Maxie Wander, so wie sie sich selbst am liebsten sah: beim Schreiben im Garten. Fotografiert von Fred Wander im Frühling 1963 (aus: Sabine Zurmühl "Das Leben, dieser Augenblick")
Geboren am 3.1.1933 im "roten" Wiener Vorstadtbezirk Hernals, Arbeitermilieu.
Schulabgang vor dem Abitur. Keine Berufsausbildung. Verschiedene Jobs von der Gelegenheitsarbeiterin bis zur Sekretärin.
1958 heiratet sie den Schriftsteller Fred Wander und siedelt mit ihm in die DDR über. Aufenthalte in der DDR, Österreich, Frankreich. Versuche als Fotografin, Journalistin, beginnt zu schreiben. 1968 verunglückt die Tochter tödlich.
Ab 1976 krebskrank, am 21.11.1977 gestorben. Kurz vorher Erfolg mit dem Buch
"Guten Morgen, du Schöne" (Frauen in der DDR, Protokolle). Posthum gibt ihr Mann unter dem Titel
"Maxie Wander. Tagebücher und Briefe"
Texte aus dem Nachlaß heraus. Auch dieser Band stößt auf große Resonanz. 1990 folgt unter dem Titel
"Maxie Wander. Ein Leben ist nicht genug"
ein weiterer Auswahlband.
Vieles zu Maxie Wander erfährt man in der 1996 erstmals erschienenen
Autobiographie von Fred Wander:
"Das gute Leben. Erinnerungen".
Das Buch ist 1999 auch als Taschenbuch erschienen und unabhängig von Maxie Wander unbedingt lesenswert.
Eher ärgerlich ist die 2001 im Henschel Verlag erschienene Biografie "Das Leben, dieser Augenblick. Die Biografie der Maxie Wander" von Sabine Zurmühl. Der Ton ist in einem unguten Sinne "journalistisch", der damit verbundene Anspruch, auch etwas "enthüllen" zu wollen, führt zu ziemlich verqueren Unterstellungen (Maxie Wander als "IM"???). Ärgerlich ist das betont distanzlose Gerede der Art "Die Fini-Tant' mit dem Erwin-Onkel beim FKK, schau mal!". Da das Buch kein Register hat, muß man sich selber eine Liste der wichtigen Personen mit korrekten Namen zusammenstellen. Aber leider kommt man um das Buch nicht herum, wenn man sich mit Maxie Wander beschäftigen will.
Wie bin ich zu diesem Buch gekommen?
"Tagebücher und Briefe" sowie den Erfolgstitel "Guten Morgen, du Schöne" 1997 antiquarisch gekauft, zuerst nur kurz reingeschnuppert und wie die meisten der rund 100 Bücher, die ich jährlich kaufe, erstmal liegen lassen - für die berühmten "ruhigen
Stunden" reserviert. Im Frühsommer 1998 lesen wollen, war aber nicht mehr auffindbar (von meiner Frau gelesen und verräumt worden). Nochmal gekauft, wieder liegen lassen.
Im Sommer 1998 ein Gespräch mit einer Kollegin über dieses Buch, dann endlich tatsächlich zweimal gelesen.
Was ist das für ein Buch?
Die Tagebücher und Briefe wurden posthum von ihrem Mann herausgegeben. Fred Wander war ein Opfer des Faschismus und mehrere Jahre in Buchenwald und Auschwitz.
Bestimmt war er vom Erfolg der Schriften seiner 16 Jahre jüngeren Frau selber überrascht, nicht ganz passend ist seine Bemerkung in der Einleitung, in der er vom "Werdegang eines einfachen Mädchens" spricht. Maxie Wander war eine sehr sensible und anspruchsvolle
Frau, die früh den Mut zu ungewöhnlichen Schritten aufbrachte (Übersiedlung in die DDR!) und sich ständig um ihre persönliche Weiterentwicklung bemüht hat, von selbstbestimmten Leben,
von produktiver Arbeit träumt und konsequent auf dieses Ziel hinarbeitet.
Kürzungen, Erweiterungen, Bearbeitungen sind im Text nicht kenntlich gemacht, ein Personenregister fehlt - der reine Text wird gegeben. Das Material ist in drei Teile organisiert:
Der erste Teil (9.9.76 - 5.12.76) beschreibt die Krankheit (Brustkrebs, Eileiter), die Operationen, Nachbehandlungen, das Leben im Krankenhaus, das Verhalten von
Freunden, von Ärzten, der Umwelt, die eigenen Ängste.
Der zweite Teil (12.1.72 - Januar 74) bringt eine dichte Darstellung der zwei Jahre ab 1972, ab dem Jahr, welches Maxie Wander selber als ein Schlüsseljahr für ihre persönliche Entwicklung bezeichnet. Als Einschub werden Texte der Zeit vom 30.1.68 bis 23.6.69
vorgestellt, als ihre Tochter starb.
Der dritte Teil reicht vom 13.4.77 bis zum November 1977, bis zum Tod von Maxie Wander. Ihr Buch kommt im Sommer heraus und hat großen Erfolg. Sie beginnt ein neues Buchprojekt, welches
aber über die Anfänge nicht mehr hinauskommt.
