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Der Polarstern - ein ungewöhnlicher Cepheide

Der Polarstern (auch Polaris genannt) gehört zu den populärsten Sternen überhaupt. Dank seiner Helligkeit und seiner Popularität liegen schon seit dem 19.Jahrhundert umfassende spektroskopische und photometrische Messreihen vor, alleine mit dem 36"-Lick-Refraktor wurde im Zeitraum von 1896 bis 1956 die stattliche Anzahl von 1180 Platten zur Ausmessung des Spektrums gewonnen. Lange Beobachtungsreihen und ein Riesenfundus an Material für einen hellen und bekannten Stern bedeuten aber nicht automatisch, dass wir ein schlüssiges Modell haben, welches alle Phänomene abdeckt.

Polaris als Doppelstern

Polaris ist zunächst als Mehrfachsystem bekannt: Der Hauptstern A hat in 18" Abstand einen Begleiter B der visuellen Helligkeit 8,6 mag und dem Spektraltyp F3V - diese Komponente dürfte vielen Beobachtern vertraut sein. Während dieser Stern mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Komponente A zusammen ein physisches System bildet, gelten zwei entfernte schwache Begleiter C und D als sehr unsichere Mitglieder. Wichtiger ist die Komponente P, die mit A ein astrometrisch und spektroskopisch leicht nachweisbares Doppelsternsystem mit einer Periode von 29,59 Jahren bildet. Mehrere Umläufe haben sich seit Beginn der Messungen im 19. Jahrhundert verfolgen lassen. Die Komponente P selbst ist im Spektrum aufgrund des mindestens 6 mag betragenden Helligkeitsunterschiedes nicht sichtbar. Eine aktuelle und umfassende Bahndiskussion findet man bei Wielen et al, der aktuelle Abstand beträgt demnach etwa 0.16".

Die Entfernung von Polaris

Polaris ist für konventionelle Parallaxenmessungen zu weit entfernt; so hat man mehrfach anhand der Komponente B eine spektroskopische Parallaxe ermittelt: Typischerweise erhielt man damit Entfernungen um 114 pc. Der Hipparcos-Wert ist höher und liegt bei 132 pc. Erst dieses Jahr hat dagegen Turner [c] Hinweise auf die Mitgliedschaft von Polaris in einem sehr lockeren Sternhaufen mit nur einem halben Dutzend Mitgliedern gefunden, was die Entfernung von Polaris auf die für diese Gruppe ermittelte Distanz von 94 pc drücken würde. Diese Unsicherheit in der Entfernung ist direkt verantwortlich für Unsicherheiten bei der Deutung der physikalischen Eigenschaften des Sterns.

Polaris als Cepheide

Für Astrophysiker ist Polaris zunächst der hellste und nächste Cepheide. Allerdings ist es auch ein Cepheide mit einer äußerst kleinen Amplitude (vgl. Abbildung 1). Und obendrein hat seine visuelle Amplitude im Zeitraum, für den Messungen vorliegen, von dem sowieso schon geringen Wert von 0,12 mag bis auf fast 0,02 mag abgenommen (damit einhergehend hat auch die Amplitude der Radialgeschwindigkeit, wie bei einem Cepheiden zu erwarten, deutlich abgenommen). In den achtziger Jahren und noch zu Beginn der neunziger Jahre vermutete man daher, dass der Polarstern seine Pulsationen ganz einstellen wird, aber um 1993 war diese Entwicklung plötzlich beendet, und die Amplitude nimmt seitdem allmählich wieder zu. Gegenwärtig (2004) werden 0,038 angegeben (vgl. Abbildung 2).

Lichtkurve von Polaris nach Hipparcos Messungen
Abb. 1) Lichtkurve von Polaris nach Messungen von Hipparcos aus dem Zeitraum Februar 1990 bis Januar 1993

Amplitudenentwicklung von Polaris
Abb. 2) Amplitudenentwicklung von Polaris, links der Gesamtzeitraum, rechts ein Ausschnitt daraus mit der Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Deutlich zu sehen ist, dass ab 1993 die Amplitude wieder ansteigt, aber auch, wie enorm die Genauigkeit der Radialgeschwindigkeitsmessungen ab Mitte der 90er Jahre zugenommen hat (aus Kamper, K.W. and Fernie, J.D., 1998).

Nicht nur die Amplitude ist starken Änderungen unterworfen, auch die Periode des Sterns von 3,97 Tagen ist veränderlich: Seit Beginn der Messungen nimmt die Periode um 3,2 Sekunden pro Jahr ab. Das klingt nicht viel, summiert sich aber im Lauf der Zeit zu auffallenden Abweichungen von den vorherberechneten Elementen (vgl. Abbildung 3).

Periodenänderung von Polaris
Abb. 3) Periodenabnahme von Polaris in einem O-C-Diagramm (aus Kamper, K.W. and Fernie, J.D., 1998).

