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Digitalisierung von Carl Gotthard Grass - Sizilische Reise.
Begonnen März 2014.
Letzte Änderung: 14.04.2014

 


 

Sizilische Reise,
oder
Auszüge aus dem Tagebuch eines Landschaftmalers

Von Carl Graß

Erster Teil

Mit 11 Kupfern

Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1815

Zueignung

an Herrn von Rechberg, Freiherrn und Komtur des Malteser-Ordens [mit hoher Wahrscheinlichkeit Joseph Maria von Rechberg, 1769-1833]

Ihnen, edler Mann und Freund! widme ich diese sizilischen Erinnerungen, und ich freue mich Ihnen dieses öffentliche, wenn gleich geringe Zeugnis meiner innigsten Verehrung, Liebe und Dankbarkeit geben zu können.

Was Sie mir in Sizilien waren, das werd' ich nie vergessen. Mit Geist und Herz drangen Sie in den ganzen Zweck meines dortigen Lebens ein, uns Sie müssen es fühlen, was es sagen will: einem Menschen in den ausgezeichnetesten Augenblicken seines Lebens unvergesslich geworden zu sein.

Freuen Sie sich dessen! wie ich mich dessen immer freuen werde, dass es so war.

Alles ist glücklich gegangen. Glücklich bracht' ich auch meine sizilischen Zeichnungen und Papiere, besonders meine Sammlung von Umrissen aus dem ganzen Umkreise des Ätna, übers Meer, und die Schule jener Natur und jenes Himmels ist nicht ganz an mir verloren gegangen. Was ich damals noch nicht ganz verstand, das hab' ich in der Folge reiner und heller aus meiner Seele herausgemalt, und jetzt weiß ich es, was jener Aufenthalt auf der Insel mir gewesen ist.

Wäre der Krieg nicht gekommen, so wäre ich wahrscheinlich noch einmal nach Sizilien gegangen, und dann hätt' ich aus den Lorbeerzweigen, die an dem Wandspalier unsrer Trekastanischen Wohnung sproßten und aus der Anpflanzung Ihres Katanischen Gärtchens, einen Kranz geflochten und Ihnen den gesandt.

Statt dessen erhalten Sie diese Blätter mit dem Wunsche, dass sie irgend eine angenehme sizilische Erinnerung in Ihnen wiederbeleben mögen. Sagen Sie, dass mein Andenken Sie gefreut habe, so bin ich für die Mühe des Schreibens, zu der ich mich nicht eher entschließen konnte, als bis ich von innern Bewegungsgründen dazu gleichsam gezwungen war, reichlich belohnt.

Wie Ihr Auge einst Zeuge von meinen Umrissen war, so sei Ihr Urteil nun ein Kriterium von der Richtigkeit meiner Angaben, Ansichten, Bemerkungen. Gern unterwerf' ich mich diesem Urteil, denn Wenige kennen Sizilien wie Sie.

Sizilien ist meinem Ohr ein magischer Laut geworden. Ihr Name behält in meinem Herzen wie in meinem Leben seine Stelle.

Rom im April 1808

Carl Graß,
Landschaftmaler aus Liefland

 

Für ein größeres Publikum schreiben zu wollen, konnt' ich mir nicht vorsetzen, weil ich dazu keinen Beruf in mir fühle; auch dacht' ich während meines Aufenthaltes in Sizilien niemals daran, eine Reise schreiben zu wollen, wenn ich gleich, besonders auf meiner Alleinreise, ein genaues Tagebuch führte. So vergingen auch nachher noch ein paar Jahre, in denen ich nichts aufsetzte, sondern nur als Künstler zu erfahren suchte, was Sizilien mir gewesen sein möchte. Erst nach diesen Erfahrungen und nachdem durch die eingetretenen Zeitveränderungen selbst, meine sizilischen Erinnerungen, mir ein größeres Heiligtum geworden sind, ward es mir natürlich zu glauben, dass dasjenige, was so ganz ungesucht einen entschiedenen Wert für mich erhalten hatte, auch Andern etwas sein könne. Dies bewog mich zu einer mir nicht geläufigen Arbeit, bei der ich fern von allem, was einer Anmaßung ähnlich sähe, mir nur das als etwas verdienstliches anrechnen könnte, dass Künstler selten dazu gelangen, von ihren Ansichten, Erfahrungen, Beobachtungen etwas bekannt zu machen. Es sei mir nun erlaubt, kurz zu entwickeln, wie ich nach Sizilien kam, und wie das erste Interesse für die Insel bei mir entstand.

