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Jörg Fauser - Ich habe eine Mordswut

Jörg Fauser "Ich habe eine Mordswut". Briefe an die Eltern 1956 - 1987. Ausgewählt und herausgegeben von Wolfgang Rüger & Maria Fauser. (Frankfurt 1993) UB: 94A11437.

Jörg Fauser gehört schon lange zu meinen Lieblingsschriftstellern, fast alle Prosatexte von ihm habe ich gelesen. Es wurde Zeit, auch seine Briefe und sein Privatleben kennenzulernen. Berücksichtigt man die zeitliche Nähe zum überdeckten Zeitraum (Fauser ist am 17.7.1987 tödlich verunglückt) ist klar, das mit vielen Auslassungen zu rechnen ist, um Persönlichkeitsrechte noch Lebender nicht zu verletzen. So handelt es sich also nur um eine kleine Auswahl der 400 erhaltenen Briefe an die Eltern, "die die Entwicklung von Jörg Fauser am aussagekräftigsten dokumentieren" (aus "Editorische Notiz"). Nachprüfen läßt sich das selbstverständlich nicht, aber ich fand die Lektüre spannend und erhellend und habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen. Den Anhang hätte man sich etwas umfangreicher wünschen können, den Kontext der Briefe muß man oft versuchen zu ahnen, nicht alle Personennamen werden aufgelöst.
Die Briefe selber kreisen meist um das Thema des Schreiben-Wollens, Schreiben-Müssens, von anfänglichen Verteidigungen hin zu lässigen Auflistungen, wo die neuesten Sachen nun gerade veröffentlicht werden. Für Kenner von Fauser nicht überraschend sind seine literarischen Vorlieben (Benn, Hamsun, Roth, Burroughs, Ernst Jünger u.a.) und seine politische Einstellung, eine interessante Mischung aus Anarchie und Konservatismus. Mit "Linken" oder gar mit Hippies hatte er nie etwas am Hut.
Der Titel ist übrigens viel zu reißerisch für diese Briefe an die Eltern, die bis zum Ende der Korrespondenz mit "Liebe Mammi, lieber Pappi" angeredet werden: Das Titelzitat ist aus dem ersten Brief der Sammlung, in dem der noch nicht ganz zwölfjährige Fauser seinem Vater von seiner Lektüre von "Hannibal" von Mirko Jelusich schreibt und sich darüber ärgert, dass die Römer und ihre Sprache darin schlecht wegkommen.

Interessante Zitate:

Schon früh hat Jörg Fauser erlebt, dass bei Menschen Form nicht gleich Inhalt ist (hatte er vielleicht auch deswegen Probleme mit den bunt herausgeputzten Hippies?). Im Sommer 1964 hält sich der damals zwanzigjährige Fauser in London auf, hat Kontakt mit britischen und spanischen Anarchisten, und arbeitet an einem anarchistischen Blatt mit. Und wer schreibt die Kunstkritiken:
Der Mann, der die Kunstkritiken für mein anarch. Blatt schreibt, in einem wirklich klassischen Englisch, das du denkst, Oscar Wilde oder sonstwer hätte das schreiben können, von dem ich annahm, er sei ein hochästhetischer Edel-Anarchist (dieser H. Read schreibt lang nicht so) ist: ein Busschaffner, ein ältlicher, Cockney sprechender, glatzköpfiger, dicker Proletarier mit einem Straßenköter. (20.07.64, S.21)

