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Briefe von Franz Pforr an J.D.Passavant

I. Frankfurt a.M., Stadt- und Universitätsbibliothek, Nachlaß J.D.Passavant

Kassel, 26.10.1801
Kassel, 17.08.1802
Kassel, 08.03.1803
Kassel, 11.06.1803
Kassel, 16.06.1803
Kassel, 03.09.1803
Kassel, 10.12.1803
Kassel, 07.01.1804
Kassel, 17.01.1804
Wien, 08.12.1805
Wien, 05.02.1806
Wien, 16.04.1806
Wien, 03.07.1806
Wien, 06.09.1806
Wien, 06.09.1806
Wien, 24.11.1806
Wien, 28.01.1807
Wien, 18.04.1807
Wien, 09.06.1807
Wien, 20.07.1807
Wien, 21.08.1807
Wien, 08.08.1807
Wien, 17.11.1807
Wien, 28.12.1807
Wien, 16.04.1808
Wien, im Mai 1808
Wien, 01.06.1808
Wien, 09.08.1808
Wien, 24.09.1808, Anlage "An Deutschlands Frauen"
Wien, 12.11.1808
Wien, 06.01.1809
Wien, 08.04.1809
Wien, 20.05.1809
Wien, 02. oder 25.08.1809
Wien, 10.01.1810
Wien, 01.04.1810
Wien, 12.05.1810
Rom, Ende Juni oder Anfang Juli 1810
Rom, 26.07.1810
Rom, 30.09.1810
Rom, 15.12.1810
Rom, 05.05.1811
Rom, 01.07.1811
Rom, 08(?).09.1811
Rom, 11.02.1812

II. Bayerische Staatsbibliothek München

Pforr an Passavant, o.Dat., o.Ort, Entwurf zum Brief vom 15.12.1810

 


I. Frankfurt a.M., Stadt- und Universitätsbibliothek, Nachlaß J.D.Passavant

Kassel, 26.10.1801

Lieber Freund

Ich bin glücklich hier angekommen, außer daß der Wagen uns eine halbe Stunde vor der sogenannten neuen Herberge entzwei ging. Die Sprache war mir hier so neu wie das Geld, denn hier rechnet man nach 1, 2 bis 8 Hellerstücke, dann nach Albus, welches 3 Kreutzer sind und nach Groschen, welches 4 Kreutzer sind. Gulden kennt man hier so wenig wie Kreutzer.

Die Sprache ist hier so komisch, daß ich mir anfangs nicht konnte das Lachen enthalten, wenn ich einen sprechen hörte, zum Beispiel anstatt "gib mir" sagt man hier "gib mich", anstatt "ich will nur die Königstraße raufgehen" "ich will vortz die Königstraße raufgehen". So sprechen schon vornehmere, aber gemeine sprechen z.B. "Er ist doch ein ehrlicher Mensch" "Ihn dok in erlick Minsche", anstatt "ich habe mich bedacht" sprechen sie "eck habe meck bedacte".

Ich war noch einmal im Kunsthaus oder Museum, was da für Sachen sind: ein ausgestopfter Elephant, eine Löwe und Löwin, nebst allerlei Tiere nehmlich ausgestopfte. Auch andere Sachen von unseren alten Voreltern. Auch von Indianern. Da waren chinesische Schuhe von Weiden geflochten in dieser Form und ungefähr eine Daumenbreite lang. Auch sind Mißgeburten darin, z.B. zwei Schafe mit einem Kopf, ein Kalb mit so einem Kopf, es hat nur ein Auge auf der Stirn und ein Horn. Und noch mehreres.

Die Galerie habe ich wohl schon 12 mal gesehen und ich zeichne jetzt einen Kopf nach (Staphel?).

Viele Complimente an deine liebe Mutter, an Mimi und Luischen. Schreibe mir bald.

Dein Freund Franz Pforr


Kassel 17.08.1802

Lieber Freund

Verzeihe daß ich so lange nicht geschrieben habe, es ist wirklich unrecht von mir, bald von einem Herbst auf den anderen zu warten, allein gute Freunde sind bald wieder versöhnt.

Dein Brief hat mich sehr gefreut, besonders die Zeichnungen von den Raketen(?) und Schwärmern.

Ich denke hier noch öfters an die Spazierfahrt nach Eberstein(?), hier bekommt man so was nicht zu sehen, denn es ist meistens flache Gegend. Ich habe in dem Haus bei meinem Onkel eine sehr schöne Aussicht, denn an 14 Dörfer kann man aus dem Fenster sehen. Auf der einen Seite sieht man weit in das Hessische, auf der anderen Seite in das Hanöferische.

Ich mache mir hier eine Sammlung von Kupferstichen von Chodowiecki und habe schon einige hunderte. Wenn ich Dich bitten dürfte mir doch das eine Blatt zu schicken, welches du von ihm hast, es steht darunter, siehst du denn nicht, darum noch mehr: es ist aus dem Hamlet, so würdest Du mich sehr verbinden, und wenn ich dir mit anderen Kupferstichen dienen kann so würd es mich sehr freuen. Allein schicke mir es nur dann, wenn Du es nicht brauchen kannst und kein Vergnügen(?) daran findest.

Ich werde bald eine Zeichnung von mir dir schicken damit du siehst, ob ich gelernt habe.

Viele Complimente an deine Frau Mutter, an Mimi und Luischen.

Dein Freund F.Pforr


Kassel, 8.3.1803

Lieber Freund

Verzeihe mir, daß ich Dir noch nicht geschrieben habe und daß hierbei keine Zeichnung kommt, allein ich will Dir von jedem sagen, warum, und Du wirst mir vielleicht verzeihen. Meistens dachte ich, ich wollte Dir nicht eher schreiben, als bis ich eine Zeichnung an Dich schickte, und jetzt bald ist die hiesige Ausstellung und da muß ich noch einige Sachen darauf machen und daher kann ich es jetzt nicht machen. Ich habe es angefangen und habe es auch schon mit einer Lage Striche überlegt, allein ich muß es noch ausführen. Diese Zeichnung, die ich angefangen habe, ist für Deine Frau Mutter, und dann werde ich noch eine für Dich machen, damit Du siehst, ob ich vorgerückt bin.

Du erinnerst Dich doch wohl noch an das kleine Häuschen im Walde, wo wir manchmal hin spazieren gingen; ich habe hier auch so eins angetroffen, nämlich gestern ging ich mit einigen Freunden spazieren, es war des Morgens und wei schon, wir gingen einen Weg, den ich noch nie gegangen war. Ich sah in einiger Entfernung einige Mauern mit Fenster und fragte sie, was das wäre, und sie sagten mir, es wäre vermutlich eine Kalkbrennerei. Wir gingen hin und sahen die Grube, aus welcher der Mann, der den Platz gepachtet hat, die Kalksteine bricht. Von den Steinen, wo kein Kalk daran ist, baut er Häuschen, und eins hat er fertig und wohnt darin. Weil es kalt war, beschlossen wir hineinzugehen und uns zu wärmen. Wir traten ein, eine Frau, zwei Mädchen, ein Knabe saßen um den Tisch und arbeiteten, wir grüßten sie und baten sie, uns zu erlauben, uns ein wenig erwärmen zu dürfen, als wir hinter uns eine starke langsame Stimme hörten: Sein Sie mir willkommen meine Herren. Wir sahen uns um und sahen einen Mann an einem Tisch sitzen in einem langen Kleide und mit einem großen Barte. Er stand sogleich auf und unterhielt sich mit uns sehr freundlich, erzählte uns von seinem Kalkgraben und von dem Bauen, bis wir uns erwärmt hatten und gingen. Es war ein schöner großer alter Mann, so wie ich ihn behalten habe will ich ihn Dir zeichnen. Wir beschlossen, den Mann im Sommer öfters zu besuchen.

Für das schöne Kupfer von Chodowiecki kann ich Dir nicht genug danken, meine Sammlung von diesen Kupfern beläuft sich jetzt auf 360 Stück. Für Deine Zeichnungen danke ich Dir noch vielmals, sie haben mir und allen Leuten, welchen ich sie gezeigt habe, sehr gefallen. Etwas, was ich gezeichnet habe, muß ich Dir doch schicken, und da will ich Dir ein Blatt, welches ich nach (unleserlich) fast einen Abend gezeichnet habe, schicken.

Biete Komplimente an Deine Frau Mutter, Minni und Luise

von Deinem Freund

F.Pforr


Kassel, 11.6.1803

Lieber Freund

Deine Freundschaftsbezeugungen haben mich sehr gefreut und Du kannst versichert sein, daß ich Dich ebenso liebe wie Du mich, auch ich denke öfters an Dich und wünsche, daß wir beisammen sein könnten, aber dies geht nicht. Wir sind zwar voneinander, aber deswegen hoffe ich doch, daß ich Dich wieder einmal zu sehen bekomme, und dann können wir uns ja immer schreiben. Wir können uns ja sooft wir wollen schreiben, wie viele Freunde haben dieses nicht einmal und deswegen beruhige Dich, ich werde gewiß, in welcher Ecke der Erde ich auch sein mag, an Dich denken. Sollte uns einmal das Glück noch soweit voneinander werfen, wir denken immer an uns, und ehe wir es uns versehen, treffen wir uns einmal wieder.

Ich habe heute große Lust zu schreiben und deswegen will ich Dir etwas von meinen Kupferstichen schreiben.Ich habe jetzt einige Originalkupfer von alten berühmten Meistern, von Albrecht Dürer (sein Zeichen, welches man auf seinen Bildern und Kuferstichen findet, ist (hier Skizze) eine gar schöne Kreuzabnahme Christi, es ist (ein) sehr kleines Blatt, (es) ist gestochen. Dann habe ich von diesem berühmten und geschickten Meister einen großen Holzschnitt, er stellt vor Christus am Oelberg, er betet, ein Engel kommt und stärket ihn, nach ihm habe ich sei Porträt von Kilian gestochen. Dann habe ich den barmherzigen Samariter von van de Velde, ein gar schönes Blättchen, es sit Nacht, vor dem Wirtshaus geht eine Treppe herunter, ein Knecht hebt den verwundeten Israeliten vom Pferde, ein anderer kommt mit einer Fackel aus der Türe des Wirtshauses, vorne an der Treppe steht der Wirt, welchem ein Hündchen nachkeucht, mit einem Licht in der Hand und empfängt Geld von dem Samariter.

Das nächstemal, wenn ich Dir schreibe, so will ich Dir mehr davon schreiben. Schreib mir doch ja recht bald und auch etwas von Deinen schönen Kupfern, von wem sie sind, denn Du hast auch viele von alten Meistern und die Namen stehen doch fast alle drauf. Schreibe mir doch, von wem der alte Turm ist, wenn Du den Namen darauf finden kannst, Du kennst ihn doch, er sieht fast so aus (hier Skizze)

Also lebe wohl und schreibe mir bald und behalte mich immer lieb.

Meine gehorsamsten Empfehlungen an Deine Frau Mutter und viele Grüße an Deine Schwester von meinem Onkel und Tante und von Deinem immer bleibenden Freund

Franz Pforr

Die Adresse war nicht ganz recht, statt Hofmaler mußt Du Galerieinspektor setzen.

(Gesendet an) Passavant in der Schnurgasse im Grünen Haus


Kassel 16.6.1803

Lieber Freund

Ich habe Dir soviel zu schreiben von dem Fest, welches wir hier hatten. Denke Dir einmal eine Stadt, wo fast jedes Haus von unten bis oben hin eine Lampe an der anderen steht, und an den meisten Häusern noch transparente Gemälde, es war ein prächtiger Anblick. Neben dem Haus, in welchem wir wohnen, war eins der schönsten: in dem Torweg war ein prächtiger Tempel mit einem Genius, neben diesen war auf der einen Seite die Gerechtigkeit und der Überfluß, auf der anderen Seite die Standhaftigkeit und die Weisheit; diese vier Figuren waren über Lebensgröße. 2 Tage darauf ein prächtiges Feuerwerk.

Das eine Kupfer habe ich für Dich beigelegt, wenn es Dir gefällt, so ist mir es recht lieb.

Dein Freund

Franz Pforr


Kassel, 3.9.1803

Lieber Freund!

Deinen Brief habe ich erhalten und es war mir sehr lieb, daß Du Dich etwas beruhigt hast. Ich weiß Dir wenig zu schreiben, als daß die hiesige Messe war, es ist aber bei weitem keine Frankfurter und dieses macht, sagt man noch obendrein, daß sie sehr schlecht geraten wäre. Zu sehen war hier nichts, und das ist doch in Frankfurt fast immer.

Ich habe wieder einen gar schönen Kupferstich von Albrecht Dürer gestochen bekommen, es stellt einen Ritter (dar) mit einem Tod, welcher neben ihm reitet, und einen Teufel, welcher hinter ihm hergeht. Es ist vortrefflich gestochen.

Viele Empfehlungen an Deine Frau Mutter und an Deine Schwestern von Deinem Freund

Pforr


Kassel, 10.12.1803

Lieber Freund

Ich muß mich wirklich schämen, Dir solange nicht geschrieben zu haben, daß Du mir zwei Briefe schreiben konntest, doch ich will es jetzt wieder einbringen.

Für die Beschreibung der Kopiermaschine danke ich Dir, für Kaufleute ist diese Erfindung von großem Nutzen.

Gerne wollte ich Dir auch etwas neues von hier schreiben, aber ich weiß nichts, doch, etwas fällt mir ein: Für einige Tage dachte man, es wäre nicht weit von hier ein Wolf, fast alle Jagdliebhaber zogen hinaus. Frische zerrissene Schafe fand man, aber keinen Wolf. Endlich kam es heraus: ein Trupp großer Hunde waren einer Hündin gefolgt und hatten sich verirrt, und vor Hunger hatten sie einige Schafe zerrissen.

Daß in Frankfurt so viele Unglücksfälle vorgekommen sind, tut mir sehr leid.

Viele Komplimente an Deine Mutter und Geschwister von Deinem Freund

Franz Pforr


Kassel, 7.1.1804

Lieber Freund

Ich erhielt vor einigen Tagen ein Paket, worin ein Stück gar schöner Manchester war. Es war auch ein Brief dabei, aber es war mit "Niemand" unterzeichnet, und der Ort, wo das Paket hergekommen war, hieß "Nirgends". Doch soviel konnte ich aus dem Brief sehen, daß ihn einer meiner besten Freunde geschrieben haben muß. Meine Bitte geht also auch an Dich, (daß), solltest Du denjenigen kennen, der so gütig war und mir so ein schönes Neujahrsgeschenk machte, ihn in meinen Namen vielmals zu danken.

Noch will ich Dir eine Merkwürdigkeit schreiben, die man vor einigen Tagen hier sah: Es war ein sehr kleiner Zwerg, welcher ncht wie andere Zwerge ungestalt war, sondern so wohl proportioniert als wie ein ausgewachsener Mensch. Er mochte ungefähr nicht ganz völlig 3 Schuh groß sein, er war 32 Jahre alt und ebensoviel Pfund wog er auch. Er hatte große erwachsene Eltern und jüngere Geschwister. Er war aus der Schweiz vom Fuße des Gotthardsberges her.

Lebe wohl und gesund in diesem Neuenjahre, dieses wünscht Dein Freund

Franz Pforr


Kassel, 17.1.1804

Liebster Freund!

Daß Du derjenige wärest, der mir das schöne Geschenk gemacht hat, dachte ich gleich und danke Dir nochmals dafür; es ist der schönste Manchester, den ich jemals gesehen habe, und alle, die es gesehen haben stimmen mir zu.

Daß mein Onkel gestorben ist habe ich schon aus Frankfurt erfahren. Es tut mir sehr leid, Du weißt, wie freundschaftlich er mit mir umging, wirklich mehr als Freund (denn) als Onkel.

Ich zeichne jetzt an einem Apollo in schwarzer und weißer Kreide. Vor einigen Tagen war ich recht glücklich, ich bekam nämlich ein Originalblatt von van Dyck, es ist ein sehr schön radiertes Blatt, es stellt den berühmten Maler Schneiers vor. An diesem Blatt hat der nicht weniger berühmte van Dyck den Kopf radiert, das übrige ist von einem anderen Kupferstecher gemacht.

Viele Komplimente an Deine Frau Mutter und Geschwister von Deinem Freund

Franz Pforr


Wien, 8.12.1805

Lieber Freund

Glücklich ist der Mensch, der einen Freund gefunden hat, allein einen Freund im eigentlichen Sinn des Wortes, keinen Freund von Gestern oder Heute, dessen Freundschaft bis Übermorgen oder so lange währt, als er einen brauchen kann. Glücklich ist der Mensch, ich bin es auch, ich bin stolz darauf, ich habe Dich gefunden, mit Dir bin ich verbunden näher als mit Blutsbanden, ewig so vereint mit Dir zu leben ist mein erster Wunsch. Tugend sei unser Hauptzweck, denn laß uns unsern Körper und Verstand noch (so) sehr ausbilden, ohne Tugend sind wir ein leeres Gefäß, von außen vergoldet und glänzend.

Ich habe heute morgen eine äußerst angenehme Stunde gehabt. Ich gehe mit einigen meiner Bekannten die Anatomie, so viel sie der Maler braucht, durch, und jetzt bin ich mit dem Gerippe beinahe fertig. Weil ich es aber nur nach Kupfer studiert hatte, ging ich heute morgen in die Akademie und ließ mir ein Gerippe von seinem Postament nehmen. Ich sehe es ganz langsam durch, bemerkte die verschiedenen Knochen, zu was sie gebraucht sind, die Gelenke, die Rollen, das schöne Ebenmass der Symmetrie, und betete still den an, der ein solches Gebäude aufführt. Wer das schöne, das nützliche, das brauchbare an unsern Körper nicht kennt, ist nicht wert, ein Mensch zu sein.

Den Eindruck, welchen der erste Anblick von Wien auf mich machte nach einer so beschwerlichen und langwierigen Reise, kannst Du Dir leicht vorstellen, wie die Stadt, die mir der Leopoldsberg so lange versteckt hatte, auf einmal in ihrer Pracht vor mir lag. Ich habe meine Bemerkungen meiner Reise alle aufgeschrieben und einige interessante Gegenden davon gezeichnet, nebst den besonderen Trachten von Völkern, welche man hier sieht als Türken, Polen, Ungarn, Silavonier, Russen, Neu-Griechen, jetzt auch Mamelucken hat man hier gesehen. Ich glaube, daß sie vielleicht in Frankfurt interessieren und werde sie mit Gelegenheit dahin schicken.

Meine Zeit habe ich so eingeteilt, daß ich des Morgens in der Akademie in der Schule des geschickten Maler Maurer zeichne, des Nachmittags zu Haus und des Abends studiere ich die Anatomie, und von 8 Uhr abends an skizziere ich, schreibe und lese mir nützliche Bücher. Der Krieg hat vielen Einfluß auf die Akademie und auf ihre Zöglinge, das Zeichnen nach Statuen und nach der Natur ist geschlossen, wird aber hoffentlich bald wieder eröffnet werden.

Etwas muß ich Dir noch schreiben, über welches Du sicher lachen wirst. Könntest Du heute abend hier sein, so könntest Du mich mit einer echten Eisenfressermiene - Schildwache stehen sehen - / denn die Akademie hat sicherheitshalber ein Corps errichtet, ich welches ich auch eintreten mußte, und heute abend muß ich Wache stehen. Zum Glück komt es nicht öfters an einen.

Grüße Luischen vielmals von ihrem Katzenschwanz. An Deine Frau Mutter bitte ich vielmals mich zu empfehlen, und sage Minni nebst vielen Komplimenten, daß ich von dem ganz das Gegenteil gehört habe.

Bleibe mein Freund

F.Pforr


Wien, 5.2.1806

Lieber Freund

Erinnerung ist der Nachsommer der Freude, diese Wahrheit empfinde ich niemals stärker, als wenn ich einen Brief von Dir erhalte. Dann denke ich mich so lebhaft zu Dir, denke mir alle vergnügten Stunden, welche wir zusammen genossen haben, doch da kommt immer der hässliche Gedanken dazwischen, wir sind beinahe hundert Meilen von einander entfernt, doch was tut das, in unserer Jugend müssen wir getrennt voneinander leben, vielleicht in späteren Zeiten sind wir zusammen.

Von meinem Soldatenstand hast Du doch schon gehört, wer hätte das gedacht, doch es ist vorbei, und ich bin froh, daß es so vorübergegangen ist. Hier hast Du die getreue Abbildung unserer Uniform: Schwarzen Federbusch, grünen Rock, karmosinrote Aufschläge, weisses Koppel, Säbel mit Stahl beschlagen; so stelle Dir mich vor. Die Akademie, welche die Zeit durch verschlossen war, ist wieder eröffnet und alles geht wieder seinen alten Gang, dieses freut mich besonders sehr.

Schreibe mir bald und das einen recht langen Brief, denn ein Brief von Dir ist mir nie zu lang. Was macht die Kunst bei Dir, zeichnest Du noch? Und Minni, die zeichnet gewiß noch fleißig bei Herrn Bager (Bachert?) Viele Komplimente an sie wie auch an Deine Frau Mutter und an mein liebes Luischen von ihrem Katzenschwanz

Deinem Freund

Franz Pforr


Wien, 16.4.1806

Für die schöne Komödie, welche Du so gütig warst, mir zu schreiben, danke ich vielmals, und ich glaube meine Erkenntlichkeit dafür nicht besser an den Tag legen zu können, als wenn ich Dir auch mit einer antworte. Ob es ein Lust- oder Trauerspiel ist, magst Du entscheiden. Ich bin ein sehr bescheidener Autor und schreibe keine langen Vorreden, in welchen man sonst zu sagen pflegt, für was man das Werk ansehen soll - doch ich gerate ins Plaudern, frisch, der Vorhang fliegt auf, und meine Wenigkeit als Held des Stückes tritt sogleich auf die Bühne.

1. Akt Es erscheint wider alles Vermuten ein Mann, welcher mich vor die Rekrutierungskommission fordert. Meine Courage kennst Du, ich sage nichts weiter - doch er ist so artig und schlägt mir vor, ich möchte ihm meine Papiere, mit welchen ich mich zu legitimieren gedächte, mitgeben, und er wollte sie mir im Fall, daß er glücklich wäre, wieder zurückbringen, denn sonst würde man sich wohl bemühen, mich abzuholen. Ich schlage es aus und denke "selbst ist der Mann" und gehe hin. Nachdem ich eine viertel Stunde unter den Soldaten und Rekruten warten mußte, wurde ich vorgefordert, ich trete mutig hin, meine Papiere in der Hand legitimiere ich mich und halte in allen Ehren meinen Rückzug.

2. Akt Ich sehe mich genötigt, unter das Akademische Crps zu gehen und uniformiere mich; alle Stücke der Uniform stehen mir ganz prächtig, besonders der dreyeckte Hut.

3. Akt Ich ziehe zum ersten Mal auf die Wache, werde Flügelmann und trotz meiner neuen Stelle von dem Korporal brav ausgescholten, weil die Fronte nicht grad steht. Ich denke "der Gerechte muß viel leiden" und lasse mich geduldig auf meinen Posten stellen, man gibt mir eine gewaltige Flinte in den Arm.

4. Akt Ich bin auf einer Ordonnanz-Wache, ich mit einem Kameraden und zwei Bürger bekommen Befehl, 4 Wagen von der Straße weg zu nehmen. Wir richten unser Geschäft mit der größten Genauigkeit aus, obschon es uns viele Mühe macht, denn die Kutscher kannten uns schon. Wir bringen sie endlich zusammen, die Pferde werden angeschnürt an französische Wagen und fort.

5. Akt Wir stehen an einem Tor der Stadt, die Nacht wird es Lärm, einige französische Soldaten haben von dem vor dem Tore liegenden Holz gestohlen, wir haben Order von unsern Kommandeur und dem französischen General, dieses nicht zu dulden. Einige von unseren Leuten, unter welchen auch ich war (weil ich der einzige war, der etwas französisch sprach), werden beordert, es ihnen abzunehmen, wir eilen ihnen nach, ich war der erste, und stellte mich schon in Rednerposition, sie wollen mich nicht hören und greifen zu dem Säbel (...) gern (...) nicht, nach einem kleinen Gefecht überlassen sie uns den Platz und das Holz, wir tragen es im Triumph in die Wache. Die Nacht um 12 Uhr komme ich auf einen gefährlichen Posten und erhalte strenge Order. Gegen halb 1 Uhr nähert sich mir jemand, ich rufe "Wer da?", man antwortet nicht, noch einmal und wieder keine Antwort. Nun wurde mir bei der Sache ein wenig schwul, ich fasse mein bisschen Mut noch einmal zusammen und brülle "Wer da, keine 3 Schritte näher oder ich stoße Dich nieder!" - diese sanfte Vorstellung hatte gut gefruchtet und der unbekannte jemand zog sich zurück. Ich war herzlich froh, daß ich meine Order nicht ausüben brauchte und bei meiner Rückkunft in die Wache werfe ich mich auf die Pritsche und schlafe sanft ein.

6. Akt Ich komme wieder auf eine Ordonnanz-Wache und erhalte 2 gefangene Russen, mit der strengsten Order, sie gehörig abzuliefern, zu transportieren. Unterwegs bitten mich einige Weiber um die Erlaubnis, ihnen etwas schenken zu dürfen. Ich erlaube es großmütig und bringe sie endlich an Ort und Stelle.

7. Akt Ich komme auf die hiesige Hauptwache und muß 4 mal jedesmal 2 Stunden auf dem Posten stehen, doch dieses war die letzte Wache, welche ich tat.

8. Akt Bei der Ankunft des Kaisers zieht unser Korps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen ihm entgegen und steht in Parade.

Ende des ersten Teils.

Die Vorstädte von Wien sind nicht gepflastert.

Meine gehorsamste Empfehlung an Deine Frau Mutter, und viele Komplimente an Deine Schwestern.

Schreibe bald Deinem Freund

F. Pforr


Wien, 3.7.1806

Lieber Freund

Du hast mir eine rechte Freude mit Deinem Brief gemacht, ich saß ganz allein vorigen Sonntag in meinem Stübchen und skizzierte einige Ideen, da klopfte es an die Türe, "herein", ein Brief, sogleich dachte ich an Dich und wünschte, daß er von Dir möchte sein, und ich wurde in meinem Wunsch nicht betrogen.

Da Dein schöner Spaziergang auf den Feldberg zu Wasser geworden ist, so will ich Dich zu einem andern invitieren, den ich vor einiger Zeit gemacht habe, und den ich mit Dir in Gedanken noch einmal machen will. Also nur getrost gefolgt, obwohl der Weg an einigen Orten sehr steil und beinahe ungehbar ist.

Ich ging mit noch 6 akademischen Schülern, mit denen ich sehr genau bekannt bin, den Sonnabend Abends 7 Uhr (ich bin recht pünktlich, das weißt Du noch vo alters) von Wien und wollten noch den Abend nach einem Ort, welcher 3 Stunden von der Linie an gerechnet liegt. Das erste schöne, was wir sahen, war der Untergang der Sonne, ich hatte es lange nicht gesehen, deswegen machte es einen außerordentlichen Eindruck auf mich. Wir gingen weiter und kamen bald zwischen die Gebirge. Die Nacht kam, eine schönere Nacht habe ich niemals gesehen. Nun teilte sich unsere Gesellschaft in drei Gruppen. Voran ging ich mit zwei jungen Malern und führten ein Gespräch über die niederländischen Maler und ihre Manier, die anderen sprachen von Büchern und die dritten bliesen ein munteres Ständchen auf ihren Flöten und machten Narrenpossen (worin wir öfters alle gut einstimmten) dazwischen. Endlich langten wir um 10 Uhr in dem Ort unserer Bestimmung an.

Des Morgens um 3 Uhr gingen wir auf einen nahen sehr hohen Berg, um die Sonne aufgehen zu sehen, prächtig schwamm sie empor. Auf den Ruinen eines zertrümmerten Wartturmes saßen wir in einer malerischen Gruppe und sahen entzückt diesem herrlichen Schauspiel zu. Links sahen wir flaches ebenes Land von Bergen eingeschlossen, von der Donau durchströmt, die stolze Kaiserstadt in der Ferne, rechts sahen wir wilde, teils bewachsene, teils kahle Felsen, ein Tal zwischen ihnen, ein Bach rauschte dadurch, das war ein Frühstück, doch zu Mittag sollten wir auch was herrliches haben.

Wir eilten durch das felsige Tal, um von der anderen Seite einen Berg zu ersteigen. Von oben herab hatten wir den schönsten Anblick in ein waldiges Tal, durch die finsteren schwarzen Tannen ragte hier und da ein kahler Fels, hinten lagen die Gebirge voll eisigen Schnee, der Fuß dieser Berge grünte und der Kopf glänzte von Schnee. Plötzlich trieb ein starker Wind eine Wolke in das Tal, hier teilte sie sich in einzelne Gruppen, die nahe über die finstern Tannen und Felsen hinschwebten. Unsere gespannte Fantasie sah hierinnen ganz die Geister des Ossians, wir konnten uns an diesem prächtigen Schauspiel nicht satt sehen. Ich zeichnete das Tal. Im Rückweg gingen wir über ein altes Schloß, welches mir deswegen sehr merkwürdig war, weil es noch wenig zerstört ist.

Deiner Mutter und Schwestern wird es gewiß in dem Spessart recht sehr gefallen, denn soviel ich davon gesehen habe, ist es für einen Sommer ein angenehmer Aufenthalt. Solltest Du an sie schreiben, so bitte ich um meine Empfehlung.

Daß Du jetzt ein so vergnügtes Leben führst, freut mich sehr, ich bin jetzt auch recht glücklich, fleißig und lustig vergehen mir jetzt die Tage.

Lebe wohl und vergiß nicht Deinen Freund

Franz Pforr


Wien, 6.9.1806

Lieber Freund

Dein Brief hat mir eine große Freude gemacht, besonders die Reise auf den Feldberg. Zum Gegenstück kann ich Dir wieder mit einer andern aufwarten. Mache Dich bereit, mit mir nicht in lachende Täler bei heiterem Sonnenschein, sondern zwischen finsteren Mauern, den Aufenthalt schrecklicher Gespenster, zu steigen.

Vor einiger Zeit wurde unter meinen Bekannten von Geistern gesprochen. Wir alle leugneten ihre Existenz außer einer, der auftrat und erzählte, daß er in einer alten Burg, Greifenstein genannt, sich einmal verspätet habe und er auf einmal ein Gepolter und Gerassel gehört, und ganz deutlich vernommen habe, daß etwas vom Turme, worin das Burgverlies ist, hergekommen wäre. Darauf sei er vor Schrecken fortgelaufen. Er erzählte darauf eine Geschichte von einem Ritter, welcher seinen Burgpfaffen in einen Käfig habe sperren lassen und seine Tochter geflucht habe. Darauf sei er von der Treppe gestürzt und sei gestorben. Sein Geist müsse nun so lange in der Burg umgehen, bis der Stein, an welchen er zerschmettert ist, weggerissen wäre. Wir beschlossen alle, hinzugehen, aber ein Freund von mir sagte, "ich habe lange mich nach einer Gelegenheit gesehnt, mich überzeugen zu können, ob es wirklich Gespenster gibt oder nicht, nun ist sie da und Pforr, Sie gehen gewiß mit, wir wollen die Nacht in dieser Burg zubringen." Ich war sogleich dabei und noch 8 andere Bekannte boten sich dazu an.

Der Tag kam, ein Sonnabend, und 5 von den Mitunternehmern traten zurück. Um 5 Uhr abends gingen wir bewaffnet mit Pistolen, Hirschfänger und tüchtigen Stöcken von hier weg. Unser Weg führte uns an dem Ufer der Donau, durch die lachendsten und reizendsten Gegenden, hin. Wir erkundigten uns unterwegs nach der Wahrheit der dortigen Gespenster. Wir kamen endlich vor 9 Uhr an den Fuß des Berges, auf welchen das Schloß liegt. Durch dickes verworrenes Gebüsch wand sich ein schmaler Fußsteg. Endlich waren wir im Freien und nahe an der Burg. Vor uns stand eine kleine Kapelle. Ich setzte mich auf ihre Türschwelle, niemals habe ich solche Empfindungen gehabt wie da. Hier lud ich die Pistolen, und in jeder Tasche eine ging ich voran. Wir standen vor der Burg, durch mehrere kleine Vorhöfe kamen wir in einer große finstere Halle - doch ich werde zu weitläufig und der Raum des Papiers verstattet es mir nicht. Nun wurde Rat gehalten, wie wir etwas zu essen bekämen, und endlich wurden zwei beordert, Essen zu holen, und ich mit den anderen zwei blieb oben. Wir setzten uns vor die Burg.

Die Nacht brach jetzt ganz ein, die Abendröte verschwand nach und nach an den Horizont, vor uns brauste die Donau, rechts und links Wald, hinter uns die Burg, über uns das ausgebreitete, von keinem Wölckchen getrübte Sternenzelt.

Wir mußten lange auf unsere Gefährten warten, erst vor 11 kamen sie, man hatte sie an einen zu entlegenen Ort beschieden, sie brachten Brot und Wein. Nun gingen wir wieder in die Burg und suchten uns in der großen Halle ein Plätzchen (...) beraten. Wir fanden ein kleines, vielleicht ein ehemaliges (...iel). Wir zündeten ein Licht an, jeder legte seine Waffen hin, und aßen und tranken ruhig.

Jetzt hörten wir durch die Mauern von dem fernen Dorf her 12 schlagen, und jetzt war also die gefürchtete Geisterstunde da. Wir sprachen von der unklugen Furcht, die den einen in der Burg überfallen hätte, und von der Nichtigkeit der Gespenster, als wir auf einmal ein leises Geräusch hörten und sogleich darauf ein starkes Gepolter vernahmen. Wir sprangen sogleich auf und eilten in den inneren Hof, woher das Gepolter kam. Wir entdeckten sogleich den Geist und mußten herzlich lachen, daß eine alte, halbzerfallene Mauer, von welcher der Wind einige Steine herabgeworfen hatte, uns das Blut ein wenig nach dem Herzen getrieben hatte. Wir gingen wieder zurück, hatten viele Visiten von Eulen und Fledermäusen.

Gegen Morgen gingen wir vor die Burg, zeichneten sie. Darauf besahen wir sie ganz genau von innen, fanden in dem Turm den Käfig, in welchem der Burgpfaffe gesessen hatte, und gingen darauf, noch mittags, nach Wien zurück.

Viele Empfehlungen an Deine Frau Mutter und Schwestern

Lebe wohl, vergiß nicht und schreibe bald Deinen Freund

Franz Pforr


Wien, 6.9.1806

Lieber Freund

Da ich von Dir zwei Briefe erhalten habe, so ist es wohl billig, daß ich Dir auch zwei schicke, der erste ist geschrieben kurz vorher als ich Deinen letzten erhielt. Unsere Briefe fangen jetzt an, recht historisch zu werden, und das ist uns beiden wohl angenehm.

Von den Festen, die Du mir beschreibst, will ich nichts als das sagen, daß ich sie gewiß mit den Empfindungen, die Du dabei hattest, angesehen hätte.

Von mir kann ich Dir nichts als Angenehmes und Fröhliches schreiben. Mein Freund Jung, welcher schon damals, als ich hierher ging, mit reisen wollte, aber verhindert wurde, ist nun hierhergekommen, und wir studieren vereint.

Doch jetzt muß ich Dir noch eine recht angenehme kleine Reise erzählen, die ich letzthin gemacht habe. Vor einiger Zeit spürte ich eine Krankheit in mir, und man riet mir, daß, weil es vom vielen Sitzen herkäme, mir eine kleine Reise äußerst nützlich wäre. Weil ich in der Tat eine Krankheit fürchtete, so war mir es sehr willkommen, daß 4 meiner Freunde eine solche Landpartie machten nach dem Schneeberg und mich dazu einluden. Ich versäumte auch gerade nichts bei der Akademie, denn wir hatten Ferien.

Die ganze Reise zu beschreiben wäre zu umständlich, also nur die Hauptsachen. Ich benenne nur die merkwürdigsten Örter ohne weitere Einleitung. Veste Starhemberg, der blinde Kastellan, welcher uns in der Burg herumführte, der Turnierplatz mit dem Rittergrab, in welches die Ritter, die bei dem Turnier blieben, eingescharrt wurden. Die Burg ist ganz von weißem Marmor gebaut. Ankunft beim Gebirge, der erste Felsenpass bei Gutenstein, ein überaus malerischer Gegenstand, der zweite Pass noch wilder wie der erste. Mariahilfberg mit einem Mönchskloster. Der überaus schöne Spaziergang auf dem Berg mit einer Kapelle und einer himmlischen Aussicht auf den Schneeberg, von den Geistlichen angelegt.

Ankunft in Schwarzau, Ziel unserer Reise. Berge von Alpenhöhen umgeben uns, es liegt am Fuß einer Alpe. Hier habe ich zum erstenmal in meinem Leben das glückliche Alpenvolk und ihre idyllische Beschäftigung gesehen, hier muß ich ausführlicher sein.

Wir waren den Mittag angekommen, und nachdem wir uns an einem Stück Bockfleisch gesättigt hatten, fragte ich ge..., wo die erste Alpe, auf welcher Vieh ging, wäre. Man sagte mir, daß der Berg, an welchem das Dorf liegt, eine Alpe wäre. Nun war ich nicht aufzuhalten, meine Kameraden stellten vor, es wäre zu spät, zu weit &c&c, aber nichts, ich ließ mich nicht abhalten. Zwei von ihnen versprachen, mich zu begleiten, und so ging ich. Allein das Steigen war so unbequem, daß ich sie bat, weil ich wußte, daß sie es bloß meinetwegen taten, daß sie wieder umkehren möchten. Wie es zu beschwerlich wurde taten sie es auch, ich stieg allein fort.

Ich war eine Stunde fortgestiegen, als ich an eine große Höhle kam, in welche Vieh getrieben war. Hier kam ich an eine Brücke von Baumstämmen, welche über eine große Spalte des Felsens ging, davor stand ein Marienbild. Ich ging darüber und sah auf dem Gipfel des Felsens ein Haus stehen, welches ich sogleich für ein Alpenhaus erkannte. Von Bäumen war es zusammengesetzt und mit Moos die Ritzen verstopft. Ich war kaum den Felsen hinangestiegen, so breitete sich die lachendste Gegend vor mir aus, grasreiche Matten zwischen Felsen, hie und da mit Bäumen besetzt, Kühe weideten darauf und das Geläute ihrer Glocken schallte von ferne. Ich ging zwischen Matten unter fruchttragenden wilden Kirschbäumen. Auf einmal schallte von ferne der Kuhreien. Es kam immer näher, ich dachte, wie wir zusammen in Wilhelm Tell waren und uns das auf dem Theater nur vorgestellte ländliche und idyllische Leben so rührte, und nun lag die Wirklichkeit vor mir.

Es wurde Abend und ich ging in eine Sennhütte, um Milch zu fordern, ich trat ein mit der Bitte und setzte sogleich hinzu, daß ich sie gerne bezahlen wollte. Ein Mädchen stellte mir einen großen Topf saure Milch vor, und nachdem ich satt war und nach dem, was ich verzehrt hatte, fragte, lachten sie mich aus und sagten, daß sie das ja genug auf der Alpe hätten. Ich gab den Kindern eine Kleinigkeit, für das sie sich sehr bedankten und stieg vergnügt wieder herab, es war schon dunkel, als ich ankam.

Den anderen Tag ging es durch das Höllental, zu beiden Seiten hohe Berge und Felsen, unten floß der Fluß Schwarza, man muß bald durch Brücken rechts und links über den Fluß gehen, einige sind so (Zeichnung). Wir saßen und zeichneten, als ein Wolf auf der anderen Seite des Flusses über einen Felsen lief. Des andern Mal als wir zeichneten, hörten wir in dem Gebüsch neben uns ein Brummen welches immer näher zu kommen schien. Wir fragten einen Bauern, der mit uns ging, was das wäre, er sagte, es wäre ein Bär, und lachte dabei herzlich und versicherte uns, daß wir nicht in Gefahr waren, denn hören ließen sie sich oft, aber selten sehen. Wölfe und Bären wären hier nicht gefährlich, aber Luchse, Gemsen gibt es auch hier. Von hier kamen wir in ein reizendes Tal, Reichenau genannt. Hier sahen wir Eisenhütten und Eisenbergwerke. Von hier ging es wieder nach Wien, und ich kam so gesund hier wieder an, als hätte ich die größte Kur gebraucht.

Nun lebe wohl und vergiß nicht Deinen Freund

F.P.


Wien, 24.11.1806

Liebster bester Freund

Tausendmal muß ich Dich wegen meinem langen Stillschweigen um Vergebung bitten, vielleicht erhalte ich sie durch einen langen Brief am ersten? Nun so mache Dich denn gefaßt auf eine recht große Epistel. Deine Geschichte hat mich recht amüsiert, und ich glaube, Du spielst so bald nicht wieder ein Mädchen.

Daß Du Dich wieder an das Zeichnen machen willst, hat mich recht gefreut, es ist doch immer eine der angenehmsten Beschäftigungen. Daß Du Reinermann1 zu Deinem Lehrer nehmen willst, billige ich gar, denn er ist ohnstreitig der erste Künstler in Frankfurt, und ein sehr geschickter Maler. Bei meiner Anwesenheit in Frankfurt besuchte ich ihn und sah bei ihm die vortrefflichsten Sachen. Du machst in Deinem Brief der Kunst Deiner Schwester Mimi eben kein Kompliment, und doch wird sie es, so viel ich aus ihren Zeichnungen gesehen habe, für ein Frauenzimmer gewiß noch weit bringen. Daß Luischen bei ihrem Zeichnen lauter Kompositionen macht, kann ich mir leicht denken. Setzt sie denn noch ihre literarischen Arbeiten fort, ist die Komödie, welche ich zur Hälfte gehört habe, nun ganz fertig?

Soeben erhalte ich den Brief von Dir, der mir vieles Vergnügen macht. Ich habe Dir so vieles zu schreiben, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich könnte Dir wieder mit zwei Landpartien aufwarten, wovon die eine auf das Lustschloß Laxenburg, die andere aber nach Baden ging, aber ich fürchte, Dir Langeweile zu machen. Du wirst denken, nun, der muß auch nichts tun wie herumlaufen, aber so ist es doch nicht, denn ich tue es nur dann, wenn ich auf der Akademie Ferien habe und lange Zeit gesessen habe, und unter der Zeit gehe ich auch gar nicht spazieren. Und überdies ist mir auch in Ansehung der Kunst eine solche Reise nützlich, denn ich wandere nie anders als mit meiner Portefeuille, Papier, Kreide und Bleistift versehen, und zeichne Landschaften nach der Natur. Die erste Landpartie will ich also ganz unberührt lassen, die andere aber muß ich erwähnen.

Wir gingen durch die Brühl, die ich Dir in einem meiner ersten Briefe beschrieben habe, nach dem alten Kloster Heiligenkreuz, ein altes, wie man sagt schon tausendjähriges Gebäude, welches in der malerischsten Gegend liegt, zwischen Gebirge und Wäldern. Das war die erste Station. Den anderen Tag bis Baden und von da nach Schönau, welches wirklich viele Sehenswürdigkeiten hat, z.B. einen unterirdischen Gang, der einem in einen Tempel, der der Nacht geheiligt ist, führt. Der Anblick ist wirklich imposant, wenn die eisernen Türen mit Gerassel aufspringen und man in den runden, matt erleuchteten Saal tritt, eine angenehme Musik empfängt einen. Statt der Kuppel ist der gestirnte Himmel mit dem halben Mond. Der Mann, der uns herumführte, machte alle Lampen aus und machte uns auf den Hesperos2 aufmerksam, der eben an der Kuppel aufging. Als wir uns wieder umdrehten, hatte sich der halbe Mond in einen Vollmond verwandelt und leuchtete uns vollkommen so wie der wirkliche, und wir genossen das Vergnügen, um 1 Uhr mittags im Mondschein spazieren zu gehen. Das Bad der Diana, ebenfalls unterirdisch, macht auch einen hübschen Effekt.

