerroman, denn der Vater des Mädchens ist ein bekannter Schriftsteller, durchaus verwöhnt, ein Freund guter Hotels, guten Essens, guter Weine, guter Zigarren, schöner Frauen. Zum Arbeiten braucht er Druck und Abgabetermine, die Honorare werde meist als Vorschüsse beglichen, und die sind ausgegeben, ehe die neuen Bücher erschienen sind. Die vielen Ortswechsel erklären sich daraus, dass er es nie länger als vier Wochen in einer Stadt aushält. Der ständige Geldmangel liegt an den teuren Hotels, an den teuren Restaurant-Essen, an teuren (unnötigen) Taxifahrten, an teuren Erste-Klasse-Fahrten in Zügen oder auf Schiffen und so weiter.

So gesehen kann man sich fragen, ob die kleine Protagonistin des Romans nun ein bedauernswertes "Kind aller Länder" ist, weil die Familie im Exil lebt, oder ob sie ein beneidenswertes "Kind aller Länder" ist, weil sie rumkommt und sich überall schnell zu Hause fühlt.

Viele Aspekte machen es schwer, Mitleid mit der Familie zu empfinden. Die Familie lebt immer in Hotels, und zwar chronisch in zu guten und zu teuren Hotels. Auch wenn es die Frau des Schriftstellers lieber hätte: Das Leben in billigen Pensionen lehnt der Meister ab, da ihm dann die dienstbaren Geister wie Portiers und Zimmermädchen fehlen und man überdies immer zu festgelegten Zeiten essen muss. Man isst nur in teuren Restaurants, auch wenn ein Restaurantbesuch aus Kostengründen oft die einzige Mahlzeit am Tag darstellt. Aber auch hier: Der Künstler isst gerne gut und trinkt gerne gut und viel (und teure Zigarren gehören auch dazu), und wenn er manchmal in der Lage ist, zum Kaviar ganz alleine (!) zwei Flaschen Champagner zu trinken, dann fehlt mir auch hier das Verständnis. Denn seine Frau lebt bescheiden und dem Kind ist das alles ziemlich egal. Aber sogar das Kind hinterfrägt die teuren Taxifahrten auf Kurzstrecken. Zugfahrten und Schiffspassagen sind auch etwas, was man gerne in der Ersten Klasse macht. Spätestens wenn es klar wird, dass die vielen Umzüge nicht unbedingt mit Verfolgung sondern eher mit ausgelutschten Bekanntschaften zu tun haben, die nicht mehr in der Lage sind, mehr zu leihen oder mehr Vorschuss zu geben, dann wird es klar, dass die Bezeichnung "Emigranten-Schicksal" am Buch vorbeigeht.

Der Schriftsteller hält es maximal vier Wochen an einem Ort aus, nur in Paris können das auch drei Monate werden. Hat er mal Geld, wird das großzügig ausgegeben.

Die Frau ist verdammt, alles mitmachen zu müssen, obwohl sie unglücklich ist, das Kind soll natürlich auch immer dabei sein, die Schule soll von der Frau ersetzt werden, die aber kaum eine Schule besucht hat.

Er hat etwas von einem Hochstapler, seine Egozentrik geht auf Kosten der Restfamilie.

Die Tochter kommt etwas nach dem Vater. Das Reisen macht ihr Spaß, sie kommt mit der nomadischen Existenz klar, lernt immer schnell Leute kennen (nicht nur Kinder), lernt auch schnell die jeweilige Landessprache.

Der Vater hat natürlich auch seine guten Seiten, ist zum Beispiel jederzeit bereit, sein mühsam zusammengeschnorrtes Geld einem anderen Bedürftigen weiterzugeben. Oder andere Frauen zu trösten und zu beschenken - sehr zum Ärger der eigenen Frau.

Zum Emigrantenstatus bekommt die Tochter klare Worte, als sie (als Erste-Klasse-Passagierin auf einem Schiff nach Amerika) mit voller Bewegungsfreiheit und fast schon Narrenfreiheit bei einem Besuch in der 3.Klasse direkt gesagt bekommt, dass sie eine "Edel-Emigrantin" ist und noch nicht einmal jüdisch ist. Wenn hier ein Emigrantenschicksal geschildert wird, dann also ein sehr untypisches.

An einer anderen zentralen Stelle sagt sie über ihren Vater, dass er nie reich ist, auch wenn er eine Million hätte, andererseits auch nie arm wäre, auch wenn er keinen Cent hätte.

Formal ist der Roman interessant aufgebaut. Er beginnt in der Gegenwart in Brüssel und beschreibt ihre Weiterfahrt nach Amsterdam, während der Vater in Prag Geld auftreiben will, aber Post aus Budapest und Polen sendet und es schließlich nur noch illegal mit anderen Pässen zurück nach Brüssel schafft. Geplant ist eine Weiterreise nach Paris, wobei sich als weitere Herausforderung zeigt, dass die Mutter wieder schwanger ist, der Vater bei seiner Verabschiedung also "zu herzlich" gewesen ist (wie er sich ausdrückt). Angesichts der geplanten Weiterreise nach Paris erinnert sich die kindliche Protagonistin an den letzten Aufenthalt in Paris, an Ostende, Amsterdam, Rotterdam, Marseille, Italien und an die Zeit allein mit ihrem Vater in Amerika (die Mutter verpasste damals durch die Gedankenlosigkeit des Vaters die Abfahrt) und der Rückkehr nach Rotterdam. Dieser Rückblick geht fast bis zur letzten Seite des Romans. Die letzte Seite spielt dann wieder in der Gegenwart, die Familie ist wieder vereint, und es soll also wieder einmal nach Paris gehen. Für das Kind ist das kein Problem, für den Vater eine Notwendigkeit (er war schon wieder zu lange am gleichen Ort), für die Mutter bleibt keine Wahl.

Die vorgestellten Exil-Stationen kennt Irmgard Keun aus der Zeit des eigenen Exils, welches sie eine Zeitlang mit Joseph Roth verlebte - wohl ähnlich chaotisch wie die Familie im Roman, nur ohne Kind.

Insgesamt ein lesenswertes Buch - ich habe länger daran gelesen als geplant und viele Passagen ein zweitesmal gelesen.

Slimane Kader - "Ocean King. Was einer unter Deck erleben kann"

(29.10.2017) Eine schnelle Zwischendurch-Lektüre, 224 Seiten, die sich an einem Wochenende schnell runterlesen.

Slimane Kader, Ocean King

Um der Arbeitslosigkeit und den tristen Lebensbedingungen in einer Pariser Vorstadt zu entkommen und natürlich auch mit vollkommen falschen Vorstellungen von der Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff heuert der Ich-Erzähler Wam (angeblich ein alter ego des Autors) als Hilfskellner auf der "Ocean King an. Bei der Einschiffung tritt er patzig und sexistisch auf und nervt die Sachbearbeiterin so, dass sie ihm einen anderen Job verpasst, nämlich den eines Jokers (Springers), den am wenigsten angesehenen Job an Bord.

Überhaupt tritt Wam das Unternehmen mit einer Einstellung an, die vielleicht in Pariser Vororten adäquat ist, nicht aber in einer extrem arbeitsteiligen und hierarchischen Organisation wie auf einem Kreuzfahrtschiff. Sein patziges und pampiges Verhalten bekommt schnell die Quittung, vor allem auch, da er in seiner Wahrnehmung extrem eingeschränkt ist. Es gibt die "Sklaven", das sind die Angestellten (zu denen er sich anfangs nicht so recht zählen will), und die "Fatties", also die Gäste des Schiffes. Seine Wahrnehmung der "Kreuzfahrer" illustriert sein sehr eingeschränktes Differenzierungsvermögen:

Die Kreuzfahrer geben ein Bild des Grauens ab. Wirklich. Und alle sehen gleich aus. Die Männer tragen Carlos-Hemden (wie der Sänger, nicht der Killer), Bermudas und Crocs. Ihre Weibchen erkennen sich untereinander an den blauen Haaren, mit denen sie aber nicht an Punks, sondern eher an Barbapapa erinnern. Und sie sind unglaublich fett! Alle stecken sie jeweils zu zweit in ihren Hosen und Röcken. Eine echte Freakshow.[S.25]

Die Kinder der Kreuzfahrer sind natürlich nichts anderes als "kleine Scheißer".[S.200]

Die Schiffsangestellten werden zwar etwas differenzierter beschrieben, aber letztlich genauso stereotyp. Insgesamt wirkt das schon etwas menschenverachtend, und nur graduell bessert sich das im Lauf der Erzählung, und wohl auch nur aus taktischen Motiven - es ist so besser für die eigene Karriere. Die wenigen Bekannten (Freunde kann man sie nicht nennen), die er während der Plackerei macht, entfremden sich von ihm nach seinem Karrieresprung, aber "Sie fehlen mir nicht"[S.212]. Seine Karriere führt ihn also letztlich nur dazu, mit den Wölfen zu heulen, und da fühlt er sich wohl, auch wenn er allein ist: "Obwohl ich zugeben muss, dass man an der Spitze der Pyramide ganz allein ist."[S.212] Wam ist eben kein Klassenkämpfer, sondern Teil des Systems, von Anfang an. Solidarität findet nicht statt. Alle anderen sind Konkurrenz. Obwohl das Bewußtsein einer gewissen Macht der "Sklaven" da ist: Einmal macht er ein Gedankenspiel und weiß, dass sogar sein Verhalten als "Joker" das Unternehmen in Bedrängnis bringen könnte. Aber das ist kein Buch in der Nachfolge von Günter Wallraff, will also nicht ernst und vorwurfsvoll auf Missstände in der Kreuzfahrtsparte hinweisen, sondern es will unterhalten. Und genau genommen sind die beschriebenen Arbeitsverhältnisse nichts besonderes: Auf einem Kreuzfahrtschiff ballt sich halt alles auf engstem Raum. Vergleichbare Verhältnisse gibt es auf jeder Baustelle, bei vielen kleineren Betrieben.

Es fällt etwas schwer, in dem Text eine wahre Geschichte zu sehen, zu unmotiviert sind manche Kehrtwendungen, zu groß ist der Sprung vom Hundewärter zum Chef-Steward. Aber die Arbeiten, die erledigt werden müssen, die Menschen die sie tun - das ist gut beschrieben und daher entweder selbst erlebt oder gut angeeignet. Interessant fand ich den Hinweis auf die Macht der Internet-Kritiken: Die Angst vor negativen Kritiken der Gäste führt dazu, dass auch relativ wichtige Reparaturen (z.B. an der Meerwasserentsalzungsanlage) nicht durchgeführt werden können, weil dann z.B. die Duschen für die Gäste einige Stunden nicht verfügbar wären. So muss man sich mit Workarounds behelfen, und dann zum Beispiel bei undichten Anlagen jemanden zum Tockenwischen abkommandieren. Interessant auch der Hinweis auf die großen Probleme mit Kakerlaken auf den Kreuzfahrtschiffen.

Dass Wam am Ende als neuer Chef-Steward das Verhalten des früheren Chef-Stewards John Cooper praktisch kopiert und ein neuer "Joker" sich bei ihm so einführt wie er sich beim alten - das ist keine gute Idee und wirkt sehr schwach. Der Schluß des Buches wirkt insgesamt etwas hudelig - wie unter Termindruck geschrieben.

Dass die Arbeit der 2000 Angestellten (für 6000 Gäste) an Bord keine Arbeit "in der Hölle" ist zeigt sich daran, dass er nach einigen Jahren immer noch dabei ist - nach einer gewissen Zeit könnte man schließlich gehen und hat sicherlich Referenzen, die einem anderswo helfen.

Es ist eine nette Idee, die einzelnen Kapitel mit den Namen von Antilleninseln zu benennen - bekommen doch die wenigsten Angestellten überhaupt das Meer oder die Inseln in ihren fensterlosen Arbeits- und Aufenthaltsräumen zu sehen und wissen womöglich gar nicht, wo sie gerade sind.

Das Nachwort des französischen Verlegers macht viel Bohei um den komplizierte Vertragsabschluss und die umständliche Manuskriptübergabe des angeblich sonst wegen Nestbeschmutzung in seiner beruflichen Existenz gefährdeten Autors - das habe ich als reinen Marketing-Gag aufgenommen.

Auftritt mit den Lightnings im Ascot (Wiesloch)

(28.10.2017) Unser zweiter Auftritt dieses Jahr im Ascot (der erste war am 27.05.). Wieder volles Haus und wieder tolle Stimmung. Knapp 4 Stunden haben wir gespielt, über 40 Titel.

Das Ascot wechselt den Besitzer, aber wir hoffen, dass weiterhin Auftritte möglich sind.

Lightnings, 28.10.2017
Lightnings, von links: Klaus Petrick (dr, voc), Claus Hochgeschwender (g, voc), Béla Hassforther (b)
Lightnings, 28.10.2017
Lightnings, von links: Waldemar Martin (kb), Klaus Petrick (dr, voc),
Claus Hochgeschwender (g, voc), Béla Hassforther (b)

Benjamin Flao - "Kililana Song" (2 Bände)

Bd. 1 "Eine Kindheit in Kenia" und Bd. 2 "Liongos Lied", Verlag Schreiber & Leser. jeweils 128 Seiten.

Benjamin Flao, Kililana Song

(27.10.2017) Das Heft 119 (Sommer 2016) der Comiczeitschrift "comixene" hatte afrikanische Comics als Schwerpunkt. Der Zeichner Benjamin Flao war mit einem lesenswerten Interview vertreten, und die Bildbeispiele aus seinem zweibändigen Werk "Kililana Song" waren von so hervorragender Qualität, dass es für mich klar war, diese beiden Bände lesen zu müssen. Unsere Stadtbücherei in Heidelberg hat zum Glück die jeweils rund 25 Euro teuren Bände, so dass ich sie in den letzten Wochen mehrmals lesen konnte. Als Urteil reicht ein Wort: fantastisch.

Sowohl die erzählte Geschichte als auch die zeichnerische und farbliche Umsetzung gehören zum Feinsten, was es zur Zeit auf dem Comic-Markt gibt. In die Panels kann man regelrecht versinken. Die Zeichnungen sind gekonnt flüchtig, wirken aber trotzdem sehr realistisch - was man besonders mit einem Vergößerungsglas (oder einem Detailscan) sieht. Hier als Beispiel eine Abendstimmung (späte Dämmerung, mit Mondlicht) und ein Detail daraus:

Flao, Kililana Song
Flao, Kililana Song
Im Detail-Ausschnitt sieht man den gekonnt lockeren Strich, der aber in der Gesamtansicht gar nicht als solcher wahrnehmbar ist. Auch die Farben sind gleichermaßen locker und sicher aufgetragen.

Der erste Band kommt noch etwas harmlos daher. Viele Handlungsfäden mit unterschiedlichen handelnden Personen werden aufgenommen und man ist gespannt, wie das wieder zusammenlaufen wird. Die Themen Politik, Korruption, Religion, Rassismus, Wirtschaftskriminalität und Tourismus sind durch die verschiedene Protagonisten angedeutet. Man erfährt viel über den Alltag in einer mehr oder weniger typischen afrikanischen Stadt am Indischen Ozean. Eine brüderliche Verfolgungsjagd (Naims älterer Bruder Hassan jagt ihn, da er nicht in die Koranschule will, durch die ganze Stadt) gibt die Möglichkeit, die Stadt und das kleinstädtische Leben in teilweise netten Details vorzustellen, auch einige der handelnden Personen werden schon hier en passent eingeführt.

Der elfjährige Naim, ein liebenswerter Tom-Sawyer-Typ, ist die sympathisch charakterisierte Hauptfigur. Er ist gewieft genug, sich mit einer lockeren kleinen Nebentätigkeit etwas Geld zu verdienen, sein Freund Mohamed hingegen wird von einem fetten unsympathisch charakterisierten Inder wie ein Sklave behandelt und ausgebeutet. Schön, dass sich Mohamed später geschickt an dem Inder rächen kann, als er dessen Boot dem lebensmüden Nacuda übergibt, der auf dem Meer sterben will.

Die Weißen sind durchweg häßlich gezeichnet, und man muß leider sagen: So sehen die meisten halt leider auch aus. Unter den afrikanischen Protagonisten gibt es dagegen wunderbare Gesichter, z.B. Schönheiten wie Suzy und ihre Freundin Maggy, die für das neue Afrika stehen. Auch charakterlich kommen die Weißen nicht gut weg: Die Touristen erscheinen infantil und nur an Fotos interessiert, es gibt drogensüchtige Typen, die offenbar von Beruf "Sohn" sind, es gibt eine Schickeria von Geschäftsleuten und Kulturschaffenden, meist männlich, deren weiblicher Anhang immer mit Cocktailglas in der Hand zu sehen ist und dumme Bemerkungen macht. Die Einheimischen werden entweder als Sexobjekt oder als billige Dienstleister wahrgenommen. Der einzige, der die Afrikaner als Menschen wahrnimmt und mit ihnen normal verkehrt, ist ein weißer Desperado und Waffenhändler, der Kapitän Günter Vogels.

Unsympathisch und brutal sind auch die "islamischen Kämpfer" gezeichnet, die in bornierter Selbstgerechtigkeit für ein nicht genanntes Ziel kämpfen und brutal foltern und morden. Dass die Frau des Anführers aus Angst mit ihrem Kleinkind flüchtet und von einem kleinen Rauschgift-Dealer, der eine Zeitlang in einem abgelegenen Dorf bei Verwandten abtauchen will, gerettet wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, vor allem, weil eine sich anbahnende Beziehung zwischen beiden ganz sachte angedeutet ist.

Im zweiten Teil ist Naim fast nur noch mit einem alten Mann zusammen auf einem Boot zu finden und nimmt kaum noch an der eigentlichen Handlung teil, die ordentlich Fahrt aufnimmt. Der Sturm, in dem das kleine Boot schlußendlich scheitert, ist grandios in Szene gesetzt - Panels dieser Qualität sieht man ganz selten.

Obwohl es sich um einen Abenteuer-Comic handelt und die Gesellschaft nur in kurzen Streiflichter charakterisiert wird, ist alles dabei: Die afrikanische Tradition, die frühere afrikanischen Größe, das moderne Afrika, Korruption und Behördenwillkür, Religion (Animismus, Islam, Christentum), arm und reich, Tourismus, Drogen, Prostitution, Liebe, Zärtlichkeit, Familiensinn, Waffenhandel, Rohstoffe und so weiter. Und alles, ohne penetrant und besserwisserisch zu wirken.

Zwei tolle Bände also!