Inhalt

Verzeichnis der zu diesem Teile gehörenden Kupfer

No. 1. Messina gegen Scilla
No. 2. Messina gegen Reggio
No. 3. Taormina vom Meerufer gesehen
No. 4. Ansicht des Ätna vor dem Theater von Taormina
No. 5. Ansicht des Ätna bei Petarra
No. 6. Die Ziegenhöhle auf dem Ätna
No. 7. Syrakus gesehen von Fremila, mutmaßlich dem ehemaligen Landsitz Timoleons
No. 8. Ansicht der Gegend des alten Agrigents, von der Höhe des heutigen Girgenti
No. 9. Ansicht der argadischen Inseln bei Trapani vom Wege nach Segest
No. 10. Auf dem Wege von Alcamo nach Sala di Partenico
No. 11. Palermo, aus der Gegend des Mare dolce, gegen den Pellegrino

 

Sizilische Reise

Einleitung

Indem ich den Gedanken fasse, einige Reminiszenzen aus dem schönsten und mir unvergesslichsten Jahr meines Lebens niederzuschreiben, schwebt mir die angenehme Hoffnung vor, dass irgend jemand, der als Künstler oder Freund der Natur Sizilien besuchen möchte, mir es Dank wissen wird, dass ich mich dieser Arbeit unterzog. Einen solchen mir Unbekannten denk' ich mir als den Leser, als den Gedankengefährten meiner Reise, und von ihm hoff' ich Entschuldigung und Nachsicht, wenn ich nicht mit strenger Ängstlichkeit das Allgemeinere vom Individuellen trennen will, und mich noch einmal mit meinem ganzen Ich in jene beglückendere Zeit meines Lebens zurückversetze, um desto lebendigen, inniger und wahrer das ihm mitzuteilen, was auf mich tiefern Eindruck machte.

Seit früher Kindheit zog mich eine anhaltende Sehnsucht nach einem südlichen Lande. Dieser Wunsch wurde mir zum Teil befriedigt, als ich die Schweiz und Italien sah, aber nicht gestillt. An den Küsten von Salerno und besonders von den Höhen von Capri und Ischia flog mein Blick in jene magische Ferne, in welcher ich Sizilien und die griechischen Inseln dämmern sah, aber es war diese Sehnsucht gleich der Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem.

Gleichwohl ließ sich ein geheimes inneres Verlangen um so weniger unterdrücken, je mehr die schöne Wirklichkeit des neapolitanischen Landes mir ein Maßstab für die idealischeren Schönheiten Siziliens gegeben hatte. Vieles vereinte sich, den Namen Sizilien zu einem bedeutenden Laute für meine Phantasie zu machen. Unter andern erinnerte ich mich, dass mir einst Herr geheime Rat von Goethe gesagt hatte: Sizilien ist noch schöner als das neapolitanische Land.

Jedes Sehnen verlangt Befriedigung, und wäre es nur bis zu einem gewissen Grade. Ich fragte: was ist auch wohl Wahres oder Falsches an meiner Vorstellung von der Insel? - worin weicht ihr Charakter von dem des festen Landes ab? - worin besteht ihre höchste eigentümliche Schönheit?