Doch jetzt von etwas, was dich vermutlich mehr interessieren wird, und dann noch von etwas, was dich noch mehr interessieren wird. Vor einigen Wochen sah ich die Kaiserliche Gemäldegalerie zum erstenmal, denn bis jetzt war sie immer noch verschlossen. Wir kamen zuerst in die Zimmer, in welchen die Italienische Schule aufbewahrt wird. Ich will die nicht bemerken, die mir gefallen haben, sonst müßte ich dir einen Katalog von mehreren Bögen schreiben, also nur drei oder vier Bilder, die meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen. Das erste, welches ich beinah dasjenige Bild aus der italienischen Schule nennen kann, welches mich am meisten von allen, die ich je gesehen habe, gerührt hat, ist von Antonis Pordenone, die heilige Justina mit einem Palmzweig in der rechten Hand. Bittend kniet vor ihr ein Mann in schwarzer altdeutscher Kleidung, neben ihr liegt ein weißes Einhorn, der Hintergrund stellt eine angenehme Gegend mit Gebäuden vor. Das höchste Ideal weiblicher Schönheit, das ich mir nur zu denken vermochte, stand jetzt vor mir und nicht allein eine schöne Gestalt, ein schönes Gesicht, sondern auch einer der geistreichsten Köpfe, die ich nur gesehen habe, ein denkender Ernst und sanfte Güte sind die Hauptzüge des edlen Kopfes. Ein Brustbild von Tizian zog danach meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, ein schon bejahrter Mann mit grauem Haar. Merkwürdig war es mir noch, einige Gemälde, obschon nur Staffeleibilder von Michelangelo zu sehen und einige größere von Correggio. Doch ich halte mich hier zu lange auf, und es ist Zeit, wir wollen uns also geschwind in die Säle begeben, wo die Deutsche Schule aufbewahrt wird. Diese Sammlung ist außerordentlich vollständig, von Albrecht Dürer sind mehrere überaus schöne Bilder da. Die niederländische Schule ist noch nicht ganz ausgepackt, und also sieht man das wenigste.

Das wäre also das erste, was ich dir schreiben wollte, das zweite ist, daß ich die äußerst intressante Bekanntschaft mit dem berühmten Joseph Haydn gemacht habe, der große Mann, der die Schöpfung und die Jahreszeiten gemacht hat. Ich ging mit noch zwei Freunden hin; der ehrwürdige Greis empfing uns äußerst gütig. Was liegt doch so außerordentlich Angenehmes in dem Betrachten eines großen Mannes, seine Worte scheinen uns Orakelsprüche zu sein, man geizt und drängt sich um einen Blick, ein Wort von ihm; voll Respekt steht man vor einem Großen dieser Erde, aber voll Ehrfurcht und Ehrerbietung vor einem solchen Mann. Ein kleines Urteil über seine Werke, das ich selbst von ihm gehört habe, ich setze seine eignen Worte hin: "Die Schöpfung, sagte er, ist mein bestes Werk, aber der Stoff dazu ist auch erhaben, denn da sprechen Engel und Gott selbst, die Jahreszeiten sind lange so gut nicht, denn der Stoff fehlt, denn das ewige Liebe, Wein, Fässer und Trauben (hier lächelte er), was ist das!" Obschon ich kein Musikkenner bin, so war mir doch dies Urteil dieses großen Mannes äußerst intressant. Er zeigte uns ein Werk,, das gewiß nach seinem Tode herauskommen wird, nämlich 32 Canons, die er nach den Epigrammen der besten Dichter komponiert hat. Ich hoffe, daß dies wenige, was ich von ihm dir sage, dich interessiere, denn du bist ja Musikkenner und Liebhaber. Deiner Schwester Mimi ist es wohl noch angenehmer, denn die ist ja selbst musikalisch.

Ich habe jetzt angefangen, ein Bild von Teniers zu kopieren, das Malen macht mir sehr viele Freude, ich wünsche weiter nichts, als daß du nur einen Tag meine Verrichtung und die Wirtschaft sehen solltest, die ich jetzt mit meinen beiden Freunden, mit denen ich jetzt zusammenwohne, führe. Wir haben zusammen eine Wohnung genommen, wo wir unser Wesen treiben, diese besteht in zwei Zimmer, einer Kammer und Küche, letzteres wird aber nur als die Rumpelkammer gebraucht.

Nicht wahr, ich schreibe dir aber diesmal einen recht verwirrten Brief, aber ich bin nun einmal gewohnt, wenn ich an dich schreibe, meine Gedanken so wie sie aufeinanderfolgen auf das Papier zu setzen.

Meine Empfehlung an deine Frau Mutter, grüße deine Schwester Mimi und Luischen herzlich von mir, schreibe mir doch bald wieder und auch so einen hübsch langen Brief.

Ich bin Dein Freund F. Pforr

Meine jetzige Adresse ist
Auf der Wieden Wien in der Unteren Pfarrgasse No47 in Wien

(1) Reinermann, Friedrich Christian (1764-1835), Frankfurter Landschafts- und Porträtmaler
(2) Hesperos = Abendstern


Wien, 28.01.1807

Lieber Jean, ich danke dir herzlich für deine 3 lieben Briefe, sollte dir auch eigentlich mit einem recht langen Brief darauf antworten, aber den spare ich bis auf nächstens. Es freut mich überaus, daß du so oft an mich denkst, wir müssen uns leider nur mit aneinander denken und schreiben begnügen, es ist eigen, daß wir auf lange Zeit nie an einem Ort waren, doch ich hoffe, daß wir jetzt getrennt leben bedeutet, daß wir ins künftige desto mehr beieinander leben. Wie oft wünsche ich, ich könnte des Abends nach der Akademie ein Stündchen zu dir schleichen, aber nein, dann wäre ich zu glücklich, und der Mensch muß immer dadurch, daß er seine Wünsche auf einen fernen Gegenstand richtet, im Zaum gehalten werden. Ich wünschte sehr, daß du hier wärst, es würde dir sehr gefallen, zwar jetzt nicht, so weit es Winter ist, der aber doch hier sehr gelind ist. Wien ist wirklich ein vortrefflicher Ort. Alle kaiserliche Gebäude, Gärten und Belustigungsörter stehen für jedermann offen. An diese Örter kann man in andern Staaten nur durch ein Geschenk kommen, hier ist aber bei jedes das Gesetz, daß das Geben etwas überflüssiges und unnötiges ist, und wenn man nichts gäbe und der Kutscher beging eine Unart, so möchte man es nur anzeigen, so stehen dem Fremden die Gallerien, die Kunstkabinette, Menagerie u.d.g. offen.

Du schreibst mir aus Frankfurt viele Neuigkeiten, solltest du mir nicht zu viele schreiben, bedenk es. An deine Frau Mutter, Mimi und Luischen und sie möchte doch ja ihre Komödie fortsetzen damit ich sie in dem hiesigen Burgtheater bald zu sehen bekommen kann, aber den Titel muß ich wissen, damit ich sie auf dem Ausschlagzettel...

Dein Freund
F. Pforr


Wien, 18.04.1807

Liebster bester Freund

Du kannst nicht glauben, wie angenehm mir dein Brief gewesen ist. Ich saß eben hinter meiner Staffelei und dachte an meine Unart, daß ich dir deine 3 lieben Briefe nur mit ein paar Zeilen beantwortet habe, hurtig warf ich Pinsel und Palette weg und fing einen Brief an dich an, da klopft es - herein! - Ein Brief an mich und von dir, in dem ich auf jeder Zeile deine warme Freundschaft lese. Lieber Jean, kein Unglück auf der Erde kann mich unglücklich machen, solange du mein Freund bist, und das wollen wir bleiben, ungetrennt, selbst der Tod soll uns nicht trennen, stirbt auch einer von uns früher als der andere, er wird fortleben in dem Herzen des Zurückgebliebenen, bis wir uns wieder, um niemals getrennt zu werden, vereinigen. Es ist sonderbar, daß du auf denselben Tag jährlich einen Spaziergang nach dem von uns geweihten Platze machst, wer weiß, ob nicht das gewisse Etwas, das uns dort zusammmen verband, dich auch noch jetzt hinzieht.

Wage du zu sinnen und zu träumen
Hoher Sinn liegt oft in kindschem Spiel

sagt Schiller in seiner "Thekla", und ich wäre beinahe geneigt, es ihm nachzusprechen.

Überhaupt finde ich jetzt viel Unerklärbares im menschlichen Leben. Die körperlichen Sinne haben so viel Einfluß auf den Geist, warum soll es nicht auch etwas anderes haben, bringt nicht ein Ton durch das Ohr in der Seele die verschiedensten Empfindungen hervor? Ich sehe dieses nicht besser ein, als wenn ich mich selbst belausche bei Betrachtung schöner Kunstsachen. Ein heilige Familie löst mich ganz in religiösen Empfindungen auf, ich gehe weiter und sehe den trauernden Hiob mit seinen Freunden oder Marius auf den Ruinen von Karthago, die düstere Melancholie macht sogleich einen Angriff auf mich, Lachen wäre mir um keinen Preis möglich. Ein Beispiel des Edelmuts machte mir eine rechtschaffene Handlung gewiß leichter. Unruhig wallt das Blut und der Geist stürmt bei einer Schlacht -- ich könnte Beispiele zum Ermüden anführen (wenn ich nicht befürchten müßte, daß du es jetzt schon wärest). Durch dieses wirkt aber auch der Künstler auf die Seele, und wem dieses am besten gelingt, der ist der erste; bis jetzt steht noch immer Rafael fest, und ich glaube, so bald nimmt kein anderer seinen Platz ein.

Es tut mir jetzt recht leid, daß ich nicht etwas für dich mit bei die Zeichnungen für Herrn Sarasin gelegt habe. Doch mit der ersten Gelegenheit will ich es einholen und es wieder gut machen.

Die Erzählung von dem Wiedersehen deiner Schwester und ihrer Freundin hat mich sehr gerührt. Das edelste Gefühl, daß der Tugend den Menschen am nächsten bringt, ist doch immer die Freundschaft.

Gleich hinter dem Kapitel über Freundschaft steht aber eines über Liebe in deinem Brief. Ei, ei, Herr Jean, du lobst mir die Gabe zu heftig, man sollte beinahe denken, der kleine blinde Schütze habe sich auch an dich gemacht. -- Doch nun ohne Scherz, ich kann dir sagen, daß ich über diesen Punkt ganz mit dir übereinstimme, ein Mensch, der nicht lieben kann, ist eine schöne bewegliche Nürnberger Gliederpuppe. Der aber läppisch den Seladon spielt, weil er es in der Romanbibliothek gelesen hat, den halte ich auch für einen Geck. Eine vernünftige Liebe aber hat gewiß noch niemand unglücklich gemacht, (nur ist das Unglück, daß jeder von sich glaubt, er liebe vernünftig). Ich glaube, daß es einem jungen Menschen weit mehr nutzt als schadet, denn es hält ihn von den Ausschweifungen ab, die jetzt unter den jungen Leuten im Schwange gehn. Ich habe diesen Abschnitt nicht ohne Ursache mit einer Hand bezeichnet, denn es ist die Krone von allen dem, was sich jemals aus meiner Feder gewunden hat; und da du weißt, daß ich ein erschreckliches lumen mundi als Dichter bin, so ist das viel gesagt.

In den Augenblicken, in denen ich auf keinen Fall was machen kann, habe ich mich an ein Gedicht gemacht, eine Situation aus Fausts Leben. Mit dem ersten Teil, Auftritt, oder wie man es nennen will, bin ich fertig, 4 Juden arbeiten sich darin ab. Habe ich es fertig, so werde ich so frech sein und es dir überschicken, vielleicht daß du darüber lachst, aber wahrscheinlich, daß du darüber gähnst. Kannst du mir Beiträge dazu mit Judenanekdoten geben, so wird es mich sehr freuen, denn diese sind die Hauptpersonen darin. Du siehst, es läßt sich leichter ein Laster angewöhnen als eine Tugend, und weit schwerer veliert man eine böse Angewohnheit als zehn gute, als kleiner Bub war es mein Vergnügen, Verse zu machen, und nun kann ich es nicht lassen und wenn der Kopf darauf stünde.

Daß du die Bekanntschaft mit der Schwester meines Freundes Jung gemacht hast, freute ihren Bruder und mich sehr. Du wirst ein sehr vernünftiges und gutes Mädchen an ihr gefunden haben. Du willst wissen, ob ihr Bruder ihr ähnlich ist, ich muß ihn geschwind einmal fragen, denn dort drüben sitzt er am Klavier - - jetzt kann ich es dir bestimmt sagen. Nein er ist lange nicht so gut... viel besser. Wahr muß es sein, denn ich habe es aus seinem eigenen Mund, und denn kann man doch glauben.

Noch einen Spaß, den wir vorhaben, muß ich dir schreiben. Wir haben, wenn wir zusammenkommen, welches gewöhnlich Sonntag Abends ist, unser Vergnügen besonders an kleinen Taschenspielerkünsten; nun habe ich mich mit noch zwei abgeredet zu einem. Ich habe eine Zeichnung machen müssen und die so genau kopieren, daß man sie jetzt beinah verwechselt, denn sogar ein Riss und ein Flecken ist kopiert, davon wird eine durch einen Aufwärter einem unserer Bekannten, der sich hoch und teuer vermessen hat, ihn könne niemand anführen, in dem ein(en) Stiefel praktiziert. Nun wird in unserer Gesellschaft die eine Zeichnung geholt, zu Asche verbrannt, und nach einigem Hokus Pokus findet sie sich wieder ganz unversehrt in dem Stiefel des Ungläubigen.

An deine Mutter, an Minni und Luischen viele Komplimente.
Schreib bald wieder und vergiß nicht deinen Freund
F. Pforr


Wien, 09.06.1807

Sehr viele Freude lieber Jean hast du mir mit deinem Brief gemacht, er kam, um mir den Abend eines Tages, an dem ich eine schwere Arbeit vollendet hatte, angenehm zu machen, ich habe nämlich seit einiger Zeit das hiesige Tierspital besucht, um darinnen die Miologie und Ostologie des Pferdes zu studieren. Nun war dort ein großes anatomisches Pferd von Gips, welches ich sehr gerne zeichnen wollte. Da es aber so stand, daß ich es kaum sehen konnte, so war das unmöglich, und es herab zu nehmen ging nicht, weil alle Tage in dem Saal Kollegien gelesen werden, und selbst am Sonntag. Den Fronleichnamstag war aber gar nichts da, was mich verhindern könnte, ein Professor ließ es mir den Abend vorher heruntergeben, und den Morgen um 6 machte ich mich daran und ward glücklich um 8 Abends fertig. Ich mußte mich aber auch zusammennehmen und durfte nicht einmal zum Essen gehen, um mich nicht lasch und träge dadurch zur Arbeit zu machen. Ich kam nach Haus und fand, welche große Freude, den Brief von dir.

Was so ein Spital und anatomisches Theater für einen Künstler nützlich ist, kannst du kaum denken. Für mich war es bsonders nötig, da ich mich der Bataillemalerei gewidmet habe.

Ich habe hier vielen Pferdeoperationen mit beigewohnt, wenn das Pferd hingeworfen wird, ihm alle 4 Füße zusammengebunden werden und dann geschnitten und gearbeitet, und das Ende ist dann, mit einem glühenden Eisen, anstatt des Verbindens, wegen dem Blutverlust ausgebrannt zu werden. Daß muß einen Menschen dauern, aber nichts ist erbärmlicher als das Verschneiden. O Menschen, Menschen, um ohne Furcht ein Tier gebrauchen zu können oder um einen fetten Bissen auf dem Tisch zu haben, verstümmelt ihr ein Tier und benehmt ihm das einzige Glück, das es hat. Es ist wirklich empörend wenn man bedenkt, wie der Mensch die Geschöpfe tyrannisiert, die Gott ihm zum Nutzen aber gewiß nicht um ihr Schinder zu sein, an seine Seite gesetzt hat. Totstechen habe ich genug Pferde da gesehen.

Aber nun genug davon und ich fürchte fast, daß ich dir schon zuviel davon geschwatzt habe. Fürs erste muß ich dir meine Freude an den Tag legen, die ich darüber habe, daß du von unserer Studentenwirtschaft so unterrichtet bist; da du es bist und von Zeit zu Zeit ohne durch mich mehr Nachricht erhalten wirst, so kann ich es sparen, nur so viel. Die Zeichenlampe ist jetzt weggenommen, die Decke abgekehrt, wodurch sie ihre Grisbekleidung[?] verloren hat. Ich wollte nur, daß du drei Tage bei uns sein könntest, es würde dir gefallen, da du das freie Leben so rühmst und dich danach sehnst. Wir sind nur durch das gestaltet, was wir uns selbst anlegen, und unser drückendes Studium ist immer angenehm.

Ich muß dir etwas anvertrauen: Ein Künstler ist der glücklichste und -- unglücklichste Mensch auf der Welt! Du fragst vielleicht, wie ist das möglich bei der angenehmen abwechselnden Arbeit. -- Der Handwerker bis hinauf zum höchsten Stand streckt sich des Abends mit dem frohen Gefühl in seinen Stuhl "Deine Arbeit ist vollbracht." Den Künstler begleitet ein peinigende Gefühl seiner Unwürdigkeit und seines fernen Zieles wie ein böser Geist, wohin er sich auch wendet, und nur an seiner Arbeit verläßt er ihn. Ich spreche nicht im allgemeinen, weil es mir so geht, nein, nach allgemeinem Geständnis geht es allen so. Und doch möchte ich diesen beunruhigenden Stand mit keinem andren vertauschen und könnte ich Millionen damit erlangen, denn wenn ich mir etwas denke, das ich zwar noch nicht empfunden habe und vielleicht noch so bald nicht empfunden werde! wenn ich mir denke, wann der Maler das Kind seines Geistes und seiner Phantasie auf der glatten Fläche durch so unwesentliche Instrumente hervorgebracht sieht und er denn sagen kann: Du bist mein, Du bist der Abdruck meines Geistes meiner Seele, o wiegen fünfzig Jahre Anstengung einen solchen Augenblick auf, wiegen ihn Millionen auf, kann ihn sich ein König mit seinem Reich kaufen? Ich stelle hier alle Arten der Malerei gleich, und das sind sie auch. Der Historienmaler dünkt sich meistens mehr als alle andern, aber ist der nicht auch zu schätzen, der Dir die ländliche Arbeit des Bauern zeigt, der Dir die Schönheiten der Natur zeigt, oder der Dich ins Gewühl der Schlacht führt?

Ich muß abbrechen und möchte noch gerne weiterplaudern, da ich weiß, daß du es nicht ungern hörst. Lebe wohl und schreibe mir, ob ich dir durch meine Gefühle über einen für mich so wichtigen Gegenstand öfterer an den Tag legen.
Sollte.... Mutter und Geschwister noch in Frankfurt sein, meine Empfehlung.
Lebe wohl, schreibe bald
dein ewiger Freund
F. Pforr


Wien, 20.07.1807

Durch eine Gelegenheit bin ich imstande, dir etwas von mir zu schicken, sehe es aber um Himmels willen nicht als ein Kunstwerk an, sondern als eine Erinnerung an einen Freund der hofft, bald etwas besseres schicken zu können.

Ich male jetzt den Wilhem Tell, wie er auf den Gessler wartet. Sollte es eher fertig werden, als die Gelegenheit abgeht, so geht es auch mit, und du kannst es bei Sarasin sehen. Denn ich muß dir sagen, daß ich diesen Brief schon acht Tage vorher anfange, damit er recht lang und deutlich wird, ich weiß, du hast es gerne.

Vorigen Sonntag und Montag (wo wir einen Feiertag hatten) habe ich wieder eine schöne Landpartie gemacht. Ich ging mit zwei Freunden - einem jungen Kupferstecher und einem Historienmaler - den Sonnabend von hier weg. Der Weg führte uns durch die lachendsten Gegenden Wiens bis auf Mödling, wo die Brühl (die ich in einem früheren Brief beschrieben habe) anfängt. Wie klopfte mir das Herz, wie ich in den Gebirgspass eintrat. Hohe Felsen umgaben uns, doch wurde sich nicht viel umgesehen, denn das wollten wir im Rückweg tun. Also immer weiter, die Nacht kam, aber sie hielt uns nicht ab, noch bis Grinig[?], 6 Stunden von Wien, zu kommen. Hier blieben wir die Nacht, ein lustiges Gespräch zwischen einem Orgelpfeifenmacher, der in das Kloster Heiligenkreuz ging, und dem muntren Historienmaler vergnügte uns herzlich.

Den andern Morgen früh auf, in einer Stunde, wo wir den wildesten Waldweg gemacht hatten, kamen wir vor dem Kloster Heiligenkreuz an. Da ich schon einmal dagewesen war, so wußte ich Bescheid und führte meine Freunde durch den Klostergarten ins Kloster. Zwei große Hunde bewillkommneten uns am Tor, hier wurde gefrühstückt und dann zogen wir, wohl mit Kirschen bepackt, weiter.

Von hier an wurde nun schon alles wilder und pittoresker. Ungefähr zwei Stunden von da zog ein Fels, der ganz allein auf einem Berg stand, von ungefähr dieser Form, unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir gingen sogleich von der Straße ab, um hinzugehen. Mit vieler Mühe war der Berg bestiegen, endlich waren wir oben, aber doch nur erst an einem Felsen, der etwas weiter unten, aber ebenso steil war. Der Historienmaler war sogleich oben, "welche himmlische Aussicht" rief er, ich mußte auch hin, auf einen hervorstehenden Stein mußte ich treten, um hinzukommen, hier glitschte ich aus und kam auf einen so kleinen Ort zu Füßen, daß ich glaubte, jeden Augenblick in den fürchterlichen Abgrund zu stürzen. Hier half nichts als ein kühner Sprung, zum Glück riß im Sprung meine Hose, dadurch konnte sie mich im Schritt nicht hindern und ich kam glücklich in Sicherheit, herzlich froh, daß es nur die Hose und nicht den Hals gekostet hatte. Wir stiegen höher und kamen nach unsäglicher Mühe an den oberen Felsen. Diesen Ort mochten wohl wenige Menschen besuchen. Wir verscheuchten ein paar Füchse. Am Felsen lagen mehrere Knochen, wovon ich ein schönes Schulterblatt eines Marders und ein beinahe vollständiges Skelett eines jungen Eichhörnchens mitnahm. Besser noch oben lag ein junger toter Adler, zwar roch er schon ein wenig, aber das tat nichts, ich schnitt ihm den Kopf ab und nahm ihn auch mit, denn der Schädel eines solchen Raubvogels ist sehr interessant. Gezeichnet wurde hier mehreres, doch ich muß machen, daß wir fortkommen.

Nach 3 Stunden waren wir an dem Ziel unserer Reise, in Neuhaus. Es ist ein altes Schloß, welches sehr schön liegt, und jetzt zu einer Spiegelfabrik gebraucht wird. Merkwürdiges hat es außer seiner Lage nichts. Wir zeichneten es von 4 Seiten. Viel hörten wir hier von Wölfen, die sich in der Gegend aufhalten sollten.

Nun gings also wieder auf den Rückweg los. Durch die angenehmsten Täler, mit Felsen und Wälder umgeben, in einer Höhle ruhten wir aus. Hier kam mir ganz die alte Welt der Dichter vor die Gedanken, ich schlenderte auf der Wiese auf und ab und ließ meiner Phantasie ganz die Zügel schießen, als ich auf einmal vor meinen Füßen eine ziemlich große Schlange sah. Da ich wußte, daß sich hier schädliche Nattern aufhalten, so fuhr mir auf einmal Don Quixotes Tapferkeit in die Glieder. Schnell griff ich nach meinem Stab, und nach einem kurzen Kampf war das ungleiche Gefecht entschieden, nun erst mußte ich über meinen tollen Eifer lachen.

Von hier wurde die Gegend etwas flacher, aber auch lachender und angenehmer. Hohe drohende Felsen, schwarze finstere Wälder und brausende Waldströme machen immer einen furchtbaren Eindruck auf uns (der mir aber willkommener ist als jeder andere, den eine Gegend hervorbringt). Angenehme grüne Wiesen, sanfte Abwechslung von Hügeln und Tälern und stillfließende Bäche machen einen sanftern weichern Eindruck. So war uns hier, wir überließen uns ganz den sanften Gefühlen und dachten nicht, daß wir so mit einmal daraus gerissen werden sollten.

Es fing schon an, dunkel zu werden, als wir rechts und links von der Straße zwei, allem Vermuten nach alte zerstörte Burgen erblickten. Sogleich lenkten wir vom Weg ab, aus Zufall zu der kleineren, weil sie uns die nächste schien. Wir teilten uns laut unsere Gefühle über die angenehmen Gegenden mit, als wir vor der Mauer ankamen. Durch das offene Tor traten wir ein, aber ein zweites versperrte uns den Weg. Auf den ersten Versuch des Historienmalers sprang es auf. Wir traten in einen Hof, der stark mit Gras bewachsen war, ein Turm stand vor uns, wir traten in das offene Türchen. Wir konnten anfangs nichts sehen, bis sich unsere Augen an das Dunkel gewohnt hatten. Da sahen wir, daß wir vor einem schwarzen Gitter standen, hinter demselben war eine vollkommene Mauer von Totenköpfen und Arm- und Beinknochen. Obschon ich fast täglich mit diesen Sachen umgehe und selbst einen Totenkopf zu Hause habe, den ich täglich sehe, so war mir doch der Anblick auf das, was vorherging, und an dem Ort, wo ich es sah, fürchterlich, mich schauderte, wir standen alle, die Hände am Gitter, stumm, und sahen starr hinein. Stillschweigend kehrten wir um und sahen hier erst, daß der Hof ein alter Kirchhof war. Wir zerstreuten uns, um, soviel es der Abend erlauben wollte, die zerstörte Kirche zu zeichnen. Ich setzte mich auf ein Grab und skizzierte mir sie. Wir gingen, und jeder bemühte sich, den anderen in die vorige muntere Laune zurückzubringen, aber es war nicht möglich. Die gegenüberliegende Kirche sahen wir auch, fanden aber hier nichts merkwürdiges, und langten endlich glücklich im Kloster Heiligkreuz an, wo wir die Nacht blieben.

Den andern Tag war wieder die muntere Laune da, wir durchzogen die Brühl von allen Seiten, zeichneten manches, unter andern das alter Schloss Lichtenstein, das Stammhaus der Fürsten von Lichtenstein. Da das Innere der Burg noch ziemlich erhalten ist, so kann man ziemlich sehen, wie eine solche Burg imstande ausgesehen hat. Man sieht selbst hier und da Spuren von Malerei auf der Wand. Der Platz, in welchem das heimliche Gericht gehalten wurde, ist besonders merkwürdig. In der Kapelle sieht man oben ein kleines Türchen, in welches man nur mit einer Leiter kommen kann. Man steht nun in einem kleinen gotischen Zimmer, in einem Erker sind zwei steinerne Sitze, vermutlich für die Richter, in der Mitte ist ein ausgemauertes Loch, das in eins der tiefsten Gefängnisse geht, aus welchem die Delinquenten auf einem Knebel sitzend herauf mit einem Haspel gewunden wurden, so daß bloß der Kopf aus dem Loche kam, und nun wurde Gericht gehalten. Ich zeichnete noch mehrere Ansichten von dem Innern der Burg, und dann gingen wir fort und langten glücklich um 4 Uhr in Wien an, waren also gerade 48 Stunden ausgeblieben. Um 4 Uhr Sonnabends weg und um 4 Uhr Montags wieder da. Ich war ziemlich müde und legte mich sogleich nieder und schlief bis den andern Morgen 5 Uhr in einem Stück.

Froh und vergnügt stand ich auf und wanderte in die Akademie. Da solche Spaziergänge auf meine Gesundheit, die jetzt nicht eben die stärkste ist, einen so guten Einfluß haben, so hat man mir geraten und ich habe mir es auch vorgenommen, alle Sonn- und Feiertage dazu anzuwenden, überdies nutzt es mir auch, denn ich übe mich im Landschaftszeichnen.

Ich war auch gleich den Sonntag darauf nach dem Kloster Neuburg gegangen, welches zwei bis drei Stunden von Wien liegt. Weil ich keine Gesellschafter finden konnte, so schlenderte ich allein mit meinem Zeichenbuch unter den Arm, ermüdet kam ich wieder, schlief aber nicht so ruhig als nach der ersten Reise.

Ein Lärmen vor dem Hause weckte mich. Jung, welcher mit mir in einer Stube schläft, wachte auch auf. Wir hörten, daß gesungen wurde und bemerkten endlich deutlich, daß unsere Namen mit vorkamen. Der allgemeine Gesang hörte auf, und eine nicht üble, doch mir unbekannte Stimme nötigte uns singend, herunter zu kommen. Weil wir aber keine Lust dazu hatten, unterblieb es. Endlich war der Beschluß des Nötigers "Pforr, Pforr, Pforr, sei doch kein Hasenfuß, komm herab! komm herab!!" Auf einmal rief einer "Andiamo" und unter Lachen und Scherzen verließen sie das Haus. Ich konnte mir leicht denken, was es gewesen war. Wir drei verabredeten uns, nichts in der Akademie davon zu äußern. Als wir hinkamen, hatte ich alle, die dabei gewesen waren, an ihren Gesichtern aussuchen wollen, endlich sah ich den, der vermutlich den Entrepreneur[?] der Serenade gemacht hatte, ich rief ihn zu mir, mit verbissenen Lachen kam er und hoffte, jeden Augenblick zu hören, wie ich ihn beschuldigen würde und er den Spaß in der Akademie vollenden könnte. "Hören Sie einmal" fing ich an. Er fragte schnell "Was?". "Hier ist das Buch", antwortete ich kalt, "das ich ihnen versprach zu leihen." Er sah mich an, nahm das Buch, dankte und schlich sich fort.

Nun habe ich dir aber wohl genug geschrieben, schreibe mir doch ja recht bald wieder, du kannst nicht glauben, welches Vergnügen ein Brief von dir mir macht, Du bist mein Freund im höchsten Sinn des Wortes - - o welchen glücklichen Augenblick habe ich so eben gehabt, ich war bei dir, zwar nur in Gedanken, aber doch lebhaft. Ich stand an dem Fenster mit dir in der Stube, wo die Landschaften an die Wand gemalt sind, an dem dritten offenen Fenster an das Gitter gelehnt stand ich mit dir. Deine vortreffliche Mutter saß auf dem Kanapee, deine Schwester saß neben ihr und mein kleines Luischen trat eben zur Tür herein, ach der Katzenschwanz - hier mußte ich lachen und fand aber unglücklicherweise, daß ich wohl hundert Meilen von dir ganz einsam an meinem Tisch sitze und alles nur ein lebhaftes Gedankenspiel war, oh könnte ich ihn zurückrufen, den Gedanken, nun Geduld, wir werden doch einmal ruhig beisammen sein. Ich bitte dich, mich der vortrefflichen Familie, unter der ich soeben einen Augenblick glücklich war, zu empfehlen. Vergiß nicht und schreibe bald
Deinem
Freunde F. Pforr.


Wien, 21.08.1807

Das wird ein fürchterlich dicker Brief, lieber Jean, weil das Paket liegen geblieben ist, so kann ich dir noch dieses Blatt mit beilegen und dich von einer großen Reise benachrichtigen, die ich gemacht habe, sie dauerte nämlich sieben volle Tage und war in die österreichischen Alpen. Wir haben jetzt noch faule Tage, weil noch immer in der Galerie gebaut wird, und da ich also nichts versäumte, so war mir es doppelt angenehm, da ich meine Gesundheit dabei auf die Beine helfen konnte.

Um 8 Uhr entschloß ich mich erst dazu und sogleich wurde ausgemacht, um 3 Uhr wegzugehen. Jung und mein anderer Wohnungskamerad Wolf bezeugten anfänglich Lust, mitzugehen, änderten sich aber hernach und ich wanderte ganz allein mit einem meiner Freunde, dem Sohn des bekannten Dichters Overbeck, von hier ab.

Wir nahmen denselben Weg nach Neuhaus, den ich in dem Brief beschrieben habe, von da nach der Wallfahrt dem Mariahilfberg, welcher bei Gutenstein liegt, wo der berühmte Pass ist, wie Figura zeigt. Von da wandten wir uns seitwärts um den hohen Schneeberg, um nach Schwarzau zu kommen, wo die Alpen anfangen. Du kannst nicht denken, was der Anblick des ruhigen Hirtenlebens einen Eindruck auf uns machte. Die schönen Matten auf dem waldigen Berge, die Hütten, das Geläute der Kuhglocken und der Kuhreien, die prächtigen Gegenden, die gesunde Luft und die gastfreien freundlich guten Menschen. In einer Hütte wurden wir mit der vortrefflichsten Milch bewirtet, nehmen wollten sie durchaus nichts dafür.

Von da gingen wir den folgenden Tag durch das Höllental: fürchterlichere Natur kannst du dir nicht denken, die Gegend um Egstein, die wir so sehr anstaunten, ist ein Englischer Garten dagegen. Es ist der Aufenthalt der Bären, Wölfe und Luchse. Jetzt ist besonders ein überaus großer Bär darinnen, ihn selbst haben wir nicht gesehen, aber seine Fährte. Doch noch eins, das dich besonders interessieren wird: diese wilde Gegend ist der Aufenthalt der schönsten Schmetterlinge; wir fingen unter andern den seltenen und schönen Röphus[?], hast du ihn schon unter deiner Sammlung? Von hier kamen wir in ein freundliches Tal nach Reichenau.

Hier bekamen wir Lust, den Schneeberg zu besteigen, weil wir die Kuhalpen gesehen hatten, wollten wir auch Wildalpen sehen. Ein Gemsenjäger begleitete uns, des andern Morgen früh vor 4 Uhr, noch schien der Mond. Über einen großen Berg mußten wir erst steigen und denn kamen wir in ein Tal, in dem wir von unserm mitgenommenen Vorrat frühstücken wollten. Eine wildere Gegend habe ich noch nie gesehen, ein ordentliches Meer von Gebirge. Öfters stand der Jäger still und sagte: "Hier schoß ich einen Bären", oder "ein Wolf". An einer Quelle setzten wir uns nieder, aßen zusammen und tranken mit dem Jäger aus dem Rand von seinem großen grünen Hut. Dann kamen wir an den Fuß des Schneeberges. 5 Stunden hatten wir zu steigen, bis wir auf die obere Fläche kamen, schon früher hatten die Bäume aufgehört, hier wuchs nur noch die Wildföhre, ein Nadelholz, das nicht hoch von der Erde sich erhebt. Jetzt hörte das auch auf und mit nichts als Moos war der Boden bedeckt; dagegen zeigten sich uns die Schneefelder.

Noch eine Stunde und wir waren auf dem Gipfel des Berges, kalt war es hier, fürchterlich pfiff der Wind, lange hielten wir es nicht aus. Wir zeichneten etwas und nachdem wir uns an der weiten unabsehbaren Aussicht geweidet hatten, retirierten wir uns in eine Grube, wo uns die Felsen Schutz vor dem Winde, und der Schnee Erquickung für den Durst, der uns trotz der Kälte überfallen hatte, gaben. Hier wurde Mittag gemacht. Hunger hatten wir alle tüchtig, unser Führer setzte sich auf einen Stein, holte aus seiner Jagdtasche ein schwarzes Brot und fing als ein echter Gemsenjäge an, ein Stück Brot und ein Stück Schnee zu essen, erst nach langem Nötigen aß er mit uns.

Nun ging es wieder bergab, doch erst sahen wir noch einen stattlichen Gemsbock auf einer Felsenwand spazieren - doch konnte ihn der Jäger nicht schießen, weil er zu weit war. Er brachte uns auf einem gangbaren Weg und verließ uns. Es tat mir ordentlich leid, mich von ihm zu trennen, wir gaben ihm etwas mehr als es gewöhnlich ist, und er sagte ganz trocken "so viel kriege ich nicht, ich bekomme nur so viel". Diese Ehrlichkeit gefiel mir sehr. Wir gingen ins Tal und übernachteten in einem kleinen Dorf.

Der andere Tag ging ohne Merkwürdigkeit vorbei, außer daß des Abends uns ein Gewitter auf einem großen Feld überraschte. Ein schrecklichers Wetter habe ich nie gesehen: wir konnten uns nirgends hinflüchten, in 5 Minuten waren wir ganz durchnässt, wir waren in Lebensgefahr, rechts und links schlugen Blitze in die Erde, einer fuhr so nahe bei uns vorbei, daß es uns den Atem benahm. Dies fürchterliche Gewitter, welches auf ein bedeutendes Erdbeben gefolgt war, das wir auch im Gebirge gespürt hatten, hat mehrere Menschen erschlagen und vielen Schaden mit Einschlagen in Häusern getan, doch kamen wir endlich gläcklich nach Baden, einem Bad, das von Wienern sehr besucht wird.

Den andern Morgen früh gingen wir durch die Brühl nach Wien zurück und trafen unsere Freunde gesund und froh an. Jetzt tat es Jung sehr leid, daß er nicht mit war, denn auf dieser Reise haben wir viel neues gesehen. Gezeichnet haben wir ziemlich viel.

Es ist jetzt hier so eine fürchterliche Hitze gewesen, ehe ich die Reise machte, daß sich niemand erinnert, es jemals so gefunden zu haben; alles Grüne um Wien ist verbrannt, Brunnen sind ausgetrocknet und die Erde häufig gesprungen. Der Tarometer soll 36 Grad gehabt haben, eine unerhörte Höhe, und doch ist keine Krankheit zu unserem Glück entstanden wie das vorige Jahr.

Jetzt aber lebe wohl, zu kurz wird dir dieser Brief wohl nicht sein, ... nur nicht zu lang. Erfreue mich bald recht bald mit einer Antwort. Adieu
F. P.

Jung läßt dich grüßen. Den Wilhlem Tell kann ich nicht mitschicken, weil ich ihn erst an Direktor Füger zeigen muß, also wirst du ihn nicht bei H. Sarasin sehen können.
Lebe wohl.


Wien, 08.08.1807

Lieber Jean

Vor einigen Tagen hatte ich eine Gelegenheit, etwas nach Frankfurt zu schicken, hatte schon eine Rolle an H. Sarasin zurcht gemacht und auch etwas für dich nebst einem Brief, der ziemlich weitläufig war, mit beigelegt, als nichts daraus ward, doch wie ich hoffe geht in 2 oder 3 Wochen eine andere Gelegenheit, mit der ich alles mitschicken kann. Wundere dich also nicht, wenn du einen Brief erhältst, der älter ist als dieser.

Die Geschichte mit dem Pachter hat mich amüsiert, wenn es so abläuft, so ist es immer noch gut. Vor ungefähr 3/4 Jahr hatte ich dem kais. Lustschloß Laxenburg eine ähnliche Geschichte mit einem Mann, der die dortigen Seltenheiten zeigt. Es kam so weit, daß wir es der Burgwache anzeigten, die uns riet, wir möchten es im Schloss melden, wo er dann die Strafe seiner Grobheit schon bekommen würde; weil es aber spät war, so zogen wir lieber vor, es dem Direktor aller dieser Leute in Wien zu sagen. Das wurde den andern Tag getan, und er entlief seiner Strafe nicht. Leute auf so einsamen Orten bilden sich ein, Könige zu sein, und ihre Grobheiten müsse jeder mit Dank annehmen, und es ist gut, wenn man sie sich nicht gefallen läßt.

Ist es bei euch in Frankfurt auch so warm, hier ist die Hitze so stark, daß sich niemand erinnert, sie jemals so gefunden zu haben. Wenn ich allein bin, so schließe ich die Türe ab und arbeite dann im bloßen Hemd, manchmal sogar halb, auch ganz nackend. Ich darf durchaus nicht zu Mittag essen, wenn ich nicht des Nachmittags schlafen will. Ich habe es also so eingerichtet, daß ich Mittag- und Abendessen auf einmal des Abends abtue.

Von unserer Wirtschaft wünschest du etwas zu hören, nun gut, spaziere näher, ich will dich in unserer Wohnung herumführen. Hier sind wir zuerst in einer Art von Küche, welche sogleich auch den Vorplatz ausmacht. Hier ..b diese Türe links ist die Kammer, in welcher Wolf, der eine meiner Kameraden schläft. Hier rechts wollen wir eingehen, und dieses ist das Zimmer, in dem wir uns aufhalten; auf dieser Komode steht unsere kleine Bibliothek, welche aus 8 Bände von Goethe, 7 von Shakespeare, Schillers Wallenstein, der Bibel von Luther, Virgils Werke, der Don Quixote, Moritz' Götterlehre, und einige andere Bücher, von Engel Rabner usw. Dieses Klavier, über welchem mein Bild aus der Schule von Rubens hängt, gehört dem Jung. Nun ist uns noch eine Stube übrig, in welcher Jung und ich schlafen. Auf einer Komode paradieren ein paar Gipsköpfe, eine kleine Anatomie von Gips und ein Totenkopf. So viel muß ich dir aber sagen, daß, willst du uns zu Ende Oktober wieder eine Visite machen , so mußt du uns auf den Wieden in der Allee Gasse No. 8 zwei Treppen hoch besuchen, denn Michaelis ziehen wir dahin.

Nun also unsere Lebensart: des Morgens um 5 Uhr erheben wir unsere werten Glieder, um um 6 Uhr in der Akademie zu sein; hier trennen wir uns, und sehen uns oft vor Abend 10 Uhr nicht wieder. Wolf und Jung gehen in den Saal, wo nach Köpfen gezeichnet wird, und ich in den Saal, wo nach antiken Statuen gezeichnet, und um 8te gehe ich nach Haus, male und zeichne bis des Abend 7 Uhr, dann besuche ich gewöhnlich einen Freund, einen Kupferstecher, und gehe mit diesem spazieren und bade mich jetzt öfters mit ihm. Gegen 10 bin ich zu Haus und treffe die beiden gewöhnlich auch vom Spaziergang kommend an, um 11 halb 12 zu Bett. Gute Nacht und nun schlafen 3 Menschen glücklich und ohne Sorgen.

Du kannst nicht glauben, was hier für Bilder sind in den Kaiserl. Galerien. Du wirst dich wundern, wenn ich dir sage, daß ich jetzt 7 Galerien gesehen habe, die Kaiserliche, die Fürstl. Lichtensteinische, die Fürstl. Caunitzische, die Gräfl. Friesische, die Gräfl. Schönbornische, die Gräfl. Lambertische und die des dänischen Gesandten. Der Graf Lambert hat überdies eins von den 3 großen Etruskischen Vasen Kabinett, welches von unschätzbaren Wert ist.

Vor einiger Zeit wohnte ich einer Vorstellung der Verschwörung des Fiesko von Schiller mit bei, das sehr gut gegeben wurde, das Stück wird dir bekannt sein, der Fiesko selbst gefiel mir nicht ganz, aber der Gianettino Doria, der Verina de Burginione, die Julia Imperiali spielten vortrefflich, aber der alte Andrea Doria wurde über alle Beschreibung schön gespielt: der durch die vielen Kupfer von Chodowiecki und andere, und selbst durch eine Münze bekannte Brokmann spielte ihn mit einer Würde, die zwar von Alter gebeugt, aber noch immer kräftig dasteht.