Neues Ölbild "Tänzer" fertig

(24.10.2017) Mit diesem Bild habe ich mich schon zu lange rumgeplagt - jetzt ist es endlich fertig. Mangels Aktmodellen (ich wollte eigentlich nackte Tänzer malen) sind die beiden Hauptpersonen jetzt leider ein normales angezogenes Tanzpaar geworden.

Tänzer
"Tänzer", Öl auf Hartfaser, 86 cm x 69 cm, 2017 (
bigger)

Thor Heyerdahl - "Fatu Hiva. Zurück zur Natur"

(22.10.2017) Vorletztes Jahr war Heyerdahls "Kon Tiki" einer meiner Lektüre-Höhepunkte, letztes Jahr sein Buch "Aku Aku" - dieses Jahr ist nun "Fatu Hiva" drangewesen. Und auch dieses Buch ist absolut lesenswert. Das Biographische spielt eine größere Rolle als bei den anderen beiden Bänden, das tut dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch. Und auch hier sind so viele interessante und lehrhafte Einzeheiten so geschickt in den Text eingewebt, dass man unmerklich über viele total verschiedene Bereiche eine Menge dazulernt.

Herdahl, Fatu Hiva
Schutzumschlag (Vorder- und Rückseite)

Thor Heyerdahl (06.10.1914-18.04.2002) und Liv Coucheron Torp (04.08.1916-14.04.1969) heiraten an Weihnachten 1936 und reisen schon am nächsten Tag ab zu ihrer langen Reise zur Marquesas-Insel Fatu Hiva, die sie nach einigen Monaten dann auch erreichen (nach einer Zugfahrt bis Marseille, einer sechswöchigen Schiffspassage nach Tahiti, einer vierwöchigen Wartezeit bis zur nächsten Abfahrt eines Schoners, und einer dreiwöchigen Tour mit dem Schoner von Tahiti bis zum Ziel). Heyerdahl war 22 und hatte gerade sein Studium abgeschlossen, Liv war gerade 20 und steckte noch mitten im Studium. Nach anfänglichen Optimismus nehmen die Probleme aber überhand (Hunger, Probleme mit den Einheimischen, Krankheiten), und die schließliche Rückfahrt der sich in einer Höhle versteckenden beiden Helden hat dann den Charakter einer Flucht.

"Fatu Hiva" hat Heyerdahl 1974 als überarbeitete und erweiterte Fassung seines Originalberichts von 1938 "Paa Jagt efter Paradiset" herausgegeben. Wie Heyerdahl in einer Anmerkung auf Seite 19 unten schreibt, "fand der Verfasser die Geschichte veraltet und nicht zeitgemäß im Hinblick auf die stark beachtete Kon-Tiki-Expedition. "Fatu Hiva" ist nicht identisch mit dem Buch von 1938." Das sind interessante Auskünfte, denn normalerweise ist ein aus dem unmittelbaren Erleben und dem noch frischen Gedächtniseindruck geschriebener Bericht glaubwürdiger als einer, der 36 Jahre nach den Geschehnissen geschrieben wird.

Ohne einen Vergleich machen zu können würde ich vermuten, dass zum einen der "Heyerdahl-Sound", der sich so gut verkaufte, 1938 noch nicht ganz ausgeprägt war, dass aber auch inhaltliche Schwerpunktverlagerungen sinnvoll erschienen. So konnte er zum Beispiel wichtige Aspekte seiner späteren Laufbahn (oder Karriere) als schon früh angelegt herausstellen und den eigenen Mythos (die eigene Marke) stärken. Und es ist demnach kein Wunder, dass "Fatu Hiva" in der Redaktion von 1974 das Ziel von Heyerdahls Forschungsfahrten der nächsten Jahrzehnte als logische Konsequenz seiner "Erkenntnisse" während des Aufenthalts auf dieser Insel benennt. Wenn man so will eine bewusste "narrative fallacy".

Einige Aspekte sind noch bedenkenswert. Heyerdahl ist seltsam unscharf, wenn er vom "Zurück zur Natur", von der "Rückkehr ins Paradies" spricht. War die Reise als Studienaufenthalt gedacht, mit einem biologischen Forschungsauftrag? Oder sollte es ein Zurücklassen der Zivilisation ohne Rückkehr sein? Heyerdahl wird nicht müde, letzteres immer wieder anklingen zu lassen (aber nicht klipp und klar). Aber geht man dem biologischen Forschungsauftrag nach, sammelt man Skulpturen, Werkzeuge, Menschenschädel, wenn man dort bleiben möchte? Macht man mit einer teuren Kamera jede Menge Fotos, die das Buch wie dafür gemacht illustrieren? Unwahrscheinlich, die spätere Vermarktung der Reise (durch Vorträge, Aufsätze und ein Buch) war sicherlich schon eingeplant. Ich sehe das ganze Unternehmen eher als ein von vorneherein zeitlich befristetes Experiment.

Seltsam ist es, wenn Heyerdahl von seiner damals zwanzigjährigen Frau Liv Coucheron-Torp erzählt, vom Wunsch nach Kindern und Familie spricht. Denn von dieser Frau war er schon seit 1947 geschieden, und Liv schon 1969 gestorben. Aktuell war er zum Zeitpunkt der Niederschrift bei der dritten Ehefrau. Auch die Rolle von Liv bei der Organisation der Reise und des Aufenthalts, den weiteren Planungen sowie der Abfassung des ersten Berichts wird unterschlagen - fast wird sie als zwar tapferes aber dummes Weibchen eines begnadeten Wissenschaftlers und Abenteurers hingestellt. Auf den Fotos wirkt sie aber natürlicher und unverstellter als Thor Heyerdahl, der sich oft in männlichen Posen gefällt. Gerade für solche Aspekte wäre die vergleichende Lektüre des ersten Berichts sicher interessant.

Trotz aller denkbaren Kritik ist das ein ganz ausgezeichnetes Buch. Wenn man Zitate rausschreiben wollte, wüsste man nicht, wo anfangen und wo aufhören...

Youn Sun Nah - Konzert im Rahmen von "Enjoy Jazz" in der Heidelberger Stadthalle

(07.10.2017) Letztes Jahr habe ich mir auf Youtube mehrere Dutzend Lieder von Youn Sun Nah angehört und eine Kompilation der mir(!) am besten gefallenden auf CD gebrannt. Diese CD höre ich immer wieder gerne. Als im Juli die ersten Plakate für das Enjoy-Jazz-Festival in Heidelberg geklebt wurden, und ich den Namen Youn Sun Nah sah, war klar, dass wir in ihr Konzert mussten. Einige Tage später, noch im Juli, reservierten wir unsere Karten, und schon zu dieser Zeit war schon fast alles weg. Die große Heidelberger Stadthalle! Innerhalb von Tagen fast ausverkauft!!

Der Auftritt am 7.10.2017 geschah also in einem vollbesetzten Haus, und die Sängerin bekam schon frenetischen Beifall, bevor sie überhaupt ein Lied gesungen hatte. Und ich dachte, Youn Sun Nah wäre so eine Art Geheimtipp...

Natürlich hat Youn Sun Nah diese Aufmerksamkeit verdient. Ihr Repertoire umfasst Jazz, Chanson, Musical, Folk, Rock, und alles in einer Meisterschaft und Intensität, dass ich manchmal Gänsehaut beim Hören bekomme. Auch in Heidelberg brachte sie einen bunten spartenübergreifenden Mix, zu meiner freudigen Überraschung auch eines meiner Lieblingslieder, "Lament". Kein Titel war allerdings besser oder interessanter interpretiert als auf meiner Kompilations-CD. Vielleicht war alles etwas zu glatt, zu routinert, zu weichspülerisch. Ein gutes Konzert, allerdings weit weg von einem unvergesslichen Konzert.

Nicht verwunderlich, dass die vier Begleitmusiker erstklassige Könner waren: Youn Sun Nah kann sich wahrscheinlich aussuchen, wen sie will... Brad Jones am Kontrabass hat mir besonders gut gefallen, aber auch Frank Woeste (Tasteninstrumente), Tomek Miernowski (Gitarre) und Ben Perowsky (Schlagzeug) waren Spitzenleute und hatten ihren moment of glory (durften kurze Soli machen).

Sympathisch wirken die vielen Verbeugungen und auch der Dank (incl. Verbeugung) an das Technik-Team (Mix und Beleuchtung).

Viele Musikbeispiele und Videos finden sich auf ihrer Homepage.

Franz Kafka, Chantal Montellier, David Zane Mairowitz - "Der Process"

(28.09.2017) Diese Comic-Adaption von Kafkas "Process" hat mir nicht gefallen. Die Geschichte ist nicht so erzählt, dass man einen Eindruck vom zugrunde liegenden Roman bekommt, die Schwerpunkte könnten geschickter gewählt sein. Viele interessante Szenen mussten leider ganz weggelassen werden, oder in illustrierten Episoden fehlt manchmal die letzte Spitze, zum Beispiel die schrägen kleinen Mädchen um den Maler Titorelli kommen etwas zu einseitig rüber. Auch da, wo die Geschichte schon fast zu breit ausgewalzt wird, am Anfang bei der Verhaftung, kann man das spaßige Element der neugierigen Alten am Fenster im Haus gegenüber nicht mit den oft und starr wiederholten Fensterguckern der Zeichnungen zusammenbringen; auch sehen die Alten da eher streng und strafend aus. Der Comic wirkt insgesamt ernster als das Buch. Das Gesicht von K. ist oft maskenhaft und starr, wie eine Schablone; es hätte nicht sein müssen, ihm die Gesichtszüge von Kafka zu geben.

Kafka Process

K. tritt immer wieder reichlich pampig auf, besonders zu Anfang und in der ersten Gerichtsverhandlung, deren großes Publikum auf einen interessanten und bekannten Fall schließen lässt. Gleichzeitig geht er auch forsch und besitzergreifend auf Frauen zu, wobei er sie zur Hauptsache benutzt. Sein Charakter wird recht unsympathisch gezeichnet, was zwar auch, aber nicht ganz so stark in der Vorlage angelegt ist. Im Comic macht eine Verhandlung über die Schuld von K., die in kleinen Details immer wieder angedeutet wird, durchaus Sinn - das ist kein harmloser, unschuldiger Charakter.

Die Zeichnungen sind insgesamt Geschmackssache, mir gefallen sie jedenfalls nicht besonders, auch wenn einige Panels durchaus gelungen sind.

K.s Ende entspricht nicht ganz der Vorlage: Während er im Roman das Messer ins Herz gestochen bekommt (und dort wird es auch noch zweimal umgedreht), bekommt er im Comic die Gurgel durchgeschnitten.

Peter Sloterdijk - "Zeilen und Tage. Notizen 2008-2011"

(23.09.2017) [Suhrkamp Verlag Berlin 2012; 639 Seiten] Von Sloterdijk kannte ich bisher nur einige Aufsätze aus der Sammlung "Was geschah im 20. Jahrhundert?", die mich allerdings nicht besonders beeindruckt haben. Auf den Notizenband "Zeilen und Tage" bin ich eher zufällig irgendwann im August gestoßen, habe mich aber sehr schnell festgelesen und den Band fast jeden Tag zur Hand genommen. Dank der teilweise sehr kurzen Notate (manche bestehen nur aus einem Satz, andere gehen über mehrere Seiten) kann man praktisch immer eine (gerne auch kurze) Lektüre einschieben.

sloterdijk zeilen tage

Die Lektüre hat Spaß gemacht! Sloterdijk befasst sich mit einem großen Themenspektrum, von der akademischen Philosophie bis hin zu Anmerkungen zu Fernsehsendungen oder Fußballspielen. Und fast immer hat er eine eigenständige Meinung zu dem Beschriebenen, die interessant zu lesen ist, auch wenn man seine Meinung nicht immer teilen möchte. Und er hat seine Notate sicherlich nicht nur transkripiert, sondern auch stilistisch aufgepeppt, was dem Lesevergnügen natürlich sehr entgegenkommt.

Sein Alltag ist der eines Jet-Setters. Ständig ist er unterwegs, wobei er sich - ausser an seiner Hauptwirkungsstätte Karlsruhe - am häufigsten in Wien, Berlin, Paris oder auf Korsika aufhält. Natürlich kennt er Gott und die Welt und hat persönliche Termine bei bekannten Künstlern, Schriftstellern und Spitzenpolitikern. Vorträge, Tagungen, Workshops wechseln sich ab, daneben arbeitet er ständig an neuen Büchern. Zur Vorbereitung längerer Texte oder Vorträge zieht er sich gerne in ein Hotel auf Korsika zurück. Über seine Arbeit als Dozent und Rektor an der Karlsruher HfG spricht er eher wenig.

Belustigend ist seine Kritik und Ablehnung dicker Leute, obwohl man ihn auf Fotos selbst als dick wahrnimmt. Erfreulich ist seine Bewegungslust und seine Lust am Fahrradfahren - "Velomane" nennt er sich. Dass er immer mal wieder sich an schönen Frauen erfreut / erfreuen kann macht ihn sympathisch.

Mein Fazit: Ein absolut lesenswertes Buch.

Ich habe eine Unmasse an Stellen für eine zweite Lektüre oder zum Abtippen angestrichen, hier eine Auswahl daraus, zitiert nach der gebundenen Suhrkamp-Ausgabe.

Auftritt mit den Lightnings beim Siedlerfest Pfaffengrund

(09.09.2017) Die Akustik im Raum war vielleicht nicht 100% optimal, die Bühne augenscheinlich nicht gerade für eine Rockband gemacht - aber der Auftritt hat uns Spaß gemacht und einige Paare tanzten.

Lightnings im Pfaffengrund, 09.09.2017
Von links nach rechts: Klaus Petrick, Claus Hochgeschwender, Béla Hassforther, Waldemar Martin.
Foto: Anett Martin.

Lightnings im Pfaffengrund, 09.09.2017
Lightnings: Claus Hochgeschwender und Béla Hassforther. Foto: Anett Martin.

Haruki Murakami - "Mister Aufziehvogel"

(30.08.2017) Den dicken Roman habe ich am Samstag im Bücherflohmarkt der Stadtbücherei gekauft und am gleichen Tag mit der Lektüre begonnen - und kam nicht mehr los. Bei der Lektüre wurden Erinnerungen an meine Lesemarathons mit den dicken Dostojewski-Romanen Ende der siebziger Jahre wach, als ich diese richtig fetten Bücher in atemloser Spannung in kürzester Zeit verschlang. Murakamis Wälzer hat 765 Seiten, aber schon nach zwei Tagen war ich bei Seite 560, mit brennenden Augen natürlich.

Murakami, Aufziehvogel

Geschrieben ist er 1994/95, die Übersetzung ist von Giovanni und Citte Bandini 1998. Es wurde verschiedentlich kritisiert, dass die deutsche Übersetzung nicht aus dem Japanischen, sondern aus dem Englischen ist - keiner der Kritiker hat wie ich unterstelle das japanische Original zum Vergleich mit herangezogen. Mir hat die Sprache gefallen, da war nichts holpriges oder ungeschicktes zu spüren, die beiden Übersetzer haben einen guten Job gemacht und einen sehr lesbaren, teils sogar schmissigen Text abgeliefert.

Der Protagonist Toru Okada ist Jurist, hat aber kurz vor Beginn des Romans seine Anstellung gekündigt. Nur mit halber Kraft sucht er eine neue Anstellung, und der Roman beschreibt zu Beginn umständlich und ausführlich die kleinen Alltagshandlungen, mit denen sich der dreissigjährige ehemalige Jurist Toru nun beschäftigt und mit denen er zufrieden zu sein scheint (bügeln, kochen, einkaufen, Bücher aus der Leihbücherei lesen, dösen, nachdenken). Seine Frau Kumiko, die aus einer reichen und einflußreichen Familie stammt, arbeitet als Redakteurin. Geht man von der Konversation aus, die das Ehepaar am Telefon führt, von den Fragen Kumitos an Toru, kann man davon ausgehen, dass sie wenig Verständnis für die passive und selbstgenügsame Lebenseinstellung ihres Mannes hat. Den Kontakt zu ihrer Familie hat Toru abgebrochen. Ausser zu seiner Frau scheint er keine weiteren Kontakte zu haben, er kennt auch keine Nachbarn.

Das ändert sich im Verlauf der Handlung teilweise auf sehr schräge Weise, denn seltsame Menschen tauchen auf, und einige erzählen lange Lebensgeschichten (fast schon Romane im Roman). Unter den interessanten Menschen, die Toru kennenlernt, gefällt mir am besten die sechzehnjährige Nachbarin May Kasahara, zu der Toru allmählich eine sehr spezielle Beziehung aufbaut. Bisher hat Toru diese Nachbarin nicht gekannt, noch nicht einmal gesehen.

May Kasahara ist mit Abstand meine Lieblingsfigur, ich habe mich jedes Mal gefreut, wenn sie auftrat. Sie erscheint flapsig, aber das ist Fassade. Tatsächlich hat sie eine massive Hypothek zu schultern: Sie ist verantwortlich für den Unfalltod ihres Freundes, dem sie aus Jux beim Motorradfahren die Augen zuhielt. Dieser Unfall liegt noch nicht lange zurück. Aufgrund des Unfalls humpelt sie zu Beginn des Romans noch und versteckt hinter ihrer Sonnenbrille eine Gesichtsverletzung. Äußerlich zeigt sich ihre Unruhe im starken Zigarettenkonsum (der Marke "Hope ohne"), innerlich kreisen ihre Gedanken um die Großthemen Leben, Tod, Persönlichkeit, Sinn des Lebens, Liebe und so weiter. Dass sie in Gesprächen gern vieles eher ins Lächerliche zieht oder ironisiert - wohl aus Selbstschutz - zeigt nur, wie ernst es ihr ist. Tatsächlich kommen im Roman die reifsten Aussagen zum Leben teils vom Leutnant Mamyia, teils von May Kasahara.

Gleichzeitig ist May Kasahara als erotische Figur skizziert, und auch Toru kann sich ihrer Wirkung - trotz seiner Liebe zu Kumito - nicht entziehen: Schon bei der ersten Begegnung, in den ersten Minuten ihrer Bekanntschaft, ist Toru erotisch affiziert und meint eine Stimme zu hören, die "Berühr mich" sagt. Und als er gelähmt im wieder Wasser führenden Brunnen kurz vor dem Ertrinken ist und von May Kasahara fantasiert sagt er zu seiner Vision: "Du sahst stark aus mit dem Bikini". Und das im Angesicht des Todes! Die schöne Szene zu Ende des Romans, als Toru May Kasahara in der entfernten Perückenfabrik besucht, spricht Bände: Sie gehen wie ein Liebespaar durch den Winterwald, das Mädchen hat ihre Hand in die Manteltasche von Toru gesteckt, und er hält die kleine warme Hand fest.