Natürlich hat Fauser seinen Eltern manche Sorgen gemacht: Flüchtete von der Schule und hielt sich in London auf (kam erst auf Druck des Vaters wieder zurück), war Kriegsdienstverweigerer (Mitte der sechziger Jahre eine ernste Sache), wird drogenabhängig, macht Dienstflucht vom Ersatzdienst - schreibt aber aus diesen wilden Jahren dennoch auch sehr nette Sachen an seine Eltern. Hier zum Geburtstag des Vaters (einem Kunstmaler) zum Beispiel folgendes:
Wie groß jedenfalls auch die Schwierigkeiten zwischen uns im täglichen Zusammen- oder Nebeneinanderleben, in dessen Gewohnheiten und den Anschauungen und Empfindungen sein mögen, so spielen sie doch keine Rolle neben dem Wichtigsten, das ich in all diesen Jahren erlebt habe, und das mir aus meiner Jugend bleiben wird vor allem anderen: der zähen Arbeit, die Du in Deiner Kunst geleistet hast, den Gesprächen, die wir darüber führen, und den Bildern selbst, gerade weil ich kein Maler geworden bin, wiegt mir jedes Wort, das ich schreibe gewichtiger; und das Maß, mit dem Du gemessen hast und die Beharrlichkeit, mit der Du an Deiner Kunst festgehalten und sie entwickelt hast, werden mir Vorbild sein, und sind es schon bei meiner Arbeit. Daß ich wenigstens darin von Dir gelernt habe, kann ich Dir mit Sicherheit sagen, auch wenn Du es jetzt noch in dem, was ich schreibe, nicht erkennst. (23.05.65, S.21)

Nicht gerade political correct, Céline zu lesen, aber es spricht für Fauser:
Ich lese gerade ein sehr zynisches, aber gutgeschriebenes Buch - von L.F. Céline. Die Verrottung einer einst bewohnbaren Welt wird darin ergreifend und ebenso verächtlich beschrieben, ... (31.07.68, S.46)

Von Henry Miller hat er sich nicht blenden lassen - den wiederum ich eine Zeitlang toll fand (es braucht eben jeder seine Arznei):
Deine [des Vaters] H. Miller-Enttäuschung - eine echte Enttäuschung sicher nicht - kann ich ganz und gar verstehen, teile sie auch, nach nochmaligem Blättern seiner rororo-Monographie, mit vielen Fotos und allen möglichen Zitaten aus sämtlichen Büchern, das Ganze höchst penetrant, american-like, aufdringlich, mir nicht scharf, echt, tief genug; und sein Stil kotzt mich geradezu an.  [...]  Diesen Tibet-Tick habe ich übrigens Miller nie abgenommen, d.h. immer bezweifelt, ob Miller wirklich von Mongolengeist ist. Aber jeder hat sein Mache, was solls. (01.07.69, S.49)
In einem langen leidenschaftlichen Brief fasst Fauser seine Absichten, seine Poetologie zusammen und zerreist seine Kritiker. (01.03.70, S.57ff.)

Ende der Sechziger Jahre, Anfang der Siebziger Jahre wird Fauser immer häufiger gedruckt, er weiß, dass er ein Publikum braucht (ein Schriftsteller ohne Publikum ist lächerlich), und er weiß, was das Publikum braucht:
Na ja, ich bin sicher, daß ich irgendwann viel Geld verdiene, nicht, weil einem das gefällt, was und wie ich was schreibe, sondern weil ein gewisses Publikum Leute braucht, die Erfahrungen machen und sie hinterher denen, die nach Erfahrungen aus zweiter Hand dürsten, weil sie kraft eigener Leere nicht dazu fähig sind, verkaufen; das gab es immer und gibt es weiterhin, und zwar immer mehr. (07.04.70, S.62)

Fauser hat viel in TWEN, dieser unvergessenen Zeitschrift, publiziert. Als die TWEN-Redaktion zu einem Fauser-Beitrag einige zusätzliche "Facts" haben wollte (wieviel Ausländer sitzen in der Türkei im Knast, Gesetze in der Türkei, politische Situation) (01.05.70), regt sich der zunächst gleichmütige Fauser im nächsten Brief doch noch darüber auf:
Was deren facts betrifft, so ist das das typische Gehabe von Leuten, die ohnehin nie davon betroffen werden: ich möchte den Twen-Redakteur sehen, der in einem türkischen Gefängnis verschimmelt. Außerdem geht das Twen nichts an, oder Twen zuletzt, oder sowas. Facts! Facts! Sollen sie doch im türkischen Jahrbuch nachschlagen. Ich hingegen kenne facts, die nirgendwen angehn außer den Betroffenen. (08.05.70, S.63)