Wir erwarten jetzt mit Schmerzen den September, weil zu Anfang diese Monats die Galerie eröffnet werden soll, denn den ganzen Sommer hindurch ist sie zugewesen, weil starke Veränderungen vorgegangen sind.

Lebe wohl. Meine Empfehlung an deine Frau Mutter, an Mimi und an Luischen von
     Katzenschwanz
          Schreibe mir bald


Wien, 17.11.1807

Lieber Jean!

Herzlich danke ich dir für deinen lieben Brief, in dem du mir eine Beschreibung deiner herrlichen Reise gemacht hast, wärest du es nicht, so würde ich dich beneiden. Es muß vortrefflich sein, zwischen den Bergen herumzuwandern, wogegen unsere Alpen doch nur wie ungeborene Kinder aussehen. Doch geschwinde muß ich dich etwas fragen! Hast du in Basel den Totentanz von Hans Holbein gesehen, ich hoffe, daß du bei diesem geistreichen Werk nicht vorüber gegangen bist, du schreibst mir nichts davon. Auf die Fortsetzung deiner Reise bin ich recht begierig und hoffe, daß du mich nicht lange warten läßt.

Von hier kann ich dir nichts neues erzählen, als daß die großen Ferien aufgehört haben und die Akademie wieder angefangen hat, welches mir sehr angenehm ist, da man doch des Abends eine bestimmte Arbeit hat und es auch recht angenehm ist, die vielen jungen Leute arbeiten zu sehen und viel zu zeichnen. Denn denke dir, drei große Sääle (die so groß sind, daß in dem einen drei große Kerzen hängen und keine die andern in der Beleuchtung hindert) sind voll Zeichner und noch einer, in dem modelliert wird.

Doch über alles vergesse ich, dir etwas zu schreiben , daß dich wohl interessieren wird. Jung wird von uns ziehen, ich will dir die ganze Geschichte, warum, der Länge nach erzählen, doch muß ich dich bitten, dich gegen niemand, und besonders gegen seine Familie, es nicht zu äußern.

Es ist schon ziemlich lange, daß er immer, ich weiß nicht wie, aber so viel ich einsehe, sich mißtrauisch gegen uns betragen hat, zum Beispiel, er hat einige Kompositionen nach Frankfurt geschickt, die er hier außer dem Haus bei einem Freund gemacht hat, damit ich sie nicht sehen sollte, und so ... Nun wurde er auf einmal melancholisch und tiefsinnig, er wurde immer trauriger und man sah es ihm von Tag zu Tag an, daß es schlimmer wurde. Er beklagte sich gegen meinen anderen Wohnungskameraden, welcher gleich merkte, was dahinter steckte, und fragte ihn so von weitem, was er von einer Reise nach Haus dächte; er bezeichnete ihm dazu sein brennendes Verlangen. Bald darauf beklagte er sich auch bei mir, und ich sah deutlich, daß es nichts anderes als die große Sehnsucht nach den Seinigen wäre und sagte ihn nur von einer kleinen Reise, die er zu seinem Vergnügen, um sich zu zerstreuen, machen sollte. Sogleich wurde er Feuer und Flamme und gestand mir, er wünschte nichts als eine Reise, aber nach Haus zu seinen Eltern. Ich suchte ihn erst abzubringen und auf ander Zerstreuungen zu leiten, aber da ich sah, (daß) gar nichts anderes mit ihm anzufangen war, riet ich ihm, selbst an seinen Vater deswegen zu schreiben und ihm seinen Zustand zu entdecken; das nahm er mit Dank auf.

Das war also alles gut auf einige Tage, bis er sich einmal merken ließ, wir wollten ihn von hier weg haben (ich weiß nicht, was wir dabei hätten). Und nun wurde er so unerträglich stolz und zurückstoßend, daß es nicht auszuhalten war, gegen uns beide, und Wolf (so heißt der andere), welcher das nicht mit ansehen konnte, stellte, es ihm vor. Nun behauptete er, wir hätten nie die geringste Liebe zu ihm gesagt, und er wollte ausziehen.

Das blieb aber eine Weile so, ohne daß etwas darauf erfolgte, außer daß ich jetzt anfing, mich so gegen ihn zu betragen, wie er sich gegen mich betrug. Die Melancholie hat jetzt bei ... noch ganz aufgehört, aber die Spannung dauert fort. Ich muß wirklich gestehen, daß es mir jetzt recht ist, wenn er auszieht, denn mit einem Menschen zu leben, der hinter jedem Schritt etwas sucht, das kann ich nicht. Er hat auch jetzt mit uns ganz ordentlich darüber gesprochen, daß er eine Logis suchte.

Ich hielt es für sehr notwendig, dir dieses so ausführlich zu schreiben, denn man könnte in der Familie davon sprechen, von der Ansicht, die Jung von der Sache hat, und die er gewiß seinem Vater mitgeteilt hat, und da glaubte ich, es wäre gut, wenn du den wahren Verlauf der Sache wüßtest. Bei der Erzählung habe ich weder etwas ab- noch zugetan, ich habe dir darin gestanden, daß ich mich so kalt gegen ihn betragen habe wie er gegen mich, und das ist wahr, denn wie war es unerträglich, daß er ohne die geringste Ursache dazu mir zum Beispiel auf Fragen keine Antwort und einen halben Blick über die Schulter gab. Jetzt Punktum davon und kein Wort weiter, nur die einzige Bitte, sehe die Sache an wie sie ist und wie ich sie dir schreibe. Und weil ich vielleicht hier einen Freund verloren habe, so lasse mich nicht in deiner Freundschaft etwas verlieren.

Ich bin wirklich in meiner Freundschaft so unglücklich aber auch so glücklich, als es ein Mensch sagen kann, ich habe gegen Jung die wärmste Liebe gehabt, er vediente sie auch, denn es ist immer ein wackrer junge Mann, aber - das unglückliche Mißtrauen ist kein Zeichen von Freundschaft. Kann der Mensch Freundschaft gegen mich haben, der einen schlechten Streich (und das wäre es doch, wenn wir ihn aus Nebenabsichten von hier weg bringen wollten) mir andenken kann. Nun, das wäre also das Unglückliche, aber das Glück in meiner Freundschaft, übersteigt das nicht auch wieder alles andere? Ich habe dich, du reichst mir deine Hand über Länder und Flüsse, und ihr freundschaftlicher Druck tröstet mich über alles. Jean, meine erste und letzte Bitte wird sein: Bleib mein Freund! -

Vor einiger Zeit habe ich ein sehr schönes Buch gelesen, welches ich dir, wenn du es noch nicht gelesen hast, empfehle: "Adolph der Kühne, Raugraf von Dassel". Die außerordentliche Natur, die darinnen herrscht, und die interessanten malerischen Szenen darinnen machen es in meinen Augen zu einem Meisterstück. Das rohe eiserne Zeitalter ist gut charakterisiert, und die Sprache, weil es dramatisiert ist, den verschiedenen Ständen äußerst anpassend. Hin und wieder entwischt dem Verfasser etwas indizentes, indem er der Natur zu sehr nachstrebte, und das muß man deswegen auch übesehen.

Es ist schon lange Mitternacht vorüber und ich plaudere noch mit dir, und ich möchte es bis des Morgens, wenn die Natur nicht zu streng ihr Recht forderte. Gute Nacht, bis Morgen ich den Brief schließe. -

18.11.
Ich habe dir gestern von einenm interessanten Buch Erwähnung getan. Nun muß ich dir noch eins nennen, daß mir über alle Maßen gefallen hat, das Gegenstück zu Lessings "Nathan der Weise" (der dir gewiß schon als ein vortreffliches Buch bekannt ist). "Der Mönch vom Libanon". Er soll, wie ich gehört habe, vom Fürsten Primas sein, nach diesem Buch zu urteilen muß er ein vortrefficher Mann sein. Suche es doch zu lesen.

Schreibe mir doch ja recht bald wieder und vergiß die Fortsetzung deiner Reise nicht. Schon ein paar Nächte hindurch bin ich mit dir über die Berge gestiegen, habe Gletscher gesehn und die geröteten Schneeberge im Strahl der sinkenden Sonne, aber alles nur im Traum. Die kleine Reise, die ich nur gemacht habe, welches Vergnügen gewährte sie mir. Und nun erst eine solche -. Welches Glück ist doch Empfindung für die Schönheiten der Natur, wie schön ist es, jedes Angenehme aus den ersten Händen der Natur zu genießen. Die Vergnügungen, die man in Städten findet, ekeln einen an, wenn man im finstern höchstämmigen Kiefernwald im Mondschein die Ruhe der Natur genossen hat. So kann man nicht gut sehen, wie ein Held mit einem Dolch im Herzen eine Arie singt.

Lebe wohl und schreibe mir bald. Meine Empfehlung an deine Mutter und Schwestern.
Dein treuer Freund
Pforr

Ich bitte dich nochmals, von der Geschichte mit Jung nichts gegen seinen Vater merken zu lassen.
Meine Adresse ist: Wieden in der Alleegasse No 545 im 2ten Stock.


Wien, 28.12.1807

Lieber Jean

Dein Brief, der mir deine glückliche Ankunft in Frankfurt bekannt machte, hat mich überaus gefreut, und dein Plan zur Beilegung des verdrieslichen Händels mit Jung hat mich deiner brüderlichen Liebe aufs neue versichert. Du bist ein vortrefflicher Mensch, und das Glück hätte mir deine Freundschaft nicht mit einer Krone verwechseln dürfen, ohne meine Feindin gewesen zu sein. Deine Güte und freundschaftliches Betragen bei meiner Ankunft in Frankfurt habe ich schon damals mit Dank eingesehen, denn ich konnte wohl denken, daß jene fatale Geschichte dir nicht unbekannt sein könnte, aber hier lag ein Mißverständnis zum Grunde, das hier nicht ist.

Jung fühlte sich in unserer Mitte nicht glücklich, nicht frei, kurz, ich weiß eigentlich nicht, was ihn bewogen hat, schon vor 14 Tagen von uns zu ziehen, und er soll nach seiner eigenen Beschreibung ein außerordentlich angenehmes Leben führen. Und er hat sich gegen uns geäußert, daß die Wohnung, welche ihm gar nicht gefallen habe, eigentlich dazu bewogen hätte, denn die Fenster gehen nicht auf die Straße hinaus, und da wäre es ihm zu tot und zu still, er wolle lieber eine alte Mauer vor sich haben, aber nur die Straße sehen.

Es ist wahr, unsere Wohnung geht in den Hof, desto angenehmer ist sie mir aber, es ist still und ruhig zum Arbeiten, und die Aussicht ist vortrefflich: die Carolus-Kirche uns zur Seite, das Belvedere, in welchem die k.k. Gallerie ist, rechts, das Fürstl. Schwartzenbergische Palais vor uns, einen Teil der Stadt mit dem schönen gotischen Stephansturm sieht man über die Glacis, und die Ferne macht der Prater aus, der, wohl zu merken, an die 3/4 Stunden von uns entfernt ist. Ist die Aussicht nicht wie für einen Maler geschaffen? Aber Freund, wenn ich offenherzig mit dir rede, es hätte mit uns kein gutes Ende genommen. Sein Betragen war wie das eines Kindes, und den Ausguck, den der verlangte, war außerordentlich.

Überhaupt stimmte sein Tun gar nicht mit seinem Sprechen überein. Zum Beispiel: ich habe gar keine Empfehlungen an einen der hiesigen Professoren, und doch habe ich Zutritt bei mehreren, und ich kann ihnen meine Arbeit zeigen. Füger sagte einst zu mir, als ich ihm die Bereitwilligkeit der Lehrer im Tierspital rühmte "Das glaube ich wohl, daß sich die Herren freuen, wenn ein junger Mensch sich unter ihre Aufsicht begibt, der schon etwas leisten kann wie sie". Ein anderer Professor, Cauzig,, dem ich etwas zeigte, sagte auf italienisch zu einem Künstler, der dabei stand "diese Pferde sind sehr gut gezeichnet". Da es mein Bestreben ist, in der Kunst zu etwas mich empor zu arbeiten, warum sollte mich so etwas nicht freuen, und wem sollte ich meine Freude wohl eher mitteilen als meinem Freunde? Denn so unbedeutend dir die Sachen scheinen werden, so ist es hier doch viel, weil man selten so etwas aus dem Munde eines Lehrers hört.

Ich hatte Jung kaum meine Freude mitgeteilt, als er sich über die außerordentliche Eitelkeit wunderte, die ich besäße, und doch erzählte er mir einst, er hätte ein paar sehr schöne Kompositionen nach Haus geschickt, die er hier gemacht hätte. Er konnte sich beleidigt fühlen, wenn man nicht ganz anständig zuhörte, was er erzählte, "bin ich dir keine Aufmerksamkeit wert" sagte er, und doch ist es mir tausendmal begegnet, daß er mich bat, ihm etwas vorzulesen, und sich dann ans Klavier setzte und spielte, nahm ich das Buch; oder ich erzählte ihm etwas, daß er mitten in der Erzählung anfing, zu singen oder zu pfeifen. Ich könnte dir mehrere solche Widersprüche von ihm erzählen, wenn ich nicht schon wüßte, daß ich Dich überzeugt hätte, daß auf meiner Seite keine Schuld an der Trennung ist. Und auch bitte ich dich, zu bedenken, daß ich dir diese Sachen schreibe nicht um Jung herunterzusetzen, sondern vor dir mich zu entschuldigen. Dieses glaube ich nun getan zu haben, und ich kann dir versprechen, alles anzuwenden, seine Zuneigung wieder zu erhalten, welches ich hoffe leichter zu bewerkstelligen, da wir voneinander sind.

Für deine fortgesetzte Reisebeschreibung danke ich dir sehr, aber - aber, du hast dich ein wenig an dem alten Holbein seinem Totentanz versündigt, doch dazu kannst du nichts, da du das vortreffliche Werk nicht kennst. Man hat dir gesagt, es sei lange nicht so viel daran als man im Ausland davon mache. Glaube das ja nicht, suche nur die Kupfer einmal davon zu sehen und du wirst gewiß finden, daß es eins der geistreichsten gotischen Werke von einem der drei größten Maler, die je gelebt haben, ist. Wie schön sind alle Stände charakterisiert, von dem Kaiser bis zum elendsten Armen, der um den Tod bittet, der ihn aber nicht erhört. Der Soldat hat mir immer als eins der besten gefallen, wacker schwingt der alte Kämpe sein Schwert gegen das entfleischte Gerippe, auch der Mathematicus ist schön, der Tod hält, ihn zu schrecken, ihm einen Totenkopf vor, doch dieser verlacht ihn, und ein solches Werk läßt ein hochedler Rat meist[?] einige Male auffrischen und dann übertünchen. Ein Haus hätten sie darüber bauen sollen, um ihrer Stadt diesen Schatz zu erhalten.

Für die peruanischen Seltenheiten danke ich dir nicht minder, es ist sonderbar, wie sehr diese Nation mit den Ägyptern gemein haben. In nichts aber glaube ich diese Ähnlichkeit größer zu finden als in der Vorstellung, daß die ersten Eltern durch eine Schlange veführt wurden. Denn ohne Zweifel hatte Moses diese Idee aus den Mysterien der Isis, in welche er eingeweiht war, und aus welchen er mehreres genommen hat, und selbst die Hörnerähnlichen Strahlen, die man ihm auf den Kopf macht, glaube ich sind daher, weil die Ägypter alles, was göttlich oder göttlichen Ursprungs ist, durch diese Zeichen der körperlichen Stärke und Kraft kenntlich machen, so ihr Jupiter Ammon, ihr Bacchus, der "der Gehörnte" genannt wird, und andere.

Die kleinen Zeichnungen, die du mir beigelegt, haben mich auf die Idee gebracht, dir auch einige Gegenden aus den österreichischen Gebirgen zu schicken. Rufe also nur deine Gedanken, die ohne Zweifel noch in den Schweizer Alpen herumstreifen, zurück und seh die kleinen Gebirge an.

No 1
Ein sonderbar gestalteter Felsen, von dem ich dir, wie ich glaube, schon Erwähnung getan habe.

No 2
Das alte Schloß Neuhaus (doch ehe ich weiter dir die Beschreibung mache, muß ich dir sagen, daß ich es nicht mehr aushalten konnte in der Stadt, und um Weihnachten wieder meinen Stock nahm und ins Gebirge lief, von meinem Wohnungskameraden begleitet und einem jungen Menschen, der auch mir mir auf dem Schneeberg war und von dem ich dir im nächsten Brief mehr schreiben will. Wir wollten nach Neuhaus, die Nacht überraschte uns im Gebirge, Schnee lag noch bis an die Knie, dichter Wald und Wölfe darin - ich sage es und bleibe dabei, so ein toller Streich bricht mir noch den Hals, aber dafür sah ich auch die hohen Gebirge in ihrem Winterkleide, und du glaubst nicht, was so ein Marsch das Blut erfrischt und einen munter und aufgelegt zur Arbeit macht, es ist mein einziges Vergnügen, ich besuche keine Komödien, Bälle, Konzerte, Gesellschaften und alle solchen Dinge, aber im Freien unter Gottes Himmel, seien die Berge belaubt und grün oder weiß wie Schnee, das ist meine höchste Lust, aber weiter in der Erklärung.

No 3
der schöne Gebirgspaß bei Gutenstein

No 4
der felsige Eingang in das Klostertal

No 5
die Haksalpen bei Schwarzau

No 6
Aufgang auf eine der Alpen mit einer malerischen Brücke über eine Felsenschlucht.

No 7
Eingang in das Höllental; ich glaube nicht, daß es in der Schweiz viele so schöne große Aussichten von nahen Bergen geben kann.

No 8
Ausgang aus dem Höllental

No 9
Ein Berg zwischen dem Albel und dem Schneeberg, wir frühstückten hier mit unserm Gemsenjäger

No 10
die oberste Spitze des Schneebergs, hier kommt nichts als Moos fort, die Bäume und auch die sogenannte Wildföhre haben schon anderthalb Stunden weiter unten aufgehört, eine Gemse sahen wir hier.

No 11
eine Schneegrube, in welcher wir Mittagstafel hielten mit dem Jäger.

No 12
das alte Schloß Starhemberg, es ist so groß, daß ein Turnierplatz darin ist. Und nun finis coronat opus.

Lebe recht wohl und froh. Mache meine Empfehlung an deine Mutter und deine Schwestern. Schreibe mir bald und eine Fortsetzung deiner Reise.
Dein treuer Freund       Franz Pforr

Da der Brief ein wenig liegen geblieben ist, so muß ich dir noch etwas von Jung mitteilen. Er soll nach der Aussage seines Wirts l...[?] wüstes Leben führen, so daß sie ihm aufgesagt haben. Er geht mit e[tlichen?] Freunden um, die er schon in Frankfurt gekannt hat. Zu uns kommt er nicht, und einer unserer Be[kannten?] [versich?]ert, er hätte ihn das letzte mal vor Christi Geburt gesehen. Ich will ein Weilchen noch so zusehen [?]...tiv von allem nichts zu sagen, geht es aber so weiter fort, so wollen wir beide handeln, [und?] du in Frankfurt, ich hier. Ich gebe dir von allem die genaueste Nachricht. Leb wohl.


Wien, 16.04.1808

Lieber Jean

Für deine beiden Briefe danke ich dir herzlich, die Fortsetzung deiner Reise hat mir vieles Vergnügen gemacht und ich hoffe, daß du nicht eher davon abbrichst, als bis du mir das Tor genannt hast, in welches du wieder in Frankfurt einfuhrst.

Ich habe Lust, einmal wieder mit dir recht freundschaftlich zu plaudern, deswegen soll erst das Unangenehme, das ich dir zu sagen habe, vom Herzen. Ich würde dein Freund nicht so sein, wie ich es bin, wenn ich heucheln wollte, und dir nicht offenherzig sagte, daß mir die Beschuldigung von Jungs Schwester ebenso weh getan hat als sie an sich ungerecht ist. Es hat mich sehr geschmerzt, daß ein Mensch, den ich durch Anerbietungen und Bitten zu etwas mehr Tätigkeit anfeuern wollte, und den ich herzlich geliebt habe, hat sich merken lassen, ich hätte ihn von der Arbeit abgehalten und geneckt. Das hatte ich nicht erwartet und es machte auch so einen Eindruck auf mich, daß ich kaum deinen lieben Brief durchlesen hatte, als ich aufsprang und ausgehen mußte, um mich nur zu erholen; ein Maler, zu dem ich kam, hielt mich für krank. Sollte wieder so etwas gesprochen werden, so nimm mich in Schutz, verteidige deinen Freund, welches zwar schwer ist, da der Gegner ein liebenswürdiges Mädchen oder wohl gar ein achtungswürdiger Mann ist.

Die Bekanntschaft deiner Cousine war mir äußerst angenehm, sie liebt die Malerei sehr und spricht mit viel Gefühl: ich war seit der Zeit wieder einmal da, war aber nicht so glücklich, jemand anzutreffen.

In meinem letzten Brief habe ich dir von einem jungen Menschen Erwähnung getan, mit dem ich jetzt den meisten Umgang hätte, doch jetzt muß ich dir mehr von ihm schreiben, er verdient, daß du ihn kenntest und ihn Freund nenntest, er kennt dich aus meinen Gesprächen, und du sollst ihn aus meinen Briefen kennen lernen. Er ist der Sohn des Senators Overbeck in Lübeck und der einzige Mensch, den ich, so viele junge Leute ich auch bis jetzt habe kennen gelernt, gefunden habe, der dir an Gesinnung und an Herzen gleicht. Unsere Freundschaft ist so sonderbar entstanden, daß ich dir erzählen muß wie.

Ich kenne ihn schon seit langer Zeit und rechnete ihn immer zu meinen Bekannten, konnte mich aber nie ihm nähern, weil (bester Freund, jetzt will ich mich dir selbst von einer bösen Seite zeigen, aber meine Offenherzigkeit erhält gewiß von dir, das du diese große Schwäche als etwas dem menschlichen Geiste beinahe angeborenes übersiehst), weil ich den jungen talentvollen und geschickten Menschen beneidete, aber so heimlich, daß ich mir es selbst nicht zu gestehen wagte, es sei dieses häßliche Laster, welches mich von ihm abhielt. Durch einen Zufall war ich eines Abends ganz allein bei ihm, er zeigte mir eine seiner Arbeiten, die ihm vorzüglich gelungen war, und jetzt erst fühlte ich, jetzt erst erkannte ich, was mich von ihm zurückstieß; ich hätte vor Scham versinken mögen. Als ich wieder wagte, ihn anzusehen, war der mich zum Neid reizende Mensch verschwunden, und nur einen liebenswürdigen jungen Mann sah ich vor mir, der mit Gutmütigkeit meiner Freundschaft entgegen schien zu kommen. Ich verwunderte mich, daß ich das nicht eher gesehen hatte und nahm mir zugleich vor, mich um seine Freundschaft zu bemühen; und worum ich mich bestrebte, ist mir geworden. Das sonderbarste dabei ist, daß wir in jeder Hinsicht sowohl über Kunst als auch sonst miteinander so auffallend harmonieren. Wir sind jetzt täglich beieinander, und immer mehr sehe ich mein Unrecht ein, ihn so verkannt zu haben, denn er ist ein vortrefflicher Mensch, mit einem Wort, er gleicht dir, nimm dieses nicht für eine Schmeichelei, gegen dich schmeichle ich nie und in diesem Augenblick könnte ich es gegen niemand.

Diese Geschichte, die mir wohl wenig Ehre macht, hat mich aber auch auf mich selbst aufmerksam gemacht, wie leicht man sich von einem Laster hinreißen läßt, ohne nur zu wissen, daß man auf einem Abwege ist. So hat mich aber das Schicksal glücklich davor bewahrt und meinen Abscheu vor dem Neide bestärkt, so wie es vor nicht langem mir einen Haß gegen dasjenige Leben erregt hat, welches mit so verschiedenen Namen belegt ist, als lustiges Leben, freies Leben und liederliches Leben. Ich muß gestehen, noch nie einen solchen Abscheu dagegen gehabt zu haben als jetzt, und der wohl nur durch einen Zufall entstanden ist. Es ist und bleibt eine unumstößliche Wahrheit, daß Umstände uns groß und klein, edel und schlecht machen können, ich fühle das nur zu sehr, daß hier ein Zufall und nicht meine Tugend mich im Guten bestärkt hat.

Mein Freund Overbeck wünschte, einen weiblichen Kopf nach der Natur zeichnen zu können, und der akademische Bibliothekar, mit dem er wohnt (ein biederer Schweizer aus St. Gallen), schlug ihm ein Mädchen vor, welches er schon kannte, er ist bei den Eltern sehr bekannt und auch schon über die Jugendjahre, sodaß es keinen Anstand hatte, daß das Mädchen mit ihrer älteren Schwester des Abend in seine Wohnung kommen konnte, wo er sie zeichnete. Ich zeichnete mit, um mich ein wenig im Portrait zu üben; ohne schön zu sein, verbindet sie viele Liebeswürdigkeit mit Bescheidenheit, du kannst also denken, daß mir das Zeichnen und auch das Begleiten nach Haus Vergnügen machte. Einmal unter dem Zeichnen steht Overbeck auf, tritt ans Klavier und spielt "Des Pfarres Tochter von Taubenhain" von Bürger, die dir gewiß bekannt ist. Obschon ich das Gedicht beinahe auswendig weiß, so rührte mich doch hier sehr die bloße Melodie, zu der ich mir die Worte dachte, und nun sah ich auf das unschuldige liebenswürdige Mädchen, das vor mir saß, und fühlte, wie ich es noch nie fühlte, den hohen Grad der Verabscheuung eines solchen Bösewichts, der eine solche Unschuld töten könnte, mir kam kein Fluch für ihn würdig vor, keiner furchtbar genug, wenn er aus Wollust mit kaltem Plan ein solches Mädchen verführt. Nein, rein will ich bleiben, rein meine Empfindungen mir erhalten, um mich meiner Eltern, meiner Wohltäter und meiner Freunde würdig zu machen, das schwur ich mir und will es auch halten. Ich kann jetzt nicht begreifen, wie so viele Künstler ein so unanständiges Leben haben führen können (da doch feine Empfindung das nötigste und wichtigste eines Malers ist), sodaß unser Stand wirklich schon den Begriff eines lockeren freien Menschen verbindet. Der denkende Künstler ist noch einmal so viel wert als der Andere, sagt Lessing, aber ich möchte hinzusetzen, der empfindende übersteigt doch noch den denkenden, und was tötet feine Empfindung? - Wenn ich mir den edlen Albrecht Dürer denke, der ganz das war, was er von seinem Vater schrieb, er sei ein künstlicher und reiner Mann gewesen, und seine Sachen ansehe, welche ganz die himmlische Einfalt haben, welche seinen reinen Sinn bezeugt, dann bin ich fest überzeugt, daß der Weg zu dem wahrhaft großen Maler mit der Tugend ein Pfad ist. Doch ich komme zu sehr ins Plaudern, jetzt wüßte ich nicht wieder heraus zu kommen, darum breche ich hier ab und schreibe den Brief später fertig, ich fühle so vieles, das ich dir mitteilen möchte, aber mündlich, die Schrift ist mir zu tot dafür. -

Es ist mir lieb, daß du den Totentanz besser kennen gelernt hast, nicht wahr, er ist herrlich? - Die Beschreibung deiner Reise macht mir außerordentliches Vergnügen, ich lese sie öfters und stelle mir (so lebhaft es geht) die Gegenden vor, die du beschreibst, es ist eine vortreffliche Sache das Resien, wenn man nicht wie ein Paket zum Beispiel in Wien eingepackt wird und in Paris abgeladen, wie denn die meisten Reisen geschehen. So mußte ich letzthin über die Bemerkung eines Mannes lachen, der von hier nach der bekannten Wallfahrt Maria Zell in Steiermark gereist war, welche in einer der schönster Gebirgsgegenden von diesem malerischen Land liegt. Es fragte ihn einer, wie ihm die schöne Gegend gefallen habe, "schön, sehr schön", antwortete er, nur sind ein wenig gar zu viel Berge da. Daß dieses sein Ernst sei, konnte man ihm leicht ansehen. Wenn der Mann nun erst wüßte, daß jemand wie du so fürchterliche Wege und Felsenpässe, aus bloßer Lust, passierte, wie sollte sich der wundern. Eben sah ich in deinem Brief, der vor mir liegt, auf die Stelle, in welchem du mir den furchtbaren Weg beschreibst, der an den le noir vorbeigeht, das muß herrlich gewesen sein, die Natur in allen ihren Schrecken zu sehen. Du hast einige Gegenden gezeichnet, die ich wohl sehen möchte, deine Cousine sagte es mir. Du wirst gewiß einen schönen Gegenstand dazu gewählt haben, schreibe mir doch etwas davon.

Und nun muß ich dich fragen wie es dir geht, wie du lebst. Jetzt geht mirs wieder recht gut, aber ich war krank, zwar nicht gefährlich, aber doch so, daß ich einst bei dem Anfall eines kleinen Fiebers, welches mich auf der Akademischen Bibliothek überaschte, ohne Besinnung war und nur durch die Sorgfalt meiner Freunde zu mir selbst und nach Hause kam; doch muß ich mir dabei zum Ruhm auch sagen, daß mein Freund Overbeck mich versicherte, das erste Zeichen meines Bewußtseins sei ein Scherz über den Anfall, der mich bei einem Kupferstich nach Dominikino überwältigte, gewesen, du siehst also daraus, daß es nicht gefährlich war, daß ich nicht daran gestorben bin, daß ich dein Freund und du der meine bist.

Leb wohl, vergiß nicht und schreibe bald, dein wahrer Freund
          F. Pforr

Meine Empfehlung an deine Mutter und Schwestern wie auch ein Kompliment an Jean de Bary


Wien, im Mai 1808

Mein lieber Freund, dein Brief voll von freundschaftlicher Besorgnis hat mich aufs neue von deiner Liebe überzeugt, ich wünschte, ich könnte dir sagen, daß ich ganz wieder hergestellt wäre, aber noch geht es nur langsam bergauf, aber doch bergauf, und das ist schon etwas wert. Noch ein paar Briefe von dir würden mich aber ganz herstellen, denn Körper und Seele hängen so zusammen, daß bei dem sanften Genuß der letzteren sich der erstere auch erquickt.

Ich habe letzthin einen Nachmittag gehabt, der mir mehr geholfen hat als noch so viele Arzneien. Ich ging mit meinem Freund Overbeck in die hiesige Galerie und besah mit ihm die Deutsche Schule. Etwas Schöneres kann man sich doch nicht denken als die Bilder der alten Deutschen; besonders Albrecht Dürer, die edle Einfalt in seinen Sachen, das anspruchslose, fern von aller Wirkung und Sorgen für Effekt, ist zu bewundern. Kein Künstler der alten und neuern Zeit kommt doch dem unsterblichen Raphael näher als er. Ich bitte dich, sehe auf der Stadtbibliothek das Werk von Albrecht Dürer zu sehen, ist es dir noch unbekannt, so wirst du über den Schatz von Schönheiten staunen, seine Köpfe sind voll Geist und angemessenem Charakter, seine Stellungen edel und sprechen sich leicht aus, oft spricht eine kleine Wendung des Kopfes mehr aus als wir jetzt mit der furchtbarsten Stellung ausdrücken.

Die guten Nachrichten von deiner Familie haben mich sehr gefreut, und dein Trieb, in die Welt zu eilen, drückt ganz den deutschen Jüngling aus, der zwar sein Vaterland über alles liebt, aber die Welt gerne durchstriche, um alles zu kennen, alles zu vernehmen, und um als Mann ruhig und mit häuslichem Sinn wiederzukehren, nun vielleicht kannst du deine Neigung auch bald befriedigen.

Deine Cousine habe ich in der Zeit mehrere Male gesprochen, und da sie etwas zu kopieren wünschte, ihr auch etwas verschafft, nur hätte ich gewünscht, daß es mehr in ihrer Lieblingsmanier wäre, da, wie ich merke, liebt sie ausgeführte Arbeiten, die aber hier schwer zu bekommen sind, da alle Landschaftsmaler beinahe aus der Schule des Casanova sind, der den Spruch "mache etwas, das aussieht als wäre es etwas" sehr liebte.

Lebe recht wohl und grüße mir dein ganzes Haus und schreibe bald recht bald
deinem Freund         F. Pforr


Wien, 01.06.1808

Lieber Freund

Für deine liebevolle warme Freundschaft, die du mir in deinem Brief zeigst, danke ich herzlich. Das größte Glück auf Erden ist doch immer Freundschaft; wir sind weit getrennt voneinander, mancher Strom rauscht zwischen uns, mancher Berg und manche Stadt liegt zwischen uns, und doch verhindert alles dieses unsere Anhänglichkeit, unsere Liebe nicht. Deine Reise habe ich wieder mit Vergnügen in Gedanken mitgemacht, du mußt herrliche Sachen gesehen haben.

Ich lese jetzt die Geschichte der Schweiz aus den Zeiten Rudolfs von Habsburg und freue mich immer, wenn ich dabei auf einen Ort stoße, den du in deinen Briefen nennst.

Du schreibst mir in deinem letzten Brief von dem Grabmal der Frau eines Predigers, dieses ist von dem Bildhauer Nahl, der in Kassel lebte und von dem noch zwei Söhne da sind: der eine der bekannte und verdienstvolle Maler Nahl, der andere ist Bildhauer und soll dieses Grabmal mehr aus einer kleinen Rache als aus einem anderen Beweggrund gemacht haben. Der Grabstein der Herrschaft soll nach dem genauen Befehl derselben ziemlich überladen und geschmacklos sein; man ließ dem Künstler also keine freie Hand und bezahlte ihn überdies auch schlecht. Da soll er sich denn geäußert haben, daß die Herrschaft sich zwar ein Denkmal in diesem Monument hätte errichten wollen, das lange noch jedem Fremden merkwürdig wäre, er wolle ihnen aber etwas in die Kirche setzen, daß niemand darauf sollte. Und so entstand der schöne Grabstein, sein Rache soll auch wirklich ganz geglückt sein, denn über den Stein, der die Frau des Pfarrers bedeckt, soll jedermann das Monument der Herrschaft vergessen.

Ich habe deinen freundschaftlichen Gruß an Overbeck ihm überbracht, er dankt dir herzlich dafür und läßt dich ebenso warm wieder grüßen. Ich wünschte nichts, als daß du der dritte bei unseren abendlichen Spaziergängen sein könntest. Nicht weit von unseren Wohnungen ist ein großes Feld, noch innerhalb der Linie, die die ganze Stadt umgibt, über dieses gehen einige recht angenehme Wege, und, was das angenehmste ist, man kann Gegenden sehen wie man will. Die ganze Stadt Wien mit ihren alten Türmen und weitläufigen Vorstädten liegt vor einem. Wendet man sich mehr seitwärts, so sieht man die artigsten Landhäuser, auf der anderen Seite das prächtige Bellevedere mit dunklen Alleen umgeben, ganz auf den anderen Seite sieht man über die Batterie des ... das ganze flache ebene Feld, auf welchem man den Kanal von Neustadt und die Straße nach Triest sieht. Will man aber etwas schauerhaftes sehen. so darf man nur in die keine zehn Schritte vom Weg gelegenen Sandgruben gehen; sie sind wohl mehrere hundert Schritt lang und sehr tief. Ich war letzthin in einer der derselben, als die Nacht schon beinahe ganz eingebrochen war; die schaudervolle Stille und Dunkelheit wurde noch durch das Heranrollen von kleinen Steinen vermehrt, die von dem Rand der Grube fielen. Endlich trat der Mond hervor und beleuchtete mit großen Massen die ausgegrabenen Stellen; riesenmäßige Schatten warfen die großen Ecken. Nicht weit davon wird ein Kirchhof ausgegraben und man hat einen Teil der Gebeine, ich weiß nicht warum, in die Grube geschafft, einige Totenköpfe lagen, groß vom Mond beleuchtet, vor uns. Lieber Freund, aller Theaterschauder ist doch nichts gegen einen solchen Augenblick. Auf diesen Spaziergängen, wo wir ganz allein sind, sprechen wir oft von dir; oft erzähle ich die angenehmen Augenblicke, die ich bei dir genossen habe, unsere Spaziergänge, und kurz, alles, was ich liebes und gutes von dir weiß.

Dann sprechen wir auch von der Kunst. Es ist sonderbar, daß wir so sehr miteinander übereinstimmen. Zwar sind wir in unsern Hauptneigungen verschieden, denn indem mein unruhige wilder Geist mich mehr zu Schlachten und Sachen aus dem grauen Mittelalter führt, so führt ihn seine sanfte Seele in die Zeiten, in welchen Gottes Sohn unter den Menschen wandelte. Oft wenn ich etwas von seinen Arbeiten sehe und ganz das Gepräge der Einfalt darin finde, welche die Erzählung der Evangelisten so unnachahmlich schmückt, denn fühle ich das Süße dieses Zweiges der Kunst, dann möchte ich mich von allem losreißen und nichts wie biblische Vorstellungen malen oder aus den Legenden, aber ein Pferd, das rasch über die Straße sprengt, vernichtet auf einmal alle die Träume. Ich bin denn wieder Soldat und finde nur Freude an Gefechten und Schlachten: doch muß ich dir aber wieder sagen, an dem eigentlichen Würgen und Metzeln, welches beinahe alle bisherigen Bataillenmaler nur abgebildet haben, finde ich keine Schönheit, mich vergnügt nur die hohe Ordnung der Schlacht, wo, wie Schiller sagt, nicht blinde Wut mit blinder Wut ringt, sondern Festigkeit der Kühnheit widersteht und weise Kunst die Tapferkeit ermüdet. Zwar haben mir viele den Einwurf gemacht, so etwas ließe sich nicht malen, weil zuviel Ordnung in der Stellung der Regimenter herrschte, die für das Auge auf dem Bild unangenehm wäre, aber ich denke, es läßt sich alles machen, wenn man mit Mut und Eifer dahinterkommt. Besteht doch unsere Kunst beinahe aus einer der größten Unmöglichkeiten, denn auf einer glatten Fläche etwas rundes weit vorstehendes und zurückweichendes zu machen, scheint doch gewiß auf den ersten Blick nicht möglich zu sein.

Nun sehe ich wieder, daß ich drei Seiten voll freundschaftliches Nichts geschrieben habe, das dir aber doch gewiß lieb ist, hab ich nicht recht?

Meine Empfehlung an deine Mutter und Schwestern bitte ich dich zu machen von deinem ewigen Freund           F. Pforr


Wien, 09.08.1808

Lieber Jean

Es ist schon so lange, daß ich gar nichts von dir gehört habe, daß ich unmöglich unterlassen kann, dich zu fragen, ob du noch gesund, zufrieden und mein Freund bist, doch die letzte Frage nehme ich wieder zurück, denn es wäre höchst ungerecht, nur das geringste Mißtrauen gegen die vielen Beweise deiner Liebe zu hegen.

Ich war einige Zeit wieder recht gesund, habe aber vor kurzem eine bedeutende Erkältung mir zugezogen, die mich an die acht Tage im Zimmer gehalten hat. Ich weiß nicht, was ich davon denken soll, daß ich diesen Sommer so gar nichts tauge, zum Glück ist die Medizin, die ich dagegen brauche, so ganz erträglich, denn sie besteht aus gutem ungarischen Wein. Vor dem Jahr um diese Zeit war ich auf den österreichischen Alpen und genoß da das herrlichste Vergnügen, jetzt hält mich die große Hitze in meine Stube eingekerkert. Ich habe gehofft, eine kleine Reise dieses Jahr wieder zu machen, aber wie es scheint, wird nichts daraus.

Ich habe wieder eine recht vergnügliche Stunde vor dem herrlichen Bilde von Pordenone, die St. Justitia, von dem ich dir in einem früheren Brief schon geschrieben habe, zugebracht. Ich wollte nichts, als es wäre dir so nahe als es mir ist, wir könnten Hand in Hand dastehen und in dem Bilde das warme Herz des Künstlers bewundern. Wenn Du nur ihren Blick, ihr Auge sehen könntest, zwar hat das Auges etwas eigenes, was eigentlich ganz gegen die Regel eines vollkommenen (ich meine nach Regeln streng vollkommen) Gesichts streitet, ein lebhafter Blick aus einem halben Auge muß eigentlich dieses haben, und diese hat ganz das Gegenteil; der mitleidige Blick aus dem trüben Auge scheint zu dem knieenden Ritter zu sprechen "Mensch aus Erde" und doch spricht deutlich die sanfte Linie des Mundes "sei getrost, ich bin deine Freundin".

Ein anderes kleineres Bild (denn dieses ist Lebensgröße) wünschte ich dir auch zeigen zu können, die Vorstellung ist Christus in dem Garten nach dem Abendmahle. Gewöhnlich ist sie sehr dazu geeignet, einen wehmütigen Eindruck zu machen, aber dieses ist von Michel Angelo, dessen hohes Genie die sanften Empfindungen als zu spielend übestieg und sich nur in den groteskesten Abbildungen der kolossalen Ideen gefiel; mit wilder Grazie liegen Johannes und Jakobus schlafend, schwere Träume beängstigen sie, nichts kann besser ausgedrückt sein als dieses, ihre gezwungenen Lagen verraten deutlich, wie sehr sie sich bemühen, den schrecklichen Traumgestalten zu entweichen. Petrus steht noch ganz schlaftrunken vor Christus, der verweißend zu ihm sagt "Was schlafet ihr". Das eigenste dabei ist, daß Christus zweimal auf dem Bilde ist, denn im Vordergrund sieht man ihn knieend beten. Was hilft aber die beste Beschreibung, wenn man es nicht sehen kann, wirst du denken, und das ganz mit recht, aber du wirst es mir nicht übel nehmen, denn ich weiß, du fühlt zu gut, wie angenehm es ist, eine Empfindung einem Freunde mitteilen zu können.

Wir haben jetzt hier eine kleine Gesellschaft von angehenden Künstlern errichtet, wobei wir unsere Arbeiten uns gemeinschaftlich vorlegen, und über die dann brav rezensiert wird. Wir kommen alle 14 Tage drei mal zusammen. Des Montags muß jeder eine Zeichnung oder andere Arbeit von sich vorlegen, des Sonnabends muß jeder eine Skizze bringen von einer Komposition, die aufgegeben wird, des Mittwochs kommen wir dann wieder zusammen, hat einer etwas, so ist es gut, doch ist es nicht notwendig, es wird etwas über Kunst gesprochen oder wir gehen spazieren. Von halb 7 bis nach 9 Uhr ist die Zeit, die wir zusammen sind. Jung ist nicht dabei, erstlich, glaube ich, würde er es nicht tun, wenn wir es ihm antrügen, und nähme er es an, so würde er unsere Ordnungen nicht gehörig in Acht nehmen; deswegen bitte ich dich, nichts gegen seinen Vater davon zu erwähnen. Übrigens sind wir wieder beim alten, er besucht uns zuweilen und ich hätte ihn auch besucht, wenn ich ihn angetroffen hätte und er mir nicht mit seiner eigenen Offenheit gesagt hätte, er hätte es lieber, wenn ich nicht zu ihm käme, um nicht in Schrecken wegen seiner Unordnung zu geraten, aber ich spreche ihn täglich auf der Akademie.

