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FG Sagittae - ein Stern widersetzt sich einer Klassifizierung

Der "Generalkatalog der Veränderlichen Sterne" (General Catalogue of Variable Stars, GCVS) listet nicht nur die endgültig benannten Veränderlichen Sterne auf, sondern gibt in seiner Einleitung auch immer eine aktuelle Zusammenstellung und Beschreibung der Veränderlichenarten, die der Klassifizierung der Objekte zugrundeliegen. Nahezu in jeder GCVS-Ausgabe kommen neue Typen dazu, wenngleich die Differenzierung oft nur noch aufgrund spektroskopischer Eigentümlichkeiten geschieht: Die für den durchschnittlich ausgerüsteten Amateur interessanteste Zustandsgröße - die Helligkeit und ihre Veränderlichkeit in der Zeit - tritt demgegenüber etwas zurück. Unter den Veränderlichentypen gibt es solche mit tausenden von Vertretern, zum Beispiel die Mirasterne oder die Cepheiden, es gibt auch Typen mit wenigen Dutzend Vertretern wie die R-CrB-Sterne, es gibt aber auch einige wenige Sterne, die sich seit Jahrzehnten jeder Eingruppierung beharrlich widersetzen und ihren singulären Status über mehrere Auflagen des GCVS gerettet haben. Dazu gehört FG Sagitta.

UBV-Lichtkurve von FG Sge
Abbildung 1) UBV-Lichtkurve von FG Sagittae, nach Genderen und Gautschky (1995)

FG Sge wurde 1943 von Cuno Hoffmeister auf Platten der Sternwarte Sonneberg entdeckt. Zunächst sollte es bei einer Klassifizierung als "Irregulärer" bleiben, nichts anderes als eine Art "Lumpensammlerklasse" für nicht ausreichend studierte Sterne. Erst als der Stern auf Archivaufnahmen der Sternwarten Heidelberg und Harvard bearbeitet wurde stellte sich heraus, dass er - angefangen bei den ersten verfügbaren Platten von 1894 bis hin zu den ersten eingehenderen Bearbeitungen Anfang der sechziger Jahre - über mehrere Jahrzehnte hin nahezu kontinuierlich heller geworden war (vgl. Abbildung 1). Bei welcher Helligkeit FG Sge seinen Anstieg begann wird sich wohl nie klären lassen: zum einen beginnt die Geschichte der Astrophotographie sowieso gerade einmal wenige Jahre vor den ersten Aufnahmen, und zum zweiten läßt sich für normale Himmelsüberwachungskameras FG Sge nicht von seinem 8" entfernten Begleiter trennen, dessen visuelle Helligkeit etwa 12,3mag und dessen "fotografische" (sprich Blau-) Helligkeit etwa 14mag beträgt. Jedenfalls schaffte es FG Sge mit diesem sich jeder Eingruppierung entziehenden Verhalten auch in populärwissenschaftliche Zeitschriften, zum Beispiel in das Juniheft von "Sterne und Weltraum" 1970.

Mit diesem Hinweis auf FG Sge in "Sterne und Weltraum" 6/1970 wurde mein Interesse an Veränderlichen Sternen zum erstenmal geweckt. Die Zeitschrift war 1970 für mich als Schüler nahezu unerschwinglich, denn sie kostete immerhin 3,60 DM...
FG Sge war trotz der damaligen Helligkeit von ca 9mag für mich noch nicht beobachtbar. Zwar hatte ich zu dieser Zeit einen 60mm-Refraktor, es fehlten aber vernünftige und erschwingliche Sternkarten.
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Noch in den sechziger Jahren wurden besonders aufgrund intensiver spektroskopischer Untersuchungen erste Arbeiten veröffentlicht, die den Stern als das Produkt einer sehr fortgeschrittenen Sternentwicklungsphase deuteten, allerdings in einer Disziplin, die noch in den Kinderschuhen steckte und ohne die Möglichkeiten von heute, Sternmodelle durchzurechnen. Bei den Detailuntersuchungen kamen die für die damalige Zeit größten Teleskope zum Einsatz (zum Beispiel der 3m-Lick-Reflektor), was auch eine weitere Besonderheit von FG Sagittae zum Vorschein brachte: Er steht im Zentrum eines Planetarischen Nebels von ca 36" Durchmesser, zur damaligen Zeit wegen dessen Schwäche bei gleichzeitiger Helligkeit von FG Sge ein sehr schwieriges Objekt. Über die Entdeckungsgeschichte gab es etwas Rummel und einen Prioritätenstreit, bis Karl G. Henize diese in einer erst 1969 veröffentlichten Klarstellung zurechtrückte. Demnach fand Henize den Nebel auf einer von ihm schon 1955 mit dem 60"-Mt-Wilson-Spiegel gewonnenen Aufnahme, veröffentlichte den Fund aber erst 1961. Unabhängig davon wurde der Nebel 1960 von Herbig entdeckt (Veröffentlichung 1968, gleichzeitig die erste detaillierte Untersuchung) sowie 1962 von Fürtig und Wenzel. Der Entdeckungsgeschichte folgend ist der Nebel am bekanntesten unter der Bezeichnung He 1-5. Für ein modernes Großteleskop von heute ist der Nebel ein leichtes Objekt, hier eine Aufnahme des Keck-Observatoriums.