Kupferstiche, Zeichnungen, Gemälde; die charakteristisch gewesen wären, fand ich nicht. Von Künstlern, die Sizilien bereist hatten, kannt' ich nur den Landschaftsmaler Kniep und den kürzlich gestorbenen Maler Pequignon [Jean Pierre Pequignot, 1764-1804 oder 1765-1807]. Ersterer sprach mit Wärme von den reizenden Linien der Berge und der Küsten Siziliens und von der schönen Vegetation u.s.w. Pequignon aber sagte: das Detail ist dort schöner als das Ganze; das Ganze hat etwas Kleinliches. - Alle diese Nachrichten waren zu oberflächlich, um mich zu befriedigen. Meine Phantasie drang in das unbekannte Innere der Insel. Sie sah nach alten Traditionen um den Ätna herum wundervolle Täler, wo fremde Gewürzbäume blühten und dufteten, und sie sah den Ätna umgeben von einer endlosen Fülle von Mannigfaltigkeit, Hoheit, Größe.

In dem Winter 1803 fiel mir Stollbergs Reise durch Sizilien in die Hände [Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 1750-1819]. Er hatte mit der zartern Empfänglichkeit einer poetischen Seele das schöne Land gesehen. In vielen seiner Detailschilderungen ist unverkennbar Wärme, Treue und Wahrheit. Daher konnt' ich mich nicht enthalten, - ohne weitern Zweck dabei zu haben - eine Menge kleiner malerischen Schilderungen aus jenem Buche auszuziehen und aus den Eindrücken und Vorstellungen, die mir beim Lesen geblieben waren, sizilische Landschaften zu komponieren. Diese Umrisse sind mir noch jetzt wert. Eine jener Kompositionen sandt' ich als Andenken der Liebe an Friedrich Schiller. - In demselben Winter wurde mir der Antrag gemacht, einige Nordländer, die sich zu einer Reise nach Griechenland vereinigt hatten, durch Sizilien dahin zu begleiten. Nun fing ich an bestimmtere Vorbereitungen zu machen, aber die Sache kam, des Krieges wegen, nicht zu Stande, und planmäßig gab ich nun die Idee zu einer Reise nach Sizilien auf, die ich mir als zu kostbar oder als sehr gefährlich, oder als unvereinbar mit anderweitigen Zwecken dachte. Aber was uns zu einem höhern Göttergeschenk werden soll, kommt von selbst. Im Jahre 1804 wurde ich, fast gegen meinen Willen, bestimmt, eine vorhabende Fußreise durch's Abruzzo mit der Fahrt nach Sizilien zu vertauschen. - Dieses Verdienst hatte um mich ein junger Gelehrter, Herr Rehfues aus Tübingen, dessen früher in Rom gemachte Bekanntschaft mir dadurch und durch die später von ihm erfahrene Teilname, als ich mich zu einem längern Aufenthalt auf der Insel entschloss, für immer unvergesslich bleiben wird.

So ist es geschehen, dass ich Sizilien sah, und aus allem Vorigen erklärt es sich, wie, selbst nach dem Aufenthalt eines Jahres, meine Empfindung noch immer mit gleicher Wärme und Leidenschaft an der Insel hängen konnte, und es ist mir, als hätt' ich nur einen schönen langen Tag auf ihr gelebt, von dem ich noch jeden einzelnen Moment kenne.

Mit jener Leidenschaft überwand ich alle Schwierigkeiten, Hindernisse, Gefahren, die sich mir entgegensetzten, und Alles, selbst die Entbehrung und das Unangenehme wurden mir in Genuß verwandelt, weil außer der innern glücklichen Stimmung meiner Seele mein ganzes Leben auf der Insel von einer Reihe von glücklichen Umständen und Zufällen begleitet war.