Noch eins muß ich dir schreiben, das ich dich auch bitte, bis jetzt noch geheim zu halten, weil es noch nicht ganz ins Reine ist. Overbeck und ich haben zusammen eine Entdeckung gemacht, die uns mit der Zeit als Künstler von sehr großem Nutzen sein kann, es ist nämlich, den Charakter der Farben, mehr als man getan hat, mit der Malerei zu verbinden und überhaupt jeder leblosen Sache ihren eigentümlichen Charakter abzulernen und dadurch ein Bild sprechender und übereinstimmender zu machen. In den meisten Gemälden findet man nur eine gewisse Ordnung der Farben, die aber keinen andern Zweck hat, als dem Auge zu schmeicheln und die Übergänge von einem Gegenstand zu dem andern sanft zu machen, dadurch denn die Harmonie der Farben hervorgebracht wird; unser Bemühen ist aber eine Harmonie des Menschen, den ich vorstelle, mit den Farben seines Gewandes hervor zu bringen. Wir haben genau acht gegeben und haben gefunden, daß fast jeder Mensch, wenn er freie Wahl hat, sich zu kleiden, sich immer nach seinem Charakter kleiden wird. Besonders nützlich wird uns diese Entdeckung, dieses auf die Malerei anzuwenden, bei dem Abbilden von Weibern sein. Denn der Mann trägt sich mehr nach seinem Beruf und Amt, der Gelehrte geht anders als der Staatsmann, als der Soldat, der Bürger, jetzt wohl nicht mehr so auffallend verschieden als in den Zeiten des Altertums und des Mittelalters, aus welchem doch die meisten Gegenstände genommen werden. Aber die weibliche Kleidung ist sehr wenig verschieden, Farbe und Schnitt tut da das meiste, auch die Farbe des Haars ist bedeutend, ob sie schwarz, braun oder blond. Alles diesses genau zu bemerken und anzuwenden, ist jetzt unser Bemühen, und gelingt es uns, so habe ich Hoffnung, daß unsere Bilder einiges Interesse haben werden, das man darin findet, ohne die Ursache suchen zu können. Ich bitte dich, schreibe mir deine Meinung und deine Gedanken darüber, wir haben uns fest vorgenommen, es niemand zu sagen, bis wir erst ganz damit fertig sind, aber ich hab sogleich eine Ausnahme wegen dir, die mir Overbeck mit dem größten Vergnügen machte, denn Freunde müssen keine Geheimnisse unter sich haben. So bin ich doch schon gewissenmaßen belohnt dafür, daß ich den Neid bekämpfe.

Noch eins, ich habe eine kleine Zeichnung gemacht, eine Allegorie der Freundschaft, worauf ich an eine Wand in einen Zirkel den Anfangsbuchstaben deines Namens, von Overbeck, und den meinigen setzte, du nimmst es nicht übel, daß ich es eigentlich ohne Erlaubnis tat, genug werde ich aber gefragt, was die drei Buchstaben bedeuten sollten, ich antworte dann so trocken wie möglich: Hieroglyphen.

Wenn du mir also jetzt recht bald schreibst, welches gewiß geschieht, so fahre in der Schweizer Reisebeschreibung doch ja fort, denn du kannst nicht glauben, wie sehr sie mich interessiert, ich lese sie wie ein Buch öfters durch und immer mit Vergnügen. Deine Cousine sagte mir, sie bedauerte sehr, daß du nicht Künstler geworden wärest, denn an Talent dazu fehlte es dir nicht; du kannst nicht denken, was mich das freute.

Denkst du noch zuweilen an die muntern Streiche, die wir zusammen machten, das Schattenspiel, die Laterna magica, das Schauspiel und andere. Wir wir oben auf dem Dache die Dekorationen zu dem Schattenspiel malten. Und denn im Schauspiel, ich fühle jetzt noch den Dolchstoß, der mich als Don Caesar in der Braut von Messina auf die Erde streckte, und ich denke doch, ich machte es ganz herrlich und höchstens machte ich nur einen Fehler darin, daß ich mich mit einem Stahl und keinem Dolch erstach. Ausgeteilt konnten auch die Rollen nicht besser sein, denn an die Kleinigkeit stießen wir uns nicht, daß die Mutter jünger war als beide Brüder. Auch unsere Spaziergänge, alles alles stimmte bei, uns vergnügt und munter zu machen, wann werden wir uns wohl einmal wieder sehen, ich glaube fast so gar bald nicht, das Ziel unserer Jugend liegt zu weit voneinander.

Ich werde mit nächstem etwas von meiner Arbeit an Herrn Sarasin schicken, er hat es verlangt, um es meinen Wohltätern vorlegen zu können, ich zittere beinahe dafür, wenn sie finden sollten, ich hätte ihre Güte unverdient genossen, an Fleiß habe ich es wenigstens nicht fehlen lassen, solange ich hier war, viele Zeit habe ich zwar verloren, das ist wahr, in Kassel, ach die Zeit ist unwiederbringlich weg, ich habe dort Zeichnungen kopiert nach andern Arbeiten und noch durch Hilfe geschickter Künstler, die fast noch das meiste hinein zeichneten. Wie ich hierher kam und man mir einen Gipskopf vorstellte, saß ich wie versteinert, zeichnete und löschte aus, denn niemand kam, mir den ersten Entwurf zu machen, so plagte ich mich drei Tage an einem Kopf und brachte ihn so heraus, daß Kinder aus den untersten Klassen mich kopierten und junge Leute, an die ich empfohlen war, die Achseln zuckten und sprachen, es ist nichts, und nun kam die Zeit dazu, wo die Akademie beinahe den ganzen Winter geschlossen blieb und wir Soldatendienste taten - hier muß ich abbrechen, sonst falle ich wieder in die Melancholie zurück.

Lebe wohl und schreibe mir bald recht bald und behalte lieb
        deinen        ewigen Freund         F. Pforr

An deine Mutter und Schwestern bitte ich ... meine Empfehlung zu machen.


Wien, 24.09.1808

Mein lieber Jean

Diese späte Beantwortung deiner beiden lieben Briefe sieh ja nicht als eine Vergessenheit an, sie ist es nicht, denn ich war verreist, und denn war ich auch wieder, fast schäme ich mich, es zu sagen, krank. Ich kam von der Reise frisch und munter, sitze ungefähr drei Tage darauf an einem offenen Fenster und krame unter meinen unterwegs gemachten Skizzen, da geht mit einmal die Türe gegenüber auf, und ein heftiger Zugwind, der bei mir vorbeistreicht, bringt ungebeten Halsweh und heftige Kopfschmerzen. Zwar häte ich, wäre ich ordentlich gewesen, deine Briefe da schon beantworten können, denn ich hatte sie schon zwei Tage vorher bekommen. Denke nur, dein Onkel ist zweimal in der Straße gewesen, in welcher ich wohne, um selbst deinen Brief zu bringen, hat aber das Haus nicht finden können, daher kam es denn auch, daß ich deinen letztgeschriebenen Brief eher bekam als den ersteren.

Als wieder auf mich und mein Halsweh zu kommen, glücklicherweise hatte ich gleich den andern Tag meine Zeichnung, die Freundschaft, für dich zu skizzieren angefangen, weil du es wünschtest, du mußt aber so damit vorliebnehmen, wie es geworden ist, denn fertig habe ich sie, als ich schon krank war, machen müssen. In einigen Tagen wirst du es erhalten mit noch einer Zeichnung, die aber so gegen deine Neigung ist, daß ich dich bitte, sie nur so lange zu behalten, bis ich dir etwas geschickt habe, das deinem Gefühl mehr gemäß ist, und sie dann zu verschenken, an wen sie gefällt. Es stellt MacBeth vor, dem eine Erscheinung weissagt, er würde nie von einem Menschen überwunden werden können, der von einem Weibe geboren wäre; ich habe ihn vorgestellt, wie er, voll Schrecken über die Erscheinung, unwillkürlich nach seinem Schwerte greift. Wie gesagt, ich sehe wohl ein, daß dergleichen Gegenstände dir nicht gefallen, aber aufrichtug zu reden, ich hatte nichts anderes, und gar nichts mit dieser Gelegenheit dir zu schicken, das konnte ich nicht, also nimm es so an wie es kommt. Ich weiß aber gewiß, daß, wenn auch der Gegenstand dich nicht gewinnt, es doch als Andenken deines Freundes für dich nicht ohne Wert ist. Die Zeichnung mit der Skizze kommt mit einem Bilde, welches ich als Probe meiner Fähigkeit an Herrn Sarasin abgeschickt habe. Lasse es dir doch auch zeigen und sage mir offenherzig deine Meinung darüber.

Jetzt will ich dir ein wenig von meiner Reise erzählen. Ich ging, weil alle Freunde mir es rieten und weil ich selbst es einsah, daß es meiner Gesundheit sehr zuträglich würde, mit meinem Freund Overbeck (ich kann jetzt sagen: unserem Freunde) und noch zwei jungen Künstlern an einem schönen Morgen von hier weg. Bis vor das Tor begleitete uns noch der junge Mensch, mit dem ich wohne, hier nahmen wir Abschied, er ging zurück und wir vorwärts. Das erste, was wir taten, war, daß wir die Ämter auf unserer Reise verteilten. Ich sollte einmal die Marschroute führen und die Örter bestimmen, wo wir hin wollten, Overbeck sollte die Kasse führen, und der dritte sollte sich um die genaueren Wege erkundigen, der vierte ging leer aus. Ich führte also zunächst nach dem in der österreichischen Geschichte so bekannten Städtchen Neustadt; ich versprach, wenn man mir folgen wollte, sie morgen früh aus Deutschland heraus in das Königreich Ungarn zu führen (denn auf den Karten hatte ich mich schon vorher fleißig umgesehen). Das war nun allen sehr angenehm, als aber der Weg den ganzen Tag über öde Felder ging, da wollte meine Idee, nach Ungarn zu gehen, nicht mehr so ganz gefallen - indessen, ich war einmal Führer. Gegen Abend waren wir in Neustadt, wir hatten noch Zeit, die Stadt zu besehen, hatten noch einen kleinen Auftritt mit der Polizei wegen Pässe, die wir nicht hatten, und schliefen ganz ruhig.

Den andern Morgen früh heraus, und nun gings nach der Grenze, nach dreiviertel Stunden waren wir an der Leitha, welches ein Bach ist und die Grenze bezeichnet. Ein paar Schritte über eine mit einem Schlagbaum versehene Brücke, und wir hatten ungarischen Staub unter unseren Füßen. Wir gingen in das nächste Dorf; als wären wir hundert Meilen von Deutschland, so war es uns, andere Bauart der Häuser, andere Kleidung, andere Menschen im Tun und der körperlichen Bildung, andere Tiere, anderes Feldgerät, kurz, alles anders. Wir konnten nicht genug sehen, fragen und zeichnen. Wir tranken eine Flasche ungarischen Wein und mußten im Wirtshaus über einen ungarischen Bauern herzlich lachen, der meinte, weil wir zeichnen könnten, so müßten wir auch wohl wahrsagen können; sonst gefielen uns die Leute sehr, mir wurde jetzt förmlich gedankt, daß ich, ohne das Murren zu achten, hierher geführt hatte. Es war aber Zeit, wieder zu gehen, und des Nachmittags zwei Uhr waren wir wieder im Deutschen Vaterland.

Von hier ging es ohne Abenteuer über Neunkirchen nach Gloggnitz, doch eins, und zwar ein wichtiges, hätte ich beinahe übersprungen. Eine viertel Stunde vor Gloggnitz liegt ein kleiners Dörfchen, das Wörth heißt, hier wollten wir einkehren, fanden kein Quartier, aber dafür ein recht hübsches Mädchen. So kam es meinen Gefährten wenigstens vor, die sogleich beschlossen, den folgenden Morgen da zu frühstücken, welches denn auch geschah.

Ich bat um Erlaubnis, ihre Gesellschaft auf kurze Zeit zu verlassen, und ging den andern Morgen voran, indem sie wieder zurückgingen. Ich muß gestehen, ich bereute es nicht, den herrlichen Morgen in der schönen, gebirgigen, waldigen Gegend genossen zu haben. Gegen Mittag tragen wir uns vor Schottwien, der Grenze von Steiermark. Hohe Felsen engen hier die Straße in einen Pass ein, man sieht noch Spuren von Wohnungen, die in die Felsen eingehauen sind, ein eisgrauer bärtiger Bettler zeigte sie uns und erzählte uns mehrere Geschichten davon, die alle von seiner Einfalt zeugten. Schottwien liegt in der herrlichsten, groteskesten Gegend, ist aber an sich ein häßlicher Grenzort. Drei hohe Klippen stehen dahinter, auf einer derselben liegt die alte Feste Klamm; wir bestiegen sie. Gegen Abend waren wir in Reichenau, wo wir zwar gute Aufnahme, aber nur zwei Betten fanden, indem, man schickt sich so gut es geht. Den andern Tag gingen wir durch das herrliche üppige Tal von Reichenau nach dem Höllental zu, doch die Beschreibung unserer weiteren Reise, wenn sie dich interessiert, will ich im nächsten Brief schreiben, ich habe noch so manches mit dir zu plaudern, daß ich fürchte, der Raum des Papiers reicht nicht hin.

Ich lege dir, lieber Freund, hier eine Probe bei, daß ich meine poetischen Spielereien noch immer nicht vergessen habe abzulegen. Wäre es so gut, als es warm aus meinem Herzen gekommen ist, so müßte es vortrefflich sein, aber doch hat es mich ein wenig stolz gemacht, denn alle diejenigen, denen ich es gezeigt habe, haben es gelobt, und deswegen halte ich es auch nicht für das schlechteste, was ich gereimt habe. Die Entstehung davon ist mir so angenehm, daß ich sie dir erzählen muß. Overbeck hat ein kleines Bild gemacht, eine Auferweckung Lazarus', worauf zwei weibliche Figuren, die ausnehmend schön und angenehm sind. Ich kam einen Abend zu ihm und setzte mich vor das Bild und sah mit innigem Wohlgefallen die zwei Weiber. Wir sprachen über Verschiedenes, und endlich fragte mich Overbeck, weil ich so unverwandt hinsah, im Scherz, ob ich in eine von beiden verliebt sei. Ich antwortete "Ja" und konnte mich nicht enthalten, die mannigfaltigen Schönheiten an den Weibern zu nennen. Wir kamen im Gespräch weiter und jeder beschrieb ungefähr, wie ein Weib beschaffen sein müßte, das ihm gefallen könnte. Es war darüber dunkel geworden, welches unsere Phantasie noch mehr erhitzte, kurz, ich ging nach Haus, fühlte mich so voll, daß ich unwillkürlich mich hinsetzen mußte und so entstand das Gedicht. Wie aber immer meine angenehmsten Empfindungen an das Ernste, ich möchte sagen Melancholische grenzen, so entstand auch gleich dabei die Vignette, die ich auch darunter gezeichnet habe, und sie paßt, wie mich deucht, nicht übel. Ein Mädchen, das oft dem Inhalt des Täfelchens nachdenkt, und mit Wärme nachdenkt, kann unmöglich eitel, stolz oder kokett werden. Was ich mir dabei dachte, ist ungefähr folgendes: der Schädel bedeutet den Tod, der Schmetterling die Seele, das Kruzifix die ewige Seligkeit, von der wir nur durch den Tod Christi Gewißheit erhalten haben. Eine Bemerkung muß ich dir noch machen, du weißt doch wohl, daß Frauenlob ein alter deutscher Dichter war, der ausschließlich zur Ehre der Frauen sang. Ich ersuche dich, mir offenherzig deine Meinung darüber zu schreiben und keinen Fehler zu verschweigen, den du darin findest.

Ich habe an Overbeck das gesagt, was du mir so warm aus deinem edlen Herzen schriebst, er erwidert aufs freundschaftlichste dein Anerbieten. Nun, hoffentlich werdet ihr euch noch einmal kennenlernen, denn gute Menschen führt der Himmel so gern zusammen.

Über die Charaktere der Farben kann ich dir nichts systematisches sagen, weil wir eigentlich nichts Festgesetztes darüber haben. Wir haben jetzt in unseren Abendstunden viele Versuche gemacht, um verschiedene Charaktere zu bezeichnen, und sind ziemlich glücklich gewesen. Overbeck hat eine neue Entdeckung hinzugetan, die unsern Plan um vieles vergrößert, nämlich das Charaktervolle so genau durchzuführen, daß nicht der geringste Putz ausgelassen wird. Die Idee ist sehr gut, denn auch hierin liegt viel Charakter, weil es willkürlicher noch ist als das Kleid. Nur auf den Mann läßt sich das alles nicht so ganz anwenden, weil ihm meistenteils nur der Zufall und seine besondere Bestimmung in sein Kleid steckt. Aber mit dem Weibe geht es vortrefflich. Nur ist es auffallend, welcher Unterschied in den Farben der Haare ist, ich kann dir einige Farben nennen und ihre Charaktere sagen: Am besten macht sich schwarz und violett, schwarz und blau, weiß und violett u.d.g. Farben zu schwarzem Haar, das heißt die machen einen guten Charakter. Zu braunem Haar gibt es außerordenlich viele Farben, grün und violett, weiß mit blau, gelb grün und violett, blau mit grün, violett, graurot und weiß, kurz sehr viele Farben, wenn sie nur in gehöriger Vereinigung sind. Zu blondem Haar sind alle stillen Farben als blau mit grau mit karmoisinrot u.d.g., eine sehr charakteristische Farbe für blondes Haar ist braunrot, das etwas ins karmoisinrot spielt, violettgrau und schwarz; in den besonderen Farben der Haare bei Weibern liegt auch wieder dasselbe, denn wenn du alle Gesichter aufmerksam durchgehst, wirst du finden, daß gewöhnlich der Charakter des Gesichts mit der Farbe der Haare übereinstimmt. Doch dieses kann man nur mit vieler Einschränkung sagen, denn daß hier viele Abweichungen sind, ist natürlich.

Das Resultat unserer Bemerkungen darüber ist folgendes: Schwarzes Haar macht zweierlei Hauptzüge kenntlich, entweder Stolz und Kälte oder Munterkeit und Fröhlichkeit; das scheint sehr verschieden zu sein, aber gib nur acht und du wirst finden, daß wir wenigstens nicht unrecht haben. Braunes Haar bezeichnet gutmütige Fröhlichkeit, unschuldige Schalkheit, Naivität und Munterkeit, blondes Haar Eingezogenheit, Bescheidenheit, Herzensgüte und Stille, im ganzen überhaupt mehr leidend als handelnd. Was rotes Haar bedeutet mit einen Gesicht dazu, wie es sich gehört, brauche ich dir nicht auszulegen. Ich bitte dich, soviel als möglich mir deine Bemerkungen darüber mitzuteilen, aber nochmals sage ich, daß alles dieses nichts Bestimmtes ist, sondern sehr oft abweicht. Bis jetzt habe ich dir immer nur von weiblichen Charakteren gesprochen, ich hoffe, dir nächstens etwas über Männer sagen zu können.

Vezeih, daß es so durcheinander geschrieben ist, sagen wollte ich dir meine Meinung wohl, aber das Schreiben fällt mir schwer, weil es das erste Mal ist, daß ich etwas darübe schreibe.

Vor einiger Zeit habe ich mit Jung bei deinem Onkel gegessen, du kannst nicht denken, wie vergnügt ich war, einmal wieder unter Frankfurtern zu sein, denn die Wiener sind nicht für mich gemacht und ich nicht für sie. Unter meinen ganzen Bekanntschaften findet sich nur einer, das übrige sind alles Schweizer, Bayern, Schwaben, Ungarn und andere Ausländer. Es mögen achtungswürdige Leute hier sein, ich kenne aber zu wenig.

Nun lebe recht wohl und vergiß nicht, mich deiner Mutter und Mimi und Luischen zu empfehlen. Ich bin ewig dein Freund.        F. Pforr
Overbeck läßt dich herzlich grüßen.


Anlage zum Brief vom 24.9.1808

An Deutschlands Frauen

Wär' mir Dichterkraft gegeben,
Herzen damit zu erfreun,
Wär' geweiht euch all mein Leben,
Weiber, mein Gesang allein.

Ossian und Homer, euch Götter
Unter Menschen, neid ich nicht;
Nicht Anakreaon, der Rosenblätter
Unter Weinlaub sich zum Kranze flicht;

Nicht Virgil, den schon beim Leben
Augustus zu Ehren hob.
Mich drängt nur ein unbekanntes Streben
Nach dem süßen Namen Frauenlob.

Schön ist die Natur im Frühlingskleide,
Wenn der Nachtigallen Lied nie schweigt,
Wer beschreibt die sanfte Augenweide,
Wenn die Sonne über'n Hügel steigt?

Wer besingt mit Würde Wald und Fluren?
Wer das Meer in seiner hohen Pracht?
Überall erblickt man Gottesspuren,
Überall stehn Zeichen seiner Macht.

Herrlich steht das edle Roß voll Feuer,
Trotzig tritt einher der Löwe stolz,
Hoch in blauen Lüften schwimmt der Geier,
Flüchtig trabt der Hirsch durchs Holz.

Uns zu freuen färbt dem ind'schen Raben
Die Natur bunt Flügel, Brust und Leib.
Doch von allen unnennbaren Gaben
Ist der Schöpfung Meisterstück das Weib.

Kühnheit, Mut und kraftvoll Steben,
Das erhielt der Mann zum Los.
Ausgestoßen in das wilde Leben,
Macht Gefahr und Sieg ihn stolz und groß.

Er verachtet, kann er Ruhm erjagen,
Das Gebrüll der hochgewogten Flut,
Weiht der Ehre sich zum Opfer ohne Klagen,
Spottet des gereizten Bären Wut.

Doch das Weib, das schwache, unbewehrte,
Ohne Schutz und ohne Kraft,
Ist sie doch die Hochverehrte,
Ihre Schwäche ihr nur Achtung schafft.

Wenn sie züchtig mit gesenkten Blicken
Vor dem Manne steht mit hohem Sinn
Er blickt auf und leget mit Entzücken
Gern das Schwert zu ihren Füßen hin.

Töchter Deutschlands, wie ich euch verehrte,
Sagt nur schwach hier mein Gedicht,
Keusch und fromm verachtet ihr die Lehre
Unsrer hohen Lehrer nicht. *)

Jeder die still, weiblich und bescheiden
Kindlich sich der hohen Lehre freut,
Die nur Tugend mit der Unschuld kleiden,
Dieser ist dies Lied geweiht.

*) Epistel Pauli an Titum Kap. II Vers 4 und 5: Daß sie die jungen Weiber lehren züchtig sein, ihre Männer lieben, Kinder lieben. Sittig sein, keusch, häuslich, gütig, ihren Männern untertan, auf daß nicht das Wort Gottes verlästert werde.


Wien, 12.11.1808

Mein lieber Jean

Deine zwei lieben Briefe habe ich richtig erhalten, sie mit vielen Vergnügen durchlesen, und setze mich auch sehr vergnügt hin, ein Stündchen mit dir, mein Lieber, zu verplaudern. Es freut mich sehr, daß dir mein Gedicht einigermaßen gefallen hat, du legst aber zu viel Wert darauf, indem du es in Musik willst setzen lassen, und ich glaube, daß dieses gar nicht angeht, weil das Silbenmaß durchaus vernachlässigt ist, zu meiner Schande habe ich gar nicht darauf gesehen. Den Hauptfehler aber mit der einfachen und vielfachen Zahl will ich suchen abzuändern, bis jetzt wollte es nicht so recht gehen.

In deinen Beurteilungen über meine Arbeiten verrätst du viel Scharfsinn und richtiges Gefühl, ich will dir Stück für Stück darauf antworten. Was die Contour betrifft, die will ich ganz mit Stillschweigen übergehen, denn sie taugt nichts; als ich sie machte war ich krank, hatte keine rechte Zeit dazu und dann war es eine Kopie. Das Original würde dir vielleicht besser gefallen. Ich bitte dich, zeige es niemand, ich erinnere mich auch kaum, wie es war, nur so viel weiß ich, daß fürchterliche Zeichenfehler darin waren. Du solltest bloß eine Idee von dem Original haben, dazu war es bestimmt, die ausführliche Erklärung aller Sachen behalte ich mir auch bis dahin aus, wenn du das einmal siehst. So etwas läßt sich gut sprechen, aber sehr übel schreiben, ich bin überzeugt, daß du nicht daran denkst, ich wollte etwas gegen dich zurückhalten, nein. Das denkt mein Freund nicht.

Nun zum MacBeth. Du kannst wohl sehr recht haben, daß die Beine des Königs zu stark sind, ich kann mich dieses wirklich nicht mehr erinnern. In deiner Bemerkung über das Feuer pflichte ich dir aber ganz bei. Bei den alten Schotten und Engländern war es gewöhnlich, daß sie ihre Schwerter an Ketten trugen, um sie in der Hitze der Schlacht nicht zu verlieren. In dem freien Gebrauch des Schwertes hindert sie den Arm auch nicht, wenn sie nur um etwas länger als derselbe ist. Den beiden Tieren habe ich deswegen einen feurigen Streifen um die Augen gemacht, weil es keine wirklichen Tiere, sondern böse Geister in dieser Gestalt sind. Auf meinem Bilde sind dir besonders die Pferde als zu schwerfällig aufgefallen, ich glaube mich einigermaßen darüber rechtfertigen zu können. Der Charakter des Kostümes dieses Zeitalters war äußerst plump und schwerfällig, diese Schwere hatte nun Bezug auf alles, was sie machten oder auch gerne sahen. Wenn man die Pferde auf den Gmälden von Rubens und van Dyck besieht, so wird man finden, daß die größten Helden und Monarchen die plumpsten Pferde ritten; an den starken Füßen hängen große Büschel Haare, eine lange Mähne und ein schöner Schweif, das liebten sie und hielten es für eine große Schönheit. Doch kannst du mir den Einwurf machen, diese Maler können, da das Pferd nicht ihre Hauptsache war, ihre Pferde idealisiert haben, aber auch dagegen kann ich mich verteidigen: ich habe in der Hufeisensammlung des hiesigen Tierspitals mit allem Fleiß die alten ausgesucht und gefunden, daß alle groß, ja einige außerordentlich groß sind. Nach und nach ist man erst darauf gekommen, daß ein dicker Pferdeknochen nicht mehr Kraft hat als ein dünner, ein schwacher Schenkelknochen von einem arabischen Pferd wiegt mehr als ein dicker Schenkelknochen eines deutschen Fuhrmannpferdes. Als man dieses eingesehen hatte, war man bedacht, die deutschen Stutereien mit orientalischen, spanischen, ungarischen, englischen Pferden zu versehen. Daher kommt es, daß unsere jetzigen Pferde schlank und fein sind, aber das deutsche Pferd ist von seinem Ursprung plump und schwer. Das wäre also, was ich gegen dein Urteil einzuwenden hätte, es hat mich aber sehr gefreut, daß du mit einem so scharfen Blick meine Sachen beurteilt hast.

Ich zeichne jetzt etwas aus der Schweizer Geschichte, welches in der Stadt Basel vorfällt. Da du nun da gewesen bist, so bitte ich dich, mir eine kleine Beschreibung von dem zu machen, was dir da aufgefallen ist, das heißt, was alt ist, besonders die Bauart der Häuser und Straßen, willst du wohl so gut sein? Und bekomme ich es alsdann bald? - gewiß tust du es.

Ich danke dir sehr für dein Vertrauen zu mir, daß du mir in deinem ersten Brief bezeugt hast, in dem du mir deine innersten Gedanken zeigtest, ich muß dir aber offenherzig sagen, ganz stimmen wir nicht überein. Ich wäre deines Zutrauens unwürdig, wenn ich nicht eben so offen zu dir sein wollte. Abergläubisch bin ich nicht, aber doch glaube ich, daß Gott oft, beinahe unmittelbar auf uns wirkt, und daß er oft Strafen und Belohnungen hier schon austeilt. Wenn du die Geschichte aufmerksam durchgehst, wirst du genug Beispiele davon finden. Mir fällt jetzt nur eine bei: Albrecht, der erste Böhmische Kaiser, wurde von seinem Neffen erschlagen; um sich auf den Thron zu schwingen, hatte er seinen Vorfahren, einen schwachen Mann, aber voller Eifer und gutem Willen in einem Treffen, wie man behauptet, mit eigener Hand getötet. Mich deucht, daß man deutlich hier Gottes Gericht sähe; derselbe der sich nicht scheute, seines Kaisers Blut zu vergießen, um sich nur empor zu bringen, mußte von einem nahen Verwandten erschlagen in den Armen einer gemeinen Dirne sein Leben ausbluten, und solcher Beispiele gibt es sehr viele. Und denn, wenn du nicht an unmittelbare Wirkung glaubst, was glaubst du von Christus. Bei ihm deucht mich ist die unmittelbare Wirkung doch ganz deutlich; ich muß dir dabei ganz offen gestehen, daß, ehe ich das Neue Testament mit Fleiß und Nachdenken durchgelesen hatte, ich mir ihn als bloßen Menschen dachte, der über den Verfall seiner Landsleute Mitleid fühlte und alles aufbot, sie zu retten. Aber diese Meinung habe ich nun ganz verlassen, ich habe die ganze Bibel hier ziemlich durchstudiert und wende auch jetzt noch oft manche Abendstunden zu diesem angenehmen Geschäft an; die Prophezeiungen auf Christus sind zu sehr in die Augen fallend, und die Stellen, die auf das Leben Jesu Bezug haben, sind so häufig, daß meine erste Meinung mir notwendig als sehr irrig erscheinen mußte. Den Spruch, den uns Christus gab "Was Ihr den Vater bittet in meinm Namen, das wird er Euch geben", finde ich aus eigenen Beispielen sehr wahr.

Du siehst, mein Lieber, daß wir sehr verschieden in unsern Denkungsarten über diesen Gegenstand sind, ich muß dir einen Vorfall erzählen, den ich hatte, und der dir vielleicht mehr erklären kann, als was ich sage. Ich malte ein kleines Bild vor kurzem; einen weiblichen Kopf, der darauf war, fürchtete ich schon gleich von Anfang an zu malen, das übrige wurde so so, aber nun den Kopf, dreimal machte ich ihn und ebenso oft mußte ich ihn wegwischen, Du kannst denken, wie traurig und niedergeschlagen ich war, ich dachte von ungefähr an den Spruch; sollte der, der uns so hohe Wahrheiten lehrte, hier uns nicht auch den rechten Weg führen? Ein Gebet in seinem Namen voll Vertrauen stärkte mich, so daß ich mich wieder hinsetzte und ihn so malte, daß meine Freunde behaupteten, es sei mit vom Besten, was auf dem Bilde wäre. Ich bin überzeugt, du lächelst nicht, wenn du auch ganz anderer Meinung bist über deinen Freund und hörst gerne meine Gedanken darüber. Ich glaube hier eine unmittelbare Wirkung Gottes zu sehen. Den Einwurf, daß dieses zu klein für ein Wesen wäre, das die Myriaden Sterne schuf und erhält, glaube ich leicht beantworten zu können. Für Gott ist nichts zu groß, aber auch nichts zu klein, eben darin besteht seine Größe, daß er das Kleine über dem Großen nicht übersieht. Ein Gebet voll Vertrauen auf Erhörung kann unmöglich etwas Böses zum Inhalt haben, höchstens einen Irrtum, über welchen man sich am Ende selbst freut, daß es nicht geschehen ist. Hätte ich nun z.B. gebeten, der Kopf möchte durch sich selbst entstehen, so hätte ich etwas Unrechtes gewünscht und wäre keiner Gewährung würdig gewesen, denn ich hätte es doch nur mit den Gedanken eines Betrugs tun können. Denn ich hätte es doch nur getan, um nachher den Kopf für meine Arbeit ausgeben zu können. Ich mußte mir alle Mühe dabei geben und das mit Recht. "Gott hilft denen, die sich selbst helfen" dieses Sprichwort im rechten Sinne genommen enthält viel Wahres. Alsdenn wie oft habe ich gefunden, daß Sachen, die ich für ganz verloren hielt, ein gutes Ende nahmen, so z.B. hatte ich Hoffnung, hier in der Gräflich Friesischen Galerie etwas kopieren zu können, wie sehr freute ich mich darauf. Plötzlich brachte mich ein Zufall um meine Hoffnung, es konnte nicht sein, ich war untröstbar und hielt mich für äußerst unglücklich. Dadurch aber, daß ich ganz aufs Äußerste gebracht war, kam ich in das Pferdespital, worin ich doch ohne Zweifel mehr lernte, als wenn ich zwei Sommer kopiert hätte.

Noch ein Beispiel will ich dir geben, aus dem du sehen kannst, daß Gott schon für mich sorgte, ehe man noch an mich dachte. Mein Vater sollte, ehe er noch verheiratet war, Hofmaler am Hessen-Kasslischen Hof werden. Er hatte viele Freunde, die täglich um den Landgrafen waren, welcher ihn selbst gern hatte. Es war also gar nicht zu bezweifeln, daß er glücklich sein würde. Er übergab sein Schreiben, alles ging gut, bis ein Mann, der meinen Vater wohl nicht leiden konnte, dazwischen trat und machte, daß nichts daraus wurde, trotz aller Bemühung seiner Freunde. Glaubst du wohl, daß ich jetzt hier mit so vieler Bequemlichkeit studieren könnte, wenn mein Vater in Kassel als Hofmaler gestorben wäre, glaubst du, es würden sich so großmütige Freunde gefunden haben, die mich so tätig unterstützt hätten, als wie mir jetzt geschieht - gewiß nicht, ich bitte dich, schreibe mir doch in deinem nächsten Brief, aus was für einem Gesichtspunkt du diese 4 Beispiele siehtst, die ich dir gegeben habe.

Für das Kompliment und die Bemerkung deines achtungswürdigen Onkels danke ich vielmals, es hat mir über vieles Aufschluß gegeben. In meinem nächsten Brief werde ich dir schreiben, was ich darüber denke. Ich bitte dich, mich ihm gehorsamst zu empfehlen, wie auch deiner Mutter und deinen Schwestern. Auch an Herrn und Frau Hadermann, die mich in deinem ersten Brief grüßen ließen. Zu meiner größten Schande muß ich dir gestehen, daß ich sie dem Namen nach nicht kenne. Ich bitte dich, mich einigermaßen in deinem nächsten Brief mit ihnen bekannt zu machen, den Namen habe ich oft von dir gehört.

Einliegenden Brief bist du wohl so gut, weiter zu besorgen. Er ist an den jungen Menschen, mit dem ich hier zusammen wohne, und der in den hiesigen Ferien einen Besuch seinen Eltern nach Kassel gemacht hat, und von dem ich bis jetzt, nachdem er aus Leipzig geschrieben hat, ncoh keine Zeile erhalten habe. Ich habe ihm schon geschrieben, aber der Brief muß verloren gegangen sein, deswegen will ich diesen bei dir einlegen, denn unsere Briefe kommen immer richtig an. Du bist also so gut und legst ihn auf die Post.

Aus meiner weiteren Reisebeschreibung wird für dieses Mal nichts, ich spare sie auf den nächsten Brief. Deine Schweizer Reisebeschreibung hoffe ich auch noch weiter zu erhalten, wenn ich sie vollständig habe, will ich sie herausgeben unter dem Titel "J. D. Passavants Briefe über die Schweiz", hrg. von F. Pforr (denn mein Name muß auch dabei) mit dem Porträt des Verfassers. - Doch nein, das tue ich nicht, sonst könntest du auch meine Reisebeschreibungen als Gegenkompliment herausgeben, und da wäre ich übel dran.

Lebe wohl, lieber Jean, vergiß nicht und schreibe bald
        Deinem treuen Freund      F. Pforr


Wien, 6.1.1809

Lieber Jean

Hätten mich nicht so viele und zum Teil unangenehme Geschäfte abgehalten, so wäre mein langes Stillschweigen nicht zu entschuldigen, aber doch habe ich mich oft niedergesetzt, dir zu schreiben, und bin immer wieder unverrichteter Sache aufgestanden, um eine bessere Stimmung abzuwarten, als die war, in welcher ich mich befand, denn ich halte es für sehr unrecht, die angenehmsten Sachen in Augenblicken vorzunehmen, in denen man gestimmt ist, die Freuden nur halb zu genießen.

Für die Nachricht, die du mir in deinem ersten Brief gibst von der Ausstellung meiner Bilder, danke ich dir recht sehr; in der Freude, die du darüber bezeugst, daß es so gnädig aufgenommen worden, erkenne ich ganz meinen Freund. Wie sehr muß ich dir darin beipflichten, daß du den Künstler für den glücklichsten Menschen hälst, aber doch mit einem kleinen Zusatz, der in nichts weniger besteht, als daß er ebenso der unglücklichste ist. Ich bin noch nicht weit in der Kunst, und doch sind die Leiden schon groß gewesen, die ich ihrethalben ertragen haben. Physische Leiden achte ich nicht, denen der Künstler besonders als Studierender unterworfen ist, denn sich Dinge zu versagen, die einen jungen Menschen von jedem Stand ergötzt, fällt uns immer leichter als die rastlose Arbeit ohne Ziel zu ertragen. Ja, ohne Ziel ist die Bahn des Künstlers, rastlos muß er sich vorwärts bewegen ohne Ausruhn; steht er nur stille, wehe! er geht zurück, er kann sehen, wie das, was hinter ihm liegt, in blauen Nebel zurücksinkt, deswegen dämmert ihm noch kein Ende seiner Bahn. So eilt er fort, bis ihn der Tod ereilt. Und denn, wenn er auch mit Ehren abgetreten ist, was ist sein Los? Daß einige wenige ihn schätzen und in seinen Werken bewundernd lieben, aber die meisten bedauern, daß ein Mensch der Kunst erlegen ist, nicht als Künstler, sondern, daß er, wenn er ein gescheiteres Gewerb ergriffen hätte, für das Ganze mehr genutzt hätte, welcher Nutzen, da er Künstler geworden ist, verloren worden.

Was ich da sage ist nicht übertrieben, denn stellen nicht viele Menschen den Maler mit dem landdurchstreichenden Vagabunden in eine Reihe! Ich bin weit davon, zu glauben, daß eine Stadt unglücklich wäre, wenn sie keine Künstler besäße, aber doch glaube ich, daß wenig Menschen so sehr auf Moralität und Tugend wirken können! Auch kann ich so ganz der Meinung der Menge nicht unrecht geben, die Kunst ist sehr herabgekommen. Wenn man bedenkt, zu was für einen Zweck man sich jetzt ihrer bedient, so muß man bedauern, daß der Verfall so allgemein ist. Sonst war des Malers Bemühen, durch fromme Gegenstände zur Andacht und durch edle Handlungen zur Nacheiferung zu reizen, und jetzt? - Eine nackte Venus mit ihrem Adonis, eine Diana im Bad, was für Gutes kann eine solche Vorstellung bezwecken? Und denn warum suchen wir Gegenstände, die uns so weit entfernt liegen, daß sie alles Interesse verlieren, warum nicht solche, die uns angehen? In der alten israelitischen Geschichte finden wir mehr Stoff als in irgend einer. Sage mir, welche Geschichte stellt uns ein so schönes Bild der Tapferkeit und Klugheit, der Mäßigung und Gerechtigkeitsliebe und der Aufopferung alles dessen, was man besitzt, der Tugend und des gemeinen Nutzens zuliebe als die Bücher der Makkabäer in der Geschichte des Priesters Mathathias und seiner Söhne. Finden wir nicht in dem Mittelalter Gegenstände, die es wert wären, auf ewige Zeiten übertragen zu werden, und wer stellt sie uns dar? -

Alles läuft nach einem Ideal, welches einige Männer uns aufgestellt haben, die eine übermäßige Vorliebe für die Kunstwerke der Griechen und Römer hatten. Welcher fühlende Mensch kann sich wohl des Unwillens enthalten, wenn man liest, wie ein Engländer die Malerei der Alten, die weder er noch sonst jemand aus unsern Zeiten gesehen hat, über die von unserm lieben Rafael setzt, wenn er spricht, daß er etwas hätte machen können, wenn er bessere Gegenstände gehabt hätte, und anstatt einer Schule von Athen oder eines "Disputo del Sacramento", einen "Rasenden Ajax" oder eine "Medea" gemalt hätte. Ist dieses nicht bedaurungswürdig, wie Menschen so verblendet sein können. Ich muß gestehn, daß die schönste antike Figur mir immer nur wie ein zierlich ausgearbeiteter Stein vorkommt, worin aber die Seele und das Herz man umsonst sucht, die die Künstler des fünfzehnten und anfangs des sechszehnten Jahrhunderts so vortrefflich zu geben gewußt haben.

Ich bin wirklich überzeugt, daß ich wenig Parteilichkeit habe weder für die Alten noch für die neueren Maler, aber dies, was ich dir geschrieben habe, halte ich für eine unumstößliche Wahrheit, so wie ich auch fest glaube, daß die Kunst in praktischer Hinsicht sehr gesunken ist. Die alten Maler suchten etwas zu machen, das gut ist, aber die neueren machten Werke, die gut scheinen. Daher kommt es denn auch, daß ein Bild von den ersteren im ersten Augenblick wenig Wirkung macht, aber uns, je mehr wir es betrachten, immer mehr anzieht, hingegen das andre grade die entgegengesetzte Wirkung tut. Man wird überrascht und verblendet, alle Aufmerksamkeit wird auf den Hauptgegenstand gezogen, der wohl ausgearbeitet ist, das übrige bemerkt man nicht im ersten Augenblick. Nun aber fängt man an, mit kälterem Blut durchzugehen; schon das Unnatürliche muß uns auffallen, daß nur die Hauptgruppe oder die Hauptfigur beinahe allein ausgeführt ist, beinahe alles Licht allein hat. Geht man aber weiter und sucht Natur und Wahrheit, wo wird man die finden, in den fliegenden Gewändern, in den aufgeschwollenen Muskeln, den übertriebenen Stellungen? Und wenn man nun noch die meisterhafte Behandlung rühmen hört, wie keck und leicht alles gemalt sei, so daß man am Ende gar nicht mehr den Gegenstand betrachtet und nur die Kunst bewundern muß, die sich in der Bravur des Pinsels zeigt!

Man wirft den Alten iher Härte und Bestimmtheit in den Konturen vor, das ist ein Fehler, den ich sehr wünsche zu besitzen, was ist leichter, einen Körper zu zeichnen mit einer Kontur, die die Breite eines Haars nicht überschreiten darf oder mit einer, die zwei Finger breit ist und sich noch dazu in den Hintergrund verliert? Mich deucht, die Antwort gäbe sich von selbst. Unser Auge ist aber verwöhnt, so daß wir alles, das diese nicht hat, hart und schneidend nennen. Und denn bitte ich dich, beobachte die Natur. Kann man wohl die Bestimmtheit überschreiten, die diese hat, ich glaube es nicht so leicht.

Ich muß dir gestehen, daß diese Denkungsart nicht allgemein hier unter den jungen Künstlern ist und ich nur wenige kenne, die mit mir hierin übereinstimmen. Diese Denkungsart habe ich vorzüglich Overbeck zu danken, denn mit dem habe ich oft darüber gesprochen und endlich dieses System fortgesetzt. Hier auf der Akademie ist unter den Schülern fast alles Partei, doch bei dem ist fast alles gegen uns, da wir nichts lächerlicher finden, als sich in irgend einer Meinung eine Partei zu machen. So haben wir unsere Ansichten niemand aufgedrängt und werden auch nie ein Wort darüber verlieren. Wir gehen unsern Weg still fort und suchen niemand in dem seinigen zu beirren.