He 1-5, FG Sge, Planetarischer Nebel
Planetarischer Nebel He 1-5 um FG Sge.
Aufnahme des Keck-Observatory bei schlechtem Seeing am 10.06.1996.

Die seit 1992 auftretenden Helligkeitseinbrüche von FG Sge haben die Abbildung des Planetarischen Nebels auch für Amateure möglich gemacht, zum Beispiel Aufnahmen von Georg Reus (interstellarum 1, November 1994, S. 64) und Ron Royer (Abbildung 2 links), wobei die letztgenannte die beste verfügbare Amateuraufnahme des Nebels ist (jedenfalls habe ich auch nach langer Suche keine besssere gefunden): Die Aufnahmen der Großteleskope der sechziger Jahre litten unter der damaligen Helligkeit von FG Sge und wurden noch auf fotografischen Emulsionen gewonnen. Visuell gibt es einige Sichtungen ab 14" (Ronald Stoyan, interstellarum 1, November 1994, S. 64) und vor allem mit Dobsons der 17"- und 20"-Klasse, wobei der Nebel mit O-III- und UHC-Filtern deutlicher zu sehen ist. Um die Identifizierung der Sterne zu erleichtern und eine Abschätzung ihrer Helligkeit zu erlauben sind in der rechten Hälfte der Abbildung 2 die Objekte bezeichnet.

Für die links gezeigte Abbildung wurde die RGB-Aufnahme von Ron Royer in ihre einzelnen Farbbestandteile getrennt und besser ausgerichtet, zudem wurde der Blau- und Rotauszug mit verfügbaren Scans von Schmidtplatten vorsichtig verstärkt. Der Nebel ist sehr schwach und braucht lange Belichtungszeiten, gleichzeitig sind lange Brennweiten erforderlich, um die Gruppe von engen Nachbarsternen sauber zu trennen.

FG Sge and the surrounding Planetary Nebula He 1-5
Abbildung 2a) Kombination einer CCD-Color-Aufnahme von Ron Royer (vom 1.7.1998 mit einem 18"-F7-Newton, Quelle: Webseite der AAVSO, Variable Star of the Month 11/1998) mit Aufnahmen des POSS-I und POSS-II, Norden oben, Westen rechts, Feldgröße 120" x 120". Die Helligkeit von FG Sge zum Zeitpunkt der Aufnahme betrug ca 15,5v. Auf dieser Aufnahme ist der auf Abbildung 2b) mit A bezeichnete Nachbarstern wesentlich heller als FG Sge. Abbildung 2b) Ausschnitt aus der einzigen vorhandenen Aufnahme von FG Sge des Hubble-Space-Telescope-Archivs, noch mit der ersten Kamera (WFPC) mit all ihren Bildfehlern aufgenommen. Orientierung korrigiert. Datum: 16.11.1993, Filter F785LP (also im Infraroten). Belichtungszeit 40 Sekunden. Leider fällt der Stern E genau in den Spalt zwischen zwei CCD-Chips. Visuelle Helligkeiten der Sterne nach Arne Henden: A 12,34 (8,2" von FG Sge entfernt), B 15,38, C 16,05, D 17,41, E nicht bekannt, wohl um 16,5. FG Sge hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme die I-Helligkeit 10,22.