Ich befand mich, als ich nach Sizilien ging, in einer Gemütsstimmung, die ich jedem Reisenden wünsche, auf den das Schöne und Beglückende tiefern bleibendern Eindruck machen soll. Italien hatte eine größere Empfänglichkeit für seine Vorzüge und gleichsam eine reinere Geistigkeit in mir entwickelt. Alles Vorige war als Vorbereitung in sanften Schatten zurückgetreten, und wenige bewährtere Ideen und Gefühle knüpften, wie mit goldenen Faden, mein neues Dasein an das Vorige. - Es war mir daher, als ich die sizilische Küste betrat, als wär' ich über die stygischen Fluten geschifft, und als wäre unter freundlichen Erscheinungen und Bildern einer schönern Welt die geläuterte Psyche Gefährtin meines Ichs geworden. - Kein früherer Kummer, keine durch Zufälligkeiten entstandene Leidenschaft, keine Sorge für künftige Lebensplane sollten oder durften mir folgen. Nur was mir in meiner Ideenwelt als erfreuliche Wahrheit aufgegangen und zu einer Sonne geworden war, was gebundene Kräfte in mir losgebunden, und mich mit innigerer Liebe an eine freiere und frohere Lebensansicht, wie man sie nur mit Kenntnis des Geistes der Alten und in einem schönen Klima fassen lernt, geknüpft hatte: das nur fühlt' ich als mein schöneres Eigentum. Es war die Folie, durch welche alle Farben der neuen Umgebung höhern Glanz erhielten. - Hieraus ergibt sich der psychologische Zusammenhang, warum die Bilder meines frühsten Kindheitslebens, mit allen ihren anziehenden Reizen, mir nirgends näher lagen, als in jenen sizilischen Tagen, wie wenn es Bilder einer und derselben durch Homogenität belebten Empfindung gewesen wären.

Wie sollt' ich daher anders, als mit Wärme an meinen Aufenthalt auf der Insel denken, oder wie sollt' ich bei Aufzeichnung meiner Erinnerungen mir eine ängstliche Regel vorschreiben können? - Ich weiß nur wiederzugeben, wie ich's empfangen habe, und die Sache, die Andern etwas sein soll, muß zuerst mir selber etwas sein. -

Genug, wenn ich nur Einem und dem Andern mich verständlicher machen, nur Einem und dem Andern nützlich und zum Genuß höherer Freude behilflich sein kann. Und warum sollt' ich daran zweifeln? - Wenigen dürfte es ihre Zeit erlauben, so lange in Sizilien zu bleiben, als ich da war, und Wenigen möchte das Glück so hold sein, als es mir dort war. Die getreue Darstellung meines Künstlerwandels durch die Insel, besonders von dem Augenblicke an, als ich in der heißesten Jahreszeit und allein die Reise an der nördlichen Küste hinunter machte; mein langer Aufenthalt in dem verwaisten Schlosse zu Brolo; die Tage auf dem Ätna, wo ich zwei Monate lang blieb, und meine letzte Frühlingsreise über den Hybla [Monti Iblei, auch Hybläische Berge genannt] nach dem Gräbertal Pentalikar [die Nekropolis von Pantalica liegt in den Monti Iblei zwischen den Orten Ferla und Sortino, die Entfernung von Syrakus beträgt etwa 35 km], nach Theokrits Vaterstadt; meine späteste Wiederkehr nach Taormina und mein letzter Zug mit Alfio, dem Mann voll hoher Natureinfalt und voll ehrfurchterregenden Natursinnes, durch die Waldregion auf den Höhen der nördlichen Küste, werden selbst denjenigen nicht ohne alle Teilnahme lassen, der nicht in meinen besondern Zweck eindringt. Mein Leben in Sizilien war kein gewöhnliches. Meine schönsten Freuden waren die Frucht von Entbehrung, Mühe, Ausdauer. In längerer Zeit durften Klugheit und Vorsicht nie von mir weichen. Dann gab es auch wieder Wochen und Monate, wo ich in dem harmlosesten Genusse schwelgte, und fast keine Idee von einer Sorge, einer Mühe oder von etwas Unbehaglichem kannte, denn mein ganzes Sein, Empfinden und Leben war Freude.

Noch eine besondere Rücksicht hat mir zur Bekanntmachung meiner Reise durch Sizilien bestimmt. Diese ist, dass so bald schwerlich ein Reisender die Insel unter so friedlichen Umständen, gleichsam in ihrem ruhigen Kindheitszustand sehen wird, wie ich sie sah.

