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Notizen zu Libuse Moníková - "Die Fassade"

Litomysl
Der langgestreckte zentrale Platz von Litomysl, von Norden gesehen
Litomysl
Der langgestreckte zentrale Platz, von Süden gesehen
Litomysl
Schloß in Litomysl, rechts die Südfassade mit dem Schloßportal
Litomysl
Detail der Westfassade
Litomysl
So sehen die "Graffiti" aus der Nähe aus
Litomysl
Detailansicht eines einzelnen "Graffiti": So versteht man das Prinzip
Litomysl
Orten und Marie sind eifrige Kinogänger, auch in Litomysl
Auf einer Kurzreise nach Wien, Litomysl und Prag im Juni 2004 habe ich diesen Roman zum vierten mal seit Anfang 1991 gelesen - er ist definitiv einer meiner Lieblingsromane. Ein großer Teil der Handlung spielt in Litomysl, eine Reise dorthin empfand ich fast schon als Pflicht. Alle gezeigten Fotos sind während dieser Reise aufgenommen.

Inhalt des Romans

Teil I) Böhmische Dörfer

1) 7-27 Die vier Maler und ihre Verhältnisse in Friedland werden anhand einiger Episoden aus dem Zeitraum eines Jahres eingeführt. Gerade wurde ihr Vertrag um zehn Jahre verlängert.

2) 28-48 Beginn der Arbeit an der Außenfassade; Schlacht mit den Staatsgutleuten aus Stadice, dann Verbrüderung im Gasthaus. Traum Ortens.

3) 49-67 Qvietone und Marie-Mercedes besichtigen eine Höhle, er begeistert und verliebt, sie zwiespältig zurückhaltend. Interessante Erzählungen. Sprung Qvietones am Ende.

4) 68-90 Marie-Mercedes kann sich retten. Lebensgeschichte von Vilma Janska in den 20-40er-Jahren. Ihre Liebesgeschichte mit Joh. Herzog. Politische Zustände in der Ukraine und CSSR damals. Privates über Marie-Mercedes.

5) 91-115 Qvietone taucht lebendig bei den Künstlern auf und wird ins Krankenhaus gebracht. Dort lernt später Orten Marie-Mercedes kennen. In einem Kino treffen sie sich zufällig wieder und gehen anschließend Wein trinken. Unterhaltungen über Filme und Ortens Japan-Aufenthalt.

6) 116-142 Die vier Künstler führen ein "Lustspiel über die nationale Erweckung" auf. Zwischendurch Unterhaltungen über Aktuelles, Literatur und Kunst.

7) 143-155 Andre Nordanc kommt als neuer Archivar. Pepi, Karla und Marcela unterhalten sich über Jirse etc (Familie). Unterhaltung von Orten und Nordanc über Nordancs Geschichte.

8) 156-174 Kunstausstellung im Zug des Smetana-Jahres, auch die vier vom Schloß stellen aus. Orten läßt sich überreden, eine Rede zu halten, bekommt dann aber soviel Angst, daß er ein Tonband bespricht und bei der Vernissage flüchtet. Trifft sich zwei Tage später mit Marie-Mercedes.

9) 175-192 über Max, die Katze, lernen sich Nordanc und Qvietone kennen und unterhalten sich. Gespräch Podol - Nordanc über Politik. Gespräch Nordanc - Qvietone über Biologie.

10) 193-207 Südfassade ist fertig. Gespräch über Prag, Scheissen und Kunst. Kafkas "Prozeß" als Anregung für Themen der Westfassade.

11) 208-222 Pepi fährt nach Hause, Verabschiedung durch Karla, Erzählung Pepis über ihr Verhältnis zu ihren Eltern u.a. Orten ist nach einem Kinogang bei Marie-Mercedes, erzählt über seine Bekanntschaft mit einer polnischen Bildhauerin, über seine Ehe und sein Leben. Irgendwann kommt eine Verstimmung auf.

12) 223-233 Ein Paket des Staatsgutes Stadice kommt mit Fressalien, dabei auch ein Brief des Thurn und Taxis. Beim Abschiedessen für die laufende Saison im "Widder" übergibt Jirse einen Brief an Orten mit einer Einladung nach Japan. Podol kann mit, Maltzahn und andere wollen mit. Es ist Mitte September.