Warum macht man überhaupt Kunst, warum schreibt man Bücher und malt Bilder? Warum nimmt man die ganzen Unsicherheiten des täglichen Lebens auf sich?
Im Grunde ist, so wie ich das momentan sehe, jedes Buch oder Bild nur der Versuch, möglichst nahe an bestimmte Träume heranzukommen, jedenfalls ist es das, was ich versuche, Träume allerdings die durch die kaputt gemachte Welt da draußen verseucht und deshalb am Ende nicht angenehm und obladi-oblada sind, sondern verseucht und wenn nicht zerstört, dann verflucht; von Göttern, von denen wir nichts mehr wissen. (08.05.70, S.64)

In Passagen wie der folgenden spürt man, wie sorgfältig Fauser auch seine Briefe geschrieben hat. Das ist zweifellos ein Stück gute Literatur (und sehr heavy!):
Gestern nacht verhalf ich einem Tier zum Auf-die-Welt-kommen: der Schweizer, ein guter, in sich selbst wurzelnder Mann, und seine dicke Frau hatten außer ihrem Sohn keine Hilfe, um einer Kuh beim Kalben beizustehen, so kam er zu uns, und wir sahen also sowas zum ersten Mal, und mit dem Sohn des Schweizers zog ich aus Leibeskräften das schwarz-weiße Stück Kreatur aus dem Mutterleib, und die Mutter stand unsäglich verwundert dabei, die Ochsen unruhig, die Vögel im Stall begannen zu singen - und da lag dann dieses künftige Schlachtvieh im Stroh, der Schweizer rieb es ab, ich rieb mit, der Bauer, gerade von sonstwoher gekommen, mit gestreiftem Schlips und weißem Hemd stand daneben, sowas vergißt man nicht: die Augen des Tieres, das langsam aufnimmt, was die Welt ihm da hinhält: grobe Hände, Stroh, dampfende Ochsen, unverständlcihe Gesten, die irgendein Gott hohnlachend den Menschen auferlegte: wie weit weg von der Schöpfung dieser fett gewordene Bauer, welche Schöpfung, die einen Stock braucht und einen Strick, um einer Mutter das Kind aus dem Leib zu reißen, und beide, Mutter und Kind, nur ein Batzen in der Kasse des Bauern...
Man möchte dieser Welt, wie die Azteken annahmen, ein Ende in einer einzigen Explosion wünschen, nicht dieses entsetzlich langsame Dahinkriechen und alles reduziert auf Ziffern und Statistiken und alles mündend in der Unfähigkeit, Menschen wachsen zu lassen solange sie wachsen und Tiere ihren Teil an der Erde zu geben - was in Gottes Namen berechtigt uns eigentlich, etwas zu züchten, das die Schöpfung nicht hervorbrachte, und unser eigenes Ende entweder in Katastrophen und Bombenexplosionen und Gasvergiftungen zu verlegen oder uns künstlich länger am Leben zu halten? (12.05.70, S.65f.)

Wieder ein sehr langer und "zeitschriftenreifer" Brief wird am 11.06.75 aus Marokko geschrieben (S.72ff)

In Marokko hat es Fauser gefallen ("man könnte hier lyrisch werden"), aber süßlich und "intim tiefsinnig" ist nicht seine Sache:
- um das rauszufinden, muß man natürlich nicht erst nach Marokko fahren, aber die Distanz ist doch manchmal sehr wichtig, auch wenn man weiß, daß man letzten Endes zu der nördlichen Finsternis gehört, leider Gottes. (27.06.75, S.76)

Fauser ist natürlich eminent politisch, auch wenn er keinem Lager zuzuordnen ist. Er umschreibt das so:
Was die Situation rechts / links betrifft, bin ich immer weder noch sondern folge getreulich der Rothschen Maxime des monarchistischen Anarchismus atheistisch-katholisch-muselmanischer Richtung. (26.01.76, S.77)

Es freut mich immer, wenn ich auf begeisterte Hamsun-Leser treffe. Wer hat Hamsun nicht alles gelobt! Kafka, Benn, Peter Weiss, Henry Miller (auch der!), und natürlich auch Fauser:
Vorher las ich Thomas Mann-Erzählungen und muß sagen, so geschliffen er auch schreiben kann, seine Gedanken sind nicht durchweg so, daß man sie unbedingt kennen muß, und was seinen Stil angeht, gebe ich für einen Absatz Hamsuns, eine Seite Roths den ganzen Mann. (27.02.76, S.79)