Doch haben sich demungeachtet schon ein paar Menschen zu uns gefunden: der eine ist vorzüglich in Gegenständen aus dem Alten Testament geschickt und verspricht mit der Zeit einen großen Mann. Dieser schloß sich an uns nach einer näheren Bekanntschaft, wir teilten ihm unsere Entdeckung mit den Charakteren der Farben mit, über welches er sich sehr wunderte und nicht begreifen konnte, wie es noch niemand eingefallen wäre. Wie aber der zweite zu uns gekommen ist, ist für uns so rühmlich, daß ich die völlige Erkenntnis meines eigenen Unwerts zu Hilfe nehmen mußte, um nicht ein wenig stolz zu werden, er ist nämlich einer der ersten und vorzüglichsten Schüler der Akademie und schon ein Mensch bei Jahren. Dieser machte durch Zufall Bekanntschaft mit Overbeck und wurde von den Sachen, die er bei ihm sah, so ergriffen, daß er ihn mehrmals besuchte und ich weiß nicht durch welche Veranlassung ihn bat, ihn mit mir bekannt zu machen. Overbeck brachte in also zu mir, ich zeigte ihm einige von meinen Arbeiten, welchen er ein solches Lob erteilte, wie ich es gern höre, er überschüttete mich nämlich nicht mit Lobeserhebungen und Komplimenten, sondern sagte, nachdem er sie genau angesehen hatte "Sie haben erreicht, was sie vorstellen wollten". Du bist mein Freund, gegen den ich offen bin wie gegen mich selbst, ich muß dir gestehen, dieses freute mich nicht wenig. Er sah darauf ein Bild an, welches der andere gemacht hatte und welches bei mir ist, welches ihm sehr wohl gefiel und gegen ihn, der auch zugegen war, dasselbe äußerte. Hierauf kamen wir in ein Gespräch über Kunst, worin ich gestehen muß, daß wir sehr einerlei Meinung waren. Beim Weggehen faßte er uns bei der Hand und bat uns, ihn in unsern Kreis aufzunehmen. Wir bewilligten ihm dieses ebenso gerne als wir es vermieden hätten, ihn durch Überredung hinein zu ziehen.

Aber jetzt sehe ich, indem ich das durchlese, was ich geschrieben habe, daß ich, indem ich von Kunst sprach, fürchterlich geschmiert habe, so daß du Mühe haben wirst, dich daraus zu finden; nimm es nicht übel und erinnere dich, daß ich nie ein fertiger Schreiber war.

Ich muß dir auch noch von einem Lieblingsgedanken schreiben, den ich jetzt mit mir herumtrage, nämlich einmal an deiner Seite in Frankfurt leben zu können, das ist jetzt mein sehnlichster Wunsch; denn ich habe dich eigentlich wenig genossen, die meiste Zeit waren wir getrennt, wie vergnügt wollte ich leben. Und ich denke doch, daß in Frankfurt noch ein Maler sein Unterkommen finden wird, denke nur die Freude, wenn ich dich so oft, ja wohl täglich sehen werde, denn wollte ich dir noch verschiedenes von unsern Entdeckungen sagen, das sich unmöglich schreiben läßt, denn wollten wir zusammen plaudern von diesem und dem, die ganze Welt um uns vergessen und ihrer nur so viel es nötig wäre gedenken. Ich darf mich in diesen Gedanken nicht verlieren, sonst könnte es wohl noch möglich sein, daß ich den dritten Bogen noch anfing, nur das muß ich dir noch sagen, daß das eigentliche Studentenleben, welches ich jetzt führe, mir gar nicht mehr ansteht, und Wien außer der Gelegenheit, etwas zu lernen und meinem Freund Overbeck nichts anziehendes mehr für mich hat. Doch habe ich Hl. Sarasin in meinem letzten Brief gebeten, mich noch ein Jahr hier zu lassen, weil ich das Sprichwort "Auf einem Stein, den man oft umwälzt, wächst kein Gras" nur zu sehr einsehe. Ich sehne mich nach einem Ort, von dem ich sagen kann, hier bleibst du. Denn denke nur, alles was ich hier mache, bezieht sich doch nur darauf, bald geht es von hier weiter. Ich fühle, ich bin nicht für das unruhige große Leben. Eine kleine Stube, meine Staffelei darin, einige Freunde und mein Auskommen, das befriedigt meine Wünsche. Ich muß dir gestehen, ich wünschte wohl, einmal in der Kunst etwas tun zu können, aber das kann man nicht besser als aus einem ruhigen eingezogenen Leben. Denn wie die jetzigen Maler von einem großen Ort nach dem andern ziehen, finde ich sehr widersprechend mit der Stille verlangenden Kunst. Ein stilles, bürgerliches Leben, das ist das wahre. Ich weiß, Du tadelst meine Gesinnung nicht.

Über die [..sehr dick durchgestrichen..] will ich dir jetzt nichts schreiben, obschon ich wieder Stoff zu vielem habe; Du bist jetzt auf der Reise, wo man so etwas nicht mit Muße nachdenken kann. Und denn bin ich wirklich auch nicht dazu gestimmt, das erfordert einen heiteren Geist, der von allen unangenehmen Eindrücken frei ist.

Für die Skizze des Rathauses von Basel danke ich dir vielmals. Es ging aber wegen der Bauart nicht gut an, es brauchen zu können; ich male jetzt nämlich an einem Bilde, das eine großmütige Handlung von Rudolf von Habsburg vorstellt. Er belagerte Basel wegen einigen ihm zugefügten Beleidigungen, als der Reichs-Erbmarschall und der Burggraf von Nürnberg anlangten, mit der Nachricht, daß wegen seinen vielfältigen Tugenden die Kurfürsten zu Frankfurt den Grafen von Habsburg zum Kaiser gewählt hätten. Seine erste Tat war, daß er den Baslern verzieh, den Landfrieden austrompeten ließ und in die Stadt zog, wo er von den Bürgern mit Jubel empfangen wurde. Diesen Moment habe ich gewählt, wie er in die Stadt einreitet und ihm der Rat entgegengeht. Es ist eine sehr weitläufige Komposition mit vielen Figuren.

Die alte Stadt Augsburg, wo du dich jetzt befindest, möchte ich wohl sehen, es würde gewiß viel merkwürdiges geben darin zu zeichnen. Das Theater zu Regensburg, welches Du so schön fandest, habe ich bei meiner Durchreise auch gesehen, und es hat mir sehr gefallen. So nahe bist du mir also gewesen, in Regensburg, wenn ich mir das denke wird mir wohl, denn ich glaube, daß schon diese Nähe, obschon sie uns noch weit trennt, Einfluß auf mich haben muß.

Lieber, lieber Jean, könnte ich zu dir, nur auf einen Tag bei Dir zu sein, aber nein, in unsern Jugendjahren müssen wir immer getrennt sein, damit wir vielleich in späteren Zeiten immer beisammen sein können, Gott gebe es!

Unsere Charaktere haben wieder große Fortschritte gemacht, wir sind jetzt darüber, den Schnitt und die Form der Gewänder zu untersuchen, ich will dir sagen, wie wir darauf gekommen sind: ich zeichnete auf eine grundierte Leinwand mit weißer Kreide eine Figur, aus der wir im Scherz einen Holzhacker machten, alles paßte aufs beste. Darauf reizte uns der Mutwillen, einen eleganten Stutzer daraus zu machen, hurtig wurde das Holzhackerkleid hinweg gewischt, und ehe fünf Minuten vergingen, stand das liebenswürdigste süße Herrchen da, und welches Wunder, so passend, als ob Gesicht und Stellung besonders dazu gemacht worden wären. Dem muß man tiefer auf den Grund kommen, dachten wir, und machten schnell einen Geistlichen, einen Türken, einen Juden daraus, und alles passend zum Erstaunen, sogleich versuchten wir es weiter und machten mehrere und kamen so dahinter, daß die Form des Gewandes außerordentlich viel beiträgt.

Ich wollte nichts weiter, als daß Du einmal dabei wärst, wenn wir so zusammen sitzen und etwas ausgrübeln. Ich bin überzeugt, Du nähmst Anteil daran. Daß du die Münchner Gallerie so im Galopp fast ansehn hast müssen, tut mir leid. Hast Du den Johannes von Raphael und die Apostel von Albrecht Dürer bemerkt, das sollen schöne Bilder sein.

Ich habe auf der hiesigen letzten Messe ein Buch gekauft, welches voll alter Städte nach der Natur gezeichnet ist. Da begleite ich Dich dann immer auf Deinen Reisen; die durch die Schweiz habe ich ganz mitgemacht, auch die Du jetzt machst, aber freilich nur in Gedanken. Wenn wir einmal könnten so zusammen über Berg und Tal wandeln, Hand in Hand zwischen Berge und Klippen über Wiesen und Felder - Du siehst, lieber Jean, ich bin heute erstaunlich zu Träumereien aufgelegt, die recht angenehm wären, wenn man auch nicht erwachen müßte. Deswegen schließe ich diesen Brief, aber erst bitte ich noch um Vergebung, daß ich so lange nicht geantwortet habe.

Lebe wohl und behalte lieb      Deinen treuen Freund      F. Pforr

Du weißt vielleicht noch nicht, daß meine Frankfurter Wohltäter mich von neuem unterstützen, ihre Güte ist so groß, daß ich nicht weiß, wie ich danken soll. Gott segne meinen Fleiß, daß ich ihnen nur zeigen kann, daß ich ihren Wohltaten doch nicht ganz unwert bin.
Lebe wohl


Wien, 8.4.1809

Lieber Jean

Schon oft wollte ich Deinen letzten Brief aus Augsburg beantworten, ja, ich fing schon mehreremal einen Brief an Dich an und immer wurde ich verhindert ihn fertig zu schreiben, bis endlich Deine Freundschaft mein langes Stillschweigen übersah und Du mir schriebst. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Freude mir Dein Brief machte, nicht wenig freute es mich, daß meine Bemerkungen über Malerei Deinen Beifall haben. Ja lieber Jean, ich sehe es täglich mehr ein, daß die Kunst eine große Reformation bedürfte, um wieder auf die Stufe zu gelangen, auf der die Alten standen, den Zweck derselben hat man ganz aus den Augen verloren, man will bloß Wesen schaffen, die in höheren Regionen schweben, und sucht diese mit Formen und brillianten Farben zu charakterisieren, aber es ist nicht anders möglich, es könnte nicht anders gehen. Wie es oft bei einzelnen Künstlern geht, so ging es hier bei der ganzen Kunst, der herrliche Raphael selbst verfiel in diesen Fehler: solange er noch mit Mühe das Praktische der Kunst ausübte, waren seine Sachen voll des herrlichsten Gefühls, seine Gestalten haben Seele und Herz, aber als er sein letztes Bild, die "Verklärung Christi", malte, war er schon viel zu sehr praktischer Maler, und man sieht an der Komposition, daß er sie mit weit mehr Leichtigkeit als die andern behandelt hat. Ich muß Dir gestehen, ich wünschte sehr, etwas beitragen zu können, die Kunst wieder empor zu bringen.

Wir haben hier einen kleinen Zirkel gebildet, wo unserer viere oft zusammen kommen und uns über den höheren Zweck der Malerei unterhalten, wir haben alle verschiedene Fächer in der Kunst und ich wünschte sehr, daß wir mit der Eintracht unserer Gedanken darüber stets zusammen blieben, ich wollte wohl versprechen, daß wir etwas leisten würden. Daß Overbeck darin ist, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen, denn ist noch ein junger Mensch aus Schwaben, der ein bewunderungswürdiges Talent hat für alles, was groß und mächtig ist, man sollte glauben, er hätte den Michel Angelo von Jugend auf studiert, aber nichts weniger: in seinen früheren Jahren hat er bei seinem Vater, der ein Maler in einem Dorf war, vergolden, lackieren und anstreichen müssen. Doch konnten diese Arbeiten seinen Geist nicht unterdrücken. Er kam hierher, half sich kümmerlich durch Unterricht und Porträtmalen durch, hier lernten wir ihn kennen, sahen einiges von seinen Kompositionen und waren erstaunt über die Kühnheit der Stellungen, die Kraft des Ausdrucks und die Größe der Gedanken. Wir fanden aber, daß er sein Talent auf einen für seinen Geist unrechten Weg vergab, indem er Gegenstände aus der griechischen Geschichte bearbeitete. Wir sagten ihm, nachdem wir ihn näher hatten kennen gelernt, daß er, wie es uns schien, für das Alte Testament wie geschaffen wäre. Ein Versuch in der Art von ihm rechtfertigte unser Urteil, er bekam eine außerordentliche Liebe für diese Geschichten und geht mit starken Schritten auf seiner Bahn fort. Von der Zeit an hat er eine erstaunliche Anhänglichkeit an uns zwei, er täte alles, um uns ein Vergnügen zu machen, und obschon er um ein bedeutendes älter ist als wir, so macht er nichts, ohne es unserem Urteil zu unterwerfen. Was mich besonders freut ist, daß es ihm jetzt recht gut geht, er hat einige Stunden zu geben, die ihm so viel eintragen, daß er 4 Tage in der Woche für sich studieren kann und übrigens jetzt auch ganz gut lebt. Was meinst Du, wenn uns dieser mit der Zeit den Michel Angelo ersetzte und unser lieber Overbeck den Raffael? Der Gedanke hat so viel reizendes für mich, daß ich ihn immer gerne in mir aufsteigen lasse, da ich überdies so viele Möglichkeiten dabei sehe.

Bei einer kleinen Ausstellung, die unsere Künstlergesellschaft hielt, bemerkte ich unter allen, die die Aufgaben, die wir uns gegeben hatten, bearbeitet hatten, daß unsere Arbeiten den meisten charakteristischen Stil hatten (ich weiß, Du legst es mir nicht als eine Eitelkeit aus, daß ich mich hier auch darunter zähle, denn ich spreche zu einem Freund aus meinem Herzen, wie ich es denke und fühle), und nach dem Urteil aller bemerkte ich es nicht alleine. Overbeck war ganz der sanfte Italiener aus der guten Zeit, der andere hatte das Große und Eigentümliche des Michel Angelo, seine, ich möchte sagen, wilde Grazie und sein hoher Ernst; in den meinigen fand man, daß der Deutsche Stil ziemlich charakteristisch sei. Dabei muß ich Dir bemerken, daß keiner von uns sich bemüht, in dem oder jenem Meister seiner Manier zu arbeiten, nein das halten wir für Verderb, aber wen seine Neigung und sein Gefühl den gleichen Weg mit einem großen Mann führt, soll der ihr nicht die Zügel schießen lassen?

Der vierte von unserem engern Zirkel ist der Mensch, von dem ich Dir in meinem Letzten Brief nach Augsburg schrieb, und der sich seit der Zeit sehr an uns angeschlossen hat, so leben wir jetzt recht fröhlich und glücklich, sind des Tags über fleißig und des Abends in unserer Gesellschaft vergnügt, wo bald lehrreiche, bald muntere Gespräche geführt werden, auch muntere und öfters recht lustige, nun das gehört dazu, so denkst Du auch, ich weiß es.

lch komme jetzt mehr unter Menschen als sonst, ich habe gefunden, daß man bei dem zu eingezogenen Leben immer eine unanständige Schüchternheit annimmt und leicht in seinen Urteilen und Meinungen einseitig bleibt, und überdies darf ich auf Verbot des Arztes nicht zu viel arbeiten, übrigens bin ich jetzt aber recht gesund, gesünder als je, das findet jedermann und besonders ich.

Da habe ich denn eine sehr liebenswürdige Familie kennengelernt, wo ich öfters mit Overbeck einen Abend zubringe. Der Sohn aus dem Haus ist Künstler und ist auch bei unsrer Malergesellschaft. Es tut mir immer ordentlich wohl, wenn ich in den Zirkel dieser Familie komme, ich fühle es immer deutlicher, das häusliche bürgerliche Leben hat Freuden, die wir in unsrem wilden Studentenleben gar nicht kennen. Wenn ich diese Familie sehe, die so mit Liebe miteinander verbunden ist, so denke ich immer an Dich und Deine achtungswürdige Familie. Wie sehr hat mich Deine Beschreibung der glücklichen Stunden gerührt, die Du mit Deinen Schwestern zugebracht hast. Ich stimme Dir ganz bei, eine schöne Seele in einem schönen Körper erscheint uns immer liebenswürdiger und reizender, und bei Deiner Schwester findet sich beides, ihr Mann preise sich selig. Du zeigst mir dadurch eine Welt, die nur zu neu für mich ist. Was ist das menschliche Leben ohne solche Freuden, wild und mißtrauisch geht sonst der Mensch über alles hinweg, ich habe das bei mir nur leider zu oft gefunden, meine Verhältnisse haben mich immer von solchen glücklichen Augenblicken entfernt, als wie die Zeit war, die ich in Frankfurt zubrachte. Von Deiner treuen Liebe noch durchdrungen kam ich hierher und fand mich in einer ganz fremden Welt, wo ich alles fremd ansah und dafür aber auch von allen als einen fremden, unbedeutenden Gegenstand übersehen wurde. Wie schien mir alles so schwarz, so düster; ich glaubte, nur das Glück der Freundschaft genossen zu haben, um desto größer meine damalige Lage fühlen zu müssen.

Du wirst wohl schon gehört haben, wie sehr man mein Bild von Wallenstein über seinen Wert belohnt hat; nicht allein, daß meine Wohltäter sich von neuem zu einer Unterstützung verbunden haben, sondern man hat mir auch das Frankfurter Bürgerrecht gegeben. Herr Sarasin schickte mir die Kopie von dem Dekret, das in den schmeichelhaftesten Ausdrücken verfaßt war. Es ist wahr, Frankfurt überhäuft mich mit Wohltaten, und ich werde mein ganzes Leben dazu brauchen, nur meine Dankbarkeit dafür an den Tag zu legen, ans Vergelten will und kann ich gar noch gar nicht denken, indessen ich will tun, was mir möglich ist.

Ich muß Dir noch einen Vorfall erzählen, der mir begegnet ist, an dem Du gewiß teilnehmen wirst. Ich bekam nämlich einen Brief von dem Bruder unseres Freundes Overbeck, in welchem er mich um meine Freundschaft bittet und mit vieler liebenswürdiger Offenheit mir schreibt, er hätte bis jetzt noch niemand gefunden, den er Freund nennen könnte außer seine achtungswürdigen Eltern und Geschwister. Ich antwortete ihm, daß sein Antrag mir äußerst angenehm und willkommen wäre, nur müßte ich schließen, daß sein Bruder eine zu vorteilhafte Schilderung von mir gemacht hätte, und fürchtete, bei einer näheren Bekanntschaft würde er wohl das nicht finden, was er erwartet hätte. Indessen müßte ich ihm sagen, daß ich schon glücklicher wie er gewesen wäre, indem ich zwei Freunde schon gefunden hätte, die mich so aufrichtig liebten wie ich sie liebte; mit Vergnügen und Stolz nannte ich sie ihm, Dich mein lieber Jean und seinen Bruder. Nun erwarte ich eine weitere Nachricht von ihm.

Ich konnte es mir denken, daß der Antrag, mit Madame Hendel nach Italien zu gehen, Dir mißfallen würde; so sehr mir diese Reise, wenn sie wäre zustande gekommen, angenehmes für mich gebracht hätte, so hatte ich doch zu viel Ursachen, es abzulehnen. Erstlich ist, wie Du ganz richtig sagst, es nachteilig für einen jungen Menschen, wenn er allein mit einem Frauenzimmer reist. Denn wäre aber auch ein Umstand gewesen, der nicht in meinen Plan gepaßt hätte, ich möchte nämlich die Reise zu Fuß machen, um sie ganz mit Nutzen zurückzulegen und von allem Vorteil ziehen zu können, als das Zeichnen nach der Natur von interessanten Orten, schönen Gegenden und dergleichen. Dieses soll mir einst auf mein ganzes Leben nutzen, und dieses wäre bei der Reise mit Madame Hendel nicht angegangen. Und dann drittens wünschte ich auch ein Plänchen durchsetzen zu können, welches ich mit Overbeck zusammen gemacht habe: wir wollten nämlich gerne diese Reise zusammen machen; der Nutzen, in seiner Gesellschft zu reisen, wäre für mich unendlich groß. Als mir Hl. Sarasin schrieb, Madame Hendel wünschte, ich sollte mit ihr gehen, schrieb ich ihm meinen ganzen Plan und die Ursachen, warum ich es wünschte, ablehnen zu können. Er antwortete mir sogleich, daß er es zufrieden wäre, wie ich es einrichtete, wenn es nur zu meinem Nutzen. Indes nun nähre ich Hoffnung, künftiges Jahr Italien zu sehen, in der Gesellschaft meines Freundes. Wie sehr ich mich darauf freue, kann ich Dir nicht sagen, diesen elastischen Boden zu betreten, wo jeder Fußbreit Land heilige Erde ist. Ich träume mich oft in die herrlichen Gegenden Roms, in den Vatikan, vor die himmlischen Raphaelischen Gemälde, den "Heiligen Streit der Sakraments", die "Hohe Schule von Athen", den lieblichen "Parnaß". Gott gebe, daß meine Wünsche in Erfüllung gehen. Wenn ich dazu komme, so kannst Du eine Reise durch Italien für Deine Reise durch die Schweiz erwarten; einem jungen Züricher Künstler erzähle ich oft daraus und lese ihm bisweilen ein Stückchen daraus vor, welches ihn dann außerordentlich ergötzt und freut. Ich bin an Deiner Hand durch die ganze Schweiz gewandelt und bin Dir recht dankbar dafür. Ich habe die letzte Messe ein Büchelchen gekauft voll Propekte von Städte und Schlösser, worin auch die bedeutendsten Örter aus der Schweiz darin sind, die habe ich dann immer, in dem ich Deine Briefe las, bei der Hand gehabt, und so bin ich Dir ordentlich immer gefolgt. Zwar mögen die Städte jetzt ein anderes Aussehen haben, da dieses Büchelchen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts gemacht ist, unter einem Blatt steht noch eine Bemerkung geschrieben von einem Soldaten, der im 30jährigen Krieg gedient hat, daß er nämlich in dieser Stadt im Quartier gelegen habe.

Was macht denn Deine Schwester, wie geht es ihr als junge Frau, empfiehl mich ihr doch vielmals und sage ihr, daß ich ihren Brief immer noch mit vielem Vergnügen dankbar durchlese. Auch Deiner Mutter und Deiner Schwester Luischen wie Deinem Onkel, dem Herrn Pfarrer, empfiehl mich bestens.

Lebe wohl und vergiß nicht, mir bald zu antworten, ich umarme Dich in Gedanken mit herzlicher [Liebe?]) und bin       Dein       treuer Freund       F. Pforr

Overbeck läßt Dich recht sehr grüßen


Wien, 20.05.1809

Mein lieber Jean.
Du wirst durch die Zeitungen schon von dem Bombardement von Wien benachrichtigt worden sein, und gewiß hast Du dabei an mich gedacht und fast gewünscht, ich möchte glücklich durchgekommen sein. Und das bin ich auch wirklich. Am Donnerstag Abends hätte ich aber beinahe meine Lebenslaufbahn durch eine Kanonenkugel beschlossen, die dicht vor mir nieder fiel. Drei Tage waren wir in solcher Gefahr, von der Stadt aus erschossen zu werden - aber warum erzähle ich Dir das, da Du einen Auszug aus meinem Tagebuch, das ich zu dieser Zeit geführt habe, lesen wirst, und ich mit Dir von angenehmern Sachen sprechen kann.

Mein bester Freund, ich kann Dir nicht sagen, wie die Sehnsucht, Dich einmal wieder zu sehen, mit jedem Tag wächst. Während der Belagerung sah ich Dich im Traum mit Deiner nun verheirateten Schwester Hand in Hand stehen; mit welcher Freude eilte ich zu Euch, plötzlich fiel eine Bombe dicht vor Euch und wälzte sich feuerspeiend hin und her, ich breitete meine Arme aus, um meine Freunde zu schützen, in dem Augenblick riefst Du, die Bombe ist erloschen und fasstest sie an, und sie war es auch. Nun kommt aber das Unangenehmste vom Ganzen, ich erwachte nämlich und fand mich beinahe hundert Meilen von Dir und Deiner vortrefflichen Schwester entfernt.

Das war erst das zweitemal, daß Du mir im Traume erschienst, glaube aber ja nicht, daß es nur so selten geschähe, weil ich wenig an Dich dächte, nein, das gewiß nicht, es vergeht kein Tag, ohne daß ich mich der glücklichen Zeiten erinnere, die ich bei Dir zubrachte.

Ich weiß nicht, ob ich Dir meinen ersten Traum von Dir geschrieben habe, sollte ich es noch nicht haben und wärest Du neugierig, ihn zu erfahren, so schreibe es mir, er ist tief in mein Innerstes geschrieben. Du wirst vielleicht über meine Traumerzählung lachen, aber warum soll mich nicht etwas freuen, das mich, wenn auch nur im Schein, meinen Freunden näher bringt.

In Hinsicht der Kunst wird jetzt in diesen Tagen bei mir und meinen Freunden hier wenig getan; der Krieg und die Künste passen sich nicht gut zusammen: wenn ich ein wenig ruhiger wäre, könnte ich Dir manche Bemerkung schreiben, die ich in der Zeit gemacht habe, aber das alles auf ein andernmal.

Der Zweck dieses Briefes war, Dir mein völliges Wohlsein zu benachrichtigen, und das ist erfüllt, Dein Onkel ist auch, obschon er in einem Hause war, welches sehr beschädigt worden, sonst glücklich von allem Unglück verschont geblieben. Ich habe ihn vor einigen Tagen gesprochen.

Meinen letzten Brief, den ich an Herrn Sarasin einschloß, wirst Du wohl erhalten haben, ich hoffe es wenigstens, denn er ging gerade zu Anfang des Krieges ab.

Lebe recht wohl und glücklich und schreibe mir bald, denn ich habe so lange nichts von Dir gehört.

Meine Empfehlung an Deine Mutter und an Deine Schwester.
Dein Freund
F. Pforr


Wien, 02. oder 25.08.1809 [siehe unten]

Zwei so liebe Briefe erhalten und noch nicht geantwortet, das ist arg, so muß ich wohl von mir selbst denken, allein ich hatte so viel Verhinderung, nicht daß mich Geschäfte abgehalten hätten, nein, noch so sehr beschäftigt bleibt immer etwas Zeit übrig, mit Dir ein freundschaftliches Gespräch zu halten, aber geistige Verhinderungen lassen das nicht zu, und das habe ich jetzt erfahren: eine fehlgeschlagene Hoffnung versetzte mich in die übelste Lage, die es mir unmöglich machte, ein angenehmes Geschäft, wie das Schreiben an Dich, zu unternehmen, Denn so sind wir Menschen nun einmal, im Glück reißen wir alles an uns, was dies noch vergrößern kann, und im Unglück stoßen wir im ersten Unmut alles von uns, was uns herausreißen könnte. Ich will Dir weiter nichts darüber schreiben, denn Du würdest nicht einsehen können, wie eine solche Sache mich so mißmutig machen konnte, sind wir aber einmal beisammen, dann erzähle ich es Dir, und Du findest es dann gewiß glaublich.

Wie sehr hat mich Deine Äußerung über das Bild von Raffael gefreut, ich erkenne ganz darin meinen lieben warmen Freund. Wie glücklich vor vielen andern macht dich dein Gefühl; da wo andere nur den äußerlichen Stoff sehen, blickst Du in die Seele, in das Herz des Meisters, vor vielen Künstlern hast Du das voraus. Ein Maler zeigte mir einmal ein Bild nach Raffael, welches aber so schön ist, daß ohne Zweifel es unter den Augen dieses herrlichen Mannes von einem gefühlvollen Künstler gemacht ist. Er demonstrierte mir weitläufig die Schönheiten des Gewandes, der Draperien und des Tones, ich hätte toll werden mögen, wie ein Mensch vor einem herrlichen Werk stehen kann und so eine Nebensache zur Hauptsache machen kann, von der Seele des Bildes erwähnte er kein Wort, Gerade so kommt es mir vor, als wenn mir jemand einen großen Mann unseres Zeitalters zeigte, als wie Goethe, und ich fing an "was für ein Rock, die charmanten Hosen, die der Mann anhat, wie ihm die Strümpfe sitzen, alles herrlich und zu bewundern!" Freilich heißt es auch hier, das eine muß man tun und das andere nicht lassen; es ist notwendig, daß ein vollkommenes Kunstwerk den gehörigen Grad von Ausführung hat, daß die Draperien schön und ungezwungen und ungelegt sind, aber dies für die Hauptsache zu nehmen - Verstehe mich recht, ich bin keiner von denen, die durch einen flüchtigen Entwurf entzückt werden, obschon ich ehemals die beste Hoffnung gab, einer zu werden, nein, ich verlange von mir eine deutliche Ausarbeitung ohne etwas zu vernachlässigen, sei es was es wolle.

Es ist jetzt hier eine Art Ausstellung veranstaltet worden, die zwar nur klein ausfallen wird, da die Hauptsachen nur von Konkurrenten sind, die Historische Bilder eingereicht haben, dieses konnten nur Inländer sein, doch werden einige Ausländer, ohne auf den Preis Ansprüche zu machen, etwas ausstellen. Es wird im ganzen gewiß recht gut sein, daß so etwas in Aufnahme kommt.

Es hat mich recht gefreut, daß Du meinen Taum von Dir einige Aufmerksamkeit schenktest, und den andern wissen willst. Ich kann nicht leugnen, daß alles, was es auch immer sei, das Beziehung auf mein Innnerstes hat, mich freut und mir immer beobachtungswert scheint. Die Worte von Schiller sind für mich immer äußerst deutlich und ansprechend gewesen, und es ist nur ein Vers, mit dem ich mich immer trage, und der mir so oft etwas aufstößt, einfällt;

Aber zur Erzählung des Traumes: ich ging in der angenehmsten Gegend, die ich noch je gesehen habe, schöne Felder lagen vor mir, blaue Berge in den lieblichsten Konturen in der Ferne. Vor mir stand ein dichter Palmenwald, ich ging in seinen Schatten, mit jedem Schritt wurde der Weg lieblicher, unter den hohen Palmen standen die mannigfaltigsten Blumen und Kräuter, ich ging ganz in Ruhe versunken, als aus einem Busch plötzlich mehrer wildblickende Männer in orientalischer Kleidung auf mich losstürzten. Ehe ich an etwas denken konnte, hatten sie mich schon niedergeworfen und gebunden.
"Elender", rief mir einer zu "weißt du nicht, daß jeder Verwegene das Eindringen in diesen Wald mit seinem Leben bezahlen muß?"
Man riß mich fort auf einen runden Grasplatz der mitten im Wald lag, hier standen die gräßlichsten Maschinen, die nur erfunden sind, Menschen den Ausgang aus dem Leben zu erschweren. Schon kniete ich gebückt vor einem Bock, als ein Muselmann rief
"Wartet noch bis der Sultan kommt."
Ein Schauder durchbebte mich, ich dachte mir die gräßlichsten Bilder der altdeutschen Maler, in die sie die grausamen Heiden kleideten, welche die gläubigen Märtyrer zerfleischen ließen. Gewöhnlich stehn sie da im Sultanischen Schmuck, so dachte ich mir auch diesen und zitterte. Doch wie wurde ich überrascht, ein junger wohlgebildeter Mann, äußerst einfach gekleidet, trat in Begleitung mehrerer Türken, die von Gold und Silber starrten, daher. Voll Mitleid und mit dem lebhaftesten Abscheu blickte er auf mich und die Geräte. Es kam mir so etwas vor, als wenn wider den Willen des Sultans die unschuldigen Verbrechter hier hingerichtet würden. Jetzt bückte ich mich wieder und erwartete jeden Augenblick den tötlichen Streich, als mit einmal der Sultan winkte,
"Er sei frei, ich will's" rief er, und wandte sich.
Man hob mich auf, das Gefühl des Lebens an der Pforte des Todes überwältigte mich, noch knieend faßte ich seine Hand, indem ich vor Dankbarkeit nicht zu Wort kommen konnte. Da sah mich der edle Mann fest ins Auge, Tränen rollten ihm über die Wangen, jetzt fiel es von meinen Augen wie ein Schleier, Du warst es, Du stürztest in meine Arme, ich schloß Dich fest in die meinigen doch nicht so fest, daß nicht mein plötzliches Erwachen Dich daraus gerissen hötte. Ich erwachte mit Tränen in den Augen, Tränen der Freude und des Dankes, so lieber treuer Freund beschützest Du mich wachend und schlafend, ohne Deine treuen Briefe wäre ich gewiß hier so wohl wie in Kassel verwildert, du kannst nicht glauben, wie viel mir Deine Brief nicht schon genutzt haben. Denke Dich in meine Lage, von allem entfernt, was nur edles Gefühl erwecken könnte, ohne Freunde, selbst ohne gutes Buch, eine gewisse Rohheit immer vor Augen, so war mein Aufenthalt hier in der esten Zeit, was wäre aus mir geworden? Deine Briefe kamen immer wie Boten des Heils, die mich zu meinen Pflichten zurückriefen.

Vor einigen Wochen war der Jahrestag unserer kleinen Künstlergesellschaft. Wir hatten uns schon lange vorher vorgenommen, ihn mit einem frugalen Abendschmaus zu feiern, welches denn auch bewerkstelligt wurde. Ich glaube wohl schwerlich, daß, wer uns bloß schreien[?]/sprechen[?) gehört hatte, daß der geglaubt hätte, eine Gesellschaft junger Leute, die sich lustig machen, zu hören, so ernsthaft wurde öfters unser Gespräch, ohne daß wir es wollten. Wir sprachen viel über den Zweck der Kunst auf den moralischen und physischen Menschen, ich will hoffen für uns mit Nutzen. Am Ende reichten wir uns alle die Hände und versprachen uns aufs neue, einander beizustehen und unserm großen Zweck nicht aus den Augen zu lassen.

Overbeck, der Dir für Dein Andenken an ihn vielmals dankt, läßt dich herzlich grüßen. Er malt jetzt ein großes Bild, das den Einzug Christi in Jerusalem vorstellt, mit vielen Figuren äußerst lieblich und schön. Er konnte gar nicht recht anfangen, allein jetzt, da er dran ist, arbeitet er schnell und sehr gut.

Daß Du jetzt auch von Deinem Freunde Rößler getrennt bist, tut mir leid, allein ich freue mich darauf, ihn einmal kennen zu lernen, er muß ein vortrefflicher Mensch nach Deinen Schilderungen sein und ich liebe ihn von Herzen. Wie die Verbindung zweier Menschen gleich mehrere zusammenzieht: durch Dich ist mir Dein Rösler verbunden, und durch mich Overbeck Dir, und so sind gleich vier Menschen, wo einer vor dem andern in Not und Tod steht, verbunden.

Wenn die Reise mit Overbeck nach Italien zu Stande kommt, welches ich hoffe und auch glaube, so steht mir viel Vergnügen vor. Es wird mir seltsam sein, nachdem ich mich hier so lange Zeit aufgehalten habe, wieder zu wandern, mein Aufenthalt war mir aber hier von vielem Nutzen und besonders deswegen, weil in Hinsicht der Kunst hier viele, gar viele Manier herrscht, welche der Verderb jedes Künstlers ist.

Wäre ich nun an einem Ort gewesen, wo dieses weniger der Fall gewesen wäre, so hätte ich durch meine angeborene Trägheit alles so angenommen, wie man es mir gegeben hätte, und wäre auf den Weg gekommen, den tausende gehen, grade nur seinen Vorgängern nachzugehen, ohne sich auf seine eigenen Kräfte zu verlassen. Allein hier war es zu arg, das Joch drückte mich nur bald zu unleidlich, ich warf es ab und mit mir Overbeck. Man schimpfte darüber, hielt uns für verloren und wollte uns diesen und jenen Rat zu verstehen geben, allein wir hatten das Ziel einmal gesehen und nun kehrten wir uns nicht mehr an alles Geschwätz, Gespöttel und Aushöhnen. Jetzt gehn schon manchem die Augen auf, ich kann es Dir sagen, mein Freund, es jedem andern zu sagen, wäre Eitelkeit, wir stehn hier in ziemlichem Ansehen, die ältesten und ersten Schüler der Akademie besuchen uns, freilich müssen wir auch wieder ertragen, daß uns andere heruntersetzten und mitunter über uns losziehen, allein unser Wahlspruch ist:
Mut im Unglück, Demut im Glück, und so dem Ziel immer nach.

Jetzt habe ich Dir aber einen recht langen Brief geschrieben - nein, da müßte ich lügen, geschmiert habe ich ihn, nimm´s nicht übel lieber Jean, wenn ich mit Wärme an Dich denke, bekümmer ich mich wenig darum, ob ich die Buchstaben grad oder schief stelle.

Lebe recht wohl, mein lieber teurer Freund, und vergiß mein nicht in dem großen Paris. Schreibe mir doch, was die Bilder der jetzigen franz. Schule für einen Eindruck auf Dich machen, hörst Du, und offen nach Deiner Art.
Wien 2[5/.]8.1809
ich lebe und sterbe       Dein Freund       F. Pforr

Nach Deinem Willen schicke ich diesen Brief nach Frankfurt


Wien, 10.01.1810 (nach Paris adressiert)

Wie lange, lieber Jean, muß ich ohne Nachricht von Dir sein, wie sehr könnte mich nicht ein Brief von Dir erfreuen, eine Antwort auf meinen letzten Brief, den ich Dir nach Paris schrieb.   [verloren]

Denke nur, ich war krank, recht sehr, beinahe über vier Monate, und bin noch nicht ganz hergestellt, nichts kann dieses tun als ein Brief von Dir; nun wirst Du mich doch nicht lange mehr auf einen warten lassen, sondern so bald als möglich meine völlige Genesung befördern.

China und Opium habe ich in der Zeit in reichlichem Maß zu mir genommen und Medizinen von allen Farben, sogar grasgrüne, es war wirklich manchmal so so mit mir, allein jetzt finde ich, daß meine Gesundheit besser wird, als sie vorher war.

Wie geht es Dir denn, mein lieber Jean, hoffentlich recht gut. Mir geht es so, ich sehe mit Verlangen dem Frühjahr entgegen, das meine Abreise von hier bringt. Du kannst nicht glauben, wie sehr ich wünsche, weg zu kommen, denn hier ist mein Ort nicht. Unsere Künstlergesellschaft, die sich jetzt immer enger und enger zusammenschließt, ist, was mich noch fesselt, doch noch zwei Mitglieder werden mit mir gehen, davon einer unser lieber Overbeck ist.

Einige Künstler erlauben sich die unanständigsten, beleidigendsten Glossen über uns, die uns doch nichts vorzuwerfen haben, als daß wir fleißig waren und etwas gelernt haben; die Achtung anderer ersetzt das, aber doch tut es weh, so etwas von einem Menschen zu hören, den man nie beleidigt hat. Auch auf der Akademie geht es so, man verweigerte uns Plätze zum Zeichnen, weil wegen Mangel an Holz sie etwas eingeschränkt ist, doch das ließe sich verschmerzen, wir haben unsere Akademie zu Haus, ein hübscher ungarischer Soldat dient uns entkleidet zu einem Modell, und da zeichnen wir und sind fröhlich und zufrieden.

In unserer Gesellschaft sind wir einig geworden, daß jedes Gemälde, das von einem ihrer Mitglieder gemacht wird, allen vorgestellt werden soll, und wenn es für würdig erklärt wird, mit einem Zeichen bemerkt werden soll; dies ist ein kleiner Kupferstich, welches den St. Lukas (den Malerpatron) vorstellt. Solltest Du einmal ein so bezeichnetes sehen, so weißt Du, wo es herkommt. Das Blättchen wird hinten auf das Bild befestigt.

Einen längeren Brief als den heutigen kann ich Dir noch nicht schreiben, weil das Schreiben mich immer noch sehr angreift, aber von Dir, mein Lieber, bekomme ich doch bald, recht bald, einen Brief, der mir recht viel von Dir erzählt. Ich kann Dir nicht sagen, wie sehr ich mich nach einem sehne. Ich habe das Glück gehabt, wieder einen neuen Freund zu finden, einen Landsmann von Overbeck, einen herrlichen jungen Mann. Wir haben beide eine starke Freundschaftsprobe bestanden und ausgehalten. Von Dir habe ich ihm auch schon viel erzählt; er glaubt dieses Frühjahr noch nach Paris zu kommen, schreibe mir, wie er Dich finden kann, so wird er Dich aufsuchen, Du dankest es mir gewiß, so wie er es mir gewiß auch danken wird. Er kann Dir viel von mir erzählen.

Leb wohl und vergiß nicht      Deinen treuen Freund       F. Pforr


Wien, 01.04.1810 (nach Frankfurt adressiert)

Mein lieber Jean, wie sehr danke ich Dir für Deine zwei lieben Briefe, wie sehr sie mich freuten, kann ich Dir nicht sagen, Du bist und bleibst doch immer mein treuer Freund, der mir mit gleicher Liebe zugetan ist, so sehr uns jetzt auch ganze Länder trennen.

Overbeck freute sich herzlich, daß Du seinen Vater in Paris besucht hast; weil er die Adresse von ihm nicht weiß, so wird er einen Brief an ihn mit beilegen, den Du so gut sein wirst und abgeben. Zugleich findest Du einen Brief von ihm, an Dich: die Veranlassung dazu ist eine Frage in Deinem Brief an mich, in was die Freundschaftsprobe bestanden hätte, die ich mit meinem neuen Freunde hatte aushalten müssen. Verzeih meiner Schwachheit und noch nicht ganz befestigten Gesundheit, Dir selbst ein Geständnis nicht zu tun, das aber durch Mangel an Zutrauen nicht zurückgehalten wird, denn ich hatte schon einen Brief angefangen, in welchem ich Dir alles schreiben wollte, allein die heftige Bewegung, in die ich dabei geriet, drohte meiner Gesundheit, und ich mußte es unterlassen; nun übernahm Overbeck es, Dich mit einer Geschichte bekannt zu machen, die mir wohl nie zur Ehre gereichen kann, allein bei der ich mich doch verbunden fühlte, sie Dich wissen zu lassen. Wenn ich Dir raten soll, so lese nun den Brief von Overbeck, ehe Du hier weiter liesest, ich bin überzeugt, ich falle nicht in Deiner Achtung dabei, denn Du kennst den Menschen in seinen mannigfaltigen Verirrungen auch wohl.

Die Hoffnung, daß unser Freund Dich in Paris besuchen würde, ist nun verschwunden, wenigstens vor jetzt, doch habe ich ihm deine Adresse gegeben. Er heißt Martini und ist ein Landsmann von Overbeck und steht bei der franz. Armee als Arzt. Was das für ein Mann ist, kann ich Dir nicht sagen, seine männlichen Tugenden haben durch das kriegerische Leben nur gewonnen, ohne daß sein feines Gefühl dadurch gelitten hat; eine erstaunliche Festigkeit des Charakters verbindet er mit den kindlichsten Empfindungen. Wie sehr wünschte ich, daß Du ihn kenntest, er ist jetzt mit einigen hundert wiederhergestellten Soldaten abgereist, die er nach Mainz abliefern soll. Der Abschied von ihm war mir äußerst schmerzlich. Allmächtige Freundschaft, was vermagst du nicht, du machtst aus Hütten Paläste und aus Palästen Hütten!