Teil II) Potemkinsche Dörfer

13) 237-327 Die vier (Orten, Podol, Maltzahn, Nordanc) fliegen von Prag nach Moskau, von dort Richtung Sibirien. Ungeplanter Zwischenhalt in Swerdlowsk, dann über Omsk nach Nowosibirsk, wo sie ungeplant übernachten müssen. Am Morgen stößt in der Hotelhalle Qvietone zu ihnen. Bei einer Art Stadtbesichtigung verirren sie sich und werden von einem Lastwagenfahrer aus Versehen in den Akademikerort Akademgorodok gefahren, wo sie - teils wegen Mißtrauen - ca zwei Monate festgehalten werden, u.a. ein Theaterstück aufführen, eine Plastik erstellen und ein Eishockeymatch absolvieren müssen, bis sie weiterfahren dürfen.

14) 328-368 Ende November, Abflug von Nowosibirsk (ohne Qvietone). Maltzahn mit starken Zahnschmerzen. In schlechten Wetter landen sie in Tura - wo sie nicht hinwollten. Im Schneetreiben fahren sie mit einem Bus, bis es nicht mehr weitergeht, sind dann aber schon außerhalb der Stadt. Ein Mitfahrer (Oleg) bietet ihnen an, mit in seine Hütte zu kommen, wo sie nach eineinhalb Stunden mühseligen Marsches ankommen. Sie werden eingeschneit. Viele, auch kontroverse Unterhaltungen. Wegen seinem schlechten politischem Gewissen verläßt sie Oleg nach einigen Tagen. Es stellt sich heraus, daß Maltzahn einen Empfänger in seinen Zahn eingebaut bekommen hat. Nordanc gelingt es, eine Gruppe von Ewenken zu Hilfe zu holen, sie gehen mit ins Dorf. Der Medizinmann zieht Maltzahns Zahn. Großes Fest. Nach ca einer Woche brechen sie in Begleitung des Häuptlings auf, es kommt aber zu einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Komsomolzen, in deren Verlauf sie versuchen, mit einem Schneepflug zu fliehen, die Komsomolzen hinterher.

15) 369-382 Verfolgungsjagd, Orten fällt aus dem Schneepflug. Er wacht im Zelt von Elueneh auf, die über eine rein aus Frauen und Mädchen bestehende Gemeinschaft herrscht, dazu über viele Tiere, meist verzauberte Männer. Orten wird mit geheimnisvollen Mitteln gesundgepflegt, auch seine Potenz ist enorm gesteigert. Dank dem Genuß von Fliegenpilzen kann er fliegen... Bevor er die Siedlung verläßt gelingt ihm eine "Statue erster Ordnung", allerdings aus Eis.

16) 383-404 Orten wird von zwei Frauen der Gemeinschaft zu seinen Freunden gebracht die inzwischen bis nach Kurja gekommen sind. Er war sechs Wochen fort, obwohl für ihn nur eine Woche vergangen ist. Sie hausen noch eine Zeitlang in einem Schuppen der Fischereigenossenschaft, nehmen verschiedene Rauschmittel zum Zeitvertreib. Ende März werden sie von einem LKW-Konvoi nach Kirnsk und Ust-Kut mitgenommen, von Ust-Kut fahren sie mit dem Zug nach Irkutsk, um von dort nach Prag zu kommen. Probleme, von Irkutsk weiterzukommen. Ein alter Chinese, der sie schon eine Zeitlang verfolgt hat, spricht sie in einem Lokal an. Er war Bibliohekar, heißt Liu Chu ts'sai, und will die "Geheime Geschichte der Mongolen" zu Ende schreiben. Er übergibt ihnen alte Zeitungen und ein Buch (für Bibliothekare: "Rarissima") aus der Zeit, als Jaroslav Hasek noch politischer Kommissar der 5. Sibirischen Armee und später Redakteur und Agitator war (vgl. Kapitel 4).

17) 405-417 Über Ulan-Ude, Ulan-Bator, nochmal Ulan-Ude, am Baikal-See vorbei, über Krasnojarsk, Bolotnaja, Nowosibirsk, Tatarsk fahren sie Richtung Westen.

Teil III) Ohn' Unterlaß

18) 421-440 Am 1. Mai Ankunft in Litomysl, als gerade Umzüge stattfinden. Aus Arbeitslust gehen sie gleich zum Schloß, wo sie aber sehen, dass Thurn mit seiner ungarischen Verlobten sowohl Patera als auch Horsky und Jirse gekauft hat, schon restaurierte Sgraffitos abzuschlagen und die ursprünglichen harmlosen floralen Motive wieder anzubringen, weil er im Schloß heiraten will. Riesen-Krach und handgreiflicher Streit, Thurn und seine Tuss (pikanterweise eine Bathory - hier zeigt sich wieder das umfassende lexikalische Wissen von Moníková) werden verjagd, die vier (auch Patera) fangen wieder an zu arbeiten, mit Rieseneifer.