Pulsierende Sterne können in verschiedenen Modi pulsieren: Bei der überwiegenden Mehrheit der Cepheiden geschieht dies im "fundamental mode", was bedeutet, dass sämtliches Material sich im Lauf der Pulsationen entweder nach außen oder nach innen bewegt. Expandiert dagegen eine Schicht des Sterns, während eine andere schon am Kontrahieren ist, spricht man von einer Schwingung im Oberton-Modus. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Pulsationseigenschaften hat man schon des längeren vermutet, dass Polaris ein Oberton-Pulsator ist. Allerdings ändert Polaris seine Periode weit schneller, als man nach der Theorie erwarten würde.[Pawel Pietrukowicz]. Dass man dennoch mehrheitlich immer noch dazu neigt, Polaris als Oberton-Pulsator zu interpretieren, liegt daran, dass man mit der Hipparcos-Entfernung und der direkten Durchmesserbestimmung des Navy Prototype Optical Interferometer auf einen Sterndurchmesser kommt, der zu groß für einen Cepheiden im Fundamentalmodus ist, nämlich auf 46 Sonnendurchmesser. Der Wert würde allerdings genau für einen Oberton-Pulsator passen. Wird allerdings die von Turner auf 94 pc reduzierte Entfernung zugrunde gelegt, dann könnte es sich um einen ganz normalen Fundamentalmode-Pulsator handeln - der Fall ist also noch durchaus offen. Dass die Hipparcos-Distanzen schon in diesem Entfernungsbereich mit einigen Unsicherheiten behaftet sind, hat man unlängst am Fall der strittigen Plejadendistanz sehen können. Allerdings ist der Turner-Wert auch kleiner als die spektroskopische Parallaxe anhand der Komponente B. Hätte Turner recht, wäre Polaris bei seiner ersten Durchquerung des Instabilitätsstreifens im Hertzsprung-Russell-Diagramm, wobei seine Temperatur abnimmt. Stimmt die Hipparcos-Entfernung und ist Polaris ein Oberton-Pulsator, dann ist Polaris zum zweiten Mal dabei, den Instabilitätsstreifen zu durchqueren, diesmal in die andere Richtung, und seine Temperatur nimmt zu.

Als ob das alles nicht interessant genug wäre, gibt es überzeugende Indizien dafür, dass Polaris in den letzten beiden Jahrtausenden merklich heller geworden ist: Seit der Antike etwa um eine ganze Größenklasse. Noch zu Herschels Zeit hatte der Stern nur 2,4 mag, um 1900 dann 2,2 mag, heute dagegen 1,95 mag.

Beobachtungsmöglichkeiten

Mit seiner aktuellen Amplitude von fast 0,04 mag ist Polaris wieder in einem Bereich angekommen, bei dem nicht nur geübte Photometriker die Veränderlichkeit nachweisen können, sondern auch Besitzer von Digitalkameras, bevorzugt von solchen Kameras, die das Abspeichern von Bildern im RAW-Format ermöglichen. Der CCD-Pionier Christian Buil hat in seine freie Software IRIS auch umfangreiche Verarbeitungsmöglichkeiten für Aufnahmen mit gängigen digitalen Spiegelreflexkameras eingebaut, und seine Experimente zur photometrischen Genauigkeit lassen hoffen, mit ihnen schöne Lichtkurven von Polaris erhalten zu können. Dass diese Aufnahmen sehr sorgfältig kalibriert werden müssen, versteht sich von selbst. Hilfestellungen dazu geben die umfangreichen Tutorials von Buil. Einen großen Vorteil hat die Helligkeit von Polaris und seine exponierte Position nahe dem nördlichen Himmelspol: man braucht keine Nachführung, sondern kann seine Kamera mal eben auf ein Fotostativ schrauben und flott hintereinander ein paar Aufnahmen machen. Wiederholt man dies an jedem klaren Abend, sollten nach einem Monat genug Aufnahmen zusammengekommen sein, um die Werte zu einer aussagekräftigen Lichtkurve reduzieren zu können. Unterstützung findet man bei der BAV, der Bundesdeutschen Arbeitsgemeinschaft für Veränderliche Sterne.

 

Literatur

Brown,C.F., Bochonko, D.R "Declining Photometric Amplitude of the Cepheid Variable Polaris", PASP 106 (1994), 964-966

Fischer, D. "Polaris Teil eines Sternhaufens - und in der Antike viel dunkler?", http://www.astro.uni-bonn.de/~dfischer/news/910.html

Kamper, K.W. "Polaris today", J.Roy.Astron.Soc.Can., 90 (1996), 140

Kamper, K.W. and Fernie, J.D. "Polaris revisited", Astronomical Journal, 116 (1998), 936

Nordgren, T.E. "Plumbing the Depths of Polaris", http://www.usno.navy.mil/pao/press/npoi0607.htm

Pietrukowicz, P. "Period Changes in Galactic Classical Cepheids. Slow Evolution of Long-Period Cepheids", http://de.arxiv.org/abs/astro-ph/0304053

Roemer, E. "Orbital Motion of Alpha Ursae Minoris from Radial Velocities", Astrophysical Journal, 141 (1965), 1415

Schilling, G. "Mysteries of the North Star", http://skyandtelescope.com/news/article_1265_1.asp

Stebbins, J. "Six-Color Photometry of Stars, IV. The Variation of Alpha Ursae Minorisat different Wavelengths", Astrophysical Journal, 103 (1946), 108

Wielen, R. et al "Polaris: astrometric orbit, position, and proper motion", Astronomy and Astrophysics, 360 (2000), 399


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Autor: Béla Hassforther. Letzte Änderung: 04.11.2004
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