Sizilien hatte damals - und hierauf gründete sich mein Vertrauen, auch allenfalls allein die Täler zu durchirren - noch keinen Krieg erfahren, sondern nur von Kriegen der Nachbarn sprechen gehört. Seit vielen langen Jahren hatten die Einwohner, auf alle Art von der Regierung vernachlässigt, abgeschieden durch das Meer vom nähern Verkehr mit dem festen Lande, und getrennt unter sich selbst durch den Mangel an Straßen und Handelsverbindung, dahingelebt wie ein Völkchen der Urwelt, oder wie ein Völkerstamm auf einer der abgelegenen Inseln des Ozeans. Zwar hörte man von Unsicherheit der Wege sprechen, aber dem Reisenden geschah doch kein Leid. Der Hass gegen die Franzosen hatte sich fortgepflanzt, aber fast als bloße Tradition. Öfters erfuhr im Misstrauen, und geriet bisweilen sogar in Lebensgefahr, aber meistens war kindische oft lächerliche Furcht der Unwissenheit oder Missverstand die Ursache davon, und dasselbe Volk, gegen das ich Ursache hatte auf meiner Hut zu sein, welches nach einiger erlangten Erfahrung leicht war, wurde mir bei und nach solchen Vorfällen nur um so werter.

Welche Stunden verdankt' ich dieser Lage der Sache auf dem romantischen Eiland! Wie sorglos konnt' ich mich in der abgeschiedensten Gegend dem Genuss eines poetischen, in seinen Verhältnissen so einzigen Landes überlassen! Ich zog durch Sizilien, wie durch die Ruinen eines schönen Gartens der Vorwelt, in welchem von der Natur besiegt das Künstliche selbst wieder zur Natur geworden ist.

Dieser Zustand der Insel lässt sich bei dem jetzigen Sizilien schwerlich voraussetzen. Es war fast immer ein Wunder, dass der so nahe an Kalabrien grenzende Sizilianer doch so wenig den wilden, blutgierigen Charakter jener Nachbarn teilte; aber es gehörte nur ein Schritt dazu, aus friedlichen Hirten oder Ackerleuten schlechtes Räubergesindel zu machen, wie das selbst in den Tälern der Alpen sich äußerte. Immer ist der Naturmensch furchtbarer in seiner Verwilderung. Der Charakter der Sizilianer hat bei der Bewaffnung zur Verbindung mit den kalabrischen Insurgenten und durch die viele nach Sizilien geflüchtete Neapolitaner und Kalabresen unmöglich gewinnen können, und schwerer würde es jetzt sein, jene romantisch-poetische Welt wieder zu finden, die damals in dem friedlichen, wenn gleich schon längst nicht mehr theokritischen Sizilien sich darbot.

Gerne hätte ich mir die erste Hälfte der mir vorgesetzten Arbeit erspart, da dieser Teil für mich selbst das geringere Interesse haben musste; indem ich nur einer gewöhnlicheren im Ganzen durch vielfache Wiederholungen bekannten Straße und auf eine gewöhnliche Weise zu folgen hatte: aber des Zusammenhangs wegen durft' ich ihn nicht übergehn, wenn ich denjenigen, der durch mich eine anschauliche Übersicht dessen, was Sizilien in malerischer Rücksicht aufweist, zu erhalten erwartet, einigermaßen befriedigen sollte.

Ich werde mich bei der Erzählung selbst auf keinen zusammengesetzten oder ausgedehnten Plan einlassen; ich verweise auf ältere und neuere Reisebeschreibungen. Mir ist es darum zu tun, bei Verfolgung Eines Hauptzwecks und dadurch, dass ich, was ihm zur Seite liegt, nur so leicht als möglich ist, berühre, dem Künstler eine desto individuellere und klarere Totalansicht zu verschaffen. Eben daher wird' ich nur den jedesmaligen Eindruck treu zu schildern suchen, und nach diesem soll sich meine Sprache richten, unbekümmert darüber, dass die Darstellung dabei ungleich werden möchte. Genug, wenn ich selbst dadurch dem Charakter des Wahren näher zu kommen hoffen darf, und wenn die jedesmalige Erscheinung sich abdruckt, wie sie dem Gemüt sich gab. Nur durch eine solche sich immer gleichbleibende Treue und Sorgfalt, die aus dem Ganzen erkennbar sein wird, kann ich hoffen, auch wo ich nur bekanntere Gegenstände berühre oder bloß trockner Erzähler sein muss, die Leser, wenigstens denjenigen meiner Leser nicht zu ermüden, dem es nicht sowohl um Unterhaltung, als vielmehr um unbefangene, unüberspannte Vorstellung zu tun ist.