Dieses habe ich neulich recht einsehen gelernt; wir drei wollten noch einige Tage vor seiner Abreise einen Abend ganz unter uns zubringen, das ging nun nicht gut an, Overbeck und ich wohnen bei Künstlern, die wir beide lieben und achten, die wir aber doch diesen Abend nicht so gerne bei uns sähen. Endlich war kein anderes Mittel, als daß dieses bei Martini geschehen sollte, allein er wohnte in einem Hospital auf Soldatenart einquartiert. Doch das tat nichts. Du mußt ganz den Abscheu kennen, den ich vor einem Krankenhaus habe, um meine Überwindung einzusehen, und doch hatte dieser grauenvolle Ort Raum für die Umarmungen der Freundschaft und für die herzlichsten Gespräche, und die Mitternacht beschlich uns, ehe wir es uns versahen. Daß Deiner dabei in Liebe gedacht wurde, brauche ich wohl nicht erst zu erinnern, Du hättest nur sehen sollen, wie wir in dem hohen weiten Saal saßen, in dem wohl mancher schon sein Leben geendet haben mochte, wo alles so schmerzlich stille um uns war, als wir auf die Gesundheit unserer abwesenden Freunde tranken, und uns mit einem Bruderkuss Freundschaft bis in den Tod gelobten, die kein Unfall wieder stören soll. Was ist ein solcher Abend nicht wert, wärest Du dabei gewesen, mein Jean, so hätte mir nichts gefehlt. Du wirst wohl mit Deinem Freunde Stock dasselbe Glück genießen. Wie sehr freut micht es, daß Du in ihm einen Freund gefunden hast, grüße ihn herzlich von mir.

Ich danke Dir recht sehr, daß Du mir deinen Zirkel in Paris beschreibst, dadurch kann ich Dir in Gedanken besser folgen. Ich glaube wirklich, daß in Frankreich recht vortreffliche Familien sind und freue mich, daß Du einige gefunden hast. Ich habe die Franzosen noch nie so kennengelernt als jetzt und ich muß gestehen, daß sie mir gefallen; noch jetzt besucht uns zuweilen ein junger Franzose aus der Normandie, der wirklich das Muster eines liebenswürdigen Menschen ist. Soviel ich sie habe kennen gelernt sind es Leute, auf die man sich verlassen kann in Not und Tod, und die als gute Kameraden mit einem durch die Welt ziehen. Allein von einem Freunde fordert man mehr, und was man mehr von ihm fordert, habe ich bis jetzt nur bei Deutschen gefunden, doch ist meine Menschenkenntnis nicht ausgebreitet genug, um dieses behaupten zu können.

Bei dieser Gelegenheit muß ich Dir auch schreiben, wie hier mein Umgang außer den Künstlern ist; dieses ist sehr bald geschehen, denn in einer Familie bin ich sozusagen zu Haus, dieses ist die Familie eines Seidenfabrikanten aus Zürich, der vor kurzem gestorben ist. Sie besteht aus der Mutter, einer äußerst vortrefflichen Frau, vier Töchtern und drei Söhnen, der mittelste ist Maler und ist Mitglied von unserer Verbindung. Wie schön ist diese Familie durch Liebe verbunden, es tut mir immer wohl, wenn ich da bin, und schon manchen Abend habe ich da zugebracht, den ich zu den schönsten, die ich in Wien verlebt habe, rechne.

Zu Deinem Onkel komme ich jetzt seltner, weil meine Beschäftigung mich den Tag über zu Haus hält um das nachzuholen, was ich in meiner Krankheit versäumt habe. Neulich war er bei mir zu meiner nicht geringen Freude.

Denn bin ich noch mit einem Hl Hofrat Bühl bekannt, der aus Stein am Rhein in der Schweiz ist, ein achtungswürdiger, vortrefflicher Mann, der in einem freundschaftlichen Verhältnis mit Schiller stand.

Unsere Künstlergesellschaft vervollkommnet sich recht sehr, zwar nicht an Mitgliedern, denn bis jetzt sind wir noch immer die sechse. Wir hätten leicht diese Anzahl vermehren können, wenn es uns darum zu tun wäre, durch äußere Anzahl uns Namen zu machen. Allein wir sind fest entschlossen, niemand aufzunehmen als wie einen, der mit Leib und Seele sich als Künstler uns zu halten kann. Wie sehr wir hier doch von einigen geachtet werden (natürlich müssen wir manchen Anfall aushalten) sah ich neulich in der Trauer eines Künstlers, der unsere Zusammenkünfte besuchte (doch nicht als Mitglied) als er hörte, daß wir nach Italien reisen wollten. Es sind jetzt unserer viere, die dahin gehen.

Ich schickte neulich einen Aufsatz nach Frankfurt an Hl Sarasin, in welchem ich durch das Erzählen meines Studiums von der Zeit, die ich hier zugebracht habe, Rechenschaft ablege; ich wünschte wohl, daß Du ihn lesen könntest, denn er würde Dich mit allen meinen hiesigen Verhältnissen bekannt machen, besonders mit dem Entstehen und dem Fortgang unserer Verbindung. Ich schrieb darin ganz offen und frei über meine begangenen Fehler, allein ebenso über die jetzt glänzenden Künstler, wo ich denn leider wenig Lob austeilen konnte, sondern laut das Verderben der Kunst beklagen mußte. Ich bin neugierig, wie dieses aufgenommen wird. Ich fügte noch einige von den Aufsätzen mit bei, die wir gemacht und uns vorgelesen haben, und aus denen man unsere Grundsätze und Ansichten am besten beurteilen kann. Lieber Jean, wenn es uns gelingen sollte, die Kunst wieder in jene goldenen Zeiten zurückzuführen - glaube nicht, daß uns dieser Gedanke, der unser Hauptzweck ist, so leicht vorkommt, wir erkennen das schwierige des Weges, den wir gehen, nur zu wohl, denn wir können dieses nur dann erreichen, wenn wir durch unsere Vernunft dahin gekommen sind, wo die alten Künstler durch ihren Instinkt (möchte ich sagen) standen. Wie schwer dieses ist, ist nur zu einleuchtend. Aber unser Wille ist gut, warum soll es uns denn an Mut fehlen?-

Neulich legte ich der Gesellschaft zehn kleine Zeichnungen aus dem Götz von Berlichingen von Goethe vor. Man bestürmte mich von allen Seiten, daß ich sie dem Verfasser dieses herrlichen Schauspiels senden sollte. Meine Eitelkeit kam zu sehr dabei ins Spiel, als daß ich es hätte abschlagen können, und mit nächstem werden sie an ihn abgehen. Wie er sie aufnimmt muß ich erwarten, nur das wage ich zu sagen, daß sie nicht die schlechtesten Sachen sind, die ich gemacht habe.

Jetzt nähert sich immer mehr unsere Abreise, ich sehe ihr sehnsuchtsvoll entgegen und erwarte viel von der Reise, daß sie zur Wiederherstellung meines Körpers und Geistes viel beitragen wird. Wenn ich Dich nur vorher, ehe ich Deutschland verlasse, auf eine Stunde sehen und sprechen könnte, denn schon so lange haben wir uns nicht anders als schriftlich unterreden können und es hat das Ansehen, als ob wir es so bald noch nicht auf eine andere Art tun könnten, doch daß laß uns auch nicht versäumen, durch die weite Entfernung wird zwar unser Briefwechsel etwas erschwert, aber das schadet nichts, und wenn auch unsere Briefe nichts anderes enthalten als freundschaftliche Plaudereien, so sind sie uns doch wichtig und erquickend genug.

Recht sehr haben mich Deine Urteile über die Malerein gefreut, die Du gefällt hast, sie zeigen ganz Deinen klaren richtigen Blick. Was Du von den neueren französischen Bildern sagst, ist ganz das, was mir auch dabei aufgefallen ist, nur muß ich bemerken, daß Du, indem Du über die alten Bilder sprichst, die Du gesehen hast, zwei Männer nebeneinander stellst, die wohl schwerlich so nahe stehen dürften, diese sind Raphael und Dominchino [Domenico Zampieri, genannt il Domenichino, 1581-1641]. Sieh einmal, mein lieber Jean, in der Kunst sind zwei Wege, auf welchen die Künstler gewandelt sind und es noch tun. Die einen bilden nur das, was ihre Seele bewegt, ihr Bestreben geht, in den Geist, den Sinn ihres Gegenstandes einzudringen. Die Art, wie sie diese vorstellen, ist ihnen zwar keine Nebensache, aber doch untergeordnet, sie bemühen sich nur, darin die Natur zu zeigen, aber nicht ihre Fertigkeit und Praktik, denn sie fühlen zu deutlich, daß der Künstler nur dann rühren kann, wenn er uns durch die Natur zum Ideal führt. - Die andere Art der Maler aber suchen in ihren Bildern ihre Stärke und Leichtigkeit in einem oder dem andern Teil der Kunst zu zeigen, in kühnen schwierigen Stellungen, großen faltenreichen Gewändern, Wirkung des Schattens und Lichts, lebhaften Farben, verschiedenen Tönen und dergleichen; diesem opfern sie oft Würde des Ausdrucks, Einfalt des Gedankens und Wahrheit auf. Zu den ersteren zähle ich Raphael, zu den zweiten Dominchino. Ich hoffe, daß Du bei näherem Betrachten mein Urteil gerechtfertigt finden wirst.

Wie freut es mich aber, daß Du so vielen Genuß bei dem Betrachten des unsterblichen Raphaels Werke findest, es ist der deutlichste Beweis von Deinem reinen Sinn. Es muß in Paris ein herrliches Marienbild von ihm sein, welches unter dem Namen "la belle jardinière" bekannt ist, solltest Du es sehen oder gesehen haben, so teile mir doch Deine Gedanken darüber mit. Ich habe eine alte Kopie danach gesehen, die mich entzückt hat. - Wie findet man doch in der neueren Kunst nicht einen Gedanken, von dem, was die alten Kunstwerke vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts verherrlicht.

Nicht wahr, mein lieber Jean, Du antwortest mir bald, wenn es Deine Zeit erlaubt, so daß ich womöglich noch einen Brief hier erhalten kann, vielleicht kann dieses noch sein bis Anfang Mai. Auf alle Fälle schreibe ich Dir von hier aus noch einmal. Besonders wünschte ich zu wissen, was Du über den Inhalt von Overbecks Brief sagst, zu streng wirst Du mich nicht beurteilen, das bin ich von Deiner Liebe überzeugt. Du wirst nie vergessen zu bedenken, daß ich als Mensch Schwachheiten unterworfen bin, und das Leidenschaften nur zu oft trotz aller Bemühung den Sieg nur zu leicht über uns davon tragen.

Jetzt lebe wohl mein herzlich geliebter Freund, behalte mich stets in Andenken, ich sterb als
Dein treuer Freund       F. Pforr


Wien, 12.05.1810    (nach Frankfurt adressiert)

Mein lieber Jean

Die letzten Stunden, die ich hier noch zubringe, wende ich dazu an, die herzlichen Briefe von Dir zu beantworten. Alle beide habe mich auf das Neue von Deiner Liebe und Zuneigung überzeugt, und ich würde eine vergebliche Arbeit unternehmen, wenn ich Dir das beschreiben wollte, was ich bei ihrer Durchlesung empfand. Den letzten will ich Dir zuerst beantworten, denn dieses wünschtest Du gewiß auch so.

Für das erste muß ich Dir sagen, daß ein Aufschub unserer Reise ohne die größten Kosten und Unannehmlichkeiten nicht zu machen war, denn die Wohnungen waren schon vergeben, die Möbel verkauft, die Pässe eingelöst und bestätigt, und fast alles eingepackt, doch würde uns dieses nicht gehindert haben, Deinen und Overbecks Vaters Rat zu befolgen, wenn nicht jedermann, den wir nur fragten, und der diese Reise gemacht hatte, uns versicherte, es sei ganz ohne Gefahr. Overbeck ging sogleich nach Empfang des Briefes nach dem Willen seines Vaters zu einem Arzt, der gewissenhaft und geschickt ist; diesem stellte er die ganze Sache vor, fest entschlossen, sollte er es bedenklich finden, nichts zu scheuen, die Reise aufzuschieben. Allein, dieser fand ganz und gar keine Gefahr dabei, im Gegenteil riet er dazu, indem das Klima von Italien auf uns den besten Einfluß haben würde.

Wir werden darauf morgen in aller Frühe abreisen, ich freue mich außerordentlich darauf, nun Wien mit allen seinen Verhältnissen zu verlassen. Noch in den letzten Tagen widerfuhren mir einige Streiche, die mir die Abreise noch mehr erleichterten. Morgen Nacht schlafen wir schon in Neustadt, der Ort der Geburt und Erziehung von Kaiser Maximilian I., und übermorgen liegt schon die österreichische Grenze hinter uns und unser Wagen rollt auf Steiermärkischen Boden. Wenn nichts mich bei dieser Reise erfreute, so wäre es schon das, nur einmal zur Ruhe zu kommen, denn die letzten Wochen habe ich so unstet und flüchtig zugebracht, daß ich mich schon darüber freue, daß dieses aufhört. Du kannst nicht denken, wie viel zu laufen und besorgen war.

Was soll ich aber zu Deinem ersten Brief sagen, wie viel Liebe und Schonung äußerst du da. Ja mein lieber Jean, konnte mich jemand trösten, so wärest Du es, und mit Dir mein oder besser unser Overbeck. Du siehst meine Schwachheit daraus, daß ich mich so äußere, allein es ist wahr, ich bin schon in manchen Erwartungen und Hoffnungen getäuscht worden, manches Unglück hat mich schon betroffen, allein keins hat mich so darniedergeschlagen; meine Vernunft macht mir die größten Vorwürfe darüber, allein schon indem sie dieses tut, reißt Leidenschaft mich fort. Den Nutzen habe ich davon, daß ich den Menschen in seinen mannigfaltigen Verirrungen kennen lerne. Was sind wir mit unserer gepriesenen Größe, die ein leidenschaftlicher Augenblick über den Haufen wirft! Was Du mir über meinen Zustand schreibst, finde ich sehr gut und richtig gedacht, wie sehr wollte ich wünschen, ich könnte deinem Wunsch entsprechen - ich las Deinen Brief einem meiner Freunde vor, der ein Zeuge meiner ganzen Verirrung war, er war über die Liebe und Teilnahme bis zu Tränen gerührt, und pries mich glücklich, einen solchen Freund wie Dich zu haben. Von Italien aus ein mehreres darüber.

Ich wünschte wohl auch, daß Du die Aufsätze über Malerei, die ich nach Frankfurt geschickt habe, lesen könntest, Du würdest mehreres über das, was ich Dir von Raphael und Dominchino schrieb, darin finden; wenn Deine Mutter und Dein Onkel sie lesen will, so wird Hl Sarasin sie ihnen gerne geben. Doch muß ich Dich bitten, die Freiheit, mit der ich den größten Teil der jetzt lebenden Maler behandelt habe, zu entschuldigen. Wer den Zustand der Kunst nicht genau kennt, erstaunt vielleicht darüber, allein ich bin mir bewußt, daß weder Eitelkeit noch Prahlerei mich dazu gebracht haben. Es ist mir immer ein eigener trauriger Anblick, wenn ich ein altes Kunstwerk und ein neues betrachte, wie mit der Zeit so alles verloren gegangen ist. Neulich sah ich in der Hauskapelle des Erzbischofs von Österreich ein altes Bild, welches zwar ganz entstellt durch Alter und Sorglosigkeit doch auch ein herrliches Werk ist, es ist in drei Abteilungen geteilt: in der Mitte ist die Kreuzigung Christi, auf der einen Seite die Kreuztragung, und auf der andern Christus und Magdalena nach seiner Auferstehung. Mir scheint es aus der Schule von Albrecht Dürer. Am Abend sah ich dieses und am Morgen hatte ich bei meinem Abschied das Atelier von Füger gesehen - den Tag vorher dasjenige von Caucig, einer der ersten Professoren der Akademie - dieser hatte ein Bild aufgestellt, welches aus Modellfiguren zusammengesetzt war. Ich wünschte, Du wärest an allen drei Orten mit mir gewesen, Du würdest kein Urteil von mir übertrieben finden.

Noch eins, das ich bald verplaudert hätte. Overbecks Vater wünscht, daß sein Sohn noch hier möchte bleiben; Dir sage ich, verstehe mich aber, nur Dir, daß es ein Glück ist, daß die Abreise da ist, im nächsten Brief mehr davon, die Reise soll für uns wohl gut ausschlagen.

Und nun lebe wohl, mein lieber Jean, Dein Bild wird mich in den lachenden Tälern Italiens ebenso begleiten, als es in wilden Schluchten des österreichischen Gebirges vor mir stand, Deine Liebe wird mich immer trösten und stärken in des Lebens Ungemach.

Schreibst Du nach Frankfurt, so empfiehl mich herzlich den Deinigen.
Lebe wohl     stets     Dein     treuer Freund       F. Pforr

Overbeck grüßt Dich herzlich und bittet Dich um Vergebung, daß er nicht, wie er gerne möchte, Deinen Brief beantworten konnte. Er bittet Dich, seinem Vater zu sagen, wann wir abgereist sind.
Lebe wohl.


Rom, Ende Juni oder Anfang Juli 1810

Mein lieber Jean, unser Overbeck erlaubt mir, etwas in einen Brief, den er an seinen Vater nach Paris schreibt, beizulegen. Da es mir nicht an Stoff, aber an Fassung und Worten fehlt, einen eigentlichen Brief an Dich zu schreiben, so will ich Dich nur von meiner glücklichen Ankunft in dem herrlichen Rom benachrichtigen. Nimm es mir nicht übel, allein die Menge Gegenstände, die sich mir seit anderthalb Monaten vor Augen stellten, verwirren mich so, daß es erst Zeit braucht, mich ganz zu fassen, und dann ist es mein erstes, Dir die versprochene Reisebeschreibung zu schicken.

Wo ist mir Dein liebes Bild nicht begegnet! Sobald ich einen recht herrlichen Augenblick hatte, standet Ihr, meine Freunde, vor mir; Dir und meinem teuren Martini war in Venedig eine eigene Kapelle geweiht, wo ich mich täglich allein hinschlich und mich mit Euch unterhielt. Sie war so recht dazu gemacht, der Freundschaft geweiht zu sein, düster und still, mit einfacher, aber gediegener Pracht, machte sie eine Seite der Markuskirche aus. Mosaikbilder, von den ersten griechischen Künstlern verfertigt, die sich nach der Barbarei wieder nach Italien wagten, sprachen ernst mich an: kurz, so wie man es sich nur wünschen kann. Hier habe ich auch schon so einen Platz gefunden: in dem Kartäuserkloster ist ein Kreuzgang, der einen ganz einfachen Garten einschließt, in der Mitte stehen um ein Wassserbecken drei mächtige Zypressen von Michel-Angelos Meisterhand gepflanzt.

Was es hier herrlich ist, kann ich Dir nicht sagen. Wir sind hier trotz der kurzen Zeit schon völlig eingerichtet und haben ein sehr schönes Quartier in der Villa Malta, die auf einem der sieben Hügel liegt, einsam von Gärten umgeben, in denen Orangen und Feigen, Stechpalmen und Granatäpfel stehen. Meine Adresse, unter der ich Deine Briefe erhalten kann, will ich Dir noch schreiben, obschon ich dieses nicht für einen Brief rechne und also mit Recht keine Antwort erwarten dürfte.

Nun lebe wohl und behalte mich lieb in Italien so wie in Deutschland
Dein Freund       F. Pforr
Signore Enrico Keller, scultore, alle quatro fontane No 140a Roma


Rom, 26.07.1810

Mein teurer, mein vielgeliebter Jean, schon einen ganzen Monat bin ich nun in dieser herrlichen Vaterstadt der Kunst, ohne eine Stunde finden zu können, die würdig gewesen wäre, daß ich in ihr an Dich geschrieben hätte. Mein Herz wurde stets durch meine Phantasie verführt und gaukelte tausenderlei Bilder nach, die sich mir in der Zeit vor Augen gedrängt haben. Allein jetzt ist der rechte Augenblick, meine Phantasie ruht und die widrige Empfindung, die mich leider, je mehr ich die Zirkel der großen Welt kennen lerne, immer mehr ergreift, schweigt, und mein Herz ist nur voll Liebe und Freundschaft für Dich.

Du wirst das Blättchen, welches ich Dir schrieb, um Dich nur von meiner glücklichen Ankunft zu benachrichtigen, von Overbecks Vater erhalten haben. Die ganze Reise ist bis jetzt sehr zu meinem Vorteil ausgeschlagen, denn ich befinde mich im ganzen viel besser als in Wien; auf wen sollte diese Stadt keinen günstigen Eindruck machen in Hinsicht auf Leib und Seele. Was gäbe ich darum, Dich hier zu sehen, damit wir beide uns dem großen Geist hingeben könnten, der immer noch in Rom herrscht.

Es ist mir immer seltsam zu Mut, wenn ich im Vatikan die unerreichbare menschliche Pracht sehe, wenn ich mir denke, wie Raffael für die Verzierung dieser Zimmer und Logen arbeitete. Könnte ich mit Dir durch sie hingehen, mit Dir den Geist bewundern, der bald lieblich fromm uns des eröffneten Himmels Glorie zeigt, dann uns in die Versammlung der Weisen dieser Erde führt, uns ihr Streben und Mühen nach einem Gut zeigt, das ihnen flieht, und das ein frommer Glaube durch einen Schritt erlangt. Du wirst die zwei Bilder, die ich hiermit meine, wohl aus dem Kupferstich kennen, den Disput vom Sakrament und die Schule von Athen. Ich werde Dir nach der Beschreibung meiner Reise, von der Du hier den Anfang erhältst, auch eine kleine von Rom schicken, worin ich Dir dann alle Kunstwerke weitläufiger beschreiben werde.

Am meisten wird es Dich wohl interessieren, meine Einrichtung hier zu wissen, damit Du Dich oft zu mir träumen kannst. Darin sind wir sehr glücklich gewesen, wir haben eine schöne geräumige Wohnung in der Villa Malta, die auf dem Monte Pincio liegt; da das ganze übrige Haus leer steht, so bekamen wir sie auch ziemlich billig. Diese Villa steht ganz von Bergen umgeben auf einem der sieben Hügel der Stadt, einsam, doch nicht zu weit von dem bewohnten Teil der Stadt. Ich habe ein hübsches Zimmer zum Malen und ein kleines Kabinett, am erstern ist eine große Loge, so nennt man hier eine Art Balkon, der aber sehr groß ist. Von hier genießt man eine herrliche Aussicht über Rom: uns gegenüber sieht man den Palast des Papstes, auf Monte Canello dann das Kapitol, die Colonna Traiani, das Pantheon, die Colonna Antonini, die Peterskirche und den Vatikan. In den Gärten, die das Haus umgeben, wuchern üppig die schönsten Bäume, Zitronen und Orangen, Granatäpfel und Stechpalmen; wenn des Abends gesunde Luft ist, so gehen wir öfters im Mondschein unter ihnen spazieren.

Der Geist unter den hiesigen Künstlern gefällt mir; man ist sehr zuvorkommend, und zurückhaltender Stolz wird nur nur belacht. Man erweißt uns hier viel Ehre, die vorzüglichsten Künstler besuchen uns und laden uns zu sich ein, zu einigen gingen wir ohne vorläufige Bekanntschaft und wurden auf das beste aufgenommen. Unter anderem habe ich die Bekanntschaft meit einem Manne gemacht, der Dir, wie ich mich aus einem Deiner Briefe erinnere, sehr wert ist, nämlich mit dem Dichter Werner [Zacharias Werner, 1768-1823], den Verfasser von den Söhnen des Tals [Die Söhne des Tales, 2 Teile, 1803/04]. Die Kunst ist hier ungleich reiner als in Wien, und der Abscheu gegen Akademien ist hier allgemein. Man fühlt es aber auch erst jetzt, wenn man die herrlichen Meisterwerke gesehen hat, welch ein elendes Ding eine gewöhnliche Akademie ist, wo der Künstler die Eingebungen eines höheren Geistes nach Gesetz und Stunde systematisch auffassen lernen soll. Wie sehr wäre zu wünschen, daß allen diesen Schulen, wenn sie doch einmal bestehen sollen, eine angemessenere Form gegeben würde. Es ist ganz unleugbar, daß sobald die Akademien stiegen, die Kunst sank, doch ich muß abbrechen, denn der Stoff übe diesen Punkt ist so reichhaltig, daß ich ein ganzes Buch mich getraute darüber zu schreiben.

Ich denke immer noch mit herzlicher Freude an die zwei freundschaftlichen Briefe, die ich noch in der letzten Zeit in Wien von Dir erhielt, und die ich nur so eilfertig beantworten konnte. In der Verwirrung packte ich sie zu mehreren Sachen in eine Kiste, worin Overbeck ein angefangenes Bild hierherschickte; da diese nun noch nicht angekommen, so muß ich sie auch bis jetzt noch entbehren. Denke nur, ich habe hier von Dir, mein treuer Freund, keine Zeile von Deiner Hand, und doch habe ich sonst von allen Menschen, die mir nah sind, ein kleines Andenken, und nun gar von einem Freunde, meinen lieben Overbeck, habe ich Gott Lob noch ganz; mein würdiger Freund Martini gab mir am Tage vor seiner Abreise eine Haarlocke und ein paar Worte der Freundschaft auf das Papier geschrieben, in welches er sie eingeschlossen hatte. Trenne ich mich einst von Overbeck, so wird er mir ein ähnliches Andenken nicht versagen, und wenn ich Dich um dasselbe bäte, würdest Du mir es wohl abschlagen? Ich glaube nicht und deswegen bitte ich Dich, mir etwas nicht abzuschlagen, das mich immer lebhafter zu Dir versetzt.

So oft ich auf meiner Reise an eine recht schöne Gegend kam, setzte ich mich hin, zog aus meiner Brieftasche alles was ich von meinen Freunden hatte und erhöhte mir dadurch, daß ich mich zu Euch dachte, die Schönheit des Augenblicks, - was ist alles Irdische gegen Freundschaft - ich habe unglückliche Menschen gekannt, die niemand lieben als sich selbst, die nur glauben auf der Welt zu sein, um alles an sich zu reißen und alles für sich zu benutzen, denen das Sprichwort "Jeder ist sich selbst der Nächste" der Takt zu ihrem ganzen Leben war, welch ein trauriges unglückliches Leben. Gott fand für gut, mir vieles zu versagen, Eltern, Geschwister und nahe Verwandte, allein er gab mir Freunde - bin ich nicht zu beneiden. - Manchmal wenn die jungen Leute, mit welchen ich wohne, Briefe aus ihrer Heimat erhalten und dann vorlesen, wie ihr Vater oder ihre Mutter ihnen schreibt, wie es ihrer Familie geht, wie sie sich freuen, sie wieder zu sehen, und dann tausenderlei wichtige Kleinigkeiten von ihren Geschwistern und Verwandten, dann trockne ich mir manchmal verstohlen eine Träne und seufze, so glücklich geht es Dir nicht. Allein wenn ich dann eine Nachricht von einem von Euch erhalte oder nur Euch mir lebhaft vorstelle, wie ihr voll Liebe so tausenderlei Fehler und Schwächen überseht und alles anwenden würdet, mich glücklich zu machen, dann ist mein ganzes einziges Gefühl Dankbarkeit gegen Gott, der mich so bedachte. Wenn ich denke, wie ich so glücklich bin, ich habe nun diese weite teure Reise gemacht, so wie ich es nur wünschen konnte, nach dem Willen meines teuren Wohltäters Hl Sarasin, denn er schrieb mir "ich glaube, Dir nicht sagen zu müssen, daß Du die Reise ökonomisch einrichten sollst, das wirst Du ohne dies tun, allein das sage ich Dir, spare nichts, was Deinem Körper und Deinem Geist nützlich sein kann." Kann man mit einem angenehmern Befehl eine Reise antreten?

Denn lebe ich jetzt hier, wo hunderte von Menschen sich nur begnügen müssen, Bücher und Kupferstiche von den hohen Kunstwerken zu sehen, das sehe ich alles mit meinen Augen. Wirst Du aber wohl denken können, wenn ich Dir sage, daß ich dieses alles empfinde, daß mich doch noch die Erinnerung an den Verlust, über den Du so liebevoll in einem Deiner letzten Briefe tröstetest, daß mich diese Erinnerung noch zerreißt - letzthin war der Jahrestag dieser für mich so unglücklichen Begebenheit, lieber teurer Freund, wir sind schwache Menschen, wenn unser Herz über den Verstand gesiegt hat.
Lebe wohl.
Dein      ewig treuer Freund       Pforr

Noch um etwas muß ich Dich bitten: Ein hiesiger Künstler, dem ich viele Verbindlichkeit schuldig bin, hat ein vortreffliches Werk für Künstler und Kunstliebhaber herausgegeben, nämlich die bronzene Türe von Lorenzo Ghiberti in Florenz, von welcher Vasari sagt, es sei das vollkommenste Werk in der Welt, und Michel Angelo sich äußerte, sie verdiente, die Türe des Paradieses zu sein. Dies hat er in 12 Blatt zeichnen und in Kontur stechen lassen von einem Künstler, dessen Namen schon für die Schönheit des Werkes bürgt, von Feodor Iwaniwitsch dem Kalmück. Dem ganzen Werk fehlt nichts, als daß es bekannt sei, eben dies allein verhindert seinen Absatz. Würdest Du mir wohl die Gefälligkeit erzeigen, und wenn Du bei einem Kunsthändler bekannt bist, ihn zu fragen, ob er welche davon annehmen könne. Der Preis ist eine Karolin, wer 12 Exemplare nimmt erhält 25 Prozent Rabatt. Nicht wahr, Du nimmst es mir nicht übel, daß ich Dich belästige? Hast Du in Rom etwas zu besorgen, so weißt Du, wer da ist. Da ich Deine Adresse in Paris nicht weiß, so muß der Brief wie die von Wien über Frankfurt gehen. Die meinige will ich Dir schreiben, ich adressiere alle an den Künstler, der das Werk herausgegeben hat.
al Signore Enrico Keller, scultore,
alle quarto fontane No 140 a Roma.

Soeben überlese ich wieder das Ende meines Briefes an Dich und finde, daß ich etwas schrieb, das ich ruhig nicht ganz billigen kann, denn ich glaube, daß der Sieg des Herzens über den Verstand bei den edlen Menschen immer entschieden sein muß.

Overbeck grüßt dich herzlich; mir kommt es vor, als wenn er jetzt eigentlich in seinem Vaterland wäre, so eine sanfte Seele gehört unter einen so milden Himmel.

Den Anfang meiner versprochenen Reisebeschreibung erhälst Du hier, die Freunde, die ich darin erwähne, glaube ich kennst Du schon, lebe wohl.

Overbeck läßt Dich noch bitten, seinem Vater einen herzlichen Gruß auszurichten und ihm zu versichern, daß er wohl sei.


Rom, 30.09.1810

Wie vielen Dank bin ich Dir, mein vielgeliebter Jean, für Deine beiden Briefe schuldig; ich habe sie so oft durchlesen und immer wieder gelesen, um so ganz Deine Liebe, die sich mir in ihnen zeigt, zu fassen. Deine Bemerkungen über die Stelle meines letzten Briefes finde ich sehr wahr, leider ist der Mensch zu sehr geneigt, seine Leidenschaften Neigung seines Herzens zu nenen, wie sehr er sich dabei betrügt ist mir nach dem, was Du mir gesagt hast, klar. Ich fühle deutlich, wie unwürdig es dem Menschen ist, seiner Leidenschaft zu dienen, und bin fest entschlossen, mich von ihrer Herrschaft zu befreien, würde es auch schon getan haben, wenn die bösen Augenblicke, die verführerischen Träume nicht wären, aber ein solcher Moment wirft oft meine Entschlüsse sämtlich nieder - allein aus Kampf tritt nur der Friede, und dem Sieg gehört nur die Krone. - Die Erkenntnis der Eitelkeit alles irdischen Treibens und Jagens, wenn es nicht auf einen höheren Zweck geht, tut mir dabei vielen Nutzen, und zu der gelangt man hier wohl leichter als an jedem Ort. Noch gestern hatte ich Gelegenheit, Betrachtungen darüber zu machen.

Du kennst gewiß die Geschichte aus der ältesten römischen Zeit, wie die Römer die Töchter der Sabiner bei einem Fest geraubt hatten und diese, darüber erzürnt, sie bekriegten, wo(durch?) die Römer zurück getrieben wurden, bis Romulus durch einen Zuruf an Jupiter sie wieder ermunterte und sie fast schon die Oberhand hatten, als die Weiber sich zwischen ihre Männer und Väter oder Brüder warfen und so Frieden stifteten. Die Geschichte war mir immer lieb vor vielen.

Nun war es gestern ein herrlicher Abend, die Sonne ging glühend zwischen rosigem Gewölk unter, die Luft war angenehm und mild, auf mich machte es so einen angenehmen Eindruck, daß ich einen kleinen Spaziergang in den alten Teil der Stadt vornahm. Unvermerkt hatte ich mich durch den Tempel des Friedens auf das campo vaccina verloren, besah noch bei der Dämmerung die Basreliefs am Triumphbogen des Titus, welcher ihm errichtet wurde, als er siegreich von der Zerstörung von Jerusalem zurück kam, durch eine Straße zwischen Mauern zog. Das Kolosseum vor mir, welches die Unglücklichen, in die Gefangenschaft geführten Juden erbauten. Ich wandte mich um und ging (nach?) dem bewohnten Teil der Stadt und ging so in Gedanken, daß ich mich erst an den drei Säulen wiederfand, die vom Tempel des Jupiter Stator sind, auf der Stelle, wo Romulus in jener Schlacht mit den Sabinern die Waffen in die Höhe hob und schwur, dem Jupiter einen Tempel zu bauen, wenn er das Unglpück der Waffen wendete. Hinter mir lag der palatinische Hügel, auf dem dazumal noch bloß die Stadt stand, vor mir der kapitolinische, welchen die Sabiner mit der Burg schon inne hatten; die ganze Schlacht und die nachfolgende Versöhnung ging an meinem Geist vorüber, ich sah das entstehende, dazumal noch kleine Rom, seine immer wachsende Macht, die sich endlich über die ganze Erde ausbreitete. Das Kapitol lag vor mir, wo man sonst dem Erdkreis Gesetze vorschrieb, und jetzt - ein paar Gärtner kamen aus ihren vignen zurück, ein Trupp Esel wurde vorbeigetrieben, wo auf einem von ihnen ein Mädchen saß, das auf ihrem Tambourin den Takt zur Saltarella spielte; unter den Säulen des Tempels der Concordia saß behaglich der Herr des Gärtchens, das auf den Ruinen steht. Wo sind jetzt die Herren der Welt, wo der mächtige Cäsar; konnte seine Macht nicht den Fall verhindern, konnte es die Staatskunst des klugen Augustus nicht, wo sind die Helden jener Zeit? Deutlich fühlte ich dasselbe, als wir neulich in Gesellschaft von den Bädern des Caracalla heimkehrten. Es war spät geworden, der Mond stand so schön am Himmel, daß wir der Versuchung nicht widerstehen konnten, in das Kolosseum zu gehen, das auf unserem Weg lag. Es macht einen eigenen Eindruck, wenn man so in das ungeheure Gebäude tritt, wenn es vom Monde beleuchtet ist. Ich stellte mir nun das Kolosseum in seiner Pracht vor, wie die angesehenen Römer und Damen sich vesammelten, dem grausamen Spiel zuzusehen, wie es dann späterhin gebraucht wurde zum Hinrichtungsplatz der christlichen Märtyrer, wenn man sich denkt, wie eine Rotte blinder Menschen sich hier an den Qualen eines Menschen weidete, der seinen Körper willig hingab, seine Seele zu erretten, der sich geduldig allen Qualen unterwarf, die Lehre seines Herrn zu bestätigen; wenn man dies sich nun lebhaft ins Gedächtnis ruft und sieht nun die Sitze, wo die Übermütigen saßen, verfallen und zerstört, und auf dem Platz, der das Blut der Märtyrer trank, das heilige Kreuz aufgerichtet als ein Siegeszeichen, wem wird da nicht das Herz höherschlagen, in dem er das gerechte Gericht Gottes bewundert und den Richter der Gerechtigkeit in Demut anbetet. Ich war so voll davon, daß ich mich wider meine Gewohnheit gegen einen Schweizer Kaufmann, der uns begleitete, äußerte; ein warmes inniges Gefühl findet selten keinen Widerklang, er wurde so wie ich ergriffen, und unser Gespräch wurde so erhaben, wie es der Ort nur fordern kann.

Wie innig hat mich die Liebe deiner gütigen Mutter zu mir gerührt, von der mir Dein letzter Brief ein Beweis war. Ich bin reicher als ich es glaubte, und weiß nicht, womit ich es verdient habe. Was Du von ihr sagst ist gewiß nicht zu viel gesagt und ich stimme ihm ganz bei, daß ich noch nie eine so vortreffliche Frau habe kennengelernt. Mein vermutlicher künftiger Aufenthalt in Frankfurt ist mir um vieles wieder dadurch angenehmer gemacht worden. Ich habe doch nun, seit ich von da weg bin, manche Familie kennengelernt, allein so wie die Deinige noch keine. Noch hier bin ich in einige angesehene adlige eingeführt worden, wo man mir mehr Ehre vielleicht erzeigte, als ich verdiene, allein das gibt dem Herzen nichts und ich war nur dann froh, wenn ich wieder zwischen meinen Wänden war.

Was die Bemerkung Deiner gütigen Mutter betrifft, wegen der Erhaltung meiner Gesundheit, so danke ich vielmals dafür, allein es ist nicht mehr so gefährlich. Die zwei Monate der aria cativa, Juli und August, sind vorbei, und die Abende sind gewöhnlich nur während dem Sonnenuntergang gefährlich, und dann muß man sich in Acht nehmen, wohin man geht, weil ein Ort üblere Luft hat als der andere.

Du schreibst mir in dem Brief, den ich durch Overbeck erhielt, daß mein Vetter Unger wünschte, etwas von meiner Arbeit zu sehen, und Du auch; dieses hat eigentlich meine Antwort so verzögert, weil ich etwas machen mußte. Hier lege ich also eine kleine Zeichnung bei, die ich aber, wohl verstanden, für Dich gezeichnet habe. Ich lege keinen besonderen Wert in sie, allein einigen Künstlern, die sie bei mir sahen, hat sie gefallen. Sollte sie dieses als Kunstwerk nicht bei Dir tun, so wird sie es doch als ein kleines Zeichen meiner Liebe, und die Darstellung einer Geschichte, die, wenn Du sie noch nicht kennst, wegen ihres gläubigen einfältigen Sinnes Dich gewiß nicht ungerührt lassen wird. Ich habe sie, weil es eine weniger bekannte Legende ist, dabei geschreiben.

Du erhälst zugleich eine Fortsetzung meiner Reisebeschreibung, bei welcher wir aber nicht weiter kommen als in das Schiff, das von Venedig mich nach Ferrara bringen soll, weil von Venedig so vieles zu erzählen war, daß ich kaum den dritten Teil habe bemerken können, dies wollen wir mündlich einmal abmachen.

Da Du meinen Vetter Unger zuweilen siehst, so sei doch so gütig und frage ihn, ob Hl Hummel schon von Paris abgereist sei; ich habe nelich einen Brief von ihm erhalten, aber nicht geantwortet, weil ich ihn schon auf der Reise hierher vermutete. Schreibe mir doch auch das Urteil, was mein Vetter über meine kleine Zeichnung fällt, so wie das Deine.


Rom, 15.12.1810

Mein lieber Jean

Dein Brief gibt mir zu viel Stoff zu einer Antwort, als daß ich sie lange aufschieben könnte. Die Fortsetzung meiner Reisebeschreibung hatte ich schon früher geschrieben als ich Deinen Brief erhielt, und so wirst Du diesmal recht schnell meine Antwort erhalten. Daß ich bei der kleinen Zeichnung Deinen Sinn getroffen habe, freut mich aus mehr als einer Rücksicht sehr, doch wundern tut es mich nicht, denn es wäre sonderbar, wenn ich meinen sanften Freund nicht kennen sollte. Dein Urteil über sie mit dem von Hl Hummel und meinem Vetter ist gewiß so ehrenvoll für mich, als ich es nur wünschen kann, ich danke recht sehr dafür, und mein Bestreben ist, das, was noch fehlt, nachzutun. -

Jetzt komme ich an eine Stelle Deines Briefes, bei deren Beantwortung ich Lust hätte, ein wenig bitter zu werden und frischweg zu sagen, an Ungers Scherz über den Gegenstand meiner Zeichnung erkenne ich ganz meinen Herrn Vetter. - Wer nicht begreifen kann, wie einem reinen Gottergebenen Gemüt der Himmel offensteht, und wie der Geist Gottes sich ihm zeigen kann, ohne durch den uns sichtbaren Weg der Natur zu gehen, für einen solchen sind diese Gegenstände nicht, und ich möchte fast sagen, wer hier einen solchen Betrug ahnden kann, der ist auch fähig, ihn zu begehen. Es tut mir immer leid zu sehen, wie Menschen auf Kosten der schönsten reinsten Empfindungen ihren Witz üben. Was die fünf Wundenmale betrifft, so dachte ich daran, sie alle zu zeigen, doch fand ich es nicht recht möglich, ohne in das gezwungene zu verfallen. Was das, welches auf der unrechten Seite stehen soll, betrifft, so muß ich gestehen, daß ich nach der Art, wie fast alle Maler es vorgestellt haben, einen Fehler beging, allein ich kenne in der Bibel keine Stelle, welche es bestimmt nennt, und ich glaube, daß der Soldat, nachdem die beiden Verbrecher durch Brechung ihrer Beine getötet waren, auch Christus, im Fall er noch leben sollte, eine tödliche Wunde beibringen wollte, und so wohl in die linke Seite stach, um das Herz zu treffen, welches er auch scheint getan zu haben, da sogleich Blut und Wasser aus der Wunde lief, welches bei einer andern Wunde eines toten Körpers nicht so leicht geschieht. Dies ist meine Verteidigung, welche aber, ich bitte darum, unter uns beiden bleibt.

Wie sehr mich Dein erster Brief mit der Einlage von Martini gefreut hat, kannst Du dir denken, es war mir alles zu eng, ich lief hinaus ins Kolloseum, um Eure beiden teuren Briefe recht zu lesen, und denn strich ich voll Freude zwischen den alten Mauern herum und setzte mich fast auf jeden Stein, sie noch einmal zu lesen. - Hast Du ihn also, nach meinem innigen Wunsch, kennengelernt, den vortrefflichen Menschen, der meine Liebe und Achtung so ganz besitzt - seltsam genug, ich schreibe jetzt fast das nämliche an Dich, was ich an ihn schrieb, als ich ihm auf seinen Brief aus Tours antwortete. - Sieh Dich vor, mein Lieber, daß Du ihm nicht etwas Unrecht tust, wenn Du ihn zu romantisch nennst, bedenke seine Lebensart und seine Schicksale, wenn Dir letztere bekannt sind, eine Kette von wunderbaren Ereignissen, die sich bald ganz zu verwickeln scheint und denn wieder grade dortläuft, mich dünkt, man müsse den Menschen immer nur nach seinem Selbst beurteilen, wenn man ihm nicht unrecht tun will. Du sahst ihn, als er ein Opfer gebracht hatte, welches ihm unsägliche Leiden und Kämpfe gekostet hatte. Ich lebte an die acht Monate mit ihm und war Zeuge von dem wunderbaren romantischen Gang seines Schicksals, ja ich wurde selbst mit hinein verwickelt und fortgerissen.

