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Karl August Böttiger - "Literarische Zustände und Zeitgenossen"

Böttiger
Karl August Böttiger (1760-1835), Gemälde von Tischbein

Die ersten Zitate habe ich abgetippt: da habe ich natürlich automatisch die Rechtschreibung etwas modernisiert (die Fassung der Handschrift kann man im Buch goutieren). Später habe ich nur noch gescannt: da bleibt die von Böttiger gewählte Rechtschreibung meist erhalten.

Interessante oder lustige Zitate

Nach einem Abendessen bei Wieland am 8.10.1791 wurde in hochkarätiger Runde folgendes wichtige Thema ventiliert (S.30):

Unter der Überschrift "Weimarsches Geniewesen" bekommt beiläufig die folgende Gestalt ihr Fett ab (S.38):
Sehr appetitlich. Die "Weiber" kann man nur bedauern. Vielleicht muß man aber auch uns bedauern: nur die wenigsten dürften ad hoc wissen, wie ein Wiedehopf aussieht, geschweige denn wie er riecht. Mit einigen Tatstatureingaben hat man zwar heutzutage eine große Enzyklopädie konsultiert (die selbstverständlich auf der Festplatte allzeit dienstbereit ist) und weiß dann, wie dieser seltsame Geselle aussieht - aber der Geruch bleibt unbekannt. Schade.

Am 12. November 1796 äußert sich Wieland über Merck und Goethe (S.42):
Noch ein cynischer Sonderling wird erwähnt (interessant die Verwendung des Wortes). Ein Programmpunkt der Sitzung des Weimarer Gelehrtenvereins am 23.3.1792 war der Geheime Rat Bode mit seiner Übersetzung von Montaigne, aus der er einige Proben vorlas (S.66):

Klar, dass ein eigenes Kapitel von Goethe handelt. Hier zuerst die Beschreibung von Goethes "Häuslichkeit" um 1795 (S.67f.):
Allerliebst. Ganz klar, dass Goethe heute zuhause einen Jogginganzug tragen würde und für kleinere Gänge ins Freie eines der berüchtigten Ballonseidemodelle überziehen würde. Wer weiß: vielleicht sogar Männer-Leggins.

Goethe über Homer und die Menschheit... (S.68):
Zweifellos. Aber welche Gestalt? Nach der Lektüre von Christa Wolfs "Kassandra" überkommt einem ein Frösteln über diese "homerische Welt" (wo so viele Vorläufer der "Blonden Bestie" "nach Beute und Sieg lüstern" durch die Landschaft streiften). Und auf der anderen Seite: für den Kohelet würde ich die Illias hergeben (für die Odyssee allerdings nicht). Wie Arno Schmidt so nett in seiner "Julia" schrieb: "... man muß schon wählen zwischen Schnitzel und Koheleth ..." (Julia, S.66). Sicherlich hätten Arno Schmidt und Goethe Kohelet gewählt.

Man muß Herders "Briefe und Aufzeichnungen über eine Reise nach Italien" (ich habe die schöne Ausgabe aus dem Rütten & Loening Verlag, Berlin 1980, herausgegeben von Walter Dietze und Ernst Loeb, Titel: "Bloß für Dich geschrieben") gelesen haben, um bei folgenden Anmerkungen Böttigers Bescheid zu wissen:

Auch diese Stelle kann jeder Leser von Herder-Material bestätigen:

Eine interessante Stelle zur Mutterliebe (oder zur Deutung der Mutterliebe) findet sich im Bericht über ein Treffen bei Herder im Dezember 1796, bei dem u.a. über ein Buch von Hißmann gesprochen wird:
Und in den Anmerkungen, in denen eine längere Stelle aus Hißmanns Buch zitiert wird, kommt es richtig drastisch:
Im Folgenden bin ich ganz überrascht über die Charakteristik Kants - das hätte ich mir in den beiden sterbenslangweiligen Seminaren, die ich zu Kant besuchen mußte, nicht träumen lassen: Wieland (über dem nun ein langer Abschnitt des Buches handelt), hatte zu unrecht einen gewissen Ruf wegen einer angeblichen Schlüpfrigkeit seiner Schriften. Er selber sah das ganz anders: Wieland hat oft über seine eigenen Werke und sein Leben reflektiert. Ein interessantes Gespräch wird dem Thema gemäß sehr detailliert von Böttiger wiedergegeben: Ich habe mich in den Achtziger Jahren mal lange und intensiv mit der Kunst und dem Leben des Goethe-Tischbein (Johann Heinrich Wilhelm Tischbein) beschäftigt. Bei dieser Passage hatte ich daher sofort das wunderbare Porträt Bodmers vor Augen:
Bodmer gemalt von Tischbein
Johann Jakob Bodmer, gemalt von J.H.W.Tischbein 1781/1782

Über Erotik wird recht oft diskutiert, wenn die berühmten Männer von Weimar unter sich sind. So hier über den erotischen Witz: Ein schönes Beispiel für die krasse Ausdrucksweise unserer Klassiker im intimeren Rahmen: Hier bekommt dagegen Wieland sein Fett ab: Wieland liefert ein schönes Beispiel für eine funktionierende Ehe. Seine Trauer nach dem Tod seiner Frau finde ich sehr rührend: Die folgende Passage über Auswüchse in der Genieperiode von Weimar ist erschreckend: Ich hätte mir die Hand von Goethe dann wohl nicht mehr drücken lassen...
Zum Erholen nochmal eine schöne Passage über Wielands Liebe zu seiner Frau: Der Anatom Ferdinand Justus Christian Loder, Professor in Jena, hatte natürlich wie alle Anatomen seiner Zeit seine private Präparatesammlung. Jede Sammlung hat ihre Prachtstücke, auch diese: Nun eine Super-Charakteristik von Johannes von Müller zu Sylveden. Arno Schmidt hat über Johannes von Müller einen seiner Funk-Dialoge geschrieben. Ein ansehnlicher Teil des Buches handelt von Anne Louise Germaine de Staël-Holstein, u.a. Verfasserin des einflußreichen Werkes "De l'allemagne". Böttiger ist offenbar fasziniert von dieser Frau, die zu Beginn ihres Aufenthalts in Weimar zunächst reserviert behandelt wurde, oder - wie Böttiger etwas ironisch formuliert: Eine schöne Stelle zur Philosophie Kants und überhaupt ein wichtiger Satz: Hier hat sie vollkommen recht: Zum guten Schluß eine ganz unklare Stelle aus einem eingeschobenen Abschnitt über Benjamin Constant, dem Begleiter der Staël: Was war da bloß los in Bern??

Boettiger
Der kritisch zuschauende Böttiger...

Karl August Böttiger - "Literarische Zustände und Zeitgenossen"
Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar
Herausgegeben von Klaus Gerlach und René Sternke
Aufbau Verlag, 1998
ISBN 3-351-02829-6


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Gestaltet von Béla Hassforther. Letzte Änderung: 06.10.2003
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