Sollte man diesen Teil mit Nachsicht aufnehmen, so hoff' ich, dass der zweite, der meine in vieler Rücksicht eigentümliche Alleinreise enthalten soll, und in welchem ich Manches berühren muß, dem ich in dieser Hälfte absichtlich auswich, wie z. B. Schilderungen aus dem Menschenleben, allgemeineres Interesse haben wird.

 

Fragmentarische Bemerkungen über Sizilien,
nebst einer kurzen Nachricht von neueren Landschaftmalern, die sich daselbst aufgehalten haben. Für den Künstler geschrieben; hauptsächlich zur Verhütung falscher Erwartung.

Da jeder Eindruck, den wir von außen empfangen, mehr oder weniger von Ideen oder Vorstellungen abhängt, mit denen wir zu irgend einer Ansicht hinzutreten, so scheint es mir nicht überflüssig zu sein, eh ich zu meiner Reise selbst übergehe, demjenigen, für den ich zunächst schrieb, einige vorläufige Ideen über den Charakter der sizilischen Natur mitzuteilen, damit die nachfolgende Erzählung nicht mit zu vielen oder ausführlichen Bemerkungen unterbrochen werde.

Gewiss liegt der Grund, warum mehrere Reisende unzufrieden oder nur halbbefriedigt von der Insel zurückkehrten, darin, dass sie zuviel erwarteten und übertriebene Ideen mitbrachten; dadurch verloren sie den Genuss an dem Wirklichen, oder es gehörte lange Zeit dazu, bis sie mit den eigentümlichen Schönheiten des Landes vertraut wurden, oder sich einen richtigen Maßstab für dessen malerisches Vortreffliche bildeten. Gerade die glänzendsten Schilderungen sind in dieser Hinsicht für den Leser die gefährlichsten. Oft täuscht der Schriftsteller sich selbst, indem er das Zufällige, was sein Gemüt bewegte, oder das Ähnliche, was ihm seine Phantasie herbeiführte, auf den äußern Eindruck überträgt; und noch öfter ist der Leser in dem Falle sich zu täuschen, wenn er bei einer poetischen Darstellung nicht kaltblütig zu unterscheiden weiß, was etwa einer Zufälligkeit oder der Kunst zu verschönern gehört. Daß dies besonders bei Schilderungen der sizilischen Natur statt finde, das lässt sich um so eher erwarten, da es wenige Länder gibt, um welche, wie um dieses, noch der magische Reiz der alten Fabelwelt spielt, und von welchem sich mehr schön klingendes Unwahre oder Halbwahre sagen lässt.

Dichterische Schilderungen, die von einem schönen kenntnisreichen Geiste herrühren, mögen immerhin auch für den Künstler ihren Wert behalten; sie lehren ihn mit höherem Sinn in der schönen Wirklichkeit eine höhere poetische Welt ergreifen - aber der ersten, ich möchte sagen mechanischen, zunächst auf die bleibendere Form gerichteten Ansicht schaden sie, und ein Künstler kann sich selten etwas Bestimmtes dabei denken.

Wie mich dünkt, kann nicht leicht jemand von einer Gegend oder von einer Naturszene eine den Maler befriedigende oder anschaulichere Ansicht geben, der nicht zugleich selber im Stande wäre, das, was er sieht und so wie er's sieht, auf die Leinwand zu tragen. Dieser begnügt sich nicht mit der allgemeinen Auseinandersetzung einer schönen Sensation, sondern fragt sich: Worin liegt die Wirkung? Was ist ihr eigentümlich? Wäre sie darstellbar? Und wie ließe sie sich darstellen?