Auf das, was Du mir über mein Verlangen einer Haarlocke schreibst, muß ich Dir etwas erzählen: In den ersten Tagen meines Hierseins ging ich mit einem mir bekannten Bildhauer bei den Thermen des Diokletians spazieren, wo das Karthäuserkloster steht, er führte mich in den schönen Kreuzgang dieses Gebäudes, welches von Michel Angelo erbaut ist, in der Mitte stehen drei Zypressen, welche dieser große Mann auch gepflanzt hat, ich brach einen kleinen Zweig ab und legte ihn in einen Brief an einen Freund in Wien, der als Künstler den Wert dieses großen Mannes fühlt; er dankte in einem Brief an Overbeck in den herzlichsten Ausdrücken für die Freude, die wir ihm gemacht hätten, indem ich ihm etwas geschickt, welches den großen Buonarroti unmittelbar einigermaßen angehe. Nun siehe, denke ich so - konnte diesen ein Blatt von einem Baum, der vor dritthalbhundert Jahren gepflanzt wurde und nur durch die Hand geheiligt ist, die die erste Sprosse in die Erde legte, so freuen, wie viel mehr würde mich etwas freuen, das von meinem Freunde so unmittelbar kömmt. Indessen da Du wenn auch nur einen kleinen Anstoß dabei findest, so bitte ich es zu unterlassen, indem die Wahrheit dessen, was Du mir schreibst, dies nicht gerade nötig macht. "Braucht es noch eines solchen äußeren Zeichens, um einen Bund, der zwischen uns geschlossen ist, zu bestätigen, und der im Innersten der Seele wohnt." Doch sage ich Dir das noch, in solchen Dingen suche ich eben keine Ehre darin, das zu sein, was man in dem gewöhnlichen Leben mit stark bezeichnet.

Deine gerechten Klagen über unser jetziges Schicksal teile ich ganz mit Dir und die Bedrängnisse unserer Vaterstadt haben mich sowohl wie jeden innig betrübt. Ich erhielt einen Brief von Hl. Sarasin, welcher in der Zeit geschrieben war, wie alle Kolonialwaren sequestriert waren. In einer kleinen Beilage schrieb er mir noch, daß soeben ein Dekret herausgekommen sei, welches den Verlust verminderte und ihre Hoffnungen sehr aufrichte. Dieses freute mich denn sehr; dieser Brief war übrigens so gütig und liebevoll, wie ein Vater an seinen Sohn schreibt. Die mannigfaltigen Wohltaten, die mir dieser vortreffliche Mann erzeigt, werden nur durch die Art, wie er sie tut, erreicht.

Die jetzigen Zeiten, die so drückend für den Handel sind, sind es auch für die Kunst, selbst für mich, der ich doch noch keinen Erwerb suchen muß. Ich sitze hier so recht an der Quelle des Schönen und kann also gut beeobachten, was für Eindruck es auf die Menschen macht. Meistens sehe ich nur solche, die nach Genuß aus aller Kraft jagen und aus übergroßem Gefühl jeden wahren Genuß von sich stoßen. Oft gefällt es mehr, an den unerreichbar schönen Meisterwerken der Kunst die kleinen Fehler auszuspähen, als im Anblick der höchsten Schönheit zu schwelgen. Man findet unter den Künstlern meistens Toleranz, die alles das Gute wie das Schlechte gelten läßt, oder Intoleranz, die alles verwirft, was nicht er oder sein Klient hervorgebracht hat. Und wie lassen viele ihr Gefühl leiten von den Vorurteilen Anderer! Nirgends ist mir das auffallender wie hier. Ich muß sagen, daß diese Betrachtungen, die sich mir aufdrängen, mir manchmal selbst meinen schönen Aufenthalt verbittern, und es ist mit eine Ursache, warum ich keinen Umgang suche.

Die Pariser Kunstausstellung kann ich mir ziemlich denken, da ich die der französischen Pensionäre hier gesehen habe; ich muß sagen, ich wurde wenig erbaut. Wenn ich die wirklich außerordentliche Rundung ihrer Sachen wegnehme, so bleibt fast nichts. Einige Kopien nach Raphael waren wirklich schlecht, einige nach Michel Angelo, die besser waren. Denn war noch eine Ausstellung auf dem Kapitol von römischen und fremden Künstlern, die aber gar erbärmlich ausfiel, sodaß ich gar nicht hinging sie anzusehen. Denn ich sah bei einem deutschen Maler in seinem Hause zwei seiner Bilder, die äußerst schlecht waren; und unparteiische Männer versicherten mir, dies seien die besten der ganzen Ausstellung gewesen. Wirklich, die Kunst ist auf einem üblen Weg; und wenn man nicht alles anwendet, sie zu retten, so verliert sie sich noch ganz. Wenigstens was den echten Künstlersinn anbetrifft, so ist dieser leider nur zu wenig unter den Malern anzutreffen.

Für die Mitteilung des kleinen Gedichts Deiner Schwester Luise danke ich dir recht sehr, es hat mir viele Freude gemacht, und ich finde, daß sie sich darin recht ausspricht. Das liebe Mädchen wird in der Zeit, die ich sie nicht gesehen habe, sich auch wohl verändert haben, es ist eigen, daß gerade diese Jahre bei dem weiblichen Geschlecht so viel tun, auch Du, mein Jean, bist zum Mann darin geworden. Was mich betrifft, so bin ich noch der, der ich war. Fast scheint es, als würde ich in meinem Leben kein Mann. Ich hatte fast keine Zeit, daran zu denken, und so blieb ich wohl zurück. Wenn ich denke an den Augenblick, wo wir an der Haustüre Abschied nahmen, und bis jetzt die Jahre, in welchen wir uns nicht gesehen haben, bei mir vorbei gehen lasse, so finde ich mich in hunderterlei Situationen, bei welchen ich mich allen immer nur leidend, selten handelnd zeigte. Das tat die Kunst, der ich alles aufopfern mußte, wenn ich nur zu etwas kommen wollte. Und doch, was habe ich geleistet durch die ununterbrochene Arbeit von fünf Jahren? Ach, die Kunst ist schwer, fast möchte man sagen, zu schwer für die Kürze des Lebens, und sie erfordert viele Aufopferung. Nicht daß mir diese leid sei, wahrlich nicht; sie ersetzt reichlich alles; allein bis man dahin kommt, wo sie ersetzen kann! Ich möchte den, der sich der Kunst weihen will, fragen, wie man einen, der Mönch werden will, fragt: kannst Du das Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ablegen und halten, so tritt ein. - Armut! wo ist wohl ein Künstler im wahren Sinne des Wortes reich? Keusch in Worten und Werken ist ein Haupterfordernis zu seiner reinen Beschäftigung, und Gehorsam muß er der Kunst in allem sein, sie gebietet ihm, dies zu tun, jenes zu lassen; er muß folgen und folgt gern, denn was ersetzt ihm den Genuß, den ihm die Kunst gewährt!

Ich habe jetzt einige Arbeiten gemacht, die mir zwar viele Mühe, aber auch viele Freude gemacht haben, während ich damit beschäftigt war. Eine Zeichnung aus den Legenden der heiligen Maria machte ich mit vieler Liebe, ungefähr auf diesselbe Art, wie ich Deine kleine Zeichnung machte. Ich bin für diese Art Gegenstände außerordentlich eingenommen, das Einfältige des Sinnes und Kindliche der Darstellung mochte ich recht fassen.

Und denn fing ich einen ziemlich großen Karton an, der die Eröffnung der sieben Siegel in der Offenbarung Johannes vorstellt. Dieser Gegenstand ist reich an mannigfaltigen Charakteren und Situationen, in denen sie vorkommen. Ich habe ohngefähr diese Anordnung beobachtet: Gott Vater in der Mitte, wie ihn die Apokalypse beschreibt, um ihn die vier Tiere und der Regenbogen, rechts und links die vierundzwanzig Ältesten; bei diesen nahm ich die Hauptcharaktere der Bibel an: Adam, Enoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Aron, Josua, Samuel, David, Salomon, Elias, Jesaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel, Makabäus, Simon, Stephanus, Jakobus, Petrus, Paulus und Johannes der Täufer, das Lamm steht vor dem Thron und eröffnet das Buch, davor ist der Altar, unter welchem die Seelen derer sind, welche um des Wortes willen getötet sind. Auf beiden Seiten sind die sieben Engel mit den Posaunen, zwischen ihnen der Engel mit dem Rauchfaß, welches er auf die Erde schüttet; auf dieser sind die vier Reiter, der mit dem Bogen, der mit dem Schwert, der mit der Waage und der Tod, dem die Hölle nachfolgt, vor ihnen flieht alles verzweiflungsvoll und verbirgt sich in eine Höhle. Im Hintergrund der Engel, welcher die Auserwählten Gottes versiegelt. Du siehst daraus, daß es eine weitläufige Komposition ist und viele Schwierigkeiten hat, allein ihre Bearbeitung bringt mir soviel Nutzen, daß ich diese nicht achte. Es erfordert viele Dinge, die mir noch fehlen und die ich dadurch übe, das Studium des nackten menschlichen Körpers und das der Gewänder, eine höhere Art der Vorstellung, als ich bis jetzt übte, und was auch in Ausschlag kommt, das nähere Studium der Heiligen Schrift, das mir hierzu unumgänglich notwendig ist, und welche ich, obschon ich seit einigen Jahren fleißig darin lese, noch nicht so kenne als mir lieb ist. Ich wollte Du könntest bei mir sein und den angefangenen Karton sehen, nicht, daß er so gut wäre, nein, damit Du mir Deine Ideen darüber, die in allem so klar sind, mir mitteilen könntest.

Du erhälst hier die Fortsetzung meiner Reise von Venedig bis Bologna, ich will nächstens suchen, damit fertig zu werden.

An Herrn Hummel darf ich wohl das Briefchen beilegen, denn ich kenne seine Adresse nicht. Lebe recht wohl, mein innig geliebter Jean, und erfreue mich bald wieder mit einem Brief.

Overbeck grüßt Dich herzlich.

Dein treuer Freund         Franz Pforr


Rom, 05.05.1811

Verzeih, mein vielgeliebter Jean, daß ich Deinen Brief so lange unbeantwortet habe liegen lassen, allein in dieser Zeit drängten sich so viele Ideen und Geschäfte, die abgetan werden mußten, daß ich keine ruhige Stunde dazu finden konnte. Jetzt bin ich wieder ziemlich in Ordnung und nichts soll mich abhalten, Dir sogleich zu schreiben.

Auf den Anfang Deines Briefs kann ich Dir nur das antworten, daß Du eine zu hohe Idee von mir und meinem Talent als Künstler hast, und ich bitte Dich ernstlich, diese herabzustimmen, wenn ich einst mit Ehren vor Dich treten soll.

Was Du von der Ruhmsucht der französischen Künstler sagst, ist leider nur zu allgemein überall wahr, und dabei benagen die meisten, leider fast alle, die Schalen, ohne nur eine Ahnung von dem inneren Kern der Frucht zu haben. Bei Dir habe ich den Verdacht nicht zu befürchten, daß Verkleinerungssucht mich so reden macht. Ich suche den Umgang mit Künstlern nicht, denn es schmerzt mich im Innersten, wie ich sehe, daß die Kunst verkennt wird, und mich kann nichts so abschrecken wie dies. Ich gehe in den Vatikan, sehe die Meisterwerke des himmlischen Raphaels, des großen Michel Angelo, ich fühle mein nichts gegen diese Männer, allein ich werde nicht mutlos. Ich kann es kaum oft erwarten, nach Haus zu kommen und an meine Arbeit zu gehen. Allein sehe ich das fade Gepinsele neuerer Künstler, denn sinkt mein Mut, es kommt mir fast unmöglich vor, in diesem Zeitalter etwas zu leisten.

Neulich kamen Freunde zu uns, und als sie bei mir waren und Kompliment auf Kompliment häuften und dabei kein wahres Wort, da wühlte es in mir, und als sie weg waren warf ich mein Bild von der Staffelei und hätte fast laut geweint, so mutlos und verzagt war ich. Ich erkenne mein gutes Glück, das mich unter einen Zirkel solcher Freunde geführt hat, als mich umgeben, die als Menschen und Künstler alles versprechen und alles leisten, was zu fordern ist, Overbeck, Vogel und einer, der vor drei Wochen hier angekommen ist, Wintergerst, werden gewiß drei brave tüchtige Männer, ein Italiener aus dem Venezianischen namens Colombo, den wir hier gefunden haben, hat sich fest an uns angeschlosssen und die Kunst hat uns so verbrüdert, er verspricht und leistet viel. Das ist mein Zirkel, und außer dem Umgang eines jungen Arztes, Doktor Schlosser aus Frankfurt, habe ich keinen, bei dem ich mich nicht wieder zurück in meine Zelle wünsche. Einige Ausnahmen sind natürlich, und besonders muß ich eine machen von dem Mann [Carl Gotthard Grass], der meine ganze Achtung besitzt. Glaube ja nicht, daß schwarzes Blut mich so sprechen macht, nicht augenblickliche Eindrücke sondern fortgesetzte Beobachtung macht mich so.

Über das, was Du mir über den Stoff meiner großen Komposition sagst, bin ich nicht ganz einig mit Dir, ich möchte Dich aber lieber darüber sprechen, schreiben läßt sich so etwas nicht gut, es ist eine zu zarte Sache, wobei es auf die Stimmung ankommt, in der man ein Wort schreibt und liest. Doch dünkt mich, Du habest zu geringe Meinung von der Offenbarung Johannes', indem Du dich äußerst, unförmliche Ideen darin zu finden. Was kann erhabener sein als die Beschreibung der Herrlichkeit Gottes, ich finde einen großen Geist, der durch das Ganze geht und sich in mystischen Bildern ausspricht, die jedoch von der jetzigen gangbaren Mystik sehr verschieden sind. Im Ganzen sehe ich den Sturz des Heidentums und Aufhebung des Judentums. Mit der Aufklärung, deren Nutzen gewiß in vielem ganz unleugbar ist, bin ich nicht ganz zufrieden, insofern sie nämlich von dem kindlichen Glauben abführt, der nach meinem Gefühl den Menschen glücklich und seelig macht. Mich dünkt, man hätte leichter zum Ziel kommen können, ohne das zu verlieren. Sirach schreibt in seinem vortrefflichen Buch "Gott ist die schönste Weisheit", und in dieser fließt alles zusammen, denn Glaube, Liebe und Hoffnung sind nach meiner Ansicht eins, und keine dieser christlichen Tugenden kann ohne die andere bestehen. Glaube nicht, daß ich schwärme, daß Du dieses manchmal von mir fürchtest, zeigt mir die Stelle in Deinem Brief, allein ich liebe in nichts so sehr hellen Blick als hier. Ich suche gern jeden Umstand meines Lebens zu benutzen, mich in meinen Grundsätzen zu befestigen und sie mir deutlicher zu machen, und so wurde mir neulich vieles heller.

Wir machten einen Kurs in der Anatomie, ein unwillkürliches Grauen vor Toten machte mir dieses unumgänglich notwendige Studium verhaßt. Ich gewöhnte mich bald daran und nichts ergriff mich, als wie ich einst an einem Morgen früh noch ganz allein in das Zimmer trat und eine ganze Leiche eines jungen Menschen fand, an dem nur Brust und Bauch präpariert war. Bis hier hatten wir nur einzelne Stücke gehabt. Die Stille um mich her brachte mich auf Gedanken ganz anderer Art als Anatomie. Ich suchte alles hervor was ich von Philosophie wußte, diesem Anblick das schreckenvolle zu benehmen, nichts fruchtete, und ein Grauen überfiel mich bei dem Gedanken, auch einst so dazuliegen. Ein Funken von Glauben ging in mir auf und alles war verschwunden, ich sah nicht mehr die Leiche, sondern eine Blüte, die abfallen mußte, damit die Frucht entstehen kann. Ich war überzeugt, dieser Mensch sei glücklich und überließ uns gerne sein abgelegte Kleid, uns zu vervollkomnen. Ich setzte mich jetzt ruhig an meine Arbeit in dem Gedanken und blieb sieben Tage bei dem Leichnam von früh Morgens bis spät, wenn es dunkel wurde, mit ein (paar?) Freunden oder allein, wie es sich fügte, ohne Grauen oder Abscheu, und selbst der Geruch der Verwesung war mir ein Bote der Unsterblichkeit.

Ich könnte Dir eine Menge solcher Züge anführen, die mich zu meiner jetzigen Denkungsart gebracht haben. Glaube nicht, daß es die jetzige Mode mitgebracht hat. Leider ist auch Religion und Liebe Gottes Mode geworden. Über das alles, was ich Dich Dir schreibe, hoffe ich einmal ruhig mit Dir zu reden und es soll unserer Liebe und gegenseitigen Achtung nichts schaden, wenn wir finden, daß wir verschiedener Meinung sind. Ich glaube, daß verschiedene Wege zum Ziel laufen, und daß Gott jeden Menschen einzeln führt, und daß jeden eine eigene Welt umgibt. Wir werden uns immer verstehen und den Glauben, der jeden glücklich macht, ehren.

Du kannst nicht lebhafter wünschen, einmal in unserer Mitte zu sein, als es mein Verlangen ist, Dich wieder einmal zu sehen, und das könnte wohl so bald noch nicht sein, schon über fünf Jahre sind wir getrennt. Jetzt wird hier eine große Fabrik errichtet, die Rom im Handel etwas wichtig machen könnte, da habe ich nun schon hundertmal den Gedanken gehabt, wenn es sich fügte, daß du eine Reise hierher machen müßtest, und denn gehe ich in Gedanken schon mit Dir in dem alten herrlichen Rom herum, zeige Dir seine Schätze der Kunst und Natur, fürhe Dich auf meine Lieblingsplätze, kurz, träume oft Stunden lang das Glück, Dich wieder zu haben, bis die Wirklichkeit dazwischen tritt und mir kalt sagt, daß Du in Paris und ich in Rom sei.

Vor kurzem war Hl Geheimrat Willemer von Frankfurt mit seiner Familie hier, in deren Zirkel ich manchen vergnügten Abend zugebracht habe. Ihm gefiel es in Rom gar nicht und er war recht froh, als die Abreise da war, ich kann so etwas nicht begreifen.

Ich habe jetzt Gelegenheit gehabt, ein echt italienisches Volksfest zu sehen, nämlich den römischen Karneval. Ich glaube, daß an keinem Ort Tollheit und Ausgelassenheit acht Tage lang so ungezügelt toben kann, alles ist schicklich, was einer Maske einfällt, man würde verlacht werden, nähme man etwas übel. Um ein Uhr gibt eine große Glocke auf dem Kapitol ein Zeichen, und nun ist es jedermann erlaubt, sich maskiert auf den Straßen sehen zu lassen. Der Hauptzusammenfluß ist aber auf dem Corso, einer langen Straße, die in gerader Linie von dem Platz del Popolo bis gegen das Kapitol läuft. Hier sind alle Fenster und Balkons mit bunten Teppichen geziert, Gerüste sind errichtet, die ebenfalls bunt lackiert sind, alles drängt sich durcheinander, maskierte und unmaskierte, eine Reihe Wagen fährt hinauf, die andere herunter, Masken werfen Confettis von Gips hinein und es wird wieder damit geantwortet, alles lacht und scherzt. Gegen Abend geschehen zwei Schüsse und das Volk ruft "Wagen weg". Diese fahren in die Seitengassen und Soldaten machen eine leere Straße in der Mitte. An dem Obelisk der Sonne, der ehemals auf der Spina des Cirkus Maximus stand, und der jetzt auf dem Platz del Popolo steht, sind Schranken errichtet, in die auf einen Trompetenstoß die Barbaresken ihre schäumenden Berberpferde führen. Ein Trupp Reiter sprengt jetzt den Corso hinauf und einer herab, so daß alles leer ist, während dieser Zeit sind immer zwei bis drei Knechte beschäftigt, ein Pferd zurückzuhalten. Das unbändige Toben, Schnaufen und Schlagen der Tiere ist herrlich, nicht selten setzt eins über das vorgespannte Seil. Man hat ihnen große Stücke Goldblech am Kopf befestigt, dessen Rauschen und Flimmern sie wilder macht; Kugeln mit Stacheln hängen auf dem Rücken, die sie im Lauf mehr anspornen sollen. Sind die Reiter herab, so geschieht ein zweiter Trompetenstoß, das Seil fällt und die Pferde stürzen vor und fliehen mit unglaublicher Begierde nach dem Ziel, wo sie in Tüchern, die über die Straße gespannt sind, aufgefangen werden. Darüber wird es gewöhnlich Nacht, und der Spaß ist für heute aus. So geht es acht Tage fort, den letzten geschieht ein Unglück, indem man die Pferde zu schnell losließ, ehe noch Platz gemacht war und einige Mensche getötet, andere beschädigt wurden. Doch hinderte dies Unglück nicht, daß die Lustbarkeit fortgesetzt wurde. Kaum war es Nacht geworden, so erschienen Tausende von Lichtern und ein unbändiges Geschrei ertönte "Ermordet sei, der kein Wachslichtchen trägt", einer sucht es dem andern auszublasen, es wieder am Nächsten anzuzünden und zum Dank diesem seins auszublasen, und so geht es fort, bis endlich alles auseinander geht und der Karneval für dies Jahr beschlossen ist. Den anderen Tag fangen die Fasten mit dem Aschermittwoch an. So toll nun das ganze Wesen eigentlich ist, so hat man doch Gelegenheit, manches hübsche zu bemerken, nur fand ich das nicht, was man mir von der Maskenkleidung sagte, das häßlichste Mädchen sei darin ein Engel. Ich fand Theater St... hier wie in Wien und überall.

Wenn Du Hl Hummel siehst, so sage ihm doch von mir viele Komplimente, und ich hätte durch eine andere Gelegenheit seinen Freund, den Ritter Camuchino (den berühmtesten italienischen Maler in Rom) kennen gelernt. Hl Hummel hatte ihm einen Brief an mich mitgegeben, als dieser in Paris war, den er mir zuschickte als er hier ankam, in welchem stand, daß ich zu ihm gehen könne. Ich tat dies, traf ihn aber nicht zu Haus und so schob ich es von Tag zu Tag auf, bis ich mich schämte, hinzugehen. Nun hörte er, ich weiß nicht wie, etwas von uns und bekam Lust, unsere Arbeiten zu sehen, und so kam er zu meiner Beschämung, erinnerte sich aber durchaus nicht mehr, daß er einen Brief für mich gebracht hatte, welches mir sehr lieb war. Er lud uns darauf ein, ihn zu besuchen und wir sahen seine herrliche Sammlung von Gemälden und einigen Zeichnungen. Ich habe keinen Maler noch so fürstlich eingerichtet gesehen. Er besitzt ein Bild von Bellinus angefangen und Tizian beendet, das wirklich das Wunder des Kolorits zu nennen ist. Ich sah ein etwa ähnliches in dieser Art. In seinen eigenen Arbeiten sah man aber ganz die jetzige Schule und so ließen sie mich kalt (dies sage ich nur Dir, nicht Hl Hummel). Er hat die Art, zu allem fleißig Studien nach der Natur zu machen und dies dann auf seinem Bild mit einigen Pinselstrichen anzudeuten, daß es mit Leichtigkeit gemacht aussieht; das Verkehrte dieser Behandlungsart wird Dir gleich einleuchten; dabei war er aber äußerst artig und zuvorkommend.

Meine Reisebeschreibung erhältst Du hier wieder bis nach Fosombrona, macht sie Dir Langeweile, so mußt Du Dir es selbst zuschreiben, denn Du hast sie ausführlich verlangt, jedoch glaube ich, daß die Reise nach Urbino Dich freuen wird. Vielleicht daß dieser Auszug gedruckt erscheint - jetzt wirst Du lachen - aber es ist so. Der Dir vielleicht bekannte Landschaftsmaler und Dichter Karl Grass ist hier der Mann, bei dem ich oben die Ausnahme machte, und mit dem ich umgehe. Er hat die Menschen von schlimmen Seiten kennengelernt und Unfreundlichkeiten und Undank genug erfahren, und dabei trotz diesem eine außerordentliche Menschenliebe behalten, das macht ihn mir sehr wert. Dieser ist der einzige hiesige Künstler, der in Urbino war; er las uns seine Reise dahin aus seinem Tagebuch, und ich ihm die unsrige aus dem meinigen, da hatte er eine solche Freude darüber, daß ich es ihm geben mußte und er eine Einleitung dazu schrieb und das ganze übersah und hier und da etwas zusetzte und abnahm und es so nach Deutschland an seinen Verleger schickte, jedoch nur mit keinem Namen, und es kommt im ganzen nur ein O vor, das Overbeck bedeutet. Ob es nun dieser gebraucht oder nicht weiß ich nicht, kommt es aber zum Druck, so wird es im Morgenblatt stehen. Dieser Grass ist ein gar interessanter Mann, mit dem ich in vielen Sachen sehr harmonisiere. Er liebt die Natur so, daß er sie, wo er sie findet, mit Freuden aufnimmt, und sollte es bei dem geringsten Menschen sein; künftig will ich Dir mehr von ihm schreiben.

Die zwei Gedichte Deiner Schwester haben mir herzliche Freude gemacht. Das gute Mädchen scheint lebhaft zu fühlen, wie viel die Welt verspricht, wie wenig sie dem Herzen leistet und daß der Mensch in sich gehen muß, um zur Ruhe und Glück zu gelangen. Doch wünsche ich nicht, daß der Geist, der sich in ihren Gedichten ausspricht, sich ihrer ganz bemeistern möge. Schwermut ist zu schwer oft für einen Mann, wie viel mehr für ein zartes Mädchen in der Blüte ihrer Jahre: schreibe mir darüber, mein lieber Jean - ich könnte Dir manches von mir schicken, allein teils ist es meistens nur angefangen, und im ganzen sind nur die düstern, melancholischen Stunden, die mich begeistern können, etwas will ich Dir aber doch beilegen, daß mir recht aus dem Innern gekommen ist; findest Du Geschmack daran, so schicke ich Dir mehr.

Doch jetzt hast Du einmal wieder einen Brief, über dessen Kürze Du Dich nicht beschweren wirst, und doch möchte ich Dir noch zwei Bogen vollschreiben, so voll ist Kopf und Herz, wenn ich mit Dir, mein Lieber, mich beschäftige. Ich lege ein Blättchen ein, das ich Dich bitte, an George Sarasin abzugeben, Du nimmst es doch nicht übel, daß ich Dir immer etwas zu tun gebe? -

Lebe wohl und laß mich nicht so lange auf Antwort warten als ich Dich. Overbeck grüßt Dich herzlich, an Deinem Freund meinen herzlichen Gruß.

Lebe wohl bis in den Tod       Dein       Freund Pforr

 

Beilage (anderes Format; von Pforr?)
Rom, den ... [Punkte im Original!]

Es wird sie gewiß freuen, daß ich sie mit dem Talent eines jungen Künstlers bekannt mache, dessen Name in Deutschland noch wenig gekannt ist, von welchem aber, wenn er so fortschreitet, zu erwarten steht, daß er dereinst der deutschen Kunst unendliche Ehre und sich unsterblichen Ruhm erwerben wird. Der junge Overbeck aus Lübeck kam vor ungefähr zwei Jahren nach Rom, er arbeitete hier an einem Gemälde, den Einzug des Erlösers in Jerusalem vorstellend, welches er schon in Wien angefangen hatte. Die Komposition ist außerordentlich lebendig, die Bewegung und Handlung der Figuren durchaus wahr und natürlich, die Köpfe äußerst charakteristisch, gemütlich und schön. dieses Bild und vorzüglich eine kleine Madonna mit schlafendem Christkind im Schoß, welches wirklich mit Raphaelischer Gemütlichkeit und Schönheitssinn ausgeführt ist, erregten allgemeine Bewunderung. Seine Eltern können ihren Sohn nur wenig unterstützen, es stand also sehr zu fürchten, daß die geringen Vermögensumstände des braven Overbeck seinem Fortschreiten in der Kunst große Hindernisse in den Weg legen, und seinen so wünschenswerten Aufenthalt in Italien abkürzen würden. Wie erfreulich muß daher den Freunden der Kunst die Nachricht sein, daß eine deutsche Fürstin, welche immer eine große Beschützerin der Kunst und alles Guten und Schönen war, sich des jungen Overbeck anenommen, indem sie ihn ein Bild für ihr Kabinett bestellt hat. Overbeck hat zum Gegenstand die Anbetung der heiligen drei Könige gewählt. Das Bild ist seiner Vollendung nahe und man kann sagen, daß es die hohe Erwartung, wozu man durch Overbecks frühere Arbeiten berechtigt war, noch übertrifft. Die edle Fürstin, indem sie durch die Unterstützung eines so hoffnungsvollen Künstlers sich ein Recht auf die Dankbarkeit der Freunde der Kunst erwirbt, macht durch dieses Bild zugleich auch eine schätzbare Äquisition; obgleich dieser Gegenstand schon so überaus oft, und von allen vorzüglichen Künstlern älterer Zeit behandelt worden, deren Komposition Overbeck hier vor Augen hatte, so ist die seinige doch durchaus neu und steht den besten an Schönheit nicht nach. Der Stil ist groß und edel, die Zeichnung richtig, der Ausdruck in den Köpfen wahr, charakteristisch und ungemein schön und kindlich. Ich könnte Ihnen eine Beschreibung dieses Bildes machen, wenn ich nicht vollkommen überzeugt wäre, daß es allemal ein törichtes Unterfangen ist, Gemälde beschreiben zu wollen, Es wäre zu wünschen, daß Hr. Overbeck selber einen Kontur seines Gemäldes radierte; er möchte es aber selber radieren, damit nichts von dem Geiste und der Feinheit seines Werkes verloren ginge. Er würde hierdurch gewiß allen wahren Kunstfreunden eine große Freude machen.


Rom, 01.07.1811 (01., 07., 08., 10.Juli)

Mein lieber teurer Jean

Dein Brief hat mich recht erquickt und ich sage Dir tausend Dank für ihn, ich hätte ihn auch sogleich beantwortet, wenn nicht ein kleines Übelbefinden mich daran gehindert hätte, ich war nämlich vierzehn Tage ohngefähr eine Null in der aktiven Welt, und ich habe mich noch nicht ganz erholt und trinke jetzt noch Florentiner Wein mit China, Wermuth und Eisenfeilspäne an der Sonne destilliert, das soll eine außerordentliche Kraft geben - wir wollen es erwarten, doch wäre es erwünscht, Indessen sei nicht wegen mir besorgt, so etwas kommt und geht, bis - wir mit ihm gehen.

Es freut mich sehr, daß Du von Deinem Glauben zurückgekommen bist, daß ich der Schwärmerei unterworfen sei. Den kräftigsten Beweis davon gabst Du mir durch die Haarlocke, ich danke Dir dafür. In solchen körperlichen Dingen liegt für mich ein Talisman, der stark aufs Geistige wirkt. Nein, mein lieber Jean, ich verabscheue die jetzige Mode Schwärmerei, die aus Veränderungssucht und Sinnlichkeit sich in dem heiligen Gebiet der Religion herumtummelt und alles glaubt getan zu haben, wenn sie in hohen übersinnlichen Bildern gar oft bloße Faseleien kleidet. Ich habe leider nur zu sehr den Verdruß, dies oft um mich zu sehen, die Wirkung wird noch größer dadurch, daß ich jetzt durch einige Bücher veranlasst dem Geist des Christentums näher zu kommen strebe, und hier meinen Trost und Beruhigung finde. Ich lese jetzt ein Buch im italienischen (welches nicht mit geringer Mühe geschieht, da ich bis jetzt nur äußerst wenig duch den Umgang mit Italienern gelernt habe), das ein Geistlicher im fünfzehnten Jahrhundert in Deutschland geschrieben hat, "Die Nachahmung Christi" von Tomas da Kempis; ich kann Dir nicht sagen, wie herrlich und schön es ist, da ist wirklich nichts von der fantastischen modernen Mystik, sondern es ist schlicht und deutlich, und weist, so weit ich jetzt darin bin, auf die unendliche Güte Gottes und unserer Schwäche dagegen. Er ermaht zur Nacheiferung Christi mit Hintansetzung aller irdischen Dinge, und dieses könne nur durch die Demut geschehen. Ich kann nicht ander als Dir einen kleinen Beweis zu geben von einer Stelle, die mir gerade beifällt: "Jede Vollkommenheit hat in diesem Leben Unvollkommenheit mit sich verbunden; und all unser Erdachtes ist nicht ohne Dunkel. Die demütige Erkenntnis meiner selbst ist ein sicherer Weg, zu Gott zu gelangen, als die tiefste Untersuchung der Wissenschaften nicht ist. Nicht soll man die Wissenschaften deswegen verwerfen, oder eine einfache Kenntnis der Sache: aber immer soll man ein reines Gewissen und ein tugendhaftes Leben vorziehen. Aber warum ist der größte Teil der Menschen bedacht, das tugendhafte Leben mehr zu kennen als es auszuüben, durch dieses betrügen sie sich oft und ihre Wissenschaften geben ihnen keine oder nur wenige Frucht. - Ach wendeten wir so vielen Fleiß an, die Fehler auszurotten und Tugenden zu säen, als wir anwendeten, die Streitfragen zu erschüttern, so würde man nicht so viele Verderbtheit und Ärgernis, dem Volk nicht so viele Erschlaffung der Frömmigkeit in den Klöstern sehen. Gewiß ist es, an dem Tag des Gerichts werden wir nicht gefragt, was wir gelesen haben, aber was wir getan haben; nicht wie zierlich wir redeten, aber wie gottesfürchtig wir lebten." In diesem Geist ist das Ganze, ich rate Dir sehr, kennst Du es noch nicht, Dir es anzuschaffen und es zu lesen, Du wirst es leicht bekommen können, da man es in allen Sprachen übersetzt hat und also auch in der französischen.

Denn ist mir hier ein alter echter Katechismus von Luther in die Hände gefallen, den ich mit großer Bewunderung gegen den großen und umfassenden und gottesfürchtigen Geist des Verfassers lese. Seine Art, die zehn Gebote zu erklären, ist einzig und vortrefflich, aus dem ersten Gebot leitet er alle ab, so zum Beispiel "du sollst den Namen Gottes nicht unnützlich führen" sagt er. Wir sollen Gott lieben und fürchten, daß wir seinen heiligen Namen nicht durch unwürdigen Gebrauch entheiligen, und so fängt er jede Erklärung an; wir sollen Gott lieben und fürchten, daß wir keusch und rein leben, unserm Nächsten nicht schaden uns so ferner. Die Tilgung der Sünden durch den Glauben legt er so bündig dar, daß meine oft schwankenden Grundsätze befestigt sind in diesem Punkt. Es ist zu beklagen, daß man solche herrliche Bücher, als die Bibel, den Katechismus von Luther und andere Schriften, den Kindern in einer dumpfen Schulstube, mit dem Stab in der Hand, beibringen will, und oft durch ein menschenfeindliches, unfreundliches Wesen, das man Schulmeister heißt. Die Kinder bekommen einen Abscheu und ich kenne viele, die auf diesem Weg so weit gebracht sind, daß sie jetzt auch nicht die ersten Anfangsgründe der christlichen Religion wissen. Mit so einem sprach ich noch neulich, der ein Mensch von Kopf und Herz ist, aber über diese Sachen erstaunlich leicht dachte, weil ein polternder Präceptor sie ihm hat lehren sollen. Dieser erinnerte sich nur, als ich den Katechismus erwähnte, der Dumpfheit und Angst, die er in der Schule gelitten hatte, und wollte deswegen nichts davon wissen. Ich bat ihn, nur einiges daraus anzuhören, und das entzückte ihn so, daß er mich recht herzlich bat, dieses Buch ihm zu leihen, und er liest es mit Eifer und Ernst und versicherte mich, Dinge darin gefunden zu haben, der er sich gar nicht vorgestellt hätte.

Ich habe jetzt viele Sorge mit meinem Studium, die Schwierigkeiten häufen sich von Tag zu Tag, und glaube ich, eine überwunden zu haben, so stellen sich drei neue in den Weg. Die Kunst ist schwer, sehr schwer. Man stellt sich den Maler nur vor, wie er in Entzücken schwelgt und die Bilder seines Herzens und seines Geistes mit Lust hinstellt - lieber Jean, davon sind wir oft weit entfernt, ihr seht uns nicht in unseren Werkstätten voll Sorge und Unruhe tagelang beschäftigt um - einen Finger zu zeichnen. Ich habe mehrere Studien gemacht und wenigstens das gewonnen, daß ich einsehen habe gelernt mit saurem Schweiß, daß ich noch nichts kann. Ich habe mich bis jetzt nur mit Darstellungen abgegeben, wo die Figuren nur wenig über einen Schuh waren, und nun wollte ich weitergehen und malte einen Kopf nach der Natur lebensgröße, aus dem aber solch ein Scheusal wurde, daß ich ihn nicht fertig machte, sondern einen andern anfing, der dann etwas besser wurde, aber wahrhaftig nicht unter Lust und Scherz. Hierbei habe ich das erste Mal in meinem Leben den Mut in einer Weinflasche gesucht, Du kannst denken, daß ich weit gebracht war.

7. Juli

Jetzt werde ich eine Komposition anfangen zu machen, worauf ich mich nicht wenig freue, da ich hier noch eigentlich nichts anderes gemacht habe als Studien und an einem Bild, das ich in Wien angefangen habe. In Zwischenzeiten arbeite ich meine Zeichnungen zum Götz von Berlichingen aus, von denen ich die Konturen, wie ich sie vor meiner Abreise von Wien ausgearbeitet hatte, an Goethe geschickt (ich glaube, ich schrieb es Dir auch). Allein er betrug sich mehr als ein großer Herr wie als großer Mann, indem er mir ein freilich sehr schmeichelhaftes Kompliment sagen ließ und dann Gelegenheit nahm, über die Neigung der jetzigen Jugend zum Mittelalter zu sprechen; was mich eigentlich anging, war kaum drei Zeilen lang. Ich habe mir es aber vorgenommen, sie noch einmal hier zu bearbeiten und ich hoffe es soll besser werden. Vier Zeichnungen sind schon fertig, welche hier, ich kann sagen, sehr gefallen haben. Komme ich einmal mach Deutschland, so habe ich Lust, es herauszugeben, doch wird dieses Schwierigkeiten haben, da ich sie ausführe und nicht in die jetzige Sucht der Künstler geraten will, Konturen zu machen; denn das ist mit ein Verderbnis der Kunst; in einer zierlichen Kontur sieht so etwas bald danach aus, man sollte aber einmal eine solche neumodische Zeichnung ausführen, da würde man einen Greuel erleben; wenn man Rafaels, Michelangelos und dergleichen ihre Werke in Konturen sieht, das ist etwas anderes. Indessen ist mir immer lieb, daß Goethe weiß, daß ich seinen Götz bearbeite und nicht dawieder und darf ich dem Kompliment trauen selbst dafür ist.

Einige Stellen Deines Briefes haben mich, mein lieber Jean, wirklich unruhig gemacht, Du scheinst etwas zu haben, das Dich schwer drückt. Ich verlange es nicht schriftlich zu wissen, denn ich weiß zu gut, wie fast unöglich das ist; mich drückt manches, das ich Dir auch nicht anders als mündlich sagen kann, nur das, mein Lieber, halte Dich aufrecht, und denke an den edlen Stahl, der aus gemeinen Eisen durch Feuer und Wasser gemacht wird, und daß ihn nur die heftige Glut läutert und veredelt. Ich habe ein unglückliches finsteres Äußeres, das die Menschen abschreckt und macht, daß einer mich sehr kennen muß, um mir völlig Zutrauen zu geben, und ich finde dies bei Leuten, denen ich selbst mit einiger Aufopferung ungezweifelte Zeichen meines Zutrauens und meiner Liebe gegeben habe. Es gibt Augenblicke, wo mich es tief schmerzt, wenn man mich wegen einer Falte auf der Stirn scheu ansieht oder sich Dinge gegen mich erlaubt, die man sich der Billigkeit nach sich nicht erlauben sollte. Doch gestehe ich gerne, daß körperliche Schwäche und ein finsteres Gemüt mich mehr sehen läßt, als da ist, allein etwas ist immer daran, da nicht allein ich, sondern mein teuerer Overbeck es auch bemerkt, den ich mit Mühe oft zurückhalten muß, nichts dagegen zu tun. Sage mir einmal, ist es mir dabei aber zu verdenken, wenn ich mich in meine Zelle zurückziehe, da male ich, zeichne, studiere, lese in der Bibel und in meinem Thomas da Kempis, denke an Euch, Ihr Lieben, und betrachte das Kreuz, das über meiner Zellentür befestigt ist. Wenn ich ausgehe, so weiß ich schon Wege, die mich so allein führen als wie in eine Wüste, und dabei arbeite ich an Leib und Seele. Das erste ist meine Kunst, das zweite ist meine Seeligkeit, diese beiden Dinge erfüllen mich ganz und sind auch genug. Wenn ich es nicht vermeiden kann, und muß mit hiesigen Künstlern zusammenkommen, so sind es mir peinliche Stunden, die ich gar gern überhoben bin, und ich brauche lange, um mich von dem üblen Eindruck zu erholen. Es sind gute Menschen, und die Talent besitzen, darunter, das ist nicht zu leugnen, allein ich bin nicht dafür, und will ich meines Lebens froh werden, so darf ich mich nicht daran kehren.

Da kenne ich einen jungen Knaben, einen Römer von niedriger Herkunft und armen Eltern, mit dem verplaudere ich gern eine Stunde; er hat alle Vorzüge unverdorben, die der herrrliche Himmelsstrich hervorbringt, eine besondere Körperschönheit (ich habe ihn als Modell kennengelernt), ein Gesicht wie ein Engel und eine Anmut, die nicht zu beschreiben ist in allen Bewegungen und Reden, dabei Gutmütigkeit, Bescheidenheit und eine Delikatesse, die man nicht bei seinem Stande suchen sollte. Es tut mir innerlich weh, wenn ich denke, daß so ein Meisterstück der Schöpfung so leicht verdorben werden kann und es in seiner Umgebung wohl werden wird über lang oder kurz. Wenn ich reich wäre, so müßte dieser Knabe mein sein, und Overbeck meint auch, der stäte Umgang mit ihm würde eine bessere Wirkung auf mich machen als alle Arznei, das Blut zu verdünnen und alle Moralpredigten, den Umgang zu lieben. Ich wende alles an ihn, ihn womöglich auf gutem Weg zu erhalten, und nichts tut bei Italienern mehr als die Religion; deswegen bin ich bei ihm recht katholisch, um das Recht zu haben, Dinge zu sagen, die, wüßte er mich als Protestant, er nicht, aus angeborenen(m!) Vorurteil, annehmen würde, und so lasse ich ihm die Freude, auf seine Art mir dankbar sich zu zeigen, zum Beispiel er erkundigte sich sehr genau, ob meine Eltern noch lebten und ob ich verstorbene Geschwister hätte; als ich ihn um die Ursache fragte, sagte er, er wolle nächsten Sonntag für das Heil ihrer Seelen drei Messen hören, für jede eine, das ließ ich nun gerne zu. Ich bewundere oft an ihm, was die Natur tut, sein Vater und Mutter und Geschwister sind ein abscheuliches Volk, von welchen er gewiß keine kindliche Zärtlichkeit gelernt haben kann, und doch besitzt er diese in so vollem Maß, daß wenn bei Erzählungen vorkommt, wie ein Sohn undankbar gegen seinen Vater ist, er sich nicht enthalten kann, in Tränen auszubrechen. Durch ihn habe ich seit drei Monaten so viel Italienisch gelernt, daß ich mich zur Not durchhelfe, mit ihm aber fast ohne Anstoß spreche oder viel mehr verständlich machen kann.