Mit Kritik an seinem Werk setzt sich Fauser ernsthaft auseinander, auch wenn seine Repliken im ersten Moment etwas schnoddrig klingen mögen. Nicolas Born hat in einer Kritik von Fausers "trostlosen Welt" gesprochen. Fauser darüber an seine Eltern:
Zu Born und "meiner" trostlosen Welt - hm, SOO trostlos finde ich die Welt eigentlich nicht - wenn auch tatsächlich jeden Sinnes bar. Die Natur ergibt eigentlich viel Sinn, aber der Mensch? Wozu dies Gewurstl? Sicher habt ihr recht - meine Generation hat eigentlich nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnte, und ich glaube auch, daß die Schöpfungskraft im Menschen - zumindest im Westen - dahin ist, ausgelaugt, erschöpft. Woran glauben? An das Atom? An die Dichtung? Ich wünschte manchmal ich wäre Katholik oder Baptist, aber ich bin es nicht. Aber daß meine Gedichte trostlos wären, das finde ich doch nicht. (24.04.77, S.99)

Fauser kann den latenten Anti-Amerikanismus nichts abgewinnen und analysiert messerscharf, was hinter manchen Einstellungen steckt. Dabei kann er sehr ausfällig werden:
Neulich las ich im Konkret einen Aufsatz eines dieser Links-Autoren, für eine nationale DEUTSCHE Kultur u. gegen die amerikanische Literatur etc, Tonfall: übelster Antisemitismus, statt Semiten: Amis ... ich geriet so in Rage, daß ich jetzt noch mit dem Gedanken spiele eine saftige Sache zu schreiben, aber wer würde es drucken? Alles, was diese Linken anfassen, wird dreckig, gemein, widerlich und außerdem stimmt es von hinten bis vorn nicht: was wären wir denn, wenn wir keine Ami-Kolonie wären? Was wäre Europa, das ganze Europa, denn heute, wenn die Amis nicht in den Krieg gegangen wären? Muß ich mir als Europäer nun die neuen Erschießungs-Kommandos im Iran u. die Vietnamesen u. Kubaner u. Hottentotten als leuchtende kulturelle Vorbilder hinstellen lassen, aber Benn u. Hamsun u. die Amis sind alles imperialistische Schweine? Oh, ich rase ... aber es nützt nichts. (08.03.79, S.119f.)

Für mich ist es kein Wunder, dass Fauser von Brinkmann, "Rom, Blicke", begeistert ist, den Menschen Brinkmann aber eher distanziert beurteilt:
Ich bin sehr fasziniert von dem Brinkmann-Buch, das war ein ganz eigenartiger und erstaunlicher und wirklich künstlerischer Mensch. (07.11.79, S.125)
Was Brinkmann angeht sind wir ziemlich d'accord. Ein armer begabter Hund, ohne eigentlichen Überblick. (18.01.80, S.127)

Eher überrascht ist man, dass Fauser auch Ernst Jünger mit Gewinn lesen kann:
Also dann lieber Ernst Jünger [statt den "Sozis"]. Ich kenne ja bislang keinen Krieg, aber ich kann mir lebhaft vorstellen, mit welchen Gefühlen alte Landser diese Offiziers-Prosa lesen. Ich habe die Tagebücher ja im Bücherregal und werfe nur hin und wieder einen Blick hinein, als Fundgrube (siehe Fontenelle) sind sie grandios. Grandios auch finde ich viele Beschreibungen, Einsichten, Reflexionen. Das hebt sich doch sehr ab von dem normalen Murks, aber mir ist nicht klar, ob man Verdun, den Nationalismus, die "Marmorklippen" haben muß, um dazu zu gelangen. Wozu das führen kann, wenn es auf Kulturkritiker-Niveau sinkt, sieht man ja bei Bohrer.
Ah, mit welchem Genuß lese ich (zum 2. mal hintereinander) das Patagonien-Buch von Chatwin! Auch dies ist eine Fundgrube allermerkwürdigster Dinge u. Menschen, aber ganz ohne Verdun u. Stahlgewitter. (13.07.82, S.138)

(Abgetippt am 18.02.04)


Jörg Fausers Vater - Arthur Fauser - war Kunstmaler.


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 19.02.2004
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