Die Themen von Maxie Wander sind gewissermaßen "allgemein menschlich":
wie soll man leben (besonders als Frau), wie soll ich mich verwirklichen, was bedeutet das?
wie gestalte ich meine Ehe, meine Familie so, daß niemand beschnitten ist? Wie sollte das
gesellschaftliche Umfeld beschaffen sein?
was bedeutet mir Heimat, Herkunft?
wie gehe ich mit meiner Endlichkeit um? (angesichts der Krankheit eine besonders drängende Frage)
Interessante Zitate:
Die Texte von Maxie Wander erreichen nicht das Abstraktionsniveau oder die Dichte der "Hochliteratur" - aber das ist auch gar nicht das Ziel ihres Schreibens. Oder besser: es wäre vielleicht das Ziel ihres Schreibens geworden, wenn...
Zunächst ist die Quelle ihres Schreibens aber das schriftliche Nachdenken über die bohrenden Fragen, wie man leben soll, wie man die verrinnende Zeit gestalten soll, und zugleich immer der Versuch einer Kommunikation über diese Themen (deswegen die vielen Briefe).
Aus dem Zusammenhang gerissene Zitate wirken deswegen schnell wie die Seelenergüsse schreibender Erstsemester, aber in der richtigen Stimmung gelesen wird der Stil schnell zweitrangig, und man bekommt Achtung vor der Intensität, wie hier jemand sich mit seinem Leben auseinandersetzt.
Daß die Menschen von Wünschen und Begierden nach Sachen verzehrt werden, ist nicht ihr größtes Gebrechen. Haben wollen und nicht rasch genug bekommen, scheint mir nicht das Hauptproblem. Viel schlimmer ist es, daß sie nichts zu geben haben. Auf eine kurze Formel gebracht. Haben wollen, aber unfähig sein zu geben - das ist das Dilemma! (S.42)
Das, was wir hier haben, Tanja, daß Menschen sich lange Briefe schreiben oder nächtelang ernsthaft diskutieren, das ist doch ein Luxus! (S. 59)
... Alles, was ich nicht gelebt habe, die tiefe Trauer über ungelebtes Leben, wieviel
Schönheit uns verlorengeht, für immer. Und wir leben manchmal so, als ob wir
unermeßlich viel Zeit hätten! (S.71)
Niemals wird ein Leser etwas nachvollziehen können, was er nicht schon kennt,
und sei es nur aus innerer Anschauung. Niemals wird er etwas lesen können, was
außerhalb seiner Erfahrungen und Möglichkeiten liegt. Wozu also schreiben? Für die
verwandten Seelen, die einem nahe sind, ohne daß wir die Dinge zerrden, das
Geheimnis töten? (S. 81)
Wieder mal ein globaler "Kassensturz" mit der obligatorischen Frage: "Was nun?":
( Ihre ) Situation
Eine neununddreißigjährige Wienerin (...), die ihre große Liebe gefunden
und geheiratet hat, einen schwer vorbelasteten, sechzehn Jahre älteren, gut
aussehenden, liebesfähigen, schwermütigen, feinfühlenden, zu Depressionen
neigenden jüdischen Mann. Sie hat zwei Kinder geboren, eines wieder verloren,
hat niemals einen Beruf erlernt, einige aber ausgeübt, sie hat ein Kind aus einem
Heim zu sich genommen, hat ihre Heimat verlassen und sie erst danach,
viel später, als Heimat begriffen. Hat das Wort Heimweh kennengelernt, das sie
früher verleugnete - hat einige Male erfolglos versucht, noch ein Kind auszutragen,
als Wiedergeburt der verlorenen Tochter. Sie hat mit einem Schlag das Altern begriffen,
das andere Leute vielleicht als Prozeß erleben, der nichts Erschreckendes hat, sie
mußte begreifen lernen, wie wenig sie sich vorbereiten konnte, allein vertrauend auf
ihren hübschen, noch immer jugendlichen Körper. Was nun? (S. 86)
Um der Sache ein Ende zu machen, zitiere ich die Sagan. Ein Journalist fragt sie, was sie über die Liebe denkt, sie antwortet kalt: "On n'en parle pas, on le fait!" (S. 92)
Bravo, Françoise...!!
Überall leben Menschen, und im Grunde haben sie die gleichen Probleme. Sie können
sich nicht ausleben, ersticken in den verborgenen Kräften, die keine Bestätigung
finden. Solange die Menschen nicht genug zu essen haben, hungern sie körperlich.
Sind sie aber satt, hungern sie seelisch, weil "der Mensch von Brot allein nicht lebt"!
(S. 95)
So etwas wie die folgende Stelle ist ja eher peinlich und klingt wie aus der Klamottenkiste gezogen - aber auch das ist Maxie Wander. Was maßt man sich eigentlich an, wenn man anderen unterstellt, einer Lebenslüge aufzusitzen, zu zerbrechen, wenn man diese nicht aufrechterhält? Obendrein nach vielen Geständnissen, selber auch nicht zu wissen, wie man leben soll...
Und immer deutlicher spüre ich, dass die meisten Menschen ihre ureigensten Probleme und Schwierigkeiten gar nicht sehen, dass sie vollkommen damit beschäftigt sind, ihre Kompensationen und ihren Ersatz zu entwickeln, ihre Lebenslüge aufrechtzuerhalten, weil sie nämlich sonst zerbrechen würden. (S.100)
... wird noch fortgesetzt...Kleine Anmerkung: obwohl ich diese Seite vor einigen Jahren nur schnell hingeschnuddelt habe, um etwas Stoff auf meine entstehende Homepage zu bringen, gehört sie laut Zugriffslogs zu meinen populärsten Seiten. Deswegen habe ich sie ab heute (01.12.2002) nochmal vorgenommen und werde sie in den nächsten Wochen wesentlich erweitern. Maxie Wander scheint noch sehr aktuell zu sein.