Immer wird auch die kunstmäßigste Entwicklung unvollständig bleiben, denn selbst die vollkommenste Wortmalerei kann nur unbestimmte Anschauungen erwecken; indessen wird der Kenner der Natur doch leicht unterscheiden, ob der Darstellende eine intuitiv klare Künstler-Idee oder Ansicht hatte. Deswegen habe ich bei allen etwaigen künftig vorkommenden Naturbeschreibungen immer mit Ängstlichkeit erwogen, ob mir etwas als deutlich erkannte Wahrnehmung oder als allgemeiner Eindruck vorschwebte, und deswegen konnte ich nur langsam schreiben, was ich, ohne meinen Zweck vor Augen zu haben, am schnellsten und mit größerem Bilderreichtum hätte schreiben können. Durch diese Sorgfalt, dass ich mich nie eines Wortes bediene, dem nicht ein bestimmtes Bild oder eine klare Vorstellung zum Grunde liegt hoff' ich mir den Dank des prüfenden Lesers zu verdienen, sollte auch häufig meine Erzählung dadurch prosaischer geworden sein.

Nach dieser unvermeidlichen Digression komm' ich meinem Zwecke näher.

Eine der wesentlichsten Bemerkungen ist, dass Sizilien im Ganzen den Charakter einer flachen Insel trägt. Man nahe sich der Insel von welcher Seite man wolle, immer ist die Ausdehnung ihrer Umrisse und Linien auffallend. Noch deutlicher wird dies, wenn man von der Höhe des Ätna auf die Insel herabblickt. Alle Höhen des Landes oder der Küsten erscheinen dort als Fläche, aus welcher einzig der Ätna sich als Berg erhebt. Aber diesen Berg muss man sich doch nicht majestätisch in seinen Formen, wie einen Hochberg der Alpen, wie die Jungfrau oder den Montblanc denken. Nur wenige Ansichtspunkte ausgenommen, erscheint er als eingesunkene, trichterförmige Spitze, die sich aus einem weiten Umkreis allmählich herabsinkender, schräglaufender Lavafelder erhebt. Selbst die steilere Nordseite macht darin keine auffallende Ausnahme, und ich glaube sagen zu dürfen, dass keine Gegend in Sizilien auf Größe, in so ferne dies imponierende Höhe und Tiefe bezeichnet, Anspruch machen kann, es müsste denn die Gegend von Taormina und das kühn und steil sich erhebende Gebirge um Palermo sein.

Gleichwohl wird man Schilderungen finden, wo von den Latomien bei Syrakus gesprochen wird, wie wenn es kleine Alpentäler wären, und der Ätna steigt mit dicken Wäldern, die seinen Scheitel bekränzen, über Orangenwälder und hochblühende Granatbäume u.s.w. empor. In der Wirklichkeit bekommt das Alles ganz ein anderes Ansehen.

Man darf nicht vergessen, dass das eigentliche Gerippe der Insel dem größern Teile nach Gerippe eines vulkanischen, vom Feuer zerrütteten Bodens ist. Der ganze Hybla [http://de.wikipedia.org/wiki/Ragusa_Ibla] ist von Lavalagern gebildet, der größere Teil des Val di Noto [http://de.wikipedia.org/wiki/Val_di_Noto] trägt Spuren davon, und wo man immer zu dem Ätna kommt, brechen die Verwüstungen, aus grauen Jahrhunderten herab, zu Tage. Selbst die üppige Vegetation und der Fleiß der Menschen können jene Entstaltungen des Bodens nie so bedecken, dass aus einem Val Demone [http://de.wikipedia.org/wiki/Val_Demone] gleich ein Elysium würde; obwohl in meiner Schilderung der Reize des Ätna die poetische Verschönerung am verzeihlichsten ist.

Nur wenige Gegenden der Insel dürften von ihrem Schmuck und Putz entkleidet, durch ihre bloße Form Eindruck machen, wie z.B. die Alpen und Pyrenäen. Palermo und Taormina und einige Teile der nördlichen Küste abgerechnet, wundere man sich nicht, in dem größeren Teil Siziliens unkräftige, entstellte oder in bizarres Spiel ausgeartete Form zu finden.

Endlich darf man nicht aus der Acht lassen, dass wir jetzo in Sizilien nur wie zu einem Haufen von Grabstätten aller Art gehen, und beinahe keinen Schritt machen können, ohne an Ruin und Zerstörung oder Untergang von etwas ehemals anders da Gewesenem erinnert zu werden. Wo einst die größesten, blühendsten Städte waren, sind jetzo kaum einige Steintrümmer. Wo die ansehnlichsten Wälder standen, ist jetzo keine Spur zu sehen. Die Fiumare [http://de.wikipedia.org/wiki/Fiumara_%28Gew%C3%A4sser%29] oder Landwasser überschwemmen und verheeren, fast in jedem Winter, die Täler, die sich gegen das Innere der Insel hineinziehen, und wo fände man dort eine Gegend, in welcher nicht Erdbeben oder zu irgend einer Zeit Barbaren gewütet hätten?

Vergebens sucht man, wie dazu wohl manche Stelle aus Swinburne, Stollberg u.a. einladen möchte, ein Tal, wie man sich Thessaliens Tempe [http://de.wikipedia.org/wiki/Tempe_%28Griechenland%29] denkt, wo alles nur eine Totalempfindung bewirkte, alles ein gesundes, frisches, ans Idealische grenzendes Ansehen hätte. Das Malerische in jenen Gegenden streift - wie alle Wirklichkeit - nur hin und wieder an die Zaubergrenze der Einbildungskraft hin.

Mit diesen Bemerkungen hab' ich Siziliens malerische Reize und Vorzüge sicher nicht herabwürdigen wollen. Niemand hat sich der schönen Insel mehr gefreut, als ich, und keinem ist sie unvergesslicher geblieben; aber ich leugne es nicht, dass längere Zeit dazu gehörte, bis ich mich von allen zu schönen Vorstellungen losmachen konnte, und bis ich dem wirklich Vorhandenen seine anziehendere Seite abgewinnen lernte.

Nach aller meiner Erfahrung und Beobachtung glaub' ich Pequignons Bemerkung bestätigen zu müssen, dass Sizilien mehr durch sein schönes Detail, als in Rücksicht auf ein Ganzes, die Aufmerksamkeit des Künstlers auf sich zu ziehen verdient. Oft sieht man selbst in verödeten Tälern und auf Höhen, wo man es nicht vermutete, Fragmente eines Naturgemäldes, das kaum die geübteste Phantasie zu ergänzen wagte. Es gibt Talgrundstellen, Hügel mit Blütengebüschen bedeckt, Felsenpartieen, Baumformen und Pflanzen von so seltener Schönheit und so fremd erscheinend, dass jedes fühlende Auge davon entzückt werden muss.

Man sieht sich bisweilen wie in einen Hesperidengarten, wie in ein Feenland versetzt, wo wundervolle Blumen, glänzende Gebüsche und unbeschreibliche Mannigfaltigkeit den romantischen Pfad umgeben. Kurz, das verarmte, verödete und vielfältig beraubte Sizilien trägt noch immer die Spuren eines Götterlandes, wie die Züge einer edeln Gestalt selbst unter den Zerstörungen des Kummers hervorblicken.

Wer durch Sizilien zöge, bloß mit dem Zweck, solche Einzelschönheiten aufzuspüren, die man als klassische Studien zu den erhabensten Kompositionen ansehen könnte, würde einen Schatz sich sammeln, der unbezahlbar wäre, aber freilich gehörte dazu mannigfaltige Aufopferung, denn dieser Fund müsste durch unzähliges Ungemach nach und nach gewonnen und mühsam aus einer Menge von widrigen oder nur beschränktes Interesse erweckenden Eindrücken ausgehoben werden.

[14.04.2014: gekommen bis Seite 20 oben]