 

Personen

Orten, Jan 45 Jahre, Bildhauer, schweigsam, zurückhaltend, der "Denker" der vier. Zu ihm S.20o.
Podol, Stanislav 52 Jahre, Maler, selbstbewußt, der "Macher" der vier. Lustig, verheiratet. Verhältnis mit Hanna
Patera, Vaclav 60 Jahre, Maler, vier unverheiratete Töchter (eine verwitwet, zwei verlobt), unsicher, demütig.
Maltzahn, Olbram Bildhauer, diplomatisch veranlagt, "Außenminister" der vier Maler. Verhältnis mit Marcella, der Frau des Direktors
Qvietone, Erik 24 Jahre, Archivar des Schlosses, nach Kündigung eine Stelle im Museum, ist eigentlich am Promovieren; verliebt in Marie-Mercedes
Marie-Mercedes 38 Jahre, Ärztin, Schwarm von Qvietone, S.22/23
Nordanc, Andre 35 Jahre, Luxemburger, homosexuell, seit neun Jahren in der Tschechoslowakei, anfangs als neuer Archivar (Nachfolger Qvietones)
Hanna Studentin, in den Semesterferien Schloßführerin, Verhältnis mit Podol
Karla Kommilitonin von Hanna: Bohemistik, Romanistik; in den Ferien Schloßführerin
Jirse Schloßverwalter, einbeinig, knauserig, üble Rolle während der Besatzungszeit, Anschwärzer
Horsky Schloßdirektor - Angst vor Jirse, viele Verhältnisse mit jungen Frauen, verheiratet mit Marcela
Marcela Frau des Direktors - Verhältnis mit Maltzahn
Pepi 16 Jahre, Jirses Enkelin, "frühreif"
Svoboda Friedländer Maler. Zu ihm S.20u.
Patocka 70 Jahre, alter Archivar
Martin Metallograph des Museums

 

Der Untertitel lautet "M.N.O.P.Q.": das sind alphabetisch sortiert die ersten Buchstaben der Nachnamen der fünf Sibirienfahrer, Maltzahn, Nordanc, Orten, Podol, Qvietone. Eine andere Lösung fällt mir nicht ein. Patera fehlt (obwohl er einer der vier Künstler ist), weil er nicht mitfährt und weil er ihre künstlerische Arbeit verrät (gegen Thurns Geld).

Auf Seite 406f. erzählt Nordanc über Ataman Semenow und den Baron Roman von Ungern-Sternberg: Der Comic-Roman "Corto Maltese in Sibirien" von Hugo Pratt (Kult Editionen, 2000) spielt in dieser Zeit und mit diesen Akteuren. Weitere Infos auch in Michel Pierre / Hugo Pratt "Corto Maltese. Aus dem Leben eines Abenteurers", Calsen Verlag, Hamburg 1992, die Seiten 79-83 und 139-140.

"Die Fassade" an einem "Schloss" - das spielt natürlich auf Kafka an, wobei die vergeblichen Versuche, nach Japan zu kommen, an manche Passagen aus "Das Schloß" erinnern, während die Zeit in Akademgorodok eher an "Der Prozeß" anspielt.

Die Reisenden schaffen es nicht nach Japan, und dennoch war die Reise ein Erfolg, denn sie kommen gestählt und mit großem künstlerischen Arbeitswillen zurück. Besonders Orten, der an einer künstlerischen Erstarrung litt, kann wieder an Zeiten künstlerischer Potenz anknüpfen. So bewahrheitet sich, was Liu ihnen in Irkutsk über sein Projekt der "Geheimen Geschichte der Mongolen" sagt: "es reicht mir schon der Weg, tao, als Ziel"(S.402).

"Böhmische Dörfer" ist doppeldeutig. Handlungsort ist eine böhmische Kleinstadt - wieso dann "Dörfer" (Plural)? Als "böhmische Dörfer" bezeichnet man etwas, was einem unverständlich oder unbekannt ist (Brockhaus).
"Potemkinsche Dörfer" ist sprichwörtlich für Vorspiegelungen, für in Wirklichkeit nicht Existierendes: Das wäre etwa Eluenehs Ulbus: "Unsere Stadt heißt Ulbus, sie heißt immer gleich, sie ist aber immer anderswo. Suche uns nicht."
"Ohn' Unterlaß" (Teil III) - Was soll das bedeuten? Ist das ein Zitat?

Marius Fränzel, von dessen Buchkritiken ich sehr viel halte, urteilt ebenfalls sehr begeistert über Moníkovás Werke, speziell über "Die Fassade".

 


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 14.08.2004
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