Dass Toru, der immer auf der Suche ist - nach Arbeit, nach seiner Bestimmung, nach seinem Kater, nach seiner Frau - dass dieser Toru am Ende des Romans May Kasahara sucht und findet, die nichts weniger als ihn getauft hat und damit für den Titel des Romans verantwortlich ist - das freut mich für ihn.

Den Inhalt des 760-Seiten Romans nachzuerzählen hat keinen Sinn, zusammenfassend kann ich aber sagen: Es ist ein lesenswerter Roman, interessante Personen gibt es, spannende bis nicht-nachvollziehbare Dinge geschehen, schockierende Kriegserlebnisse werden geschildert, eine furchtbar zu lesende Folterung kommt vor, seltsame Liebesgeschichten gibt es, man erfährt einiges über die Geschichte eines Erdteils, die man sonst nicht zur Kenntnis nimmt, und und und...

Es stört auch nicht, dass im Verlauf der Handlung nicht immer klar ist, ob eine Szene in der Realität spielt oder geträumt wird. Ich muss gestehen, dass das letztlich egal ist und die Lektüre nicht schmälert (ich wollte zuerst vom Lesegenuß oder vom Lesevergnügen sprechen, bin mir aber nicht sicher, ob man bei der Schilderung der drastischen Kriegserlebnisse von Lesevergnügen sprechen darf). Solche quasi "surrealen" Passagen gibt es auch bei Kafka und Goethe, damit ist Murakami in bester Gesellschaft.

Der Aufbau, die Struktur des Buches, der Wechsel von der Realität in eine Traumwelt erinnerte an Libuse Monikovas "Die Fassade", auch das Mäandern der Handlung, die Nebenerzählungen ohne großen Zusammenhang mit der Haupterzählung.

Der politische Hintergrund in Ostasien, die Verwicklungen zwischen Japan, China und Rußland und dem kurzlebigen Kaiserreich Mandschukuo sind ein Stoff, der zu einem Corto-Maltese-Abenteuer passen würde - und tatsächlich spielt ja "Abenteuer einer Jugend" in diesem Grenzbereich der Weltmächte.

Kurz: Ein tolles Buch.

Rüdiger Nehberg - "Die Autobiographie"

(16.08.2017) Piper Verlag, 368 Seiten. Da ich das Buch beim Vortrag von Rüdiger Nehberg am 8.1.2017 gekauft habe, ziert den Innentitel eine schöne große Unterschrift von Nehberg.

Nehberg Autobiographie

Ich mag den Rüdiger Nehberg! Ich habe nun mehrere Bücher von ihm gelesen, im Speyrer Technikmuseum sein "Tretboot" und sein Floß gesehen, mit denen er über den Atlantik "gefahren" ist, und ihn bei einem Vortrag erlebt: Der Mann ist überzeugend und authentisch. Punkt. Seine Autobiographie habe ich als Reiselektüre bei einer Island-Reise gelesen - sehr passend.

Schon als kleiner Junge in der Kriegs- und Nachkriegszeit war Nehberg gleichermaßen geschäftstüchtig wie neugierig. Durch seine Aktvitäten konnte er sogar seine Familie finanziell unterstützen. Die Schule war nicht sein Ding, er wollte das pralle Leben. Auch die erwogene Banklehre (sein Vater war Banker) war nichts. Schließlich wählt er Bäcker als Beruf, und das gefällt ihm. Nun ist er auch motiviert und auf der Berufsschule ein sehr guter Schüler. Er ist extrem sparsam und ehrgeizig, weil er sich so schnell wie möglich selbständig machen will.[S43-44]

Mit 17 nimmt er zwei Monate unbezahlten Urlaub und fährt mit dem Fahrrad allein und ohne Geld nach Marokko, bei Tagesetappen von mindestens 150 Kilometern. Zwei Tage verbringt er am Ziel, dann muss er sich schon wieder auf den Rückweg machen. Tief enttäuscht ist er von den Schlangenbeschwörern, deren Kunst zu lernen eines seiner Ziele bei dem Unternehmen war. Tatsächlich sind es nur rücksichtslose Tierquäler, die den Schlangen die Zähne ziehen, den Mund zunähen und sie so lange ausnützen, wie diese noch können (sprich: nicht zu entkräftet sind, da sie ja keine Nahrung mehr bekommen), dann totschlagen und eine neue besorgen. Diese seine erste große Reise war ein Schlüsselerlebnis: Seine Lehre sieht er nun nur noch als Unterbrechung der Urlaube. Seine Zukunft wird sich nur noch nach Auswertung der letzten und Planung der nächsten Reise berechnen.[S.63]

In der Folge ist er auch bei einem verkommenen Bäckermeister, der zehn Jahre nach dem Krieg noch jammert, dass sein Sohn gefallen ist und deswegen den Betrieb nicht übernehmen kann. Nehberg für sich "Schließlich ist der Krieg zehn Jahre passé. Das Leben geht weiter."[S.65]

Nach der Meisterprüfung 1960 fasst er den Plan einer Reise um das Mittelmeer.[S.69] Sehr gute Beschreibung eines Puffbesuchs in Istanbul.[S.70ff]

1965 macht er sich mit gutem Erfolg selbständig. Nach zehn Jahren hat er drei Ladengeschäfte und 50 Mitarbeiter. Um seine Reisen nicht zu gefährden, beendet er die Expansion.[S.87] Interessante Beschreibung seiner Arbeitstechniken, seiner Werbegags, seiner Ideen, seiner Aktionen. Er erkennt die Kraft unorthodoxer Ideen und der Medien als unübertreffliche Werbung.[S.88] Auch die Arbeit mit Kindern ist wichtig: "Hat man die Kinder auf seiner Seite, hat man die Eltern gleich gratis dazu."[S.89/90] Seine Führungsqualitäten sorgen dafür, dass er zuverlässige und hochmotivierte Mitarbeiter hat.[S.95] 1991 verkauft er schließlich alles.

Als seine Tochter Kirsten 13 Jahre alt ist, will er sie sich allein von Madrid nach Hamburg durchschlagen lassen, als Survival-Tour. Das Unternehmen scheitert aber am Veto der Familie.[S.104]

Nehberg liebt Schlangen, weil: elegant, sauber, genügsam - und sie können schwimmen, tauchen, klettern, fasten, ...[S.106]

Das Thema "Survival" bedeutet ihm viel: Die Einsamkeit der Erde wird greifbar, rückt näher, er wird autark - er kann allein, ohne Ausrüstung, als Minimalist reisen.[S.116] Er kommt ohne den Luxus der Konsumwelt klar. Das ist das, was mir an Nehberg mit am besten gefällt: Man braucht keine Goretex-Kleidung, keine sündhaft teuren Ausrüstungen, einfach nur einige Alltagssachen oder fast gar nichts, und dann los. Zum Fit-machen braucht man kein 5000-Euro-Rennrad, ein alter Drahtesel tut's auch. "Without fit statt Outfit" sagt er.[S.116]

Das Studium der Survival-Literatur zeigt ihm aber, dass sich die Bücher ähneln wie die von Plagiatoren, dass sie steril wirken, wenig Berichte von Praktikern dabei sind, sie zu verbissen wirken.[S.116] Nehberg setzt auf eigene Aktion, zum Beispiel die 1000 Kilometer durch Deutschland - ohne Essen, ohne Ausrüstung. Dieser Deutschlandmarsch macht ihn populär, gewinnt das Fernsehen für ihn - als wichtigste Waffe. Und der Marsch war auch das Generaltraining für seinen Einsatz in Brasilien bei den Yanomami.[S.117]

Für seine erste Atlantiküberquerung trainiert er bei den Kampfschwimmern. Deren Motto "Lerne leiden, ohne zu klagen" persifliert Nehberg um in "Lerne zu klagen, ohne zu leiden" und meint, dass ihm dabei 80 Millionen Deutsche gefolgt sind. Ein toller Spruch.[S.126/127]

Getreu den Schreibtipps, die er von Horst Schüler bekommen hat[S.215ff] macht Nehberg in seiner Autobioraphie zusammenfassende Kapitel, zum Beispiel zum Thema Angst. Denn natürlich hat auch er Angst, denn Angst ist ein wichtiges Alarmsignal des Körpers. Und natürlich kann er sich auch ekeln (siehe die Geschichte mit der serbokroatischen Oma und ihrem Gebiss), sogar bis hin zum Übergeben.[S.136]

Um die Angst in den Griff zu bekommen, muss man sich vorbereiten, und deswegen machen die Vorbereitungen einen nicht geringen Teil der Reisen aus.[S.136] Vor den Reisen werden Eventualitäten geistig durchgespielt. Gegenstrategien sind per autogenem Training tief in Nehberg gespeichert und automatisch abrufbereit.[S.138]

Seinen Kampf für die Yanomami beschreibt er mit einem Zitat frei nach Bertolt Brecht: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."[S.156]

Hilfsorganisationen helfen nicht immer, sind manchmal sogar kontraproduktiv, z.B. die Gesellschaft für bedrohte Völker, die für Nehberg ab irgendeinem Zeitpunkt nur noch aus neidischen Sesselpupsern und Endlos-Bedenkenträgern besteht.[S.163] Zum Teil ärgert ihn auch der "saloppe Umgang" mit Spendengeldern.[S.163]

Der Mensch ist das Unberechenbarste auf allen Reisen. Man kann ihn nur einkalkulieren, wenn man mit dem Schlimmsten rechnet...[S.168]

Nachdem seine Eltern gestorben sind wird ihm bewusst, dass es keine Puffergeneration mehr gibt, die vor ihm stirbt. Er und seine Geschwister sind die nächsten, die die Natur recyclen wird.[S.200] Er hat aber mehr Pläne als Restlebenszeit, muss diese also optimal nutzen.[S.200]

Die Bedeutung der Vorträge: Von ihnen und dem Verkauf der Bücher lebt er seit dem Verkauf der Konditorei.[S.203] Und sie geben ihm die Hautnähe zum Publikum. Eine lustige Schilderung von Diavortägen bei großen Veranstaltungen karikiert Kollegen, die mit riesigem Equipment ankommen und Lastwagen voller Technik - unn er kommt mit einem Projektor aus.[S.210ff] Was man alles braucht, um fehlenden Inhalt zu kaschieren. Im Gegensatz zu den mit Sponsorenlogos vollgestopften Vortragsplakaten seiner Kollegen hat er keine Sponsorenlogos.[S.210]

Über das Schreiben von Büchern: Sein ersters Buchmanuskript kam nirgends an. Sein Freund Horst Schüler schaut sich daraufhin das Manuskript an und stellt fest, dass es an der Schreibe liegt. Zum Beispiel:

Insgesamt hat Horst Schüler 20 Verbesserungsvorschläge.[S.218]

Sein Wohnsitz Rausdorf ist der Ort, "wo wir Erlebtes kanalisieren in Form von Projekten, Vorträgen, Büchern und Zukunftsvisionen, wo wir neuen Träumen Gestalt geben."[S.234]

Insgesamt ein tolles und lesenswertes Buch, dessen Lektüre Spaß macht und Kraft gibt.

Hesse between Music (CD)

(04.08.2017) Wenn ich mit dem guten alten Schulnotensystem arbeiten würde, bekäme dieses Album eine glatte 6 von mir: "ungenügend". Hesse mag ein "moderner Klassiker" sein, und sein "Steppenwolf" war in den siebziger Jahren ein durchaus lesenswertes Buch für mich. Sein "Glasperlenspiel" hingegen fand ich schlicht langweilig, und "Siddharta" war zu gewollt auf eine modische östliche "Weisheit" aus (das Wort "Weisheit" in diesem Zusammenhang kann ich leider nur in Anführungszeichen setzen). Wer aber heutzutage noch an "indische Weisheit" glaubt, ist bloß noch naiv. Diese Kerle sind meist Trickser und Lebenskünstler, nicht unähnlich den mittel- und neuzeitlichen Mönchen.

Hesse between Music, Cover

Für mich sind die auf dieser CD zusammengestellen Texte schlicht ungenießbar. Nicht nur hat mir kein Text gefallen, schlimmer noch: Einige haben mich richtig verärgert. Die Krönung ist dieser Selbstmord durch Ertrinken (Track 8, "Suicide"), der Schilderung nach eine friedliche Sache, während der der Protagonist Züge von Heiligen sieht und letztlich auch Gott. Kein Wort davon, dass Ertrinken eine ungemein schmerzhafte Todesart ist, das Brennen von Wasser in der Lunge sehr erfolgreich beim Foltern ("Waterboarding") eingesetzt wird.

Andere Textausschnitte fassen in einem Satz zusammen, was die Quintessenz von Jesus, Buddha und Hegel "eigentlich" sein soll, in allgemeinen Aussagen, die einem Philosophie-Erstsemester sofort ausgetrieben werden würden (wobei die meist die Texte gar nicht kennen). Und so geht es auf der Textebene weiter.

Die Musik ist auch unbefriedigend. Peter Michael Hamel, Robert Eliscu, die Gruppe "Between" - alles klingende Namen. Diese Musik (ohne Texte) habe ich früher ganz gerne gehört, wenn ich in der Stimmung zum Dösen war. In wacher analytischer Stimmung finde ich diese Musik heute unerträglich kitschig und seicht, ein billiger Abklatsch asiatischer Musik, bei dem die Sitar natürlich nicht fehlen darf. Ganz gruselig wird es, wenn Peter Michael Hamel mit seiner charakterlosen, langweiligen Stimme auch noch meint, singen zu müssen. So singt ein zwanzigjähriger Student, der es gut meint, aber niemand, der gut ist. Und ja: Er hat sogar einmal indischen "Gesangsunterricht" genommen, aber wohl so, wie einige Damen meiner Bekanntschaft in ihrer Vita von einem "Psychologiestudium" schreiben (ohne zu erwähnen, dass das noch nicht einmal ein ganzes Semester durchgehalten wurde). Sicherlich hat also Peter Michael Hamel bei irgendwelchen Indern einige Stunden Unterricht genommen. Daraus wird in sleeve notes ganz schnell ein "Studium der indischen Gesangskunst".

Ich bin normalerweise ein großer Verehrer von Gert Westphal, dem "König der Vorleser" - aber bei diesen Texten und dieser Hintergrundsmusik... Da holt er die Kohlen auch nicht mehr aus dem Feuer.

Ich habe diese CD mehrfach angehört, nun bin ich fertig mit ihr.

Robert Crumb - "Nausea"

(01.08.2017) Ein schöner Hardcover-Band aus dem Verlag Reprodukt, satt gedruckt auf kräftigem Papier. Wenn man überhaupt noch Wünsche offen haben dürfte würde ich ein etwas größeres Format präferieren, obwohl 22cm x 29cm auch nicht gerade klein ist.

Robert CrumbNausa

Der Band umfasst auf 108 Seiten 9 Geschichten bzw Bildfolgen. Die Qualität (oder sagen wir: der Blödelfaktor) sind durchaus unterschiedlich. Sehr gut gefallen haben mir die Seiten zur "Psychopathia Sexualis (nach den Arbeiten von Dr. Richard von Krafft-Ebing)" und zu "Boswells Londoner Tagebuch" (u.a. deswegen, weil ich Boswells dicke Biographie zu Samuel Johnson vor einem Jahr gelesen habe). Weniger gelungen oder jedenfalls für mich weniger interessant fand ich "Böses Karma" (leider gerade die längste Geschichte des Bandes) und "Nausea". "Nausea" (Übelkeit, Ekel) ist die namengebende Geschichte des Bandes (nach Sartres Roman "La nausée" - "Der Ekel").

Der Band ist mit 29 Euro nicht billig, Robert Crumb hat eben seinen Preis. Das ist nicht überraschend, denn auch für mich ist er einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, allemal wichtiger und interessanter zum Beispiel als die meisten deutschen Expressionisten. Trotzdem stelle ich mir schon die Frage, ob ich neben den ganzen Crumb-Sachen, die ich bisher schon habe, noch weitere Bände kaufen muss... Diversifikation (es gibt noch viele andere sehr gute Zeichner) oder Spezialisierung - das ist die Frage.

Schlossfestspiele Heidelberg - "Das Wirtshaus im Spessart"

(30.07.2017) Komödie von George Isherwood nach der Erzählung von Wilhelm Hauff. Bei bestem Wetter konnte das Stück um 20h30 im Schlosshof beginnen. Eigentlich keine Uhrzeit für Kindertheater, sollte man meinen - aber genau das war es. Oder noch härter formuliert: Der an sich schon kindische Inhalt wurde noch mehr verkitscht und infantilisiert, so dass sich wildfremde Grauköpfe im Publikum erstaunt anschauten: Eine Verwechslungskomödie auf diesem Niveau für ein erwachsenes Publikum - da konnte man wirklich nur noch staunen. Ich war froh, als die Klamotte endlich rum war. Mit der aufwändigen Hin- und Rückfahrt (mit Bus und Bergbahn) war leider der ganze Abend gelaufen - bitter.

Theater im Steinbruch Nußloch: "Der Glöckner von Notre Dame"

(22.07.2017) Letztes Jahr haben wir uns hier "Don Camillo und Peppone" angeschaut und es war uns klar, dass wir auch dieses Jahr dabei sind.

Victor Hugos Roman "Notre-Dame de Paris" macht in mehreren Handlungssträngen die Kathedrale Notre-Dame zum Zentrum des Romans. Der deutsche Titel "Der Glöckner von Notre Dame" verknappt diese Vielfalt also etwas, in dem er einen der Handlungsstränge zum Namensgeber des Romans macht. Natürlich kann in einem Freilufttheater kaum mit Innenräumen gearbeitet werden, und folgerichtig dominieren Handlungsstränge, die VOR der Kathedrale spielen. Der Glöckner dagegen tritt als Figur deutlich in den Hintergrund. Dominierend ist die Gestalt der Esmeralda mit ihrer Geschichte, und man hätte das Bühnenstück eher "Esmeralda und Notre-Dame" nennen können. Aber wer hätte das mit Victor Hugo in Verbindung gebracht?

Wir saßen in der ersten Reihe genau der gemalten Fassade der Kathedrale Notre Dame gegenüber, die links und rechts von zwei großen gemalten Wasserspeierfiguren flankiert war. Auf diese beiden gemalten Figuren musste ich immr wieder schauen:

Nussloch, Gloeckner von Botre-Dame

Die linke Figur scheint in tiefem Erstaunen über die dumme und brutale Menscheit vor sich hin zu brüten und es nicht fassen zu können, die rechte Gestalt drückt für mich das blanke Entsetzen aus.

Arnim Töpel - "Günter Haritz" (Biographie)

(11.07.2017) Das Buch habe ich direkt im Radsport-Geschäft von Günter Haritz gekauft, eine Widmung reinschreiben lassen und mit dem Olympiasieger von 1972 ein Viertelstündchen getratscht - über die Olympiade 1972, über das Zustandekommen des Buches, und über seinen Mentor Ernst Baumann, einem regional bekannten und recht erfolgreichen Amateur-Rennradfahrer, der mit seiner siebenköpfigen Familie im gleichen Haus wohnte wie unsere siebenköpfige Familie, in einem Sozialwohnungsbau für 12 Parteien eben. Ich habe als Kind nie viel von Ernst Baumann mitbekommen - er hat die üblichen furchtbar langen Arbeitszeiten gehabt, die früher üblich waren (45 Stunden), und am Feierabend ist er Fahrrad gefahren (oder hat Fahrräder repariert). 1961, als kleiner Junge, habe ich mit Bärbel, einer seiner Töchter, abgemacht, dass wir einmal heiraten. Ach wie süß! Dieser Ernst Baumann taucht im Buch immer mal wieder auf, Günter Haritz hat mir aber noch einiges mehr erzählt (wie Ernst Baumann als Rentner im Radladen von Haritz mitarbeitete, über seinen Tod usw.)

Natürlich geht es im Buch zur Hauptsache um das Leben von Günter Haritz, mit seinen Hochs und Tiefs, man erfährt aber nebenbei viel von der Zeit und Lokalkolorit satt. Ein sympathischer Mensch, schon im Buch zu ahnen, und im Gespräch zu spüren. Seine Biographie von Arnim Töpel ist zu empfehlen.

Arnim Töpel, Günter Haritz

Sven Hedin - "Wildes heiliges Tibet"

(02.07.2017) Mit diesem Reclam-Bändchen ("Buch" kann man dieses schmale Heftchen mit 80 Seiten kaum nennen) habe ich nun alles, was ich von Sven Hedin seit 1979 im Regal stehen habe, noch einmal durchgelesen. Im Nachhinein bot gerade dieses Reclam-Heft wohl die eindrucksvollste Lektüre, denn es enthält Passagen, an die ich mich noch jetzt, 38 Jahre nach der Erst-Lektüre, gut erinnert habe. Während die beiden Brockhaus-Bände ihren Schwerpunkt auf Reiseabenteuer legen, gibt es in "Wildes heiliges Tibet" neben den unvermeidlichen Reiseabenteuern auch sehr einfühlsame Schilderungen des religiösen Lebens in Tibet, zum Beispiel die drei Eremiten auf der kargen Felsinsel im See Kuku-nor oder der jahrzehntelang in einer zugemauerten dunklen Höhle lebende Eremit ohne Kontakt zur Aussenwelt. Wie schon oft fällt die ausgeprägte Empathie auf, die Sven Hedin sowohl gegenüber Tieren als auch Menschen entwickelt. Beeindruckend, wie er sich in die Gefühlswelt der Eremiten auf der Insel oder des Eremiten in der dunklen Höhle einfühlt.

Sven Hedin, Wildes heiliges Tibet

Das Bändchen enthält fünf in sich abgeschlossene Kapitel. Das erste Kapitel, "Mein erster Aufbruch nach Tibet", beschreibt aus einer vollkommen anderen Perspektive den Beginn des Tibet-Unternehmens der Jahre 1900-1901, die Hedin in "Abenteuer in Tibet" so spannend schildert.

Im Kapitel "Mongolen und Räuber" erwähnt er en passent, wie er Sprachen studiert, sprich Vokabeln sammelt, und ganz selbstverständlich immer gleich auswendig lernt, so dass er sich in kürzester Zeit mit Einheimischen unterhalten kann. Eine beneidenswerte Fähigkeit.

Hedin, drei Eremiten
Die drei Eremiten auf der kargen Felseninsel im See Kuku-nor (Qinghai-See).
Das Warten auf die jährliche Lieferung von Lebensmtteln.
Zeichnung von Sven Hedin.

Unappetittlich wird es bei der Schilderung der Bestattungszeremonien für Mönche im Kapitel "Seltsame Klöster":

Nur heilige Mönche, Inkarnationen wie der tote Prior in Tarting, werden auf dem Holzstoß verbrannt. Die anderen werden zerschnitten, und ihr Fleisch wird den heiligen Tempelhunden oder, wie in Schiagatse, den Geiern vorgeworfen. Die Leichenzerschneider werden "Lagpa" genannt und sind eine niedrige und verachtete Kaste. In der endlosen Kette der Seelenwanderung haben sie schlechte Aussichten, denn ihre Seelen wandern in die Körper von Tieren oder schlechten Menschen.

Wenn ein Klosterbruder gestorben ist, tragen ihn seine Brüder auf den Leichenzerstückelungsplatz, entkleiden ihn vollkommen und teilen seine Kleider unter sich. Dann treten die Lagpa-Männer ihr schauerliches Handwerk an, legen einen Strick, der an einem Pfahl befestigt ist, um den Hals des Toten und ziehen an den Beinen, um die Leiche auszurichten. Das Fleisch wird mit scharfen Messern abgeschnitten und den Tempelhunden oder Geiern vorgeworfen. Das Skelett wird in einem Mörser zerstoßen und das Knochenpulver zusammen mit dem Gehirn zu einem Teig verknetet, der ebenfalls den Hunden als Nahrung dient. [S.71/72]

Die Abbildungen im Bändchen sind zwar winzig, zeigen aber trotzdem noch gut die Fähigkeiten Hedins als Landschafts-, Tier- und Menschenzeichner - das Zeichnen war ja bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts eine wichtige Fertigkeit für Expeditionsreisende, denn zu empfindlich und umständlich waren die alten Fotoapparate.

Sven Hedin, Taschi Lungo
Stadtansicht von Taschi Lungo (Trashilhünpo, Tashi Lhunpo), Zeichnung von Sven Hedin.

Ungewöhnlich für Reclam-Hefte ist das vollständige Fehlen von Quellennachweisen. Weder die Textquellen sind genannt noch die Bildquellen, noch ein zu vermutender Bearbeiter der Zeichnungen.

Dennoch kann man das Reclam-Heft als gelungenen Einstrieg in das Werk von Sven Hedin empfehlen.

Festspiele in Bad Hersfeld: „Luther – Der Anschlag“

(01.07.2017) Der Besuch der Bad Hersfelder Festspiele gehört zum jährlichen Ritual, dieses Jahr haben wir uns "Luther - Der Anschlag" ausgesucht. Ich bin allerdings kein Freund von Luther, die Gestalt ist mir unsympathisch, und seine Hetzreden sind abstoßend.

Wie jeder Mensch hat natürlich auch Luther verschiedene Facetten, wohnen mehrere Seelen - um mit Goethe zu reden - in seiner Brust. Warum trotzdem die Rolle Luthers hier von mehreren Personen gespielt wird (eine sogar von einer etwas weinerlichen jungen Frau) finde ich nicht direkt nachvollziehbar. Letztlich müsste das ja dann eine verbreitete Praxis auf den Bühnen werden, wenn komplexe Charaktere agieren sollen. Auch im Luther-Stück wären einige weitere Kandidaten dafür vorhanden, z.B. der übermäßig scharfe Inquisitor, der nichts vom Zölibat hält und schon zweifacher Vater ist; oder der Kardinal. Ursprünglich sollte Luther sogar von vier verschiedenen Schauspielern gespielt werden - wegen einem kleinen Eklat sind es jetzt nur noch drei Schauspieler für vier Rollen - ein Schauspieler ging.

Das Stück war ganz gut, wenn auch unterm Strich frustrierend: Kaum eine Gestalt konnte man positiv sehen, eine Wolfsgesellschaft agierte hier. Auch wenn es um Themen wie Religion und Glauben geht handeln keine besseren Menschen, warum auch: Religionen sind nichts als "Trusts des Aberglaubens" (Jacques Prevert) oder "Incarnationen des primitiven Aberglaubens" (Albert Einstein), und oft nur billige Rechtfertigungen oder schlicht Deckmäntelchen, um sich mit gutem Gewissen gegenseitig totschlagen zu können. Uns so auch in diesem Theaterstück.

Weimar - Zwei Fundstücke

(30.06.2017) Zwei Fundstücke aus Weimar, jenseits der offiziellen Highlights.

Plattenbau in Weimar
Ein Plattenbau in Weimar - ein Denkmal seiner selbst...

Goethe und Schille Graffiti
Goethe und Schiller - eine besondere Freundschaft

Goethe-Schiller-Archiv Weimar - "Génie oblige"

(30.06.2017) Ausstellung mit Handschriften von Franz Liszt aus dem Bestand des Goethe-Schiller-Archivs. Obwohl wir schon oft in Weimar waren - im Goethe-Schiller-Archiv waren wir noch nicht. Wir hatten nicht vor, uns Handschriften vorlegen zu lassen, also das Archiv zu nutzen, sondern schauten uns einfach die aktuelle Wechselausstellung zu Franz Liszt an. Das war ganz nett, auch wenn Liszt nicht unbedingt ein Musiker ist, den ich gerne höre.

Bach-Museum in Eisenach

(29.06.2017) Das Bach-Museum in Eisenach gehört zu unseren Lieblingsmuseen - sind wir in der Gegend, gehen wir da auch rein, und zwar lange. Dies war nun unser vierter Besuch. Natürlich schaut man sich dann nicht alles nochmal haarklein von vorne an, sondern guckt nach einer neuen Sonderausstellung oder nach seinen Lieblingsobjekten. Das Highlight für uns sind immer die Live-Vorführungen an Originalinstrumenten der Zeit, die einfach wunderschön klingen. Danach gehe ich immer sehr gerne und sehr lange in den mit lichtdichten Teppichen abgetrennten Bereich, in dem auf einer großen Leinwand Aufführungen Bachscher Musik abgespielt werden - manche Filme sind da schon sehr extrem, zum Beispiel wenn man einen gestochen scharfen drei Meter breiten Sängermund aus vier Metern Entfernung in Aktion sieht. Die Klangqualität ist klasse, die Lautstärke angemessen - es geht definitiv zur Sache. Da bin ich kaum rausgekommen. Ein Orgelstück anzuhören, bei dem man auch die tiefsten Töne hört (und spürt...) - wann hat man das schon mal.

bachmuseum eisenach
So wie letztes Jahr auch schon kümmere ich mich als Freiwilliger um die Luft für die Orgel.

Amüsiert hat mich im Museum eine Art Rübezahl-Typ (sicherlich schon über sechzig, sehr groß und schlank, kurze Hose und haarige Beine, natürlich klobige Wanderschuhe), der sich manchmal hinstellte wie Michelangelos David, dabei sein T-Shirt hochzog und so den Oberrand seiner Unterhose zur Schau stellte. Und - man glaubt es kaum - dort prangte das Kürzel "CR7" (Christiano Ronaldo mit seiner Rückennummer 7). Dieser Zausel und dann Unterwäsche designed by CR7 - ein toller Kontrast.

Sonnenflecken am 15.06.2017

(15.06.2017) Nachdem die Sonne am letzten Sonntag absolut blank erschien, auch mit großer Mühe kein Fleckchen zu erkennen war, hat sich das Bild heute etwas geändert. Ein Einzelfleck und eine Fleckengruppe waren sichtbar (wobei die Fleckengruppe aus einem dominierenden Flecken mit einigen nur sehr schwer erkennbaren kleineren Fleckchen bestand). Insgesamt alles eher klein und unscheinbar, aber es ist trotz abnehmender Sonnenaktivität wieder etwas da.

Beobachtungsinstrument: Refraktor 80/400 mit 9mm Okular, Baader-Sonnenfilterfolie. Digitalkamera Canon Ixus 70 freihändig hinter das Okular gehalten.

Sonne, 15.06.2017
Sonnenscheibe 15.06.2017, 09h30UT.

Sonne, 15.06.2017
Ausschnitt der Soonenscheibe mit den beiden kleinen Flecken.
Das rechte schwache Fleckchen ist tatsächlich eine Fleckengruppe.

Sonne, 15.06.2017
Links die Fleckengruppe stark kontrastverstärkt.
Daneben zum Vergleich eine Aufnahme des SDO-Satelliten.

Sven Hedin - "Abenteuer in Tibet"

(15.06.2017) Dieses Buch aus der Brockhaus-Reihe "Reisen und Abenteuer" ("Neue Ausgabe", 1954) erhebt keinen Anspruch darauf, eine Forschungsexpedition oder gar deren Ergebnisse zu beschreiben: Es ist über weite Strecken ein reines Abenteuerbuch, welches die Mühen und Gefahren beschreibt, die es mit sich bringt, in ein Gebiet eindringen zu wollen, welches für Europäer verboten ist. Die Herausforderung ist also, sich als Europäer das nicht bieten zu lassen. Das Deckmäntelchen, etwas entdecken zu wollen, passt hier ganz besonders wenig: In der verbotenen Stadt leben ja Menschen, zum Teil kultivierter als die, die aus Sensationslust sich reinschleichen wollen. Was soll es denn da zu "entdecken" geben? Es ist das Niveau von Paparazzis, die Aufnahmen des privaten Bereichs populärer Personen machen wollen, um die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen. Sie entdecken da nichts, dringen nur in "unbekannte" Privatsphären ein. Auf die Ebene einer Kultur übertragen ist es das, was Sven Hedin in Tibet macht, zumindet in Teilen dieser Reisebeschreibung. Nicht überraschend geht es dann manchmal so zu wie in Karl Mays Büchern, wenn Kara ben Nemsi, durchdrungen von der Superiorität der eigenen Kultur, mit Einheimischen oder Eingeborenen verhandelt. Im Zweifelsfall hat man die besseren Waffen und renommiert damit.

Hedin Abenteuer in Tibet

Man muss dem Buch zugute halten, dass es eine Auskoppelung aus einem erheblich umfangreicheren Werk ist, und den Fokus bewusst auf den "Abenteuer-Aspekt" legt. Man könnte positiv gewendet sagen, dass Sven Hedin ein Genie in der Vermarktung seines auf den Reisen gewonnenen Materials war, und jederzeit gekürzte und bearbeitete Auskoppelungen für verschiedene Zielgruppen machen konnte.

Zunächst wird die Karawane beschrieben, die zu Beginn der Expedition in getrennten Gruppen zeitversetzt losmarschiert. Hedin verwendet immer mal wieder die militärische Terminologie und sieht sich als Feldherr einer Truppenmacht [z.B. S.17]. Wie groß seine "Armee" ist, war in dieser gekürzten Textfassung nicht herauszufinden, die Angaben sind teils auch widerspüchlich. Am detailliertesten sind die Informationen auf den Seiten 29 und 30: Demnach umfasst die Karawane 34 Kamele, 45 Pferde und Maulesel, 60 Esel, 8 Hunde, 50 Schafe und ein Leithammel. Schon zu Beginn wird das zu erwartende Schicksal der Tiere erwähnt - fast alle sind dem Tod geweiht. Die Strapazen waren derart, dass fast an jedem Tag ein Tier starb. Hedin schreibt, dass die Expedition für die meisten Tiere ein "Todesgang" war, und so ist es tatsächlich:

„Kaum ein Tag verging in diesem Abschnitt der Reise, ohne dass wir ein Grab hinter uns zurückließen.“ [S.44]

Besonders die Esel waren mit ihren schweren Lasten in Höhen über 5000 Meter zum schnellen Tod verurteilt - es gab Tage, da starben jeweils mehrere. Ein ganz besonders häßlicher Satzanfang hat sich mir eingeprägt:

„Seitdem wir die Esel los waren...“ [S.41]

Gemeint ist: Als alle Esel tot waren, ging es etwas schneller voran...

Auch an menschlichen Begleitern kam eine Menge zusammen, mit den temporären Treibern, die ab einen bestimmten Zeitpunkt zurückgeschickt wurden, waren es teilweise 30. Vier davon überlebten die Reise nicht, wie man gegen Ende en passent erfährt [S.155/156].

Die Bilanz der Expedition muss sich an den Qualen der Tiere, dem Verschleiß an Tieren und Menschen messen. Ob man daher das Fazit so zufrieden ziehen kann wie Hedin, mag jeder selbst entscheiden:

"Aber in meinen Mappen und Tagebüchern barg ich die Eroberungen, die ich auf meinem Heereszug gemacht hatte und die über große Strecken des unbekannten Landes Licht verbreiten sollten."[S.165]

Hedin, Abenteuer in Tibet

Zu Hedins Begleitung gehörten Kosaken, die wie üblich gerne alles abknallen, was in den Weg kommt (Bären, Enten usw). Später wurde dieses unsinnige Töten (genannt "Jagdvergnügen") endlich verboten [S.48/49], aber nur, um Patronen zu sparen. Besonders unsinning war dieses zweifelhafte Vergnügen, wenn man in 5000 Metern Höhe sein Reitpferd zum Galopp antreibt und es dann nach einigen Dutzend Metern tot zusammenbricht [S.37]. ALs sie nicht mehr jagen durften, konnten sich die Kosaken "ein bisschen Vergnügen" machen, indem sie die Hunde zum Beispiel auf einen Yak hetzten [S.55]. Ein furchtbares Pack, diese Kosaken.

Wie die beiden größten Gruppen, die Kosaken und die Mohammedaner, peinlich genau darauf achteten, eigene Küchen und eigenes Kochgeschirr zu haben, ist lustig zu lesen [S.32]

Hedin beschreibt seine tägliche Arbeit so (wie wir sie auch aus dem vorigen Buch "Durch Asiens Wüsten" kennen: Kartenblätter ausarbeten, Entfernungen berechnen, Aufzeichnungen niederschreben usw. [S. 34]

Ein Tibeter, von dem Hedin etwas erhandelt, bekommt ein Schaf, was er auf barbarische Weise abschlachtet:

„... Er machte sich deshalb flink ans Schlachten, wenn man die barbarische Art, wie er das Schaf umbrachte, so nennen darf. Drei Beine des Tieres wurden zusammengebunden und um das Maul ein dünner Riemen geschnürt; dann stellte er sich auf die auf die Erde gedrückten Hörner und steckte Daumen und Zeigefinger in die Nasenlöcher des Tieres, um es durch Ersticken zu töten. Das unglückliche Tier zappelte und zuckte, um sich zu befreien, die Augen traten aus ihren Höhlen, und der Schlächter plapperte mit verzweifelter Geschwindigkeit: „Om mani padme hum“, um den Schöpfer wegen des Mordes zu versöhnen. Es dauerte unerträglich lange, bis das Schaf still wurde und seine Beine schlaff herunterfielen. Dann richtete sich Sampo Singi auf und zerlegte es. Es war scheußlich, dieser Tierquälerei beizuwohnen, aber ich durfte natürlich keine Miene verziehen, und jedes Einschreiten gegen diese alten, feststehenden Gebräuche wäre Selbstverrat und völlig nutzlos gewesen.“[S.84]

Diese Schilderung machte mich total wütend, v.a. gegen diese verdammten abergläubischen Praktiken, die mit dem Ausdruck „alt und feststehend“ viel zu gut umschrieben sind. Dieser Schlächter kann sein blödsinniges om-mani-und-so weiter-Gebrabbel vor sich hin bruddeln so oft er will, mit dieser Tat ist die gesamte angebliche geistige Unterfütterung für mich null und nichtig. Sadistische Barbarei, nichts weiter. Den Absatz habe ich abgetippt aus Solidarität mit dem armen gequälten Tier. Der Schlächter schmort hoffentlich in der Hölle und hat vorher noch vieles Elend auf Erden erlebt!

Der erste Versuch, nach Lhasa zu kommen scheitert, Hedin wird trotz Verkleidung als Europäer erkannt. Die Tibeter hatten viele Mühen mit diesem hartnäckigen Europäer. Fast schon stolz ist er, dass die militärischen Unternehmungen, die ihn am Einreisen hindern sollten, dem Land schwere Last gebracht haben.[S.103] Trotz seiner oft spürbaren Empathie fehlt ihm jedes Mitgefühl mit den tibetischen Beamten und Militärs, die ihn am Einreisen hindern sollten und im Fall er es geschafft hätte, zum Tod verurteilt worden wären. Ihm selber wäre nichts geschehen.

Es gibt dabei Stellen wie bei Karl May, bei der sich das Überlegenheitsgefühl allein aus der Verfügungsgewalt über moderne Waffen speist.[S.113]

„Wieder wurden unsere Waffen vorgezeigt, und ich fügte mit ernster Miene hinzu: Wisset, dass wir, wenn ihr uns angefallen hättet, 36 von euch niedergeschossen hättet, ehe ihr hättet laden können.“(S.113)

Man hat es hier übrigens nicht mit irgendwelchen Räuberbanden zu tun, sondern mit einem Gouverneur und seiner Armee, beauftragt, den Zutritt unerwünschter Fremder nach Lhasa abzuwehren.

eine Gruppe Tibeter
Eine Gruppe Tibeter

Nachdem auch der zweite Versuch, nach Lhasa zu kommen, scheitert, wird Hedin recht widersprüchlich: Zum einen gibt er der Politik des Dalai Lama recht:

"Im übrigen mußte ich dem Dalai Lama durchaus recht geben. Seine friedliche, aber wirkungsvolle Taktik ging nur darauf aus, die Grenzen seines Reiches gegen Europäer zu bewachen und ungebetene Gäste hübsch artig, aber energisch aus dem Lande zu weisen. Noch hatten die Tibeter sich durch die üblichen Vorspiegelungen vom Aufschwung des Handels und durch Einführung von Tabak, Spirituosen, Feuerwaffen und anderen Zivilisationsbeglückungen nicht ködern lassen; nein, "fort mit euren Genußmitteln und eurem Luxus, Gold und Silber, laßt uns nur in unserm eigenen Lande in Ruhe"! Ich konnte mir daher nicht versagen, beiden Gesandten des Dalai-Lama ehrlich zu gestehen, daß die von ihm betriebene Abgrenzungspolitik die einzige sei, die ihr Land vor dem Untergang retten könne."[S.140/141]

Zum anderen ist er doch stolz, immerhin so weit gekommen zu sein und resümmiert am Ende:

"Jetzt endlich konnten die Priester des Dalai-Lama wieder ruhig schlafen. Ich war in den letzten Einsiedlerstaat der Erde, in die stärkste natüriche Festung der Welt eingedrungen; vier Monate hatte ich das ganze Land in Kriegszustand versetzt und den guten Leuten viel Aufregung und Mühe verursacht."[S.165]

Nach den vergeblichen Versuchen, Lhasa zu erreichen, geht es auf weiterhin furchtbar anstrengenden und für die Tiere meist tötlichen Wegen zum letzten Ziel der Reise, nach Ladakh. Und das im Winter.

"Wölfe folgten unserer Karawane, schmausten an den gefallenen Tieren und ließen nachts ihr unheimliches Geheul ertönen."[S.157]

Hedin zieht ein positives Fazit dieser Reise:

"Aber in meinen Mappen und Tagebüchern barg ich die Eroberungen, die ich auf meinem Heereszug gemacht hatte und die über große Strecken des unbekannten Landes Licht verbreiten sollten."[S.165]

Die Lektüre des Bandes war (trotz aller Kritik) spannend, lehhreich und lohnend. Sven Hedin ist ein begnadeter Reiseschriftsteller.

Joe Kutner - The Healthy Programmer

(11.06.2017) Vollständiger Titel: "The Healthy Programmer. Get fit, feel better and keep coding". Im Lauf des April und Mai als e-book gelesen, aber da das Buch so gut ist und man es immer mal wieder zur Hand nehmen sollte (für die Übungen, die ToDos usw) jetzt auch als Papierbuch gekauft. Ein ausgezeichnetes Buch, das sich natürlich nicht nur an Programmierer wendet, sondern an alle Bildschirmarbeiter - oder eigentlich an alle, die einer sitzenden Tätigkeit nachgehen.

kutner, healthy programmer

Ich habe als erstes der im Buch definierten Ziele mir das erfolgreiche Abschneiden beim Kraus-Weber-Test vorgenommen. Das wird für mich schwer wegen der No.6 dieses Tests, weil ich auch als Jugendlicher nur schwer meine Zehen mit den Fingerspitzen berühren konnte.

G. Rosinski, J. van Hamme - Thorgal: "Die Insel des ewigen Frosts"

(10.06.2017) Dieser zweite Band der Serie hat mir inhaltlich und zeichnerisch erheblich besser gefallen als der erste Band - allerdings ist immer noch viel Luft nach oben. Die Story ist nett und teilweise auch spannend, auch wenn sie einige Szenen enthält, über die man nur den Kopf schütteln kann. Bei einer Fantasy-Reihe sollte man sich nicht unbedingt über unrealistische Details aufregen, aber wundern tut's einem doch, wenn zwei Adler eine Frau entführen können (keine übergewichtige Frau des 21. Jahrhunderts, aber um die 45 bis 48 Kilo wird sie wiegen), oder das Thorgal in der Lage ist, die Schnur, mit der ein flatternder Adler festgebunden ist, mit einem Pfeil zu durchschiessen, und so weiter. Wichtig für den weiteren Verlauf der Reihe ist, dass Thorgal von Slive (der "Zauberin" aus dem ersten Band) darüber aufgeklärt wird, dass er (und Slive selber) die letzten Überlebenden des Volks der Sterne sind, die mit einem Raumschiff auf der Erde landeten, wobei das Raumschiff aber irreparabel beschädigt wurde. Thorgal wurde als Findelkind von Wikingern gefunden und aufgezogen.

Thorgal, Die Insel des ewigen Frosts

WM-Qualifikation Deutschland - San Marino

(10.06.2017) Dass das Spiel einseitig wird, war zu erwarten, dass Jogi Löw die Chance nutzt, neue Spieler auszuprobieren auch. Das Ergebnis lässt also keine Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Mannschaft zu. Obwohl es zum großen Teil ein Spiel auf ein Tor war, fiel das Ergebnis mager aus: 7:0. Ein nettes Gedankenspiel ist es, was für ein Ergebnis bei einem Spiel Real Madrid gegen diese deutsche Nationalmannschaft herausgekommen wäre. Da wäre Deutschland wahrscheinlich mit einer 0:7-Niederlage gut bedient.

Trotzdem: Das Spiel war nett anzuschauen, auch wenn die zweite Halbzeit etwas behäbig verlief.

Volker Wittkamp - "Fit im Schritt"

(04.06.2017) Der Untertitel "Wissenswertes vom Urologen" beschreibt den Inhalt am besten. Das Buch ist mir zuerst Ende 2016 bei der Karlsruher Bücherschau ins Auge gefallen, und da es in der Zwischenzeit so gute Kritiken bekommen hat, habe ich es eben bestellt.

Volker Wittkamp - Fit im Schritt

In den Kapiteln

führt Wittkamp mit vielen launigen Anekdoten und Anmerkungen auf, was ein Mann von seinem Körper wissen sollte und auf welche Veränderungen er achten sollte. Und was der Urologe prüft und vom Patienten wissen möchte (man sollte also die beiden Fragebögen mal für sich selber ausfüllen und anhand der Auswertung entscheiden, ob man bald einen Urologentermin wahrnehmen möchte).

Ich fand die Lektüre kurzweilig (das Buch liest sich trotz der 236 Seiten locker an einem Tag) und für den ersten Überblick - wenn man also keine konkreten Beschwerden hat - vollkommen ausreichend. Und auch zum Verständnis mancher Männergespräche im Bekanntenkreis ist es sehr hilfreich...

Takeshi Ohmi - "Kiss my Ass", Band 2

(03.06.2017) Nachdem mir der erste Band so gut gefallen hat wollte ich natürlich auch die Fortsetzung lesen. Und auch dieser zweite Band ist lesenswert.

Ohmi, Kiss my ass 2

Die Kapitel heißen nicht "Kapitel", sondern passend "Symptom". Also:

Symptom 7: Massage? Ja bitte! Hier geht es um Fußzonenreflexmassage. Miura kommandiert Yakushiji zum Massieren von Komatsus Füßen. Nicht nachvollziehbar der Schreck und die Scheu Yakushijis, seine Angebetene zu berühren "Waaas?! Ich soll sie anfassen". Aber dann macht er es so gut und Komatsu stöhnt so begeistert, dass Miura mit einen festen Schlag auf Yakushijis Hintern die Sache beendet.

Symptom 8: Geschenke sind für'n Arsch. Ein gutgemeintes Geschenk (Sitzkissen) kann für Hämorrhoidengeplagte ganz falsch sein.

Symptom 9: Alles auf Anfang. Bei Miura sind die Hämorrhoiden zu ihrer Pein und Schande wieder ausgebrochen - Schande, weil: Sie wollte die Welt von den Hämorrhoiden befreien, jetzt leidet sie selbst wieder darunter.

Symptom 10: Ein heißer Ausflug. Besuch der heissen Quellen von Shiriyaki, gemeinsam mit Miuras Mutter. Miura im Badeanzug, Komatsu im Bikini, Miuras Mutter ohne alles - etwas viel für Yakushiji - vor allen, als Miura Komatsu zeigt, wie man die Beckenbodenmuskeln trainiert.

Symptom 11: Selbstzerstörung aus Überzeugung. Yakushiji hat seinen OP-Termin bekommen und ist glücklich, Miura hat plötzlich Angst, dass sie keine Bedeutung für ihn mehr hat, und bekommt seltsame Gefühlswallungen. Und gesteht Yakushiji sogar, dass sie sich in ihn verliebt hat.

Symptom 12: Wir sind alle HFFs. Yakushiji vor und nach seiner Operation (durch eine selbstüberzeugte Proktologin). Nach der OP erkennt Yakushiji, was er Miura alles zu verdanken hat und will sie anrufen, trifft sie aber im Krankenhausflur. Sie rennt weg, er trotz Schmerzen hinterher. Aussprache...

Bonus-Symptom: Miura und Yakushiji Das ist quasi das Happy-End. Eine vollkommen verwirrte Miura versucht, den Konventionen Genüge zu tun (nach wie vielen Treffen darf man Händchen halten usw), Yakushiji hat aber seit seiner Operation eine neue Souveränität gewonnen und schert sich da wenig drum.

Interessant ist die Wandlung Miuras von einer souveränen Tonangeberin (Yakushiji hat zu tun, was sie sagt) zu einem schüchternen und reichlich spießigen Mädchen, nur weil sie gemerkt hat, dass sie sich verliebt hat. Ganz nachvollziehbar ist das nicht, aber das war so manches andere auch nicht, was den Unterhaltungswert des Mangas aber nicht schmälert.

Ein heimlicher Star ist die Mutter Miuras, die souverän und selbstbestimmt lebt, beim Besuch der heißen Quellen zum Erschrecken Yakushijis ganz selbstverständlich nackt badet, und - wie man annehmen kann - genug sexuellen Spaß im Leben hat, auch wenn es im Haushalt keinen Mann gibt und Miura vaterlos aufwächst.

Immerhin scheint es zwischen Miura und Yakushiji ja ein Happy-End zu geben. Komatsu hat kein weitergehendes Interesse an Yakushiji und bestärkt immer wieder Miura, bei Yakushiji nicht locker zu lassen.

Champions-League-Endspiel Real Madrid - Juventus Turin (4:1)

(03.06.2017) Ein tolles Spiel! Die erste Halbzeit verlief noch recht ausgeglichen, die zweite Halbzeit zeigte dann aber klar, wer die Nummer 1 in Europa ist. Real demontierte Juventus nach allen Regeln der Kunst, und man drückte Juve und vor allem der Torwartlegende Gianluigi Buffon die Daumen, dass es nicht noch schlimmer als das 4:1 käme. Ein völlig verdienter Sieg einer Spitzenmannschaft.

Symptomatisch für die ausgefuchste und professionelle Spielweise von Real Madrid war, wie Sergio Ramos den Turiner Jungspund Juan Cuadrado foulte, und durch eine kleine Schauspieleinlage auf einen leichten Schubser des verärgerten Cuadrados hin dessen Platzverweis provozierte. Bayern Münchens Robben ist ja ähnlich erfolgreich mit solchen Tricks. Es geht halt nicht um Fairplay, sondern um sehr sehr viel Geld: Jeder Spieler von Real Madrid dürfte das verdienen, was ein typischer Vorstandsvorsitzender in einem deutschen DAX-Unternehmen verdient - da darf man in der Wahl der Mittel nicht wählerisch sein...

Absolut nervtötend war das musikalische und tänzerische Vor- und Halbzeitprogramm. Die UEFA möchte wohl für die Fußballspiele amerikanische Sitten einführen. Dieses furchtbare Trio hatte jedenfalls nur die mute-Taste verdient.

Auftritt mit den Lightnings im Ascot (Wiesloch)

(27.05.2017) Ein gelungener Auftritt, trotz starker Konkurrenz (Pokalendspiel zwischen Dortmund und Frankfurt & Spargelfest & Feuerwehrfest), volles Haus und gute Stimmung. Unsere Anlage war optimal eingestellt, auch auf der Bühne ein klasse Klang. Dieser Auftritt hat total Spaß gemacht.

Lightnings im Ascot, 27.06.2017

Lightnings im Ascot, 27.06.2017
Jeweils von links nach rechts:
Klaus Petrick, Waldemar Martin, Claus Hochgeschwender, Béla Hassforther

Neckarsteig, Etappe 2 (Neckargemünd bis Neckarsteinach)

(25.05.2017) Diese Etappe bin ich zusammen mit Paul gewandert. Mit der S-Bahn ging es bis Neckargemünd, dort haben wir zunächst die Ruinen der Burg "Reichenstein" besucht, die eigentlich nur aus alten Mauerresten besteht. Dann weiter auf dem Neckarsteig zur Bockfelsen-Hütte (die wegen der tollen Aussicht gut besucht war). Am Tillystein vorbei ging es dann nach Dilsberg, wo wir die Burg besichtigten. Tolle Aussicht von da aus. Auf dem Dilsberg fand gerade das "PopCamp Dilsberg 2017" statt, ein Workshop für Nachwuchsbands, weswegen man von da und dort Musik hörte. In der evangelischen Kirche probte gerade eine Band, was wir uns kurz anhörten. Im Gasthaus "Zur Sonne" gönnten wir uns einen ausgezeichneten Linseneintopf, und dann ging es abwärts nach Neckarsteinach, wo wir auch noch etwas rumspazierten. Mit 9,3 Kilometern war dies eine eher kurze Neckarsteig-Etappe.

Neckarsteig, Etappe 2

Steinsberg von Dilsberg aus
Blick zur
Burg Steinsberg bei Sinsheim von der Dilsberger Burg aus (starkes Zoom).
Luftlinie ziemlich genau 21 Kilometer.

Sven Hedin "Durch Asiens Wüsten"

(21.05.2017) Meine altersschwache und schon ziemlich gebräunte Ausgabe von 1952 enthält eine Karte und 25 Zeichnungen von K. Uhrhan nach Skizzen und Aufnahmen von Sven Hedin. Ich habe das Buch im Lauf des Mai zweimal gelesen und häufig im Internet nach Karten und Fotos geschaut.

Bücher von Sven Hedin sind mir zuerst in unserer Schulbücherei Ende der sechziger Jahre in die Hände gefallen. Natürlich habe ich sie gerne gelesen, sind sie doch ein beliebter und gelungener Mix aus Abenteuer und Exotik, mit fremden Völkern und fremden Sitten, mit etwas Wissenschaft und der zeittypischen abendländischen Überlegenheit. Frauen spielen keine große Rolle, aber das interessiert einen Jugendlichen kurz vor der Pubertät auch nur am Rande... Einige der üblichen Auskoppelungen aus Hedins oft mehrbändigen und dickleibigen Büchern habe ich auch zwischen meinen Büchern, die lese ich nun so nach und nach mal wieder. Und das zuallererst gesagt: Sie lesen sich immer noch gut.

Sven Hedin, Durch Asiens Wüsten

"Durch Asiens Wüsten" handelt von Hedins Expeditionen durch die Takla-Makan und ins Gebiet des Lop-Nor-Sees in den Jahren 1895 und 1896. Irgendwo (wohl im Keller) habe ich seit meiner Jugend auch von Albert Herrmann "Lou-lan. China, Indien und Rom im Lichte der Ausgrabungen am Lobnor" aus dem Brockhaus-Verlag (von 1931). Und irgendwie war mir als Jugendlicher immer klar, dass ich da mal hinreise, wenn ich "groß" bin. Schöne Jugendzeit mit ihren Träumen... Leider bin ich nun seit über 40 Jahren "groß" und noch immer nicht dort gewesen. Und inzwischen ziemlich sicher, dass es wohl erst ad calendas graecas geschieht.

Sven Hedin war jedenfalls dort, hat sich jahrelang dort rumgetrieben, hat seinen Kindheitstraum wahrgemacht. Dafür braucht es halt ein ganz eigenes Kaliber Mensch.

Wer sich für die recht kurz angerissenen archäologischen Themen interessiert (zum Beispiel zur Geschichte der Wüstenstädte, zu den Handelsbeziehungen mit Rom, zur Kunst und Kultur usw) ist mit neuerer Literatur besser beraten. Reisebeschreibungen in und durch die Takla Makan gibt es inzwischen auch zuhauf. Kein Wunder also, dass es um Sven Hedin, der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den bekanntesten Menschen überhaupt zählte, etwas ruhig geworden ist.

Beeindrucken kann immer noch seine unwahrscheinliche Energie und sein phänomenales Organisationstalent, auch seine beneidenswerte Sprachbegabung. Beeindruckend ist aber auch seine Arbeitsmoral und seine Arbeitstechnik: Immer ist er am Zählen und Messen, Schreiben und Zeichnen. Noch als es in der Wüste auf Leben und Tod geht, zählt er Schritte, um Abstände zu messen. Und immer und jederzeit hat er ein Notizbuch oder hat er Notizzettel zur Hand, man achte nur auf die Abbildungen der Bootsfahrt auf den Tarim oder seine eigenen Bemerkungen. Noch wärend der Expeditionen werden Zusammenfassungen geschrieben, ständig gehen Briefe mit ausführlichen Beschreibungen UND diesen Zusammenfassungen an seinen Vater, der sie abschreibt oder abschreiben lässt und alles zur schließlichen Schlußredaktion durch seinen Sohn vorereitet. So konnten kurz nach der Rückkehr von seinen Expeditionen immer schon erste Bücher erscheinen.

Sven Hedin am Notieren
Der immer aufmerksame und Notizen machende Sven Hedin

Ähnlich wie Thor Heyerdahl (auch so ein Energiebündel und Organisationstalent) ist er umfassend interessiert und neugierig, beschreibt nicht nur Landschaften, Menschen und Archäologie, sondern zum Beispiel auch biologische Besonderheiten (vgl. seine interessanten Beobachtungen des Verhaltens der Graugänse).

Und was ihn auch sympathisch macht ist die Empathie, die er gegenüber Tieren aufbringt, wofür ein beeindruckendes Beispiel seine Unruhe und sein schlechtes Gewissen wegen der zurückgelassenen und zum Verschmachten verurteilten Kamele ist. Auch Hunde gehören immer wieder zu seinen Reisebegleitern.

Ein verhängsnisvoller Fehler Hedins führt zum Untergang der Karawane in der Takla-Makan: Er kontrolliert nicht, ob bei der letzten Wasserstelle vor der Wüstendurchquerung seine Leute wirklich seinen Befehlen nachgekommen sind.

Meine Berechnungen erschienen so klar und einfach, und meine Befehle waren so deutlich, daß mir nicht im Traum der Gedanke kam, mich noch im letzten Augenblick von ihrer genauen Ausführung zu überzeugen. [S.31]

Und das, obwohl er nicht die beste Meinung von den Anwohnern der Wüste hatte.

Am meisten tun einem ja doch immer die Tiere leid, die nicht freiwillig in die Wüste gehen, keine Wahl haben. Hedins Hund Jolldasch zum Beispiel:

Jolldasch heulte und winselte und hielt sich stets in der Nähe des Wasservorrats. Wenn wir ein paar Minuten unschlüssig stehenblieben, bellte er heiser, schluckte und kratzte im Sand, als wenn er uns auffordern wollte, einen Brunnen zu graben. Wenn ich mich ausruhte, setzte er sich vor mich hin und sah mir minutenlang starr ins Auge, wie um zu fragen, ob noch Hoffnung vorhanden sei. [S.51]

sterbende Kamele

Schrecklich das Schicksal zweier Kamele, die zwei seiner Leute, die mit einigem Abstand folgten, letztlich zurücklassen mussten. Nachvollziehbar ist Hedins schlechtes Gewissen:

Diese Botschaft machte auf mich einen furchtbaren Eindruck. Wäre ich dabei gewesen, so hätte ich die Tiere erschießen lassen, denn jetzt waren sie einem langsamen, qualvollen Tode preisgegeben. Es war meine Schuld, daß diese armen Geschöpfe ihr Leben einbüßten, ich allein trug ja die Verantwortung für die Leiden, die Menschen und Tiere in meiner Karawane zu erdulden hatten. Babai [eines der Kamele] hatte gelegen, als Muhamed ihn verließ, aber das schwarze Kamel stand aufrecht auf schwanken Beinen, mit aufgeblähten Nüstern und glänzenden Augen und hatte der Karawane, als sie ihm aus dem Gesicht entschwand, traurig und sehnsuchtsvoll nachgesehen.

Ich konnte dieses Bild vor meinen Augen lange nicht loswerden. Als das Tier von der Karawane nichts mehr sah, wird es langsam den Kopf nach dem Kameraden umgewandt und sich in dessen Nähe hingelegt haben. Dann sreckten sie beide die Hälse auf dem Sande aus, schlossen halb die Augen und atmeten schwer durch die aufgeblähten Nüstern. Als dann die Mattigkeit zunahm, legen sie sich mit gestreckten Beinen auf die Seite. Das Blut strömte immer langsamer durch die Adern, die Glieder begannen zu erstarren, die Pausen zwischen den Atemzügen wurden immer länger.

Dann war es vorbei. Babai starb wahrscheinlich zuerst. Aber wie lange dauerte dieser Todeskampf? Noch lange verfolgte mich wie ein Albdruck der peinigende Gedanke, daß sie vielleicht noch mehrere Tage lebten, um endlich von den Sandstürmen der nächsten Tage lebendig begraben zu werden. [S.53]

Schrecklich. Ganz schrecklich!

Zu etwas schöneren, zu den Wildgänsen, natürlich nicht in der Takla-Makan, sondern auf der nächsten Reise, dem Tarim entlang:

Bewundernswert sind diese Wildgänse, sie kennen die Geographie des Landes so gut, als benutzten sie die vorzüglichsten Karten und Instrumente. Sie flogen stets in einer Reihe, folgten ein und derselben Linie, sausten an denselben Pappeln vorbei nach derselben Richtung hin. Wenn man sie in der Ferne schreien hörte, wußte man genau, bei welchem Baumzweige die erste des Zuges sichtbar würde.

Ihr Ortssinn ist geradezu staunenerregend. Sie haben gewiß auf dem ganzen Weg unzählige Merkzeichen. Schon lange, ehe sie sich herablassen, senken sie sich, wenn sie merken, daß der Lagerplatz nicht mehr weit entfernt ist. Einmal im Jahr fliegen nämlich diese Tiere von Indien bis nach Sibirien und zurück, eine Reise, die uns Menschen ein ganzes Jahr und gewaltige Anstrengungen kosten würde. [S.156/157]

Spannend sind die Beschreibungen der ersten Fahrten auf dem alten und neuen Lop-nor, hier zunächst am Ufer des alten Lop-nor:

Der See selbst war derartig mit Schilf zugewachsen, daß man nur von hohen Aussichtsdünen offenes Wasser sehen konnte, und wo das Seebecken flach und ganz ausgetrocknet war, stand das Schilf so dicht wie in den Wänden der Hütten der Eingeborenen und so hoch, daß es selbst die Kamele um das Doppelte überragte. Wir verschwanden darin wie in dunklen Gängen und waren froh, wenn wir glücklich wieder herauskamen. Dabei wurde die Mückenplage unerträglich. Schwarze Wolken dieser verhaßten Insekten verfolgten uns, und wenn die Sonne unterging und wir unser Lager aufschlugen, fielen sie in Milliarden über uns her. [S.167]

Mit einem kleinen Boot und Ruderern fährt er so weit als möglich nach Osten, in die Gegend des neuen Lop-nor:

Sven Hedin auf dem Lop-nor
Erste Erforschung des Lop-nor. Sven Hedin immer mit Notizbuch.

Bei herrlichem Wetter erreichten wir Kum-tschappgan, wo sich der Fluß [der Tarim] teilt. Wir fuhren auf den linken, größeren Arm hinaus, der sich aber bald in dichtem Schilf verlor. Dieses Schilf würde eine undurchdringliche Schranke gebildet haben, wenn nicht die Lopleute schmale Kanäle, sogenannte "Tschappgane" darin offen hielten. Hier legten sie ihre Netze aus, und auf unserer Fahrt glitten wir über Hunderte solcher Netze, in denen wir durch das klare Wasser deutlich wie in einem Aquarium zahllose Fische wimmeln sahen. Jede Familie hatte ihre bestimmten Tschappgane, in denen kein anderer Lop-lik seine Netze auslegen durfte. Diese engen Gänge durch das Schilf kreuzten einander in allen Richtungen, oft mündeten sie wie Radien von allen Seiten in ein kleines, rundes, offenes Becken und bildeten Labyrinthe, in denen sich nur der Eingeborene zurechtfinden konnte. [S.176]

Fazit: Die Bücher von Sven Hedin sind immer noch eine interessante und spannende Lektüre.

Theater Heidelberg: "Der blaue Würfel" von David Gieselmann

(20.05.2017) Liest man auf der Webseite des Heidelberger Theaters über das Auftragswerk "Der blaue Würfel", dann geht es da um große Fragen und um einen großen Anspruch:

Wohin driftet unsere Gesellschaft? Wie wird sich das Leben, etwa in Heidelberg, in den nächsten Jahrzehnten verändern? Nicht klassische »science fiction«, sondern eine Art »social science fiction«,...

Also gut, "science fiction" reicht als Etikett nicht, "social science fiction" muss es sein. Warum das wohl wieder nötig ist. Als jahrelanger Leser von Science Fiction meine ich jedenfalls, dass alle gute Science Fiction auch (aber nicht nur) "Social Science Fiction" ist. Und jetzt ein kräftiges Schrödersches "basta!".

Zuallererst muss man sagen: DIE SCHAUSPIELER WAREN KLASSE! Was für Texte diese manchmal in irrwitzigem Tempo runterrasseln mussten - das war schon tief beeindruckend! Besonders Nicole Averkamp als Beraterin Cilly Schiller schießt da den Vogel ab. Ich versuche mich manchmal in die Rolle des Ehemanns einer solchen Power- und Schnellsprecherin zu versetzen, da kann einem bange werden.

Zurück zum blauen Würfel. Zu anderen Zeiten hatte man mal eine "blaue Blume", die stand (paraphrasieren wir nun der Einfachheit halber die Wikipedia) für die Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen und sie wurde auch ein Sinnbild der Sehnsucht nach der Ferne und ein Symbol der Wanderschaft. Aber kann dieser Würfel DARAUF anspielen? Es ist ein science-fiction-Stück, das haben wir ja schon mitbekommen, sogar ein social-science-fiction-Stück, es scheint ein Zeitreisender vorzukommen - aber dass der blaue Würfel die Sehnsucht nach der guten alten Zeit darstellen soll - das will ich denn nun doch nicht glauben. Ich bin leider nicht schlau daraus geworden, zu was der Würfel gut sein soll.

Das Stück spielt in der Zukunft, aber leider, leider: Der alte Adam und die alte Eva sind immer noch die gleichen. Alles dreht sich um Geld und Prestige, und wenn man erbt, will man mit Stilberatung in neue gesellschaftliche Kreise aufsteigen. Das ist traurig, zeigt es doch, dass die Zukunft nur aus neuen Moden und neuen Spielzeugen besteht, aber von gleichen Menschen bewohnt wird. Und fast schon klischeehaft ist die treibende Kraft in der zu Geld gekommenen Familie Horst (seit der Erbschaft nennt man sich "von Horst") die Mutter.

Insgesamt hat mir das Ganze nicht sonderlich gefallen, zu überdreht, zu schrill, zu sinnarm. Hat mich an die furchtbaren Fernsehshows oder Quizsendungen erinnert, wegen denen ich fluchtartig das Wohnzimmer verlasse, um die überdrehten Quassler in ihren infantil quietschbunten Senderäumen mit den gehorsam klatschenden Zuschauern nicht hören und sehen zu müssen. Nicht alles kann man mit Kopfhörern musikhörend übertönen. Die wirklich guten Schauspieler waren zu bedauern, diesen Klamauk mitmachen zu müssen. Perlen vor die Säue...

Maimarkt Mannheim

(06.05.2017) Der Maimarkt ist nicht so mein Ding, zu viele Leute, zu viel Gedränge, zu viel mich absolut nicht interessierendes. Aber heute hatten wir ein Pflichtprogramm, das zogen wir erfolgreich durch, und alles andere nahmen wir halt flüchtig zur Kenntnis. Vom Rahmenprogramm haben wir folglich wenig bis nichts mitbekommen, ein Auftritt dreier Sängerinnen ist vielleicht noch erwähnenswert, eine davon eine Powerfrau, eine davon hübsch, und eine eine "Shemale" (aber mit geschätzt 1,85 m Körpergröße, braungebrannt, tiefer Stimme und Riesenbusen dann doch eher gewöhnungsbedürftig - ich stehe eher auf zierliche Frauen).

Stückemarkt Heidelberg: "Herzerlfresser" von Ferdinand Schmalz

(05.05.2017) Ein Stück vom Burgtheater im Akademietheater Wien, Regie Alexander Wiegold.

Ein brutal klingender Titel, laut Programmheft angeregt von brutalen wahren Begebenheiten (weswegen ich mir schon Sorgen machte, viel künstliches Blut sehen zu müssen). Das Stück war aber gottlob alles andere als traurig, ich empfand es eher als Komödie.

Das Bühnenbild ist allerliebst und erinnert mit seinen Glitzerbändern an übertriebene Produktpräsentationen (oder an Weihnachten). Mich hat es sogar an einen Bambuswald erinnert. Da das ganze ja auf dem Gelände oder in der Nähe eines neuen Einkaufszentrums spielt sollen die Glitzerbänder wohl für Glitzerwerbung stehen.

Der Bürgermeister, der sich vom neuen Einkaufszentrum erhebliche Impulse für seinen Ort verspricht, ist natürlich über die Leichenfunde not amused und kennt nur die Strategie: Vertuschen, unter den Teppich kehren. Aber so einfach ist's halt nicht, und wo schon zwei Leichen sind ist von weiteren Bedrohungen auszugehen. Und so kommt es auch. Wie zu erwarten ist die auf dem Gelände in einem Wohnwagen hausende Punkerin das nächste ausgeguckte Opfer, aber Pech für den Herzerlfresser: In einer tumultartigen Befreiungsszene bekommt er ein Loch in sein Herzerl geschossen.

Die Story ist gar nicht so das wichtige, kam mir in der Verbindung einer bösen Mordgeschichte aus dem 18. Jahrhundert mit einer Einkaufsparadieseröffnung auch arg konstruiert vor: Die witzigen Dialoge, die tolle schaupielerische Leistung, die Verkleidungen (wunderbar der Merlin Sandmeyer als verführerische Frau), das Spiel mit Geschlechterrollen, sogar der perfekte a-capella-Gesang der Schauspieler - das alles hat Spaß gemacht.

Das Programmheft gibt sehr wenige Informationen zum Stück und karge Daten zu Ferdinand Schmalz, dafür umfangreiche Informationen zur historischen Vorlage und einen schönen Aufsatz über shopping malls. Die Lektüre lohnt, aber etwas mehr über Schmalz und sein Stück und weniger über shopping malls wäre mir lieber gewesen.

Zeitschriften (1,5 kg) beim Urlaub in Zypern

(01.05.2017) Zum erstenmal seit Jahren habe ich in einen Urlaub keine Bücher mitgenommen, sondern nur Zeitschriften - die zu lesenden Hefte stapeln sich inzwischen leider schon bei mir. Die fünf mitgenommenen Nummern haben zusammen ganze 1,5 kg auf die Waage gebracht - was mich unangenehm überrascht hat. Immerhin habe ich in dieser Urlaubswoche alle ausgelesen und daher nicht umsonst mitgeschleppt. Der Stapel der noch nicht gelesenen Nummern ist aber immer noch etwas 7 cm hoch...

Theater Heidelberg: Tanzstück "Khôra" von Nanine Linning

(16.04.2017) Ich hätte es nicht gewusst: "Khora" steht bei Platon für den Zustand vor dem Werden, für das Chaos mit dem Potenzial zu allen Kommenden, für einen "Ort alles Werdens". Tiefgründiges war also angesagt und ich fürchtete schon, dass es zu den "Müttern" geht, "diesem beliebten deutschen Aufenthalt" (Gottfried Benn). Die Webseite des Heidelberger Theaters klingt ja fast drohend:

Nanine Linnings Stück ergründet diesen unendlichen Raum der Möglichkeiten und erweckt ihn auf faszinierende Weise zum Leben. Dabei wird die Annäherung an den Ursprung der Schöpfung auch zu einer Reise zu den Wurzeln der eigenen Kreation.

Was auch immer das heißt...

Aber schon im Foyer war ich versöhnt: Die wunderschöne finnische Tänzerin Emma Välimäki in einem riesigen schwarzen Muschelschalenkleid bewegte sich sachte und geschmeidig, beugte sich auf ihrem unsichtbaren Podest mal hier- mal dorthin und lockte mit einem allerliebsten Gesichtsausdruck und langsamen Winken immer mal wieder einen Wartenden oder eine Wartende zu sich her, um ihnen ein kleines Präsent zu überreichen. Ich denke, das Hauptgeschenk war es, dieser schönen Frau näherzukommen, worüber sich deutlich mehr Männer als Frauen artig bedankten.

Tja, das Stück... Es war nett anzusehen, keine Frage. Die häufig wechselnden Kostüme sehr bunt und eigen (manche laut raschelnd, manche essbar). Das Bühnebild natürlich auch bunt und ständig wechselnd - wie anders? Kostüme und Bühne und natürlich die Tänzer verdeutlichen gemeinsam die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft, wobei bei der Luft auch große Ventilatoren mithelfen dürfen. Der Soundtrack hat mir im allgemeinen gefallen, viele Tanzszenen natürlich auch, die Tänzer undTänzerinnen erst recht.

Insgesamt also eine nette Unterhaltung, allerdings etwas zu zirkushaft, etwas zu bunt und schrill, etwas zu wenig Entwicklung, etwas zu viele Effekte, etwas zu wenig Dramaturgie, etwas zu viel Beliebigkeit, etwas zu pathetisch & gewollt tiefschürfend und deswegen scheiternd. Jedenfalls etwas (scheiternd)...

Das Ende, mit einigen kopfüber hängenden Tänzern und Tänzerinnen, die in dieser unbequemen Haltung dem Publikum Sekt ausschenken müssen, fand ich blöd - und war froh, diesen Zirkus nicht mitgemacht zu haben. Ich hätte lieber Emma Välimäki aus einem Meter Abstand ins Gesicht gesehen.

Eine Anmerkung noch: Vor ca 20 Jahren habe ich die Heidelberger Tänzerin Mafumi Ishihara angehimmelt. Und nun ist mit Emma Välimäki wieder eine Tänzerin im Ballet, die in einer eigenen Liga spielt & tanzt & schauen kann, dass einem heiss und kalt zugleich wird.

Champions League: Bayern München - Real Madrid

(12.04.2017) Im Sport gilt: Der bessere soll gewinnen, und der bessere war halt einmal mehr Real Madrid. Ein spannendes Spiel mit einem Ergebnis, das in Ordnung geht.

Wohnquartier Höllenstein

(09.04.2017) Die Kirchheimer "Höllenstein-Siedlung" (auch einfach "Höllenstein" genannt) wurde in den sechziger und siebziger Jahren in der Hauptsache von finanziell klammen Rentnern bewohnt. Meine Großeltern wohnten hier von 1961 bis zum Tod meiner Großmutter 1971 (mein Opa starb schon 1966). Es handelte sich um eine 1-Zimmer-Wohnung mit Wohnküche (in der sich das ganze Tagesgeschehen abspielte) und einer Toilette - ein Bad gab es nicht. Wenn ich nach 46 Jahren versuche, mich an den Grundriss zu erinnern, dann komme ich auf das hier:

Grundriss Hoellenstein Buchenweg 8
So erinnere ich den Grundriss der Wohnung meiner Großeltern

Hoellenstein, Buchenweg 8
Höllenstein, Buchenweg 8, kurz vor dem Abriss. Hier lebten meine Großeltern.

Durch die sehr dünnen Wände war alles sehr hellhörig, kalt und zugig war die Wohnung natürlich auch. Die einzige "Heizung" war der Kohleherd der Küche, eines dieser eisernen Universalgeräte, die es früher gab. Das Schlafzimmer wurde gar nicht geheizt. Ich meine mich zu erinnern, dass in den meisten Wohnungen des Hauses verwitwete Rentnerinnen wohnten.

In den Jahren danach änderte sich der Charakter des Höllensteins etwas: Es gab und gibt immer noch viele Rentner, es zogen aber auch immer mehr ausländische Familien in die spottbilligen Wohnungen, die bis zu drei Zimmer hatten. Immerhin wurden in den siebziger oder achtziger Jahren sogar Bäder eingebaut.

Es war klar, dass die zum Teil 1929, zum Teil 1950 hochgezogenen Bauten nicht mehr sanierbar waren - die Bauten selbst, die Wohnungsgrundrisse waren doch zu sehr aus einer anderen Zeit. Trotz Wohnungsnot in Heidelberg gab es im Höllenstein Leerstände, da die Wohnungen nicht mehr so einfach zu vermieten waren.

Die GGH entschloss sich also zur einzig sinnvollen Lösung, dem sukzessiven Abriss der alten Gebäude und einem schrittweisen Neubau. Die Anzahl der Wohnungen bleibt fast gleich, die erweiterte Wohnfläche (immerhin sind 1-5-Zimmer-Wohnungen zur Auswahl) wird durch eine vier- bis fünfgeschossige Bauweise erreicht. Durch die nun endlich auch vorhandenen Tiefgaragen lässt sich der Verkehr auf den Straßen stark reduzieren, die Einführung einer langen Spielstraße war von Anfang an geplant. Den Wohnbedürfnissen von Alleinerziehenden wird durch spezielle Grundrisse Rechnung getragen: Diese Wohnungen verfügen über drei Zimmer und erfüllen die Vorgaben der Förderstellen hinsichtlich der Wohnfläche.

Hoellenstein
Höllenstein, alt und neu. Alt: Buchenweg 8

Hoellenstein
Neue Gebäude im Höllensteinquartier

Wir haben in eineinhalb Stunden den Höllenstein abspaziert, waren in jeder Straße und haben alles genau angesehen, und wir müssen sagen: Die Erneuerung des Quartiers ist gelungen. Was wir an Passanten und an Grillgrüppchen auf den Terrassen sahen lässt die Absicht der GGH, für "breite Schichten", "unterschiedliche Zielgruppen" und einen "breiten Bevölkerungsmix" zu bauen als voll und ganz gelungen bezeichnen. Das Image einer "Rentnersiedlung" wird das neue "Höllenstein-Quartier" nicht mehr haben. Das angedachte "Nachbarschaftskonzept" - was immer leichter zu planen als umzusetzen und zu leben ist - scheint auch gelungen zu sein, wenn man das als Spaziergänger überhaupt beurteilen kann.

Hoellenstein
Rückseite der Gebäude, eine Art Innenhof zur Spielstraße.
Die Grünflächen waren frisch ausgesät, also noch nicht grün.

Die Umbauphase begann 2013 und wird vermutlich bis 2019 gehen. In der Zwischenzeit stehen noch einige der alten Gebäude und ermöglichen einen direkten Vergleich.

Zu den Mietkosten: Der Mietpreis pro Quadratmeter bei den Altbauten beträgt 5,50 Euro, bei den Neubauten 7,50 Euro; für umgesetzte Altmieter ist er bei 6,50 Euro gedeckelt, also subventioniert.

Last not least: Trotzdem die neuen Gebäude als Funktionsbauten errichtet werden, also das Prinzip "form follows function" gilt, sehen die Gebäude trotzdem schön aus und haben interessante Details. Und um die Gebäude gibt es einen hohen Anteil an Grünflächen.

Theater Heidelberg "Woyzeck"

(08.04.2017) Georg Büchner habe ich gemocht und in meiner "Nihilismus-Phase" im zarten Alter von Anfang zwanzig Jahren mehrmals "Leonce und Lena" und "Dantons Tod" gelesen. Und als Theaterstück habe ich "Leonce und Lena" bestimmt schon dreimal gesehen und immer auch gerne gesehen. "Woyzeck" hat mich immer runtergezogen, sowohl als Lektüre als auch in der einen Bühnenfassung, die ich bisher gesehen habe. Und leider war gerade dieses Stück Schullektüre, weswegen wohl nur die wenigsten Schüler freiwillig einen zweiten Text von Büchner gelesen haben.

Die Inszenierung im Heidelberger Theater hatte bzw hat (sie läuft noch) auch komische, fast schon lustige Elemente, so konnte ich dem Stück mehr als sonst abgewinnen. Was aber auch gesagt werden sollte: Marie, die Freundin(?) / Partnerin(?) / Geliebte(?) von Woyzeck ist eine genau so tragische Gestalt wie Woyzeck selbst. Ihre Perspektiven, die Art, wie mit ihr umgesprungen wird, ihr Schicksal - alles zutiefst bedauernswert, und auch das alles hat mit ungerechten sozialen Verhältnissen zu tun. Das Stück könnte mit vollem Recht auch "Marie und Woyzeck" heißen.

Dominik Lindhorst-Apfelthaler als Woyzeck war eine gute Besetzung, auch wenn man ihn meist mit humorigen Rollen in Verbindung bringt. Auch das Bühnenbild (eine Maschinenwelt mit Anklängen an ein Bergwerk) hatte was - ganz anders als das, was man bei der Lektüre vor sich sieht.

Radtour auf den Königstuhl

(05.04.2017) Man wird älter, man hat in den Wintermonaten keine Bergtour mehr gemacht - kein Wunder, dass ich mir vor der Fahrt auf den 566 Meter hohen Königstuhl etwas Sorgen über meine Fitness machte. Zum Glück hat aber alles überraschend gut geklappt und ich kam recht leicht hoch.

Theater und Orchester Heidelberg "Der Freischütz"

(02.04.2017) Vollständiger Titel: "Der Freischütz". Romantische Oper in drei Aufzügen von Carl Maria von Weber. Libretto von Johann Friedrich Kind nach der Novelle "Der Freischütz. Eine Volkssage von Johann August Apel". Neuinszenierung von Sandra Leupold am Theater und Orchester Heidelberg.

Opern sind definitiv nicht meine Welt, so ließ mich "Der Freischütz" in der Vergangenheit kalt, so lässt er mich heute kalt. Sicherlich war die aktuelle Aufführung nicht schlecht, wenn einem Opern gefallen, aber eben nur dann.

Die Musik ist stellenweise ganz nett, aber unterm Strich bleibt wenig für meinen Geschmack übrig. Der Gesang allerdings widerstrebt mir ganz und gar.

Und was soll man zum Inhalt sagen: Max, der "zweite Jägerbursche", ein heillos unreifes Bürschlein, muss der Tradition entsprechend mit einem Schuss irgendein vom Fürsten vorgegebenes Tier erlegen, damit er Agathe, die Tochter seines Chefs (Kuno, gräflicher Erbförster), heiraten darf und damit auch die Erbförsterei gewinnt. Eigentlich müsste man zum besten der Kleinen hoffen, dass er daneben ballert - was will sie denn mit dem kindischen Hampelmann anfangen? Aber nein, Ziel der Oper ist ja, dass die beiden sich kriegen, nach einigen Verirrungen und Verwirrungen zwar, aber sie sollen sich kriegen.

Zu den Verirrungen gehört, dass Max, der Bräutigam in spe, zur Zeit nichts trifft, und aus Verzweiflung einen Pakt mit dem Teufel schliesst, um an magische Kugeln zu kommen, die immer treffen. Dass er natürlich in Kaspar (dem ersten Jägerburschen) einen Nebenbuhler hat, der seine eigene Agenda mit dem Teufel hat, sollte bei einer Oper nicht überraschen.

Dass die Bewohner des Dorfes anfangs den glücklosen Schützen schadenfroh verhöhnen und anspucken - OK, die Welt ist böse, dass wissen wir. Dass der Erbförster in der hierarchischen und ständischen Gesellschaft schon was besseres ist und sich komische Sagen um den Stammvater des Erbförstergeschlechts ranken - gegessen. Dass der geachtete Eremit (als Vertreter der Kirche) am Ende den Fürsten milde stimmt und ein Probejahr für Max aushandelt (statt der Verbannung), soll natürlich die Nähe von Obrigkeit und Kirche zeigen, die mit den kleinen Leuten tun und lassen, was sie wollen, aber: "dat wäit wi nu", das ist doch nichts neues.

In den Pressestimmen ist von "Abgründen der Seele" die Rede, von "wildester Dämonie", von einem "packenden Sozialdrama", von einer "Gesellschaft voller Zwänge, voller Neurosen" - "Oh Mann", möchte man aufstöhnen.

Ein paar nette Sprüche sind mir im Gedächnis geblieben. Max (ausgerechnet der!) sagt zum Beispiel einmal:

"Ich bin vertraut mit jenem Grausen,
Das Mitternacht im Walde webt,..."

Eine interessante Gestalt ist sicherlich Kaspar, der "erste Jägerbursche", Maxens Gegenspieler, der Mumm genug in den Knochen hat, sich noch am Ende (als ihn Samiel = der Teufel holt), gegen Gott und Teufel aufzulehnen:

Kaspar (Samiel hinter ihm).
"Du, Samiel, schon hier?
So hielt'st du dein Versprechen mir?
Nimm deinen Raub, ich trotze dem Verderben!
Dem Himmel Fluch! – Fluch dir!" (stirbt. Samiel verschwindet.)

Na ja, trotz allem bereue ich nicht, in der Vorstellung gewesen zu sein.

Neues Ölbild "Tänzer" begonnen

(28.03.2017) Weit bin ich bei der ersten Malsession natürlich nicht gekommen: Mein neues Bild soll zwei miteinander tanzende Männer zeigen, die von einem dritten Mann beobachtet werden - das ganze "Drama" in einem unfreundlichen, kahlen, grauen Raum. Und nach den letzten beiden kleinen Bildern (mit 30cm x 40cm) mache ich es jetzt wieder in meiner Lieblingsgröße, 80cm x 60cm.

Tänzer
"Tänzer" (Arbeitstitel), Öl auf Hartfaser, 80cm x 60cm

G. Rosinski, J. van Hamme - Thorgal: "Die Rache der Zauberin"

(26.03.2017) Als ich in den achtziger Jahren zum wiederholten Male die Comics für mich entdeckte, brauchte ich nur wenige Monate, um die "Könner" zu identifizieren: Robert Crumb, Milo Manara, Moebius, Régis Loisel, Hugo Pratt, François Bourgeon und einige andere. Die ersten Bände von "Thorgal" hatte ich zwar zum Prüfen mehrmals in den Händen, empfand den Zeichenstil aber als zu ungekonnt roh, zu flächig, zu fehlerhaft. Inzwischen ist "Thorgal" immer noch am Laufen, die Hauptserie ist mit der Zählung bei über dreissig Titeln, und mehrere Spin-Offs scheinen sich auch gut zu verkaufen.

Thorgal, Band 1

Unübersehbar ist aber, dass sich die Serie zum Besseren entwickelt hat - der Zeichenstil von Grzegorz Rosinski ist inzwischen richtig klasse, die Farbgebung hat sich um Welten gebessert - so dass ich mich entschlossen habe, die Serie näher kennenzulernen, denn leider muss man auf Neuigkeiten meiner Lieblingsserien ("Blacksad", "Corto Maltese" (neue Serie), "Suche nach dem Vogel der Zeit" usw) jeweils immer mehrere Jahre warten.

Wie es sich gehört habe ich mit Band 1 ("Die Rache der Zauberin") begonnen, und nicht überraschend fällt mein Urteil etwas gequält aus: Den Band hätte ich nicht gekauft, wenn es nur um ihn gegangen wäre. Er hat alles, was mich schon in den achtziger Jahren abhielt, in die Serie einzusteigen. Die Zeichnungen sind schwach, auf eine ungute Weise roh, die Geschichte wenig einleuchtend bis blöde mit einigen nicht nachvollziehbaren Szenen.

Beispielhaft für den schwachen Zeichenstil hier zwei zusammengehörende Zeichnungen der Zauberin Slive.

Thorgal, Beispielzeichnungen

Neben der titelgebenden Geschichte "Die Rache der Zauberin" (auf 30 Seitem) enthält der übergroße Hardcover-Band noch die inhaltlich und formal wesentlich bessere Geschichte "Fast das Paradies" (auf 16 Seiten) und einen Bonus-Anhang "Blick hinter die Kulissen" (auf 24 Seiten) über die Serie, die Zeit, die Wikinger, über Grzegorz Rosinski und einiges mehr. Insgesamt bekommt man schon einiges für sein Geld. Ich bin gespannt, wie mir die nächsten Bände gefallen.

Was mich zu "Thorgal" hingezogen hat ist übrigens zum einen, dass immer mal wieder Schiffe und Meereslandschaften dargestellt werden, zum anderen aber auch, dass beide: der Zeichner und der Autor der Serie, eine Faszination für Höhlen und unterirdische Welten haben. Da ein Drittel meiner Träume sich in Höhlen, Stollen, unterirdischen Landschaften, Kellern usw abspielt, konnte ich auf Dauer ja nicht widerstehen. Und was für ein Zufall: Die Geschichte "Fast das Paradies" spielt in einer nahezu tropischen unterirdischen Welt unter einem Gletscher, aus der Thorgal mit einer der Bewohnerinnen durch Höhlen und Labyrinthe flieht. Was will man (ich) mehr?

Neues Ölbild "Stelen" fertig

(14.03.2017) Mit so einem kleinen Bild ist man natürlich nach zwei Abenden fertig. Begonnen am 21.2., heute beim zweiten Maltermin schon fertig geworden.

Stelen, 14.03.2017
"Stelen", 2017, Öl auf Ölmalpapier, 40 cm x 30 cm

Venus als schmale Sichel

(11.03.2017) Viele Wochen lang war Venus ein heller und auffallender Abendstern, diese Zeit geht jetzt zu Ende: In genau zwei Wochen, am 25.März, wird Venus ihre Untere Konjuktion haben und vom Abend- zum Morgenhimmel wechseln. Da sie jetzt nur noch 22 Grad Winkelabstand zur Sonne hat, ist ihre Sichel zwar groß und auch schon im kleinsten Feldstecher leicht erkennbar, aber sehr schmal. Im Teleskop bietet sie einen sehr schönen Anblick. Leider war die Luft heute recht unruhig und das Venusbild zittere leicht - so wirkte die Sichel breiter, als sie ist.

Beobachtet habe ich mit meinem kleinsten Teleskop, einen über 35 Jahre alten Billig-Refraktor von Foto-Porst mit 50mm Öffnung und 300mm Brennweite. Diese Billigfernrohre haben riesige Qualitätsunterschiede, die Fertigungstoleranzen sind eben deutlich größer als bei einem Markenfernrohr. Ich habe beim Kauf damals das große Los gezogen, denn das winzige Telesköpchen hat eine ausgezechnete optische Qualität. Mit einem 5mm-Okular habe ich bei 60-facher Vergrößerung beobachtet, mehr hätte sich bei der Luftqualität nicht gelohnt. Aber auch so erschien die 54" große Sichel fast doppelt so groß wie die Mondsichel mit bloßem Auge. Deulich war zu sehen, dass die Sichel keine ganze Halbsichel war: Der beleuchtete Teil war ca 170 Grad lang. Die Zeichnung habe ich mit einer Bildbearbeitung unscharf gemacht, um die Venus so wiederzugeben, wie sie mir erschien. Dass der beleuchtete Teil fast genau unten war, sah etwas ungewohnt aus.

Venus, 11.03.2017
Venus, 11.03.2017, 18h05-18h15UT, Refraktor 50/300, V=60x
unscharf gerechnete Zeichnung

Neckarsteig, Etappe 1 (Heidelberg bis Neckargemünd)

(05.03.2017) Für 2017 habe ich mir vorgenommen, den Neckarsteig abzulaufen, von Heidelberg bis Bad Wimpfen sind das 126,4 km bei 3127 Höhenmetern. Er ist in handlichen Halbtagsetappen ablaufbar, wobei S-Bahn-Stationen es leicht machen, bei der nächsten Etappe da anzuknüpfen, wo man die vorige Etappe beendet hat.

Meine heutige Etappe ging von Heidelberg (Karlsplatz, 110 m) hinauf zum Schloss, kurz dahinter über die steile Himmelsleiter (mit der man bei 680 Metern Länge rund 270 Höhenmeter überwindet) zum Königstuhl (567 m) und dann langgezogen bis Neckargemünd (120 m). Mein Wanderführer (Rainer Türk, "Auf dem Neckarsteig") veranschlagte für die 12,6 km, bei der in der Summe 635 m bergauf gegangen wird, 4:15h, ich habe die Strecke recht zügig in 3:05h gelaufen.

Neckarsteig, Etappe 1
Die erste Etappe des Neckarsteigs

Neckarsteig, Himmelsleiter
Die Himmelsleiter - sie kostet sehr viel Schweiß...

Neckarsteig, Kirchheim
Vom Königstuhl aus sieht man in exakt 5 Kilometer Entfernung die Dachwohnung,
in der wir von 2005 bis 2015 wohnten, und das Haus, in dem wir seitdem wohnen.

Neckarsteig, Neckargemünd
Blick auf Neckargemünd und den Neckar, nur noch rund 35 Minuten zu laufen.

Auftritt mit den Lightnings in der "Goldenen Rose"

(27.02.2017) Drei Tage nach dem Auftritt in Oggersheim schon der nächste Auftritt, etwas anstrengend. Es war volles Haus, eine Bombenstimmung, ab dem ersten Lied war die Tanzfläche voll - super!

Lightnings, 27.02.2017
Lightnings, von links: Klaus Petrick, Claus Hochgeschwender, Béla Hassforther
Lightnings, 27.02.2017
Lightnings, von links: Klaus Petrick, Claus Hochgeschwender, Béla Hassforther, Waldemar Martin

Auftritt mit den Lightnings in Oggersheim

(24.02.2017) Unser zweiter Auftritt im "Schwarzwaldstübl" in Oggersheim. Nicht besonders viele Leute da (es gab konkurrierende Faschings-Veranstaltungen), aber die Stimmung wie schon beim ersten Auftritt super - und das ist das, was Spaß macht. Hat ein gutes Publikum, das Schwarzwaldstübl.

Lightnings, 24.02.2017
Die Lightnings in Oggersheim; von links:
Waldemar Martin, Klaus Petrick, Claus Hochgeschwnder, Béla Hassforther
Größere Version.

Takeshi Ohmi - "Kiss my Ass", Band 1

(11.02.2017) Dies ist der erste Manga, den ich gelesen habe (es wurde also Zeit) und ich muss sagen: Er hat mir gefallen. An die zunächst ungewohnte Leserichtung (von hinten nach vorne und von rechts nach links) gewöhnt man sich sehr schnell. Auch waren die Augen der Personen nicht so riesengroß wie in anderen Mangas, so dass die Hauptpersonen menschlich und sympathisch wirken.

Takeshi Ohmi - Kiss my Ass

Die Handlung ist originell: Der sechzehnjährige Schüler Mitsuki Yakushiji himmelt die Mitschülerin Sana Komatsu an. Diese ist als ziemlich normale Schülerin charakterisiert, hat diese blöden Riesenaugen, dafür schöne lange Haare, und sieht aus, als ob sie mit sechzehn schon Brustimplantate hat und Push-up-BHs trägt.

Die Mitschülerin Shiori Miura wird ganz anders eingeführt. Sie nähert sich Mitsuki recht ungewöhnlich an, bittet ihn um ein Treffen und kommt ohne Umschweife darauf zu sprechen, dass es klar ist, dass Mitsuki starke Hämorrhoiden hat. Sie bietet ihn an, ihn zu unterstützen, und als er bestreitet, Hämorrhoiden zu haben, triit sie ihn kurzerhand in den Hintern und alles ist klar.

Es entspannt sich eine sehr zarte Gemeinsamkeit bei den beiden, Shiori kann sogar regelmäßig die Hämorrhoiden von Mitsuki fotografieren, denn später will sie Proktologin werden. Natürlich ist inzwischen klar, dass auch sie unter Hämorrhoiden leidet, und am Ende des Comics zeigt sich, dass auch Komatsu zu den Leidgenossen gehört. Schön ist es, wie Shiori kleine Vorträge hält, ihren HFF (HämorrhoidenFreiFreund) bekocht, ihn streng vor den traditionellen japanischen Toiletten warnt und so weiter. Da der Mange ca 170 Seiten hat, sind schöne Episoden dabei. Als Lohn für ihre Mühe nimmt sie ihn übrigens das Versprechen ab, dass er ihr beim nächstenmal die Salbe auf den Hintern aufträgt - das wäre präziser, als wenn man es selbst macht. Süß.

Ich muss sagen, ich war sehr angetan. Eine originelle, gut erzählte Geschichte, sehr gute Zeichnungen aus originellen Winkeln, intelligente Dialoge - was will man mehr. Dazu kommen immer wieder allerliebste Zeichnungen von Shioris Hintern, meist im Minirock oder in enger Hose. Die Blickwinkel sind schon irre: Oft aus einer extremen Froschperspektive, oft auch durch die Beine der Mädchen hindurch (also hinter ihr stehend, knapp unter dem Hintern usw).

Den zweiten Band der Geschichte werde ich mir also auf jeden Fall auch kaufen.

Takeshi Ohmi - Kiss my Ass
Shioris hübscher Hintern...

akeshi Ohmi - Kiss my Ass
...und nochmal ihr hübscher Hintern

Neues Ölbild "Stelen" begonnen

(21.01.2017) Nach der Fertigstellung des "Torsos mit Schmerbauch" hatte ich noch etwas Zeit, deswegen habe ich gleich noch ein weiteres kleines Ölbild begonnen: "Stelen". Seit zehn Jahren skizziere ich immer mal wieder Stelen in kargen, mitunter topfebenen Landschaften, jetzt mache ich das halt mal in bunt.

Neues Ölbild "Torso mit Schmerbauch im Eis"

(21.01.2017) Die Kernidee des Bildes war, einen Torso mit Schmerbauch in irgendeiner Landschaft zu malen. Ursprünglich dachte ich sogar noch, ihn auf einem Sockel zu plazieren, so wäre der Kontrast zum klassischen Schönheitsideal sehr augenfällig geworden - aber halt auch etwas zu plakativ. So ist der arme Kerl (oder der Rest des armen Kerls) letztlich in einer Eislandschaft gelandet.

Lange habe ich an dem kleinen Bild nicht rumgemacht: Begonnen am 17.1.17, fortgesetzt am 24.1. und am 7.2.17, fertig gemacht am 21.2.17.

Torso im Eis
"Torso mit Schmerbauch im Eis", 2017, Öl auf Ölmalpapier, 30 cm x 40 cm

Andy Hunt - "Pragmatic Thinking & Learning"

(24.01.2017) Vollständiger Titel: Andy Hunt - "Pragmatic Thinking & Learning. Refactor your Wetware". An dem Buch habe ich ziemlich genau eine Woche gelesen. Mir hat die Lektüre Spaß gemacht und sie hat - denke ich - auch einiges gebracht. Leider habe ich das Buch nur als eBook gelesen, und das war suboptimal: Ich hätte gerne etwas angestrichen oder Stellenkommentare gemacht, das geht aber leider nicht. So bleibt mir nur übrig, einige Tage lang zu überlegen, ob ich das Buch jetzt noch in der Papierversion kaufe und es einfach noch einmal durcharbeite. Wenn ich eine Schulnote vergeben müsste: Eine glatte 1.

Andy Hunt - Pragmatic Thinking & Learning.

VV Cep - Lichtwechsel Mai 2008 bis Dezember 2016

(17.01.2017) Dieses Jahr, vermutlich ab August, beginnt das langerwartete Bedeckungsminimum dieses Riesensystems. Ich habe im Mai 2008 mit meinen Beobachtungen begonnen, bis 2015 mit einer kleinen Canon Ixus 70. Gemessen habe ich die Grünauszüge der JPG-Aufnahmen, da die IXUS 70 keine RAW-Aufnahmen abspeichert. Seit 2014 habe ich - nach einer gewissen Zeit mit Parallelbeobachtungen - umgestellt auf eine Canon EOS 450D, die Aufnahmen im RAW-Format liefert. Die damit gewonnenen Werte sind deutlich genauer. Insgesamt sind in dieses Diagramm über 550 Aufnahmen eingegangen. Und jede Aufnahme ist die Summe aus durchschnittlich 9 Einzelbelichtungen, die addiert wurden. Viel Arbeit also.

VV Cep
Ausgeglichener Lichtwechsel von VV Cep von 2008 bis 2016.
Alle 10 Tage wurde ein Wert von einer gezeichneten Lichtkurve abgelesen.

Der Lichtwechsel ist ziemlich komplex. Ins Auge fallend ist ein Lichtwechsel mit einer stark wechselnden Amplitude von 0,05 mag bis etwa 0,5 mag und typischerweise etwa 160 Tagen Periode. Weiterhin ist ein ganz langsamer Trend zu sehen, mit einem Maximum um JD 2455200 und einem Minimum bei JD 2457000. Dieser Lichtwechsel könnte mit der Bahnbewegung des verformten Roten Überriesen zusammenhängen, der uns eine unterschiedlich große und helle Oberfläche zuwendet. Sehr unsicher (noch) ist eine dritte Komponente mit einer typischen Periode von 700 bs 800 Tagen.

Das Bedeckungsminimum im Visuellen (also im grünen Licht) wird voraussichtlich nur 0,2 mag tief sein, wird sich also nicht leicht vom jetzt schon komplexen Lichtwechsel abheben und nur im blauen Licht deutlich sein.

Aber lassen wir uns einfach überraschen...

Lettre International 115 (Winter 2016)

(14.01.2017) Heute mit der Lektüre der Nummer 115 begonnen. Es ist immer eine Herausforderung, diese dichten, anspruchsvollen Hefte zu lesen, die umgerechnet einem 400 oder 500 seitigen Buch entsprechen.

Meine Higlights in dieser Nummer sind bisher die folgenden Beiträge:

Lettre International 115
Titelseite von Lettre International 115 mit einem Bild von Valérie Favre.

Ein besonderes Highlight dind die ganzseitigen Gemälde von Valérie Favre aus der Serie "GHOST nach GOYA". Die habe ich mir lange und intensiv angeschaut. Unverkennbar von Goya inspiriert ist das Malerische ganz große klasse. Die Serie umfasst noch weitere Bilder, wie man auf der Homepage der Künstlerin sieht, allerdings sieht man auch, dass die in Lettre vorgestellten Werke eine sehr gute Auswahl darstellen, und dass das Werk von Valérie Favre auch Serien beinhaltet, die sehr amateurhaft wirken.

Aus Timothy Snyders Liste von zwanzig Vorschlägen hier nur zwei, die mich ganz besonders beeindruckt haben:

9. Ermitteln Sie selbst. Versuchen Sie selbst auf etwas zu kommen. Gehen Sie den Dingen selbst auf den Grund. Verwenden Sie mehr Zeit auf lange Artikel. Unterstützen Sie den investigativen Journalismus, indem Sie Printmedien abonnieren. Seien Sie sich darüber im klaren, dass Ihnen so manches auf ihrem Bildschirm schaden soll. Setzen Sie ein Lesezeichen auf PropOrNot oder andere Websites, die ausländische Propagandaoffensiven zu erkennen versuchen.

10. Üben Sie sich in Körperpolitik. Macht möchte Ihren Körper in Ihrem Sessel weich werden und Ihre Emotionen wirkungslos auf dem Bildschirm verpuffen sehen. Gehen Sie aus dem Haus. Setzen Sie Ihren Körper unvertrauten Orten und unvertrauten Menschen aus. Legen Sie sich neue Freunde zu und marschieren Sie mit Ihnen.

Etwas irritierend finde ich den winzigen Hinweis am Ende des Beitrags, dass Snyder ihn zuerst auf Facebook (!) veröffentlicht hat. Das widerspricht ganz grundsätzlich dem Tenor der 20 Vorschläge.

Jedenfalls wieder eine tolle Nummer von Lettre International, an der ich wohl noch einige Wochen lesen werde.

Vortrag von Rüdiger Nehberg

(08.01.2017) Ich mag ihn einfach, den Rüdiger Nehberg. Wie kein anderer hat er das Thema "Survival" in Deutschland bekannt gemacht, immer mit Humor, und war immer den Mitbewerbern nicht einen Schritt, nicht meterweit - nein: meilenweit voraus. Im Tretboot über den Atlantik, im Einbaum über den Atlantik, die Reisen in den Urwald, in die Wüsten, der Umgang mit fremden Völkern, die unglaubliche Erweiterung der Speisekarte - irre, der Mann...

Sein Vortrag in der Reihe "Traumpfade" in der Maimarkthalle in Mannheim bestand aus zwei Teilen. In der ersten Stunde erzählte er seine Biografie, mit vielen launigen Anekdoten und schönen Fotos. Angesichts des Alters der Fotos wird klar, dass Nehberg von Beginn an mit hochwertigen Foto- und Film-Ausrüstungen gearbeitet hat, eine spätere Vermarktung also nicht an mangelnder Qualität auf Grund von Geiz scheitern sollte. Dass Nehberg seine Projekte und Unternehmungen hochprofessionell angeht ist immer zu spüren - bis hin zu einer Ausbildung bei den Kampfschwimmern zur Vorbereitung der Atlantiküberquerung (dass die ihn erstmal gefesselt ins Wasser schmissen und er wiederbelebt werden musste zeigt, was er in Kauf nahm). Auch der Marsch durch ganz Deutschland ohne Ausrüstung und ohne Nahrungsmittel zum Ausloten seiner Grenzen zeigt, wie schonungslos sich selbst gegenüber er sich vorbereitet.

Natürlich gab es im Vortrag Passagen, die etwas unappetittlich aussahen: Eine böse Wunde als hilfreiche Nahrungsquelle - indem man von Zeit zu Zeit die Fliegen, die sich drauf setzen, mit der Hand erschlägt, was laut Nehberg einen Esslöffel hochwertigen Proteins ergibt. Oder Fotos von ermordeten Goldgräbern aus dem Yanomami-Gebiet, die sich gegenseitig für ein T-Shirt, wegen eines Goldzahns, aus Wut umbrachten.

Der zweite Teil nach der Pause bestand aus der Schilderung seines Kampfes gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen. Dieses Thema verfolgt er immer noch mit aller Energie, hat auch beachtlichen Erfolg, wobei er sich dabei gleichermaßen in Wüsten wie auf höchstem diplomatischen Niveau bewegen muss. Faszinierend. Und schön, dass er nicht am verbreiteten Islam-Bashing teilnimmt, sondern die islamischen Geistlichen als Mitstreiter im Kampf gegen die Genitalverstümmelung gewinnt und selbst den höchsten islamischen Geistlichen in einer Privataudienz sein Material vorstellen kann. Nehberg ist ein Mann ohne Vorurteile!

Am schönsten fand ich allerdings, Nehberg zu beobachten: Wie er vor dem Vortrag am Büchertisch arbeitet, wie er in der Pause zwischen den Vorträgen sofort wieder zum Büchertisch eilt, am Ende natürlich auch, mit welcher Höflichkeit, Freundlichkeit und Geduld er die Käufer, Fragenden und Aufmerksamkeit-heischenden behandelt, die Empathie, die im Vortrag zum Ausdruck kommt, die Energie, die er in die Themen steckt, an die er glaubt. Es macht Mut zu sehen, dass das alles auch noch im Alter von 81 Jahren möglich ist, in einem Alter, in dem viele schon final zum Couch-Potatoe mutiert sind. Ein tief beeindruckender Mensch.

Rüdiger Nehberg

Rüdiger Nehberg
Rüdiger Nehberg am Büchertisch

Wolfgang Büscher - "Hartland"

(04.01.2017) Im August 2014 habe ich "Berlin - Moskau" von Wolfgang Büscher gelesen. "Berlin - Moskau" verleitet dazu, mehr von Büscher zu lesen, "Hartland" liest man und findet es gut, aber danach würde man es mit Büscher gut sein lassen. Dass ich nach "Hartland" noch Lust habe, auch seine "Deutschlandreise" zu lesen, ist das Erbe meiner Begeisterung für sein bekanntestes Buch, für "Berlin - Moskau".

Büscher, Hartland

Büscher hat diese Reise nicht nur zu Fuß gemacht (wie der Untertitel suggeriert); längere Abschnitte legt er im Auto oder mit einem Bus zurück, teils auch deswegen, weil Unwetter in den USA schnell lebensgefährlich werden und eine Flucht das einzig vernünftige ist. Und im Süden kann wiederum die große Hitze in wüstenhaften Gegenden lebensgefährlich sein.

Büscher ist allein unterwegs. Dennoch scheint er nicht unbedingt die Gesellschaft anderer zu suchen (im Bus mit den Sträflingen bleibt er für sich; als er tagelang wegen Regen in einem Motel bleiben muss, macht er sich schon Sorgen, ob er ob seiner Schweigsamkeit nicht etwa unangenehm auffällt usw). Der Mangel an guten Gesprächen, an interessanten Gesprächspartnern macht das Buch etwas monoton: Mir kam Büscher etwas arg in seinen Kokon eingesponnen vor.

Auch wenn man nicht in Privatdingen wühlen will: Wieso macht Büscher diese zeitlich lange und über lange Strecken einsame Reise? Wieso trennt er sich ein Vierteljahr von seiner Frau, seinen Kindern? Kommt er so lange ohne Sex aus? Oder nutzt er auf der Strecke die einschlägigen Angebote für Truckerfahrer? Sehr wenig privates kommt zur Sprache. Ist hier ein Neutrum unterwegs? Oder war das Ziel weniger das Kennenlernen eines Landes (was ich als mißlungen bezeichnen würde) als das Abarbeiten einer Herausforderung? Oder eine Flucht aus dem Alltagstrott?

Das Buch ist vielleicht zu kurz: Ich habe den Eindruck, dass die Erzählung am Anfang noch umfangreicher ausfiel, Beschreibungen dichter waren, ab der Hälfte des Bucher dann aber flüchtiger wurden. In der Mitte des Buches hat Büscher erst ein Drittel der Strecke zurückgelegt. Vielleicht durfte er eine formale Grenze (300 Seiten) nicht reißen. Ist es so, dann ist es kein Wundenr, denn kann man eine dreimonatige Reise quer durch einen Kontinent tatsächlich auf 300 Seiten beschreiben?

Büscher sollte aufpassen, nicht ins Fahrwasser der altgewordenen Berufsjugendlichen zu geraten, die ihre Bubenträume von der Eroberung der großen weiten Welt im fortgeschrittenen Alter endlich realisieren wollen und sich peinlicherweise oft ein moralisches Feigenblatt anhängen, also statt "Nordpol zu Fuß" zum Beeindrucken der "Chicas" lieber ihre Egotrips damit begründen, auf die "Erwärmung der Erde" oder "das Elend der Eisbären" oder weiß Gott was hinweisen zu wollen.


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