8. Juli

Heute morgen kam er wieder "Ich habe eine halbe Stunde nicht zu arbeiten" sagte er, "und da wollte ich sehen, wie es euch geht", und dabei sah er mich mit seinen schönen guten Augen an, daß es mir ordentlich wohltat, so ein noch unverdorbenes Gemüt darin zu lesen. Er mußte mit mir frühstücken. Wenn ich ihm) manchmal etwas gebe, so hat er ein Betragen, das mir ungemein gefällt, er schlägt die Augen nieder, nimmt es und tut es schnell und ohne Geräusch weg, und sagt nur ein kaum hörbares gracie. Das tut alles die lebe Natur, denn an künstliche Bildung ist nicht zu denken. Wenn ich mir dagegen einen wohlerzogenen Schüler einer Erziehungsanstalt denke, der nach dem Glockenschlag Essen, Trinken, Verdauen, Schlafen, Lesen, Schreiben, Gehen und Sitzen und ich weiß nicht was alles gelernt hat, so daß er auf alles, was er tut, sagen kann "das hat mich der HL Lehrer gelehrt, und dieses habe ich von jenem abgesehen", so wird mir, unter uns gesagt, übel. - Natürlich, das soll nicht auf alle Erziehungsanstalten gehen, daß es gute nützliche gibt, liegt am Tag, aber keiner ihrer Stifter wird leugnen, daß es auch welche gibt, die aus dem edlen Ebenbild Gottes eine wohleingerichtete Taschenuhr machen. Es sind mir solche Menschen schon vorgekommen, die nichts tun als was sie gelehrt sind, die alles merkwürdig finden, die aber auch nichts ergreift. Und mir ist nun einmal ein Mensch lieber, der mit Wärme von einer gebratenen Hammelkeule spricht, als einer, der über Künste, Wissenschaften und Religion lau predigt. - Doch gewiß wirst du, mein vielgeliebter Jean, mir jetzt dasselbe sagen, was mir unser Freund Overbeck so oft sagt, als ich mit solcher Bitterkeit die menschlichen Fehler rüge: "Wende dich auf dich selbst, und sieh aus einem solchen Licht die Menschheit nicht an, eine solche Bitterkeit kann aus einem Herzen, das ganz mit Menschliebe gefüllt ist, nicht kommen" - da möchte ich vor ihm mich niederwerfen und meinen Fehler abschwören und in ihm die Engelsunschuld bewundern, die mit heitrer Stirn in allem nur gutes sieht, während ich mit zusammengezogenen Augenbrauen nur Unvollkommenheiten finde. Sieh, es geht mir grad so mit den Menschen wie mit dem Theater, ich gehe nie hinein, weil so wie der Vorhang auffliegt ich keine Könige, Ritter, Damen, Liebende und Unglückliche sehe, sondern verkleidete Leute, die gar oft was ganz anders sind als sie scheinen; ich sehe keine Häuser, Paläste, Berge und Wälder, sondern Latten und Sprossen, beschmierte Leinwand und zusammengeflickten Pappendeckel. So habe ich darinnen eine unglückliche Fertigkeit, zu sehen, was auch bei den Menschen auf dem Grund liegt, und nur habe ich leider nur zu sehr recht. Da war noch neulich ein Mann von Stand hier, der ganz der Kunst zu leben schien, über dessen Kunstsinn und übrigen guten Charakter bei Overbeck und meinen anderen Freunden nur eine Stimme war; ich hatte ihn nur einmal gesprochen und nur eine Viertelstunde, aber bei seinem Lob schüttelte ich den Kopf und sagt, betrügt mich nicht, da fiel alles über mich her, und nun ist es ein Geschäft, das sich nur für einen Mefistofeles schickt, einen Disput zu führen, worin man andern die gute Meinung von einem Manne nehmen will, ich schwieg, aber es warf ordentlich ein übles Licht auf mich. Nun vor kurzem hat er sich aber so gezeigt, erstlich als einen kleinlichen intriganten [?], und der gar nichts von der Kunst versteht. Nun gestanden alle, daß ich Recht gehabt hätte, allein das freute mich wenig, daß ich solch einen Blick für Fehler hatte, wo alle nur Gutes sahen. Du siehst, ich bin offenherzig, gegen wen sollte ich es aber auch sein, wenn ich es nicht bei Dir wäre, und ich verliere bei Dir nichts dadurch, im Gegenteil gewinne ich, indem Du mir gewiß eine oder die andere gute Lehre dagegen geben kannst und wirst, denn, mein Lieber, bei allen meinen vielen Mängeln und Fehlern und Schwächen habe ich den Trieb, mich von ihnen loszumachen und weiter auf dem Weg zur Gottheit zu kommen, halte also nichts zurück, in nichts zeigt sich mir Freundesliebe edler und reiner, als indem sie des Freundes Fehler straft, denn ich weiß, es gehört Überwindung dazu - doch ich will von diesem unangenehmen aber wichtigen Stoff abbrechen und das halbe Blatt benutzen, Dich mit heiterern angenehmern Bildern zu beschäftigen.

10. Juli

Es war mir neulich unmöglich, weiterzuschreiben, und ich hätte Dich nur traurig gemacht. Heute feiern wir den Stiftungstag unserer Künstlerverbindung, nun währt es schon drei Jahre, und das Versprechen, uns gegenseitig nie zu verlassen in allem, was Kunst betrifft, zwei Jahre. Zu fünfe fingen wir an, heute vor drei Jahren eigentlich waren noch zwei, die aber sich bald trennten durch Schicksal und Umstände, und jetzt sind wir sieben, die alle mit vollem Herzen und einem Ziel auf sieben Wegen streben. Hier haben wir einen dazubekommen, einen Italienen aus dem Venetianischen, einen braven Mann und tüchtigen Künstler, er wohnt auch bei uns im Kloster. Ich wollte, Du könntest unsere Wirtschaft einmal sehen, es sieht fast aus, als hätten wir die guten Franziskaner vertrieben, um einen Künstler-Mönchsorden zu stiften. Es wird mir ungewohnt tuen, wenn ich einmal aus dem Kloster woanders wohnen muß, es wird keinen angenehmen Eindruck machen, wenn ich den ernsten Geist vermisse, der einem aus allen Winkeln unseres Gebäudes anspricht. Wer sich vor Gespenstern fürchtet, dürfte nicht wagen, hier zu wohnen, denn es gibt Örter, die recht schauerlich sind. Denke nur, was uns einmal begegnete: Ich zeichnete einen männlichen Rücken und hatte ein Schulterblatt nötig dazu, konnte aber gar keins bekommen; da fiel mir ein, daß eine Totengruft im Kloster sei, und so wollte ich da nachsehen, ob ich eins fände. Vogel brauchte auch etwas und Hottinger ging zur Gesellschaft mit, und so gingen wir spät in der Nacht, um kein Aufsehen zu machen, hinunter, tappeten durch den Garten und gelangten endlich zum Eingang des Gewölbes. Da zündeten wir eine Lampe an und gingen hinab, da fanden sich eine Menge Knochen, aber kein Schulterblatt. Da ging ich an die Särge und fand bei einem ganzen Gerippe glücklich eins; wie ich es will herausnehmen, geht was quer durch das Gewölbe, wir blicken um und hören es alle, sehen aber nichts, dazu ertönt uns eine bekannte Totenmelodie in den Ohren. Wir sahen uns gegenseitig an und konnten nicht begreifen, was das sei, ich nahm mein Schulterblatt und ein paar andere Knochen, und so gingen wir. Als wir heraustraten, hören wir deutlich dieselbe Melodie und hören die Worte "Laßt die Toten ruhen" - es war zum Glück dunkle Nacht, so daß keiner dem anderen ansehen konnte, ob es ihm ein wenig unheimlich zu Mut sei. Als wir heraufkamen, steht Overbeck am Balkon und singt das Lied vor sich hin ohne zu denken, wo wir seien. Nun hatten wir das Gespenst, und er war es auch, der so spät noch durch den Kreuzgang gegangen war, der über die Gruft gebaut ist. So etwas ist nun eigentlich eine Kinderei, aber in der Zeit und bei der Umgebung treibt es doch das Blut etwas rascher durch die Adern. So ist mir in Wien etwas begegnet, das ich noch nicht erklären kann: ich stehe gegen Mitternacht nicht weit von der Stubentüre und will eben zu Bette gehen, da geht etwas mit derbem Schritt die Teppe herauf, kommt an meine Tür und klopft; ich hatte nur einen Schritt zu machen, einen Druck, so war die Tür auf, aber niemand war da, ich durchsuchte alle Winkel, wo sich jemand, doch nur mit außerordentlicher Schwierigkeit verbergen könne. Allein ich fand nichts, und ich mußte immer ein wenig unruhig zu Bette gehen.

Was Du mir über Deine Schwester Luise schreibst, befriedigte mich nur halb, doch, muß ich gestehen, habe ich in unserm jetzigen Zeitpunkt immer lieber zu viel Ernst als zuviel Lustigkeit, denn man muß wahrlich Ernst anwenden, will man als Mensch im dem Strudel stehen, der alles mit sich fortreißt. Schreibe mir doch ja, was Dich und Deine Familie angeht, - keine Neugier läßt mich schreiben, aber herzlicher warmer Anteil an allen guten lieben Menschen, da ich leider so wenige ganz so finde -

Leb wohl, mein teurer lieber Jean, und behalte einen Menschen lieb, der seinem guten Schicksal dankt, daß ihm vergönnte, sich nennen zu dürfen
Deinen        Freund         Pforr


Rom, 08(?).09.1811 (21 Tage vor dem zweiten Teil des Briefes??))

Mein lieber teurer Jean

Du bleibst mir der alte treue Freund, wenn alles sich umwälzt und verändert, Dein Brief ist mir ein neuer Beweis davon, und von Herzen nimm meinen Dank für ihn; Deine Sorgfalt für mein geistliches und körperliches Wohl leuchten aus allen Worten. Ich schreibe diesmal mit heitererem Geist als das letztemal. Ich nehme ordentlich zu Dir jetzt meine Zuflucht, indem einige Geschäfte und ein Besuch mich zerstreut haben, ich lasse meine Arbeit stehen und will mich bei Dir, mein vielgeliebter, sammeln und erholen.

Ein unangenehmer Zufall nötigte mich, auf vierzehn Tage Rom zu verlassen und auf das Land zu gehen. Wir hatten einen Kranken bei uns im Kloster, unser Bruder Colombo, den Italiener, von dem ich Dir in meinem letzten Brief, wie mich dünkt, schrieb. Er hatte ein Nervenfieber und lag tödlich darnieder, als die Gefahr überstanden war, bekam Wintergerst (den Du auch, glaube ich, aus meinen Briefen kennst) das Fieber. Ich saß des Abends gewöhnlich vor seinem Bett und las ihm vor, auf einmal durchschauerte es mich, und - ich hatte es auch. Da war nun nichts anderes zu machen als Diät und China, und so kam ich, weil ich sehr achtsam war, mit einem Anfall, der aber sehr heftig war, davon.

Sowie ich hergestellt war, ging ich mit Colombo auf das Land, um der üblen Luft Roms zu weichen. Wir wählten unsern Aufenthalt in Nemi, einem kleinen Ort im Gebirge, das ungefähr eine Stunde von der Straße nach Neapel liegt. Hier lebten wir elf glückliche Tage; der beständige Genuß der freien Luft stärkte mich zusehens, und die Veränderung und Ruhe des Landlebens tat meinem Geist sehr wohl. Der Ort liegt äußerst schön auf der felsigen Höhe eines Tals, das einen Kessel bildet, in welchem der bei den Alten berühmte Spiegel der Diana, jetzt See von Nemi, liegt. Von dem Dorf aus reicht das Auge über die gegenüberliegende Höhe mit dem Städtchen Gensano, einige waldige Hügel, ein Teil der Campagna, und der Horizont ist das mittelländische Meer. Wir bekamen ein ganzes Haus zu unserer Wohnung, das aber freilich aus nichts als einer Art Stube und dem Boden bestand, die Küche war der Kamin in der Stube. Wir ließen uns durch die Frau, der das Haus gehörte, kochen, und lebten so angenehm wie möglich. Ich zeichnete manches nach der Natur, teils zum Studium, teils zur angenehmen Erinnerung; oft machten wir kleine Reisen auf die benachbarten Orte und ritten auf braven Gebirgseseln hin. Die angenehme gleichförmige Bewegung dieses Reitens tat mir sehr gut. Oft stieg ich an den See hinab, badete mich darin und spazierte unter den hohen Erlen, um die sich Wildweinranken mit ihren blauen Trauben geschlungen hatten.

Es ist schön, daß in Italien fast kein Ort ist, der nicht etwas von Kunst besitzt, so ging es auch hier. Gerade als wir ankamen wurde ein Bild der Verehrung der Bewohner in einer Kirche ausgestellt, das wirklich vortrefflich war, sie nannten ihn zum Meister des heiligen Lukas, mir schien es aber aus der florentinischen Schule, ungefähr von Peruchino, Raphaels Lehrmeister. Es war, wie viele Bilder dieser Art, ein Schrank, den man aufschließen kann; in der Mitte sitzt Christus, in einem bläulichen Unterkleid und einem dunkel purpurrroten Mantel mit grünem Futter, die rechte Hand hebt er zum Segen auf, die Linke hält ein offenes Buch, darin lateinisch geschrieben steht "Ich bin das Licht der Welt, der Weg der Wahrheit und des Lebens". Der Ausdruck des Gesichts ist sanft voller Liebe, doch hat er etwas leidendes, duldendes in den Zügen. Rechts auf dem einen Flügel steht Johannes der Täufer, von weit weniger Wert, links Johannes der Evangelist, der weit besser, doch aber dem Christus Bilde nicht gleich kommt.

Als ich den Sonntag die Messe anhörte (welches man wohltut in den kleinen Städtchen Italiens zu tun, im Fall man sich aufhalten will), kniete ich vor dem Bild, und ich empfand lebhaft (unter uns gesagt), daß unsere Religionsstifter in ihrem löblichen Eifer zu weit gingen, indem sie nicht haben wollten, daß die Schönheit der Religion durch das Auge, sondern allein durch das Ohr gehen sollte.

Eine kleine Stecke vor dem Ort ist in einem Felsen eine kleine Kapelle gebaut, wo auf einem kleinen Altar ein Marienbild mit dem Christkind ist, rechts und links Heilige. Es ist von keiner Meisterhand, aber in einer guten Zeit gemalt, und seine Einfalt rührt unendlich in der schönen freien Natur. Auf dem Altar ist eine kleine Marmortafel mit folgender italienischer Inschrift: "Wenn Du müde bist vom beschwerlichen Gang, so ruhe in mir und nimm Erquickung". Wie einladend und schön dem müden Wanderer, es ladet ihn zu geistlicher und leiblicher Ruhe, da es auf der Straße von Gensano nach Nemi ist.

Ich fühlte das lebhaft, als ich Hl Doktor Schlosser von Frankfurt, ein Mann der uns und unsern Mitbürgern Ehre macht, in Castel Gandolfo besucht hatte, wo er sich jetzt aufhält, das am See von Albano liegt. Ich hatte so angenehm einen ganzen Tag mit ihm verplaudert, daß er mich bis an das Grab der Horatier und Kuratier begleitete, das hinter Albano steht, die Sonne sich bereits ins Meer tauchen wollte. Nun war es sonderbar, alles diente, mich furchtsam zu machen. In Ariccia traf ich einen Bekannten, einen wackeren Jäger, der mir riet, mich nicht aufzuhalten, der Weg sei unsicher. Kaum war ich vor dem Ort, begegneten mir zwei Schweizer Landschaftsmaler, die dasselbe sehr bedeutend sagten; ich ging weiter und unter den dunklen Kastanienbäumen kam mir ein Mann entgegen, der unser Dichter Werner war, und welcher sich mehr als alle verwunderte, wie ich noch nach Nemi bei Nacht wollte. Ich verließ mich auf mein Gefühl, wünschte ihm gute Nacht und ging ruhig weiter. Allein die Nacht, die alles vergrößert, der zum Teil beschwerliche Weg und dann doch der Funke Furcht vor Räubern und Wölfen, die die Gegend sehr unsicher machen, der durch das dreimalige Abraten sehr aufgeblasen war, machte mit jedem Schritt mich unruhiger, dabei war mir der Weg nicht sehr bekannt, und nun kam ich an das Madonnenbild, hier war ich des Verses eingedenk und ruhte, es stand lieblich im Mondschein vor mir, der See lag schwarz vor mir, schweigend und stille, das entfernte Meer glänzte vom Schein des Mondes wie Silber, alles war ruhig, vor mir lag Nemi, die Lichter aus seinen Häusern schimmerten mir freundlich entgegen - solch einen Augenblick gäbe ich nicht um vieles.

Eine ähnliche Sache hatte ich, als wir von Nemi nach Velletri ritten; ein Künstler, der sich auch hier aufhielt, wollte mit uns gehen, konnte aber keinen Esel bekommen und nahm ein Pferd. Bei dem Rückweg, als wir schon im Walde waren, bot er es mir an, weil er ein wenig den Esel versuchen wollte, wir wechselten und ich ritt etwas zu rasch für meine Gefährten vorwärts; ich hatte bei einer Kreuzstraße mich umgesehen, aber nicht bemerkt, daß diese ein Zeichen gegeben hatten und so trabte ich, ohne Arges zu denken, voraus, und befand mich unvermutet in einer wilden, mir unbekannten Gegend. Ich sah mich um und bemerkte nun, daß ich ganz allein sei und gewiß einen falschen Weg eingeschlagen hatte. Ich ritt weiter und erkannte ein Haus in der Ferne nach der Beschreibung, das man erbaute, um durch eine Wache die Gegend hier sicher zu machen. Vor der Tür des Hauses fand ich einen alten Soldaten, der mir den Weg nach Nemi zeigte, der über Wiesen ging, sich aber sogleich verlöre. Ich sprengte hin und her und konnte selbst den Rückweg nicht mehr finden, mein Pferd fing an zu wiehern aus einer natürlichen Ursache, denn ich war dich bei dem Ort und der Abhang des Berges versteckte es mir. Endlich sah ich in der Ferne einen Geistlichen und jagte zu ihm, er erklärte mir einen Weg, aber so verwirrt, daß ich kaum hundert Schritte weit war, so wußte ich nichts mehr davon. Nun war mir eigen zu Mut, der Abend war angebrochen und ich allein im Wald verirrt; da dachte ich "jetzt ist ein Augenblick, in dem du fühlen kannst, was du eigentlich bist, und was, in die Welt gestoßen, aus dir werden könnte", da fühlte ich denn, daß allein ich wenig oder gar nicht sei, denn selbst meine Zeichnungssachen waren auf dem Esel geblieben. Ich dankte Gott, daß er mir Freunde und Nebenmenschen gegeben hat. Es gibt solche Augenblicke im Leben, wo ein an sich unbedeutendes Ereignis mehr Wirkung auf uns macht als das Lesen von hundert Büchern, so war es auch hier. Endlich fand ich das Wachthaus wieder und den Kreuzweg, wo ich woraus eritten war, und verfolgte nur die frische Spur von zwei Eseln, und diese führte mich glücklich auf einen mir bekannten Weg und so war ich bald in Nemi.

den 29. Sept.

Doch vor all dem Schwätzen bin ich nicht zur Beantwortung deines mir so teuren Briefes gekommen. Was Du mir über die Ausübung der Religion sagst, finde ich gut und richtig, nur glaube ich, daß die Wege dazu verschieden und stets den besonderen Menschen anpassend sind. So kann, wie ich glaube, der Sänger der Liebe und des Weins an einem glänzenden Hof so gut der Gottheit nachstreben, als wie der rauhe Einsiedler in der tebäischen Wüste. - Daß eins schwerer als das andere ist, ist nicht zu leugnen, aber dagegen sind die Kräfte auch verschieden, und ein jeder Mensch sollte sich Mühe geben, den zu erkennen, auf dem er nach den seinigen gehen soll. Sieh, das geräuschvolle unruhige Leben zerstreut mich, bringt mich von mir selbst ab, tue ich unrecht, es zu vermeiden? Ich weiß nicht, aber ich glaube, Du verstehst mich und wirfst mich nicht zu den kläglichen Menschen, die Neuerungssucht, Mode, Sinnenreiz und Langeweile zur Andacht (wenn man es so nennen kann) führen.

Was Du mir über die Freimaurer schreibst, war mir interessant, ich habe einiges gehört, daß ich sehr nah ihnen verbunden sei, und selbst einst mehr erfahren würde; dies setzte ich aus den Worten eines Mannes zusammen, den ich vor meiner Abreise aus Wien sprach, und de sehr über meine Verhältnisse unterrichtet schien. Was mir immer einiges Mißtrauen erweckte, waren manche jämmerlichen Menschen, unter denen sich wahre Tröpfe befanden, die sich für Freimaurer ausgaben. Ich kenne einen windbeutelischen Glücksritter und einen Mann, den die Bescheidenheit selbst dumm nennen muß, die beide Freimaurer sind. Ersterer ist Maler und brachte nach seinen eigenen Aussagen hier die meiste Zeit damit zu, in den Kunstwerken des Altertums den allgemeinen Universal Partikel zu suchen, kannst Du den Sinn aus diesem Unsinn finden? Indessen kenne ich viele würdige Männer, und im Ganzen ist meine herrschende Empfindung gegen diese Gesellschaft Achtung. Du hast wohl recht und ich sehe es immer wieder ein, wir müssen vieles auf das sehnlich erwünschte Wiedersehen aufsparen und bis dahin mehreres unberührt lassen.

Die allgemeine Geschichte von Müller muß ein vortreffliches Werk sein, ich höre sie überall loben, ich kenne nur weniges von ihm in der Schweizergeschichte, aber was ich kenne erregte meine Bewunderung.

Du erhälst hier einiges über die hiesigen Malereien des Mittelalters bis auf Raphael, im nächsten Brief werde ich sehr viel von ihm und seinen großen Zeitgenossen zu sagen haben. Eins muß ich dabei bemerken: der große Christus an der Kuppel in der Kirche Ste Croce in Jerusaleme ist nur von Pinturicchio[?] gemalt nach einem Karton von Giotto. Macht Dir die Art, wie ich Dich mit den römischen Kunstsachen bekannt zu machen gedenke, Freude, so will ich so fortfahren, wo nicht, so schreibe, wie Du es lieber hättest.

Wenn ich Dir schrieb, ich wolle neulich eine große Komposition anfangen, so verschrieb ich mich, denn das Bild, das ich jetzt in der Arbeit habe, ist nichts weniger wie weitläufig. Es stellt das Gleichnis vor, welches Christus erzählte, wie ein Hausvater seine Knechte ausgesandt habe auf das Feld und ihnen guten Samen gegeben; als sie ihn gesät hatten, schliefen sie ein; da kam der Feind und säte Unkraut dazwischen. Als es aufwuchs, sprachen die Knechte zu dem Herrn "Gabst du uns nicht guten Samen, woher aber das Unkraut?" "Das hat der Feind getan" antwortete der, "lasset es aber stehn bis zur Ernte, da will ich den Schnittern sagen, daß sie es beiseite in Bündlein binden und mit Feuer verbrennen, das Getreide aber in meine Scheune sammeln." Ich will Dir weiter nichts davon schreiben, denke Dir es in Deiner Phantasie aus wie Du glaubst, daß ich es vorgestellt hätte, und im nächsten Brief schicke ich Dir eine kleine Skizze.

Was Du mir von Blair(?) schicktest, war mir angenehm zu lesen, es zeigte mir, daß in der verderbten englischen Schule der Malerei doch ein Mann stand, der nach Wahrheit der Kunst strebte. Doch bin ich nicht ganz mit seinen Ansichten zufrieden, und ich möchte wissen, ob dieses das Resultat seiner Überzeugung oder nur ein Auszug aus einem Buch ist, denn als ersteres finde ich fehlerhaft, alles in den(?) un....[unleserlich] Linien zu setzen, seine Urteile gefallen mir, das über Rubens finde ich auch wie Du stark: Rubens war in meinen Augen kein mächtiger hochfahrrender Teufel, sondern ein großer edler Geist, den unglücklicher Beifall umstrickte und für Zeit zu Boden riß. Er fiel, das ist sicher, er tat vielen Schaden der Kunst, das ist unleugbar, aber ich bewundere doch den leichten großen Geist, der mit Feuer alles darstellt, und betrachte mit besonderem Vergnügen seine Vorstellungen des Adels seiner Zeit. Den Gewährsmann Blairs, den berühmten Füßli, kann ich nur nicht annehmen, in der jämmerlichen Shakespeare-Galerie sah ich einige verzerrte verdrehte Bilder von ihm, die mir nichts weniger als eine hohe Meinung von ihm gaben. Seinen MacBeth, als ihm die Hexen erscheinen, würde ich, sähe ich ihn in der Natur, aus dem Tollhaus entsprungen glauben, so gebärdet er sich, man sieht deutlich, er wollte die kühne Größe des göttlichen Michel Angelo nachahmen, allein dies besteht darin, daß er den menschlichen Körper so inne hatte, daß jede Wendung, die nur sein Geist erfinden konnte, er leicht und fehlerlos darstellte, aber nicht in wahnsinnigen Gebärden und aufgeschwollenen Muskeln. Kennst Du diese so falsch berühmten Kupferstiche, so gibst Du mir gewiß recht: von Blair möchte ich indessen etwas sehen, seine Grundsätze habe mich sehr begierig darauf gemacht.

Wenn Du nach Frankfurt schreibst, so empfiehl mich doch Deiner vortrefflichen Mutter vielmals, ich bin glücklich, daß so gute Menschen an mir solchen Anteil nehmen, ich weiß nicht, womit ich ihn verdiene. Für die Abschrift danke in meinem Namen herzlich. Deinen Schwestern empfehle mich doch auch aufs freundschaftlichste, möge ihnen doch alles begegnen, was ihr Glück und ihre Ruhe befestigen kann, und nun will ich meinen langen Brief schließen. Ich könnte Dir noch ebenso viele Blätter voll schreiben, allein ich bin etwas zerstreut, da ich in einigen Tagen nach Neapel zu reisen gedenke, ich werde dir manches zu erzählen haben von dem peggo di cielo cadutto in terra wie Sannazar sagte.

Nun lebe wohl und glücklich, behalte lieb deinen
      Freund       Pforr


Rom, 11.02.1812

Mein lieber teurer Jean

Wäre es Nachlässigkeit, daß ich Deinen lieben Brief so lange unbeantwortet ließ, so wäre es unverzeihlich, allein Du wirst aus Nachrichten von unserem Freund Stock wissen, daß ich krank bin und dieses mehr als jemals. Eine eigentliche Brustkrankheit brachte ich von Neapel mit, das Schreiben wurde mir streng von meinem Arzt und Freund Dr. Schlosser untersagt, vor einiger Zeit kam noch ein dreitägiges Fieber hinzu, doch Gottlob, dieses hoffe ich überwunden zu haben.

Doch von allem hernach, erst die Beantwortung deines Briefes. Er hat mich sehr betrübt und ich brauche Dir nicht zu sagen, welchen Anteil ich an dem Verfall Deiner blühenden Aussichten nahm, aber die Art, wie Du und Deine Familie dieses trägt, hat mich wieder innig erfreut, es ist so erquickend, edle Menschen selbst im Unglück handeln zu sehen, und es ist gewiß, daß Unglück uns bildet. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, sieh, nach meiner Kenntnis gibt es zweierlei Arten von Menschen, die einen werden rein geboren, ohne Leidenschaft, mit allem Guten ausgestattet, es ist, als ob ein Engel sie Schritt für Schritt begleitete, das Unglück nähert sich ihnen nicht, sie leben still glücklich für sich, und alles gerät, woran sie die Hand legen. Solche Menschen gibt es, aber sie sind selten, mir sind nur wenige vorgekommen, und einer davon ist Overbeck. Religion und Tugend ist ihm angeboren, Die andere Art von Menschen sind die, welche durch die Hölle zum Paradies gehen müssen. Sie haben Neigungen zum Bösen, Leidenschaften, denen sie sich oft hingeben und oft in dumpfer Gefühllosigkeit hinleben oder aber mit irdischen Dingen zu kämpfen haben, diese hat aber Gott nicht vergessen, er gibt ihnen deutliche Winke, auf den rechten Weg zu kommen. Glücklich der, welcher darauf achtet, die Zeichen vermehren sich je weiter er geht, endlich ergreift ihn die Gnade und er kehrt sein ganzes inneres um und steht, ein neuer Mensch, da als neugeboren, geschickt für das Reich Gottes. Gewöhnlich erhalten wir diese Winke im Unglück und Leiden, und überdies liegt es nur an dem Menschen, die Leiden zu seinem Vorteil zu nutzen. Was für den einen bloße Plage und Unglück ist, wird für den anderen eine höhere Stufe der Vollkommenheit, und so benutzest Du dein Unglück wahrhaft weise und als Mann. Ich achte den nicht männlich, der mit Trotz dem Schicksal sich entgegen stellen will, sondern den, welcher das, was Gott über ihn verhängt, standhaft erträgt. Und das tust Du, mein vielgeliebter, und wirst es immer tun, sobald Dich Gott dazu aufruft. Indessen sei getrost, der früher mit Liebe unser gedachte als wir noch (jung?) waren, wird uns auch nicht verlassen.

Was ich schreibe ist nicht Schwärmerei eines jugendlichen Kopfes, nein ich schreibe Dir auch als einer, auf dem die Hand des Herrn schwer liegt, meine Krankheit macht mich zu aller Arbeit unfähig, und so verlebe ich meine Tage traurig bei einem auf das äußerste geschwächten Körper; in gewissen Stunden ist mein Geist so geschwächt, daß ich Personen und Sachen, die zu mir gesagt worden, sogleich vergesse. Seit zwei und einem halben Monat bin ich nicht aus dem Hause gekommen und fast ebenso lange liegen auch meine Arbeiten und Studien. Dies alles hat mich bestimmt, den Rat von Dr Schlosser zu folgen und dieses Frühjahr Italien zu verlassen. Wie leid mir dieses Opfer, das ich meiner Gesundheit bringen muß, tut, kannst Du Dir denken, allein es ist nicht anders zu helfen und so will ich mich hineinfügen. Für meine Kunst ist es ein arger Stoß, allein ich kann bei einem kranken Körper doch die Kunstschätze nicht gehörig benutzen. Ich habe schon deswegen an Herrn Sarasin geschrieben. Dadurch kommen wir uns doch wieder ein wenig näher und haben eher Hoffnung, uns zu sehen. Mein Wunsch ist, daß wir nur an einem Ort unsern Aufenthalt finden, für glückliche Augenblicke und Stunden brauchen wir dann nicht zu sorgen. Mich freut es sehr, daß Schlosser auch dieses Jahr nach Frankfurt geht, und den ich wahrscheinlich dort treffen werde, sein Umgang wird mir den Aufenthalt noch verschönern, da er ein Mann von vielem Geist mit einem kindlichen Gemüt ist, was wirklich selten ist, empfänglich für alles gute und schöne ist. Er bat mich, als er gehört hatte, daß der junge Willemer in Paris sei, daß ich ihm Deine Bekanntschaft verschaffen möchte, er hat sich hier für den jungen Menschen interessiert und wünschte ihm in Paris guten Umgang; ich sagte ihm, daß die Bekanntschaft schon geschehen sei.

Deinen Freund Stock hier zu sehen war mir eine große Freude, und wir haben uns in der kurzen Zeit recht lieb gewonnen. Es tat mir sehr leid, daß ich ihm den Aufenthalt in Rom nicht angenehmer machen konnte, weil ich schon das Zimmer hüten mußte. Du wirst wohl schon Briefe von ihm aus Neapel erhalten haben.

Wie viel könnte ich Dir von dem herrlichen Land um diese Stadt schreiben, man zieht ihre Lage Konstantinopel und Lissabon vor, und ich glaube es, denn eine Gegend kann um eine Stadt nicht viel schöner sein. Ich bin froh, sie gesehen zu haben, obwohl ich so übel zurück kam; indessen hätte ich gewußt, daß dieses geschähe, so wäre ich wohl nicht hingegangen. Neapel ist aber wirklich eine Stadt, die mit ihrer Umgebung dem Deutschen eine neue Welt aufschließt, das ganze Italien ist bei weitem der Garten nicht, zu dem es überspannte Reisebeschreibungen machen, man findet dieses alles erst im Königreich Neapel, deswegen sind die meisten Reisenden äußerst unzufrieden, indem sie sich einbilden, so wie sie die Alpen herabstiegen nähmen sie Orangenwälder und Zitronenhaine auf, und das ging bis in die äußerste Spitze von Kalabrien. ich hatte keine solche Idee von Italien, und deswegen fand ich es schön. Neapel macht aber von Rom, so nahe sie eigentlich liegen, einen großen Unterschied, man glaubt wirklich im Orient zu sein, schon bei Fondi, dem Grenzort, sieht man Orangen, Zitronen und Granatbäume wie bei uns die Apfelbäume auf den Äckern stehen. Kommt man der Hauptstadt noch näher, so sind die Äcker mit hohen Pappeln und Ulmen bepflanzt, um die sich die Weinstöcke auf das schönste, ich möchte sagen idealischste, herumschlingen und in dickem Gewinde von einem Baum zu anderen. Die Weinlese war gerade bei unserer Anwesenheit und machte die Gegenden lustig belebt, doch von allem mehr und genauer, wenn meine Krankheit gewichen ist.

Du kannst nicht denken, wie das Briefschreiben mich angreift. An diesem habe ich nun schon das vierte Mal angesetzt, ihn weiter zu schreiben, deswegen wirst Du ihn so verwirrt finden. Siehst Du nicht in ihm den Trost, die Teilnahme, die ich Dir auf Deinen Brief zeigen sollte, so denke nicht schlimmer von mir, ich fühle lebhaft alles, aber säßest Du jetzt bei mir, ich würde kaum das sprechen können; körperliche Schwäche befängt das Herz selten, aber den Geist sehr, so denk von mir nur nicht "er ist lau", nein, lieber kalt, denn daraus kann wieder warm werden, aber aus lau wird nichts als was erbärmliches.

Dein Kunstgefühl in dem richtigen Urteil über die berühmte Shakespeare-Gallerie hat mich innig gefreut, und bleibe Du nur dabei, es ist ein elendes Werk. Es ist sonderbar, daß die Engländer so gar wenig (fast möchte ich sagen kein) Sinn für die Bildende Kunst haben, ich habe noch nichts Gutes aus ihrer Schule gesehen, und doch hat keine Nation ehemals so sehr Italien besucht und nach allen Kunstsachen gespürt, zwar auch viel ohne Sinn. So reiste einer mit einem Schweizer Künstler; so oft sie in eine Gallerie traten, schrieb er sich die Hauptgemälde auf, des Abends fragte er seinen Begleiter, was jedes dieser Bilder wert sei, machte ein Fazit und schrieb in sein Tagebuch: Heute für so und so viel Tausend Gulden Bilder gesehen.

Wann wird sich wohl die wahre Kunst erheben und das elende Werk der falschen Kunst vergehen? - es geschieht gewiß nicht eher, als bis der Künstler den Stolz aus seinem Herzen reißt, selbst zu glänzen und nur allein ein großer Mann zu sein, daß seine Werke aus seiner Hand hervorgehen und man ihn darin bewundere. Dies ist in jetziger Zeit eine große Forderung. Allein, wird sie nicht erfüllt, so erwarte ja nicht bessere Zeit der Kunst. Ich bestrebe mich, den Egoismus aus mir zu verbannen, den ich noch, wenige sehr wenige ausgenommen, überall sehe, ich meine unter den guten Künstlern, die nach dem Wahren streben. Es ist jetzt viel Hoffnung da, mehr, als wohl seit zweihundert Jahren je war. Allein dies muß noch geschehen, sonst hat es keinen Zusammenhalt.

Und nun mein lieber Jean lebe wohl. Wenn Du nach Frankfurt schreibst, so empfiehl mich Deiner achtungswürdigen Familie, Deiner Mutter und Deinen Schwestern, und laß mich, mein Lieber, nicht so lange auf einen Brief warten, als Du es hast tun müssen, Krankheit entschuldigt viel. An den jungen Willemer und Hl Mieg mache doch auch meine Empfehlung. Overbeck grüßt Dich herzlich.

       Dein Freund auf immer        Pforr


II. Bayerische Staatsbibliothek München

o.Dat, o.Ort, Entwurf zum Brief vom 15.12.1810

Dein Brief, mein lieber Jean, gibt mir zu viel Stoff zum Schreiben, als daß ich seine Beantwortung lange aufschieben könnte. Da ich überdies die Fortsetzung meiner Reisebeschreibung schon geschrieben habe, so setze ich mich sogleich hin, ihn zu beantworten.

Daß ich bei der kleinen Zeichnung Deinen Sinne getroffen habe, freut mich aus mehr als einer Rücksicht sehr. Dein Urteil, das von H. Hummel und meinem Vetter ist gewiß so ehrenvoll für mich, als ich es nur wünschen kann; ich danke recht sehr dafür, und mein Bestreben ist, das was noch fehlt, nachzutun. -

Jetzt komme ich an eine Stelle Deines Briefes, bei der ich Lust hätte, ein wenig bitter zu werden und frisch weg zu sagen, an Ungers Scherz über den Gegenstand der Zeichnung erkenne ich ganz meinen Herrn Vetter. - Wer nicht begreifen kann, wie einem reinen, Gott ergebenen Gemüt der Himmel offensteht, für den sind solche Gegenstände nicht, wer hier einen solchen Betrug ahndet, der wäre auch fähig, ihn zu begehen. Ich muß Dir gestehen, daß es mich tief geschmerzt hat, daß er selbst auf Kosten der süßesten reinsten Empfindung seinen Witz übt. Was die fünf Wundemale betrifft, so gestehe ich, daß ich daran dachte, sie alle sehen zu lassen, es aber nicht wohl möglich fand; was das, welches auf der unrechten Seite stehen soll, betrifft, so muß ich sagen, daß ich in der ganzen Bibel keine Stelle kenne, welche die rechte Seite bestimmt nennt, und ich glaube, daß der Soldat, nachdem die beiden Verbrecher durch Brechung ihrer Beine getötet waren, auch Christus, im Fall er noch leben sollte, eine tödliche Wunde beibringen wollte, und so wohl in die linke Seite stach, um das Herz zu treffen, welches er auch scheint getan zu haben, da sogleich Blut und Wasser heraus lief, welches bei einer anderen Wunde eines toten Körpers nicht leicht geschieht. Dies ist meine Verteidigung, welche aber, ich bitte darum, unter uns beiden bleibt.

Wie sehr mich Dein erster Brief mit der Einlage von Martini gefreut hat, kann ich Dir nicht beschreiben, es war mir alles zu eng, ich lief hinaus ins Kollosseum, um Eure beiden teuren Briefe recht zu lesen und dann strich ich voller Freude zwischen den alten Mauern herum und setzte mich noch manchmal nieder, um sie wieder zu lesen. Hast Du ihn also kennen und lieben gelernt, den vortrefflichen Menschen - seltsam genug, ich schreibe fast dasselbe an Dich, was ich an ihn schrieb, denn von Tours aus bekamen wir von ihm Briefe. - Sieh Dich vor, mein Lieber, daß Du ihm nicht etwa Unrecht tust, wenn Du ihn zu romantisch findest, bedenke seine Lebensart und seine Schicksale, wenn Dir letztere bekannt sind, eine Kette von wunderbaren Ereignissen sind sie, die sich bald ganz zu verwickeln scheint und dann wieder grad fortläuft. Mich dünkt, man müßte den Menschen immer nur nach seinem Selbst beurteilen. Ich lebte an die acht Monate mit ihm und war Zeuge dem wunderbaren romantischen Gang seines Schicksals, ja ich wurde selbst mit hineinverwickelt und fortgerissen.

Auf das, was Du mir über mein Verlangen einer Haarlocke schreibst, muß ich Dir etwas erzählen. In den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts ging ich mit einem mir bekannten Bildhauer bei den Thermen des Diokletians spazieren, wo das Kartäuserkloster steht; er führte mich in den schönen Kreuzgang des Gebäudes, welches einfach und groß von Michelangelo erbaut ist. In der Mitte stehen drei Zypressen, welche dieser große Mann gepflanzt hat. Ich brach einen kleinen Zweig ab und schloß ihn in einen Brief an einen Freund in Wien, der als Künstler den Kampf dieses großen Mannes fühlt, er dankte mir in den lebhaftesten Ausdrücken für die Freude, die ich ihm gemacht hätte, indem ich ihm etwas geschickt hätte, welches den großen Buonarotti ziemlich unmittelbar angehe. Nun siehe, denke ich so - konnte diesen ein Blatt von einem Baum, der vor dritthalbhundert Jahren gepflanzt wurde, und nur durch die Hand geheiligt ist, die die erste Sprosse in die Erde legte, so freuen, wie viel mehr würde mich etwas freuen, daß von meinem Freund so unmittelbar kommt. Indessen da Du wenn auch nur einen kleinen Anstoß dabei findest, so bitte ich es zu unterlassen, indem die Wahrheit dessen, was Du mir schreibst, diese nicht gerade nötig macht: "Braucht es noch eines solchen äußeren Beweises, um einen Bund, der zwischen uns geschlossen ist, zu bestätigen, und der im Innern der Seele wohnt." Doch sage ich Dir das noch, in solchen Dingen suche ich eben keine Ehre darin, das zu sein, was man in dem gewöhnlichen Leben als stark bezeichnet.

Deine gerechten Klagen über unser jetziges Schicksal teile ich ganz mit Dir, und die Bedrängnisse unserer Vaterstadt haben mich sowohl wie jeden innig betrübt. Ich erhielt einen Brief von Hl Sarasin, welcher in der Zeit geschrieben war, als alles sequestriert war was Kolonialwaren war. In einer kleinen Beilage schrieb er mir noch, daß soeben ein Dekret, welches den Verlust um vieles verminderte, herausgekommen sei, welches ihre Hoffnungen wieder sehr aufrichtete; dieses freute mich denn sehr. Dieser Brief war übrigens so gütig und liebevoll wie ein Vater an seinen Sohn schreibt. Die mannigfaltigen Wohltaten, die mir dieser vortreffliche Mann erweist, werden nur durch die Art, wie er sie tut, erreicht.

Die jetzigen Zeiten, die so drückend für den Handel sind, sind es auch für die Kunst, selbst für mich, der ich doch jetzt noch an keinen Erwerb zu denken brauche, denn unser verschrobenes Zeitalter steht jedem im Weg, das erbärmliche Prahlen mit fremden Empfindungen und Einsichten wird mir täglich mehr zum Ekel, und dies ist ein Grund, warum ich mich so viel ich kann zurückziehe. In meiner Zelle ist mir wohl, obschon ich Mühe und Arbeit genug in ihr finde, allein ich kann doch wahr und herzlich mit meinen Figuren sprechen, und das kann man ja kaum sonst mehr. Wenn ich zu Menschen gehe und frage etwas, so weiß ich die Antwort zum Voraus, rede ich über Kunst, so kommt entweder Toleranz vor, die das Schlechte neben dem Guten duldet und das nicht allein, sondern es ihm gleichsetzt, oder aber strenger Kunstsinn, der nichts gelten läßt als - was er oder seine Klienten gemacht haben. - Alle jagen nach Genuß und stoßen aus übergroßem Gefühl jeden wahren Genuß von sich. Da kommen Menschen hierher, die versichern, diese Reise nur gemacht zu haben, sich eine wahre Ergötzung zu verschaffen, und dann stellen sie sich vor die Meisterwerke der Kunst, und da tut es ihnen recht innerlich wohl, eine Menge Fehler, die ihr scharfer Verstand auf den ersten Augenblick entdeckt, wie an einem Rosenkranz abzubeten. Wenigen fällt ein, über dem vielen Guten die wenigen Fehler zu übersehen oder doch nur erstere neben letzteren zu erwähnen. Doch ich falle, indem ich die Fehler anderer rechte, selbst in einen, ich schäme mich fast auf eine so unfreundliche Art sie gerügt zu haben, ich hätte Lust, den Brief anders zu schreiben, aber nein, zu meiner gerechten Strafe sollst Du es lesen.

 


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