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Overbecks "Triumph der Religion in den Künsten" für das Städel in Frankfurt und die Kritik Th. F. Vischers

von Béla Hassforther

I

Johann Friedrich Städel
Johann Friedrich Städel
(Zeichnung von Passavant)
Der 1816 verstorbene Johann Friedrich Städel stiftete neben seiner Gemäldesammlung sein ganzes Vermögen zur Errichtung eines Kunstinstituts, welches neben einem Museum auch eine Kunstschule einschließen sollte und nach dem Willen der Administratoren, besonders von Johann Friedrich Böhmer und Johann David Passavant, auch die "aktuelle" Kunst durch gezielte Käufe unterstützen sollte [1].

Böhmer und Passavant standen den Nazarenern und deren "neudeutsch-religiös-patriotischen" Kunstrichtung nahe und so wurde Friedrich Overbeck, als "Hauptnazarener", mehrmals eingeladen, die Direktion zu übernehmen. Dieser winkte aber - wahrscheinlich aus Rücksicht auf die labile Gesundheit seiner Frau - ab, und empfahl stattdessen Philipp Veit, der dann auch das ihm 1829 noch angetragene Amt annahm und 1830 in Frankfurt als Direktor eintraf. Overbeck erhielt daraufhin, nach Gallwitz "mit dem Gedanken einer Entschädigung" [2], von der Administration am 4.9.1829 den Auftrag für ein großes, historisches Gemälde nach eigener Erfindung.

II

Der Werdegang des Bildes ist durch Quellen gut dokumentiert [3]. Einen ersten Entwurf schickt Overbeck 1831 ein und wird diesen bzw. den Auftrag auf seiner Deutschlandreise vom Juli bis Oktober 1831, die ihn auch nach Frankfurt führte, besprochen haben. Als Daten zur Bildentstehung seien genannt: Ende November 1832 wird die Leinwand aufgezogen, ab Mitte März 1833 beginnt er den Umriß auf die Leinwand durchzuzeichnen, im selben Monat noch fängt er an, den Umriß mit der Feder auszuziehen (bis 27.4.1833). Am 3. Januar 1834 beginnt er mit der Untermalung und ist damit erst Ende 1835 fertig. Die eigentliche Ausmalung schließt er dann am 30. April 1840 ab [4].

Bei dieser überlangen Arbeitszeit kann als kleine Entschuldigung eigentlich nur angeführt werden, daß Overbeck nicht der gesündeste war und in manchen Sommern wegen der Hitze nicht malen konnte - das jahrelange Malen an einem Bild ist aber ansonsten Overbecks "Stil", jedenfalls bei den größeren Sachen.

Als ursprünglichen Bildtitel gibt Overbeck "Schule christlicher Kunst" [5] an (wohl in Anspielung auf Raffaels "Schule von Athen"), aber auch nach Vollendung legt er sich nicht allzu fest, ihm dünkt als "schicklichster" Titel "Triumph der Religion in den Künster", oder auch "Das Magnifikat der Kunst" [6]. Dies schreibt er in dem Kommentar, den er seinem Bild auch auf Anraten von Freunden beigibt. Da in dem Kommentar das Bild ausführlich beschrieben ist, wird sich die folgende Bildbeschreibung hauptsächlich auf ihn berufen [7].

III

Johann Friedrich Overbeck, Der Triumph der Religion in den Künsten
Johann Friedrich Overbeck
- Der Triumph der Religion in den Künsten -
Das Ölgemälde ist mit den Maßen 392 cm x 392 cm annähernd quadratisch, schließt aber oben in einem Rundbogen. Es ist in zwei Sphären unterteilt: der obere, als Vision zu betrachtende Teil wird von der Madonna in einer Gloriole beherrscht, um die sich Heilige des Alten und Neuen Testamentes auf Wolkenbänken gruppieren. Während die Madonna, die das Magnifikat niederschreibt, die Poesie als die höchste Kunst vertritt, weisen die vier vordersten Gestalten: links David mit dem Saitenspiel (=Musik) und Salomo mit dem Modell des ehernen Meeres (=Skulptur), rechts Lukas mit dem Madonnenporträt (=Malerei) und Johannes mit dem Plan des himmlischen Jerusalem (=Architektur) - darauf hin, daß Gott die Künste nicht nur geduldet, sondern selbst mehrfach sanktioniert hat.

