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Ed van der Elsken - einige Lektürenotizen

elsken Ed van der Elsken - "Ed van der Elsken. Fotografie + Film 1949 - 1990"
Ausstellungskatalog Wolfsburg.

Angenehm aufgefallen ist mir dieser Katalog beim Besuch der Eric-Fischl-Ausstellung letztes Jahr (2003) in Wolfsburg. Ich habe ihn nicht gekauft, weil er mir a) zu teuer war und ich b) sicher war, dass er in der Heidelberger Unibibliothek (Schwerpunktbibliothek für Kunstgeschichte) vorhanden ist.

Wieder mal ein Fall, bei dem mir ein Buch nur wegen einer Abbildung ins Auge gefallen ist (andere Fälle: Claire Goll, Louise Brooks). Genauer gesagt handelt es sich natürlich um ein Bild mit einer schönen Frau.

Auf dem Buchumschlag befindet sich das für meinen Geschmack schönste Foto des ganzen Bandes. Es handelt sich gleichzeitig um ein Selbstporträt Ed van der Elskens, und zwar im Arbeits- und Lebenszusammenhang, und um ein Porträt seiner damaligen Freundin und späteren Frau Anneke Hilhorst. Und nicht zuletzt um ein erstklassig komponiertes Foto mit einer wunderschönen Frau, die stark und selbstbewußt und nicht anbiedernd oder gekauft aussieht. Kein Augenkontakt zum Betrachter, sondern ein kritischer Blick auf das eigene Spiegelbild. Über den Körper ein durchsichtiger, am unteren Ende geschmückter Stoff, der die blanke Nacktheit bricht, was die Frau noch erotischer aussehen läßt.

Der erste Aufsatz ist eine wenig konkrete Hagiographie - Schwamm drüber.

Die erste Bildserie: "Liebe in Saint Germain des Prés": Posen (aus Filmen oder aus dem Zoo bekannt), Zigaretten in jeder Hand, kein oder heute nicht erkennbarer Dresscode, unvorteilhaft geschminkte Frauen. Und Dreck, Schmutz überall: auf Tischen, auf Böden, auf Strassen (und ich erinnere mich an meinen ersten Paris-Besuch kurz vor dem Abi, 1973, als die französischen Toiletten noch berüchtigt waren, vor allem in den Örtlichkeiten, die sich mein Schulfreund und ich damals leisten konnten). Andererseits natürlich sehr "intensive" Gesichter - keine Masken.

Der beigegebene Text von van der Elsken, laut dem er unter "unter einem kleinen, umgestürzten Boot" schlief bzw "auf einer Bank am Boulevard" bringt so die typischen Selbststilisierungen: Auf dem Selbstportät mit Vali Myers sieht er recht gepflegt aus. Und ob man mit einer recht umfangreichen und augenscheinlich teuren Fotoausrüstung einfach im Freien schläft... Glaub' ich nicht. Schön, dass man im Fotoindex häufig die Namen der Fotografierten erfährt. Die Menschen waren keine zufälligen Opfer eines Fotografen, sondern der Fotograf begleitete eine Gruppe junger Menschen über einige Jahre in ihrem Alltag.

Viele Fotos (sicher bin ich bei einem Dutzend) des Bandes sind bekannt, hat man schon irgendwo gesehen, ohne dass man unbedingt weiß, dass sie von Ed van der Velsken sind.

Es gibt fast keine dicken Menschen auf den Aufnahmen (vor allem aus der Pariser Zeit). Mindestens die jungen Leute sind schlank bis dünn: dieses ganze schwabblige und pummelige von heute fehlt.

Ein ziemlich kitschiges Zitat von van der Elsken:
"Es ist wirklich kein Spaß, zur Avantgarde zu gehören, (...) seiner Zeit voraus zu sein, Dinge zu sehen und zu können, von denen man genau weiß, daß sie richtig sind und daß sie hinhauen, und dann festzustellen, daß keiner was davon wissen will. Sicher, nett für später ist es schon, wenn man tot ist oder alt, aber einstweilen reibt einem das Dasein als 'verkanntes Talent' ganz schön die Nerven auf." (1952/53). S.54 oben.
Von heute aus gesehen wohl ein sehr kitschiger Geschichtsbegriff - eindimensional: Wer heute noch von Avantgarde spricht oder sich gar dafür hält, hat sich schon disqualifiziert.

Ed war von 1950-55 in Paris.

Marc M. Hartmann (S.54-59): "Liebe in Saint Germain des Prés" ist ein Fotoroman. Gleichzeitig auch ein Zeitdokument: Der Optimismus nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich schnell verflüchtigt, der kalte Krieg hat begonnen, die Kolonialstaaten bekommen Probleme mit ihren Kolonien.

Ed lebt zunächst in einem Dienstbotenzimmer (NICHT als Clochard).

Zusammenleben mit der ungarischen Fotografin Ata Kando (*1913). Heirat 1954.

Drei Jahre Aufnahmen einer Gruppe von Jugendlichen, er fühlt sich angezogen von deren Melancholie und Wut und Schwärze, vom Pessimisus und Defätismus. (S.56)

Saint Germain des Prés galt zu jener Zeit auch als Zentrum des Existenzialismus; Ed hier sehr kritisch:
"Der Mythos von den beboppenden, pseudointellektuellen, pseudokünstlerischen jungen Leuten, die in den dekorativen Kellern Jazzmusik hören und sich über Sartre austauschen, ist veraltet, unzutreffend oder zumindest sehr kurzsichtig. Die Tourismusindustrie versucht, ihn weiterhin als wahr zu verkaufen, er ist jedoch geschmacklos, entehrend und vor allem ärgerlich. Die Jungen und Mädchen, die dabei mitmachen, sind Widerlinge, Prostituierte, rückgratlose Waschlappen, Widerlinge also." (Ed 1954, S.57)

Ein Zitat von Vali Myers (1972, zu dieser Zeit in Positano lebend), die im Fotoroman die weibliche Hauptrolle spielt:
"Wir lebten auf den Straßen und in den Cafés wie eine Meute von Straßenkötern".

S.76 u 77: schöne Aufnahmen von Ata Kando (76: Selbstporträt mit Ata Kando).

S.79 Michael Naura im Text zu Jazz:
"Van der Elsken hat eine uralte Heilregel ins Bild gesetzt: wirf gelegentlich deine Fesseln ab, Freund, sonst landest du noch bei der Nilpferdpeitsche deines Familien- beziehungsweise Berufslebens in der Klapsmühle."

Zwei Aufsätze zu Eds Filmen: Diese kommen (durch die Blume gesagt) nicht gut weg, Ed war zu selbstverliebt, zu theoriefern, zu wenig interessiert an Konzepten. Letztlich war er als Filmemacher nur ein Amateur.

Fazit: Seine Fotos sind gut, aber oft etwas zu hart (= kontrastreich) vergrößert.

Biographie

Lebensdaten: 10.03.1925 (Amsterdam) - 28.12.1990
ab 1950 Zusammenleben mit Ata Kando, Heirat 1954, Scheidung 1955
1956 erster wichtiger Fotoroman (Saint Germain)
1957 Heirat mit Gerda van der Veen
1959/60 gemeinsame Weltreise
1971 Trennung von Gerda
1972 Anneke Hilhorst zieht bei Ed ein (Heirat 1984)

Interessant fand ich beim Recherchieren des Umfelds das Leben und das Werk von Ata Kando sowie die Lebensgeschichte von Vali Myers, die Frauen wie Patti Smith beeinflußt hat.


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 04.03.2004
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