Schaut man sich nochmal die Abbildung 1 an, die den geglätteten Helligkeitsverlauf von 1900 bis 1992 zeigt, fällt der verschiedenartige Kurvenverlauf im Blauen und Visuellen auf. Die frühe Historie des Lichtwechsels ist überhaupt nur im Blauen zu verfolgen, da die alten fotografischen Emulsionen nur im Blauen empfindlich waren. Schade dass man nicht weiß, bei welcher Helligkeit FG Sge seinen Anstieg begann. Erst in den fünfziger Jahren wurden erste Messungen im Visuellen gewonnen, ab den sechziger Jahren liegt dann reicheres Material vor. Die Helligkeitsentwicklung im Blauen und Visuellen unterscheidet sich dramatisch. Im blauen Licht wurde in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ein deutliches Maximum erreicht, worauf bald ein Helligkeitsabstieg begann, der nahezu symmetrisch mit dem Anstieg verlief. Im Visuellen wurde das Maximum erst Anfang der siebziger Jahre erreicht, und nur ganz allmählich nahm die Heligkeit ab. Der Stern wurde also deutlich röter, eingezeichnet in ein Hertzsprung-Russell-Diagramm (HRD) entsprach das einer Wanderung von links nach rechts, bei nahezu gleicher visueller Helligkeit. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Stern immer größer wurde, denn bei verminderter Temperatur die gleiche Helligkeit zu halten geht nur mit einem Vergrößern der Oberfläche.

Die allmähliche Expansion des Sterns zeigt sich in einer weiteren Besonderheit. Dem allmählichen Helligkeitstrend überlagert war bis 1991/92 ein Pulsationslichtwechsel geringer Amplitude (meist zwischen 0,2 mag und 0,5mag). Erst von etwa der Mitte der Dreissiger Jahre an gibt es genug Aufnahmen, um die Aufnahmen einer Beobachtungssaison auf eine gemeinsame Periode zu reduzieren, und die so gefundenen Perioden haben sich ab den Dreissiger Jahren von unter zehn auf über 100 Tage verlängert - auch dies ein Zeichen für eine deutliche Radiuszunahme des Sterns, und zwar vom vierfachen Sonnenradius um 1930 auf einen 184-fachen Sonnenradius 1992. Dazu wieder zwei Abbildungen.

FG Sge, Beziehung Periode - Radius FG Sge, Lichtkurve und Periode von 1970 bis 1987
Perioden-Radius-Diagram von FG Sge,
Zwei Modelle für den Zeitraum 1930 - 1992.6
(aus: Genderen and Gautschy, 1995)
Lichtkurve nach Photoelektrischen Messungen
und Periode der Pulsationen von 1970 bis 1987
(aus: Jurcsik and Szabados, 1989, S.49)

1992 kam FG Sagittae nicht nur ins IAU-Circular, sondern auch wieder in die populären Medien, weil er ab September erstmals einen unerwarteten Abfall auf die 13. Größenklasse zeigte. In dieser Zeit vor dem Internet hatte ein Großteil der Amateure noch keinen Zugriff auf tagesaktuelle Informationen, und so werden die meisten dasselbe elektrisierende Gefühl wie ich empfunden haben, nämlich einen zur damaligen Zeit teilweise schon lange regelmäßig mit dem Feldstecher geschätzten Stern plötzlich nicht mehr zu sehen und auch mit einem mittleren Teleskop nicht mehr finden zu können. Weil es spannende Tage waren hier zur Erinnerung das IAU-Circular 5604 vom 4.September 1992, in dem erstmals auf den Helligkeitsabfall von FG Sge hingewiesen wurde:

FG Sge, IAU-Circular 5604
IAU-Circular 5604, 4.September 1992

Mit einem Click auf das IAU-Circ bekommt man die Ausschnittsvergrößerung der Meldung zu FG Sge. Demnach begann der Helligkeitsabstieg also Ende August 1992. Bis heute hat FG Sagittae dieses R-CrB-ähnliche Verhalten beibehalten, wie in Abbildung 3 zu sehen ist. Allenfalls kann man anmerken, dass die Minima immer tiefer werden und teilweise schon den Bereich um die 18.Größenklasse erreichen.

FG Sge, Lichtkurve nach AAVSO

Abbildung 3) Lichtkurve von FG Sagitta von 1990 bis 2003, AAVSO-Lichtkurvenroboter, etwas modifiziert. Rot sind positive Sichtungen (allerdings inclusive von Fehlidentifikationen), dunkelgrau bzw schwarz sind Negativ-Beobachtungen.