Links, auf der alttestamentlichen Seite, schließen sich Moses, Aaron, Noah, Josua, Melchisedech, Joseph, Abraham, Sarah mit Isaak und Adam und Eva an; auf der neutestamentlichen Seite folgen Petrus, Paulus, Stephanus, Papst Fabianus, Cäcilia, Agnes und die Kaiserin Helena. Diese Gestalten sollen nach Overbeck einmal den Motivreichtum der christlichen Lehre für die Kunst veranschaulichen - die es deswegen nicht nötig zu haben braucht, sich mit "heidnischen Fabeln" zu befassen - , zum anderen sollen sie zeigen, daß die Künste im Charakter der Religion selbst schon veranlaßt sind: darauf weisen die Typologien (zum Beispiel Melchisedech mit dem Kelch als alttestamentliches B i l d für das Abendmahl), aber auch die "Nachbildungen" Christi in den Heiligen als Priester, Lehrer, Märtyrer oder "Unberührter".

In der Mitter der unteren, irdischen Zone steht auf einer Terrase ein Brunnen, der für die himmelanstrebende Richtung der Kunst steht. Er hat zwei Wasserspiegel: einen oberen, in den sich die Fontäne und vier Nebenwasserspeier ergießen (Madonna und die vier Hauptkunstheiligen vielleicht darstellend), mit bewegtem Wasser, in dem sich der Himmel spiegeln soll, und eine untere, unbewegte Wasserfläche, in der sich die irdischen Gegenstände spiegeln - damit soll das doppelte Wesen der Kunst angedeutet werden, das geistige Wesen und das notwendige äußere Gewand [8].

Auf der Terrasse haben sich die Maler und Kupferstecher versammelt: die unmittelbar rechts am Brunnen stehenden Meister stehen für das eben gezeigte doppelte Wesen der Kunst, es sind Bellini und Tizian, gebeugt über zwei deren Kunststreben vedeutlichenden Knaben; darüber Carpaccio, Pordenone und Corregio. Gleich links vom Springbrunnen stehen Leonardo da Vinci mit drei Schülern und Holbein. Weiter nach links bilden Giotto, Orcagna, Memmi, Raffael, Perugino, Ghirlandajo, Masaccio, Fra Bartolomeo, Francia sowie (sitzend) Signorelli und Michelangelo annähernd einen Halbkreis um den singenden Dante. Links von Dante sind noch die Köpfe von Cornelius, Overbeck und Veit zu erkennen. Auf der rechten Seite begrüßen sich Lucas van Leyden mit Martin Schön und Mantegna mit Marc Anton, dazwischen steht Dürer. Rechts anschließend begrüßen sich Fra Angelico und die Brüder van Eyck, zwischen diesen stehen Benozzo Gozzoli, Stefan Lochner und Hemlink; neben Jan van Eyck kommt Schoreel als Pilger zusammen mit einem wohl spanischen Meister. Ganz rechts im Hintergrund stehen noch zwei weibliche Gestalten - ein kleines Zugeständnis des patriarchalischen Overbeck an weibliche Kunstschaffende. Vorne auf den Stufen der Terrasse sitzen zwei Mönche, die an die Anfänge der Kunst in Klöstern erinnern sollen.

Im Vordergrund links haben sich die Bildhauer vesammelt, auf der rechten Seite die Architekten. Den Bildhauern zugeordnet ist ein Kaiser (mit einem Beamten), den Architekten ein Papst (mit Bischof). In der linken Gruppe erklärt Nicolo Pisano Schülern und Mitarbeitern das Relief eines frühchristlichen Sarkophages, der auf einer zertrümmerten heidnischen Statue liegt. Zwischen Kaiser und dieser Gruppe stehen noch Lucca della Robbia, Lorenzo Ghiberti und Peter Vischer. Auf der rechten Seite erklärt Meister Pilgram Schülern aus verschiedenen Nationen den Grundriss einer Basilika - auf den Trümmern einer antiken Säule. Erwin von Steinbach zeigt etwas weiter rechts und weiter hinten dem Papst (mit Noten in der Hand) und einem Bischof den Aufriss eines Münsters. Rechts neben dem Papst ist Brunellesci als kritischer Betrachter des Spitzbogenstils zu sehen. Dahinter, scheinbar wieder auf der Terrasse - sind noch Bramante und zwei deutsche Baumeister im Gespräch miteinander. Die unvollendete gotische Kirche im Hintergrund steht für den unterbrochenen Bau der christlichen Kunst.

IV

Raffael, Die Schule von Athen
Raffael: Die Schule von Athen
Eines der Vorbilder für Overbecks Gemälde.
Schon in seinen ersten Briefen hat Overbeck auf Raffaels "Disputà" und "Schule von Athen" als Vorbilder hingewiesen [9]. In der "Disputