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Experimente mit Plattenscans aus Sonneberg

Aha-Erlebnis...
Die Sonneberger Himmelsüberwachung (SHÜ)
Auswertungs-Alternativen
Verarbeitungsschritte
Stufenschätzungen - was kann man damit tun
Massenphotometrie mit MIRA 6.03
Hinweise zu Software
Literatur

Die Sternwarte Sonneberg gehört weltweit zu den wichtigsten Zentren der Veränderlichenforschung, stand aber seit der Wende immer wieder vor der endgültigen Schliessung. Aktuell scheint sich die Lage eher zum Besseren zu wenden: seitdem Peter Kroll zum Leiter ernannt worden ist, hat die Sternwarte einige interessante Projekte gestartet, und die Bearbeitung des riesigen Plattenarchivs wird dank der seit einigen Jahren laufenden Digitalisierung erheblich zügiger vorangehen können.

Letztes Jahr habe ich in einem Vortrag in Hartha über meine ersten Erfahrungen mit den im Internet verfügbaren CCD-Aufnahmen von Stardial berichtet - es ist eigentlich naheliegend, auch die Scans aus Sonneberg auf ihre Möglichkeiten für Amateure abzuklopfen. Es gibt nicht wenige BAV-Mitglieder, die schon einige Tage in Sonneberg verbracht haben und dort in mühevoller Arbeit mit einem Plattenmikroskop direkt an den kostbaren Originalplatten ihre Programmsterne geschätzt haben. Auch ich habe vor einigen Jahren drei Tage in Sonneberg verbracht und ganze drei (!) Sterne in dieser Zeit bearbeitet. Es ist unbestritten ein "ganzheitliches" Erlebnis: die lange Zugfahrt nach Sonneberg, mehrere Übernachtungen in der Sternwarte, die Arbeit an den Originalplatten, die Möglichkeit zum Fachsimpeln - aber ökonomisch ist das Verfahren nicht. Die Anzahl der gescannten Platten wächst aber kontinuierlich, und die Bearbeitung könnte nun auch bequem zu Hause stattfinden.

Peter Kroll war so nett, mir auf meine Anfrage hin eine CD mit Scans zu schicken: für zwei eher unspektakuläre Felder im Sternbild Taurus und Orion standen mir damit jeweils fast 500 Aufnahmen zur Verfügung.

Aha-Erlebnis...

Das erste Aha-Erlebnis war nicht unerwartet, dennoch muss man erst einmal 500 entpackte Bilddateien eines Feldes in einem Verzeichnis stehen haben, um die Herausforderung zu begreifen: will man das ganze Material auswerten, dann muß jeder kleine Verarbeitungsschritt, der für sich genommen unauffällig kurz ist, mit 500 multipliziert werden. Dauert das Laden der Datei und das kurze Prüfen der Plattenqualität eine Minute, so dauert dieser Vorgang für das gesamte Material eines Feldes 500 Minuten, also einen vollen Arbeitstag - und ausgewertet ist noch gar nichts.

Es war also schnell klar, dass bei der notwendigen Vorbereitung des Materials soweit irgend möglich mit Scripts (kleinen Programmen) gearbeitet werden mußte, weiterhin war klar, dass auch die eigentliche Verarbeitung möglichst automatisiert stattfinden sollte. Wie weit das in einem realistischen Zeitrahmen zu verwirklichen ist, das sollte auch Inhalt meines Experiments sein. Das Ergebnis kann vorweggenommen werden: es gibt zwar für CCD-Aufnahmen wunderbare Programme zur automatischen Photometrie, aber für den Einsatz mit Plattenscans sind diese nur sehr bedingt geeignet. Statt nun lange und penibel auf den ganzen Problemen herumzureiten, die die automatische Auswertung bei Plattenscans erschweren (und die teilweise Gegenstands meines Vortrags in Hartha waren) möchte ich hier eher einen positiven bzw pragmatischen Ansatz wählen: es gibt mehrere Möglichkeiten, die Scans zu verarbeiten, geht’s nicht automatisch, dann eben manuell. Wer sich speziell für die Probleme interessiert, der kann sich direkt an mich wenden.

Die Sonneberger Himmelsüberwachung (SHÜ)

Die SHÜ geht zurück auf eine Anregung von Professor Paul Guthnick (Berlin-Babelberg), der 1926 eine ständige photographische Himmelsüberwachung plante: In jeder klaren Nacht sollten mit lichtstarken Weitwinkelkameras möglichst große Teile des Himmels photografiert werden. Für Cuno Hoffmeister und die Sternwarte Sonneberg wurde daraus allmählich der Anspruch, den ganzen erreichbaren Himmelsausschnitt abzudecken, ein Anspruch, der immerhin auch heute noch aufrecht erhalten wird - Respekt!

Seit 1962 wird die SHÜ mit folgendem Instrumentarium bestritten: Auf zwei Montierungen befinden sich je 7 Tessar-Weitwinkelkameras (71 / 250 und 55 / 250), die mit der Plattengröße 13 x 13 cm einen Gesichtsfelddurchmesser von 25 Grad erbrachten (heute wird mit Film gearbeitet). Beobachtet wird in zwei Farbbereichen (blau und photovisuell). Die Reichweite der Platten betrug im optimalen Fall um 14,5 pg, meist aber nur 12,5 pg bis 13 pg.

Vor einigen Jahren wurde mit dem Scanner "DIA" die Digitalisierung des Plattenarchivs begonnen. Dieser eher langsame Scanner (45 Minuten pro Platte) erreicht eine räumliche Auflösung von 15 μm bei einer Digitalisierung mit 8 Bit. Dank der guten räumlichen Auflösung sind die Scans grosszügig "oversampelt": auch schwache Sterne haben noch einen Durchmesser von etwa 10 Pixeln, helle Sterne erreichen einen Durchmesser von über 30 Pixeln.

Bei gegebener Plattengröße und räumlicher Auflösung läß sich leicht ausrechnen, dass ein einziger Scan eine Bilddatei von ca 8600 Pixel x 8600 Pixel erzeugen würde, die mit 8 bit digitalisiert immerhin 74 MB groß wäre. Das würde auch heute noch die meisten PCs zum Schwitzen bringen. Die Scans sind daher aufgeteilt in Subfields von 2,8 x 2,8 Grad (800 x 800 Pixel) und einer Dateigröße von rund 646 KB. Abgespeichert wird im verbreiteten TIFF-Format, wobei die Sternfelder invertiert sind (schwarze Sterne auf hellem Grund). Zwei dieser Subfields nun befanden sich auf der mir übersandten CD.

Die SHÜ ist eine Himmelsüberwachung, das bedeutet, dass auch bei weniger optimalen Bedingungen photografiert wird: es geht nicht um "schöne Bilder", sondern um eine Dokumentation des Himmels. Für die "Qualität" der Aufnahmen einer Feldserie bedeutet das:
Letztlich sind es diese Rahmenbedingungen, die eine automatische Photometrie mit verfügbaren Softwarelösungen nahezu unmöglich machen.

Auswertungs-Alternativen

Bei der Auswertung habe ich - neben den hier nicht weiter beschriebenen Versuchen der automatischen Auswertung mit SExtractor 2.0 - mit zwei Methoden gearbeitet:

Das erste Verfahren führt meinen auch im Stardial-Vortrag verfolgten "small-budget"-Ansatz fort: auch bei knapper Kasse soll es möglich sein, mit dem Material etwas zu machen. Die TIFF-Dateien können mit beliebigen Freeware-Bildbetrachtern angezeigt werden (ich empfehle dafür den flinken Betrachter IrfanView, der mit einem einfachen Mausklick Bild für Bild eines Verzeichnisses lädt: das umständliche Laden im Dateifenster entfällt dadurch). Das zweite Verfahren setzt teure (ca 700 DM), aber von der gebotenen Leistung her dennoch "preiswerte" Software voraus.

Verarbeitungsschritte

Kommen wir endlich zu den vorbereitenden Verarbeitungsschritten, die für die Auswertung mit MIRA notwendig, für Stufenschätzungen aber eher eine Geschmackssache sind.

Ich arbeite lieber mit Aufnahmen, die helle Sterne auf dunklem Grund zeigen (und auch für Software ist das die Voreinstellung): die Dateien müssen also invertiert werden. Für die Auswertung mit MIRA müssen die Aufnahmen im FITS-Format vorliegen und - wegen der geplanten Massenverarbeitung - auch zur Deckung gebracht worden sein.

Folgende Verarbeitungsschritte waren also vor Beginn der Auswertungen nötig (um es nochmal zu sagen: für Stufenschätzungen wäre keine Vorverarbeitung nötig, hier geht es nur um persönlichen Geschmack):

Für das Feld 00G (5h05 +26º55‘), welches ich mir für die Massenphotometrie mit MIRA aussuchte, weil die Bildqualität im allgemeinen besser als im anderen Feld war, kamen aus verschiedenen Gründen (teilweise stark abweichende Bildgrößen, Bildfehler usw) nur etwas weniger als 400 Aufnahmen in Frage. Für das Feld 10C (5h35 +08º30‘) konnte wegen der extremen Verzeichnungen der Sterne bisher nur mit der konventionellen Stufenschätzungsmethode ausgewertet werden, das allerdings mit fast allen Aufnahmen.

Die meisten bisherigen Vorarbeiten habe ich als "kurz" oder "flott" bezeichnet: das ist etwas euphemistisch ausgedrückt, weil es bei jedem Verarbeitungsschritt immer erst Klippen zu umschiffen gilt, mit denen man nicht gerechnet hat. Oder kennt jemand auf Anhieb ein Programm, mit dem sich 500 Bilder automatisch invertieren lassen? Oder ein Programm, das im Batchbetrieb FITS-Dateien erzeugt? Alles mußte erst einmal als Problem erkannt werden, dann konnte nach einer Lösung gesucht werden (wobei die erste "Lösung" oft nicht die endgültige Lösung war). Und auch im Detail steckte so manch ein Haken, der hier gnädig verschwiegen worden ist. Dass die eigentliche Verarbeitung dann "flott" geht, kommt erst den nachfolgenden Feldern (oder Bearbeitern...) zugute. Letztlich war ich sicherlich drei Wochenenden beschäftigt, um nur ein erstes Verzeichnis mit FITS-Files zu haben.

Stufenschätzungen - was kann man damit tun

An die Fleißarbeit der Stufenschätzungen macht man sich nicht auf’s Geradewohl: die Methode ist nur sinnvoll bei vielversprechenden neuen Kandidaten oder interessanten alten Bekannten. Damit konnten die beiden Felder leider nicht dienen. Auf dem für die Stufenschätzungen ausgeguckten Feld befinden sich im bearbeitbaren Helligkeitsbereich nur je ein bekannter Bedeckungsveränderlicher (OS Ori) und ein Mirastern (BK Ori). Bei einem ersten Check zeigte sich, dass BK Ori das ideale Objekt für die Stufenschätzungsmethode war.

Eine vorbereitete Excel-Datei für die Schätzungen enthielt pro Zeile das Julianische Datum (zumindest musste dieses nicht eingetippt werden sondern konnte automatisch generiert werden), die Blau-Helligkeiten der Vergleichssterne waren anhand vom Tycho-Katalog kalibriert - der Spaß konnte beginnen. Nun darf jeder selber abschätzen, wie lange es dauert, auf knapp 490 Aufnahmen das Feld zu identifizieren, einen Stern zu schätzen und das Ergebnis in eine Datei zu tippen. Nun: einen schönen Frühlingstag muß man schon opfern...

Als erstes Ergebnis einen Ausschnitt der Lichtkurve: er verdeutlicht die erreichbare Genauigkeit und bestätigt den Eindruck, den man beim Schätzen hat: trotz aller originellen Verformungen der Sterne hat man ein recht gutes Gefühl dabei - es ist kein "Raten".

Lichtkurve von BK Ori
Abb. 1) Ausschnitt der Lichtkurve von BK Ori, ermittelt durch Stufenschätzungen

Für den Gesamtzeitraum konnten 12 Maxima bestimmt werden, die in einem ersten B-R-Diagramm bereits auf eine Periodenabnahme hindeuteten. Die folgende Abbildung zeigt die zwölf Sonneberg-Maxima, ergänzt um fünf aktuellere Maxima, die ich aus Beobachtungen der VSOLJ (Variable Star Observers League in Japan, Quelle: VSNET) bestimmt habe.

B-R-Diagramm von BK Ori
Abb. 2) B-R-Diagramm von BK Ori (Sonneberg- und VSOLJ-Werte)

Es wäre sicher interessant, auch Scans der Jahrzehnte davor zu bearbeiten: vielleicht stellt sich BK Ori als einer der wenigen Mira-Veränderlichen mit kontinuierlich abnehmender Periode heraus, vergleichbar mit R Aql. Nachtrag April 2001: die Bearbeitung älterer Platten ist inzwischen erfolgt, hier die Ergebnisse. Womit der Wert von Plattenarchiven wieder einmal demonstriert wäre. Eine weitere Eigentümlichkeit, die aber leider nur mit einer Aufnahme dokumentiert ist, stellt ein plötzlicher Helligkeitsanstieg um mehr als 2 Größenklassen während eines Abstiegs zum Minimum dar. Da immerhin noch ein Fehler bei der Datierung der Platte vorliegen könnte, soll dieses Phänomen hier nicht näher verfolgt werden.

Massenphotometrie mit MIRA 6.03

Massenphotometrie bedeutet, dass man eine Reihe von Aufnahmen in den Speicher lädt, auf der ersten Aufnahme beliebig viele Sterne markiert, und MIRA misst auf den übrigen Aufnahmen ebendiese markierten Sterne, wobei in justierbaren Grenzen auch eine Neuzentrierung der Blenden stattfindet. Die Messungen (incl. dem Julianschen Datum) können dann als Datei abgespeichert werden. Dieses Feature erbringt eine ganz enorme Zeitersparnis.

Da man damit etwas flotter vorankommt, kann man mehr Sterne messen, sich also auch an unscheinbare Kandidaten wagen. Eine meiner Auswertungsideen bestand darin, alle meßbaren IRAS-Quellen des Feldes 00G auf Veränderlichkeit zu prüfen. So richtig geeignet waren dafür aber nur zwei Sterne, die ich in zwei Durchgängen, mit jeweils fünf Vergleichssternen gemessen habe.

Das Ergebnis: Während sich die IRAS-Quellen als konstant herausstellten, waren ganz überraschend unter den Vergleichssternen Veränderliche ganz besonderer Art zu finden. Von zehn Sternen stellten sich vier Sterne als veränderlich über den betrachteten Zeitraum (35 Jahre) heraus, wobei die Amplitude nur wenige Zehntel Größenklassen beträgt. Die folgende Abbildung zeigt einen dieser Kandidaten, der im Beobachtungszeitraum zunächst etwas schwächer wurde, und dann einen ganz allmählichen Helligkeitsanstieg durchführte. Vier Vergleichssterne wurden für diese Messungen verwendet. Die Konstanz der Vergleichssterne (und die erreichbare Genauigkeit mit MIRA) demonstriert die darauf folgende Abbildung.

Hip 23634 im Vergleich zu vier Vergleichssternen
Abb. 3) Lichtkurve von Hip 23634 im Vergleich zu vier Vergleichssternen

Konstanz zweier Vergleichssterne
Abb. 4) Konstanz zweier Vergleichssterne und Beispiel für die Meßgenauigkeit

Das Ergebnis spricht für sich: nur mit dem enormen Zeitstrahl, der durch Plattenarchive abgedeckt ist, besteht die Möglichkeit, solche Phänomene zu finden und zu untersuchen. Überraschend ist die Anzahl der Fälle in meiner doch sehr kleinen Stichprobe. Wer aber dieses Jahr in Hartha war, der wird sich an den spannenden Vortrag von Peter Kroll erinnern, der als neue Sonneberg-Funde eben solche Fälle säkularer Veränderlichkeit vorstellte. Eines der neuen Projekte in Sonneberg wird sein, neue Kandidaten zu finden, deren Lichtwechsel zu dokumentieren und das Besondere dieser Sterne zu ergründen. Es ist sehr befriedigend, als Amateur en passant unter anderer Zielsetzung ebenfalls über solche Sterne zu stolpern.

Da erst allmählich die Digitalisierung der Plattenarchive in Gang kommt, das "Treasure-Hunting in Astronomical Plate Archives" (so der Titel eines internationalen Workshops in Sonneberg im März 1999) noch in den Kinderschuhen steckt, besteht sogar für Amateure noch die Möglichkeit, auf ganz neue Langzeit-Phänomene zu stoßen.

Aber auch schon die im Tagungsband genannten Möglichkeiten sollten geeignet sein, das Interesse von BAV-Mitgliedern an der bequemen Auswertung der Sonneberg-Scans in heimischer Umgebung zu wecken. Genannt werden unter anderen folgende Themen:

Neuentdeckungen: Langzeitbeobachtungen

Wer sich nicht scheut, das eine oder andere Wochenende zu opfern, dem bieten sich also dank der Sonneberg-Scans viele Möglichkeiten, neues zu entdecken.

 

Hinweise zu Software:

IrfanView

Freeware für den privaten Gebrauch (http://www.irfanview.com

CCDCONV

Freeware für den privaten Gebrauch (http://www.andrewulff.de/

MIRA 6.03

Infos unter http://www.axres.com/

Zu beziehen über Astro-Shop (http://www.astro-shop.de/

GUIDE 7.0

Eines der Programme, ohne die ich mir meine Art, die Amateurastronomie zu betreiben, kaum noch vorstellen kann.
Infos unter http://www.projectpluto.com/

Literatur:

Treasure-Hunting in Astronomical Plate Archives. Proceedings of the International Workshop held at Sonneberg Observatory, March 4 to 6, 1999. Ed. by Peter Kroll, Constanze la Dous, Hans-Jürgen Bräuer.
Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt am Main, 1999 (ISBN 3-8171-1599-7)
Dieser überraschend günstige Tagungsband (DM 38.-) sei allen Interessierten wärmstens empfohlen.

 


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 13.02.2003
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