Die genauere Inspektion dieser Abbildung zeigt weiteres: In der Zeit der ersten Minima ab 1992 erreichte der Stern im Normalfall etwa die 14.Größenklasse. Amateure mit unzureichenden Karten verwechselten dann oft den 8" entfernten Nachbarstern der 12.Größenkasse mit FG Sge, weswegen positive Sichtungen in diesem Helligkeitsbereich immer sehr kritisch zu betrachten sind. Seitdem FG Sge häufig noch einige Größenklassen schwächer wird ist die Verwechslungsgefahr mit den Nachbarsternen der 15. und 16.Größenklasse die noch größere Unsicherheit. Nur wenige visuell arbeitende Beobachter haben das Instrumentarium, um hier sichere Sichtungen vorzunehmen, so sind zunehmend CCD-Beobachter gefragt, die sich an die Aufgabe machen, den Lichtwechsel des Sterns weiter zu dokumentieren. Die schwachen Phasen von FG Sge haben aber auch ihr Gutes: der Planetarische Nebel läßt sich so leichter nachweisen.

Wer sich für den heutigen Wissenstand über den evolutionären Status von FG Sagittae interessiert sei auf den aktuellen Aufsatz von Lawlor und MacDonald verwiesen, denen es erstmals rechnerisch gelungen ist, die drei anscheinend verwandten Objekte V605 Aql (bekannt als Nova Aql 1919), V4334 Sgr (Sakurai’s Object) und FG Sagittae in eine einzige Entwicklungssequenz zu bringen. Demnach kann es bei Sternen, die sich schon im Bereich der Weißen Zwerge befinden, nochmal zu einem "Very late thermal pulse" (VLTP) kommen, der die Objekte in zwei aufeinanderfolgenden Schleifen, die mit stark unterschiedlicher Geschwindigkeit durchlaufen werden, quer durch das HRD führt. Sakurai’s Objekt durchläuft die erste Schleife, wofür nur einige Jahre benötigt werden, FG Sge hingegen ist schon in der zweiten Schleife, die erheblich langsamer durchlaufen wird.

 

Quellen (Auswahl):

Burnhams Celestial Handbook, Dover Publications 1978, Bd. 3, 1541-1544

Ciardulllo, Robin et al, "A Hubble Space Telescope Survey for resolved Companions of Planetary Nebula Nuclei", AJ 118(1999), 488

Faulkner, D.J. and Bessell, M.S. "The nature of the Nebulosity around FG Sagittae", PASP 82(1970), 1333

Flannery, Brian P. and Herbig, G.H. "Expansion of the Planetary Nebulae surrounding FG Sagittae", ApJ 183(1973), 491

van Genderen, A.M. und Gautschky, A. "eductions from the reconstructed evolutionary and pulsational history of FG Sagittae", Astron. Astrophys. 294(1995), 453

Herbig, G.H. and Boyarchuk, A.A. "The peculiar variable FG Sagittae", ApJ 153(1968), 397

Jurcsik, Johanna amd Szabados, Laszlo, "Period Analysis for the Peculiar Variable FG Sagittae", Astr.Sp.Sc 153/1 (1989), 45ff

Lawlor, T.M. and MacDonald, J. "Sakurai’s Object, V605 Aquilae and FG Sagittae: An evolutionary Sequence revealed", ApJ 583 (2003), 913

General Catalogue of Variable Stars (Web-Interface)

AAVSO (Lichtkurvenroboter, Sequenzen, Aufnahme von Ron Royer)

BAV (Bundesdeutsche Arbeitsgemeinschaft für Veränderliche Sterne)

FG Sagittae, Position: (2000) 20h11m55,9s +20 20’07"

Acknowledgment:
This research has made use of the USNOFS Image and Catalogue Archive operated by the United States Naval Observatory, Flagstaff Station (http://www.nofs.navy.mil/data/fchpix/).
This research has made use of SIMBAD
This research has made use of the ADS-Abstract-Service

Dieser Beitrag wurde in einer kürzeren Variante verfasst für das Beobachtermagazin "Interstellarum. Erlebnis Astronomie", Nr.29, August 2003


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Autor: Béla Hassforther. Letzte Änderungen: 28.06.2003; 18.02.2007 (Keck-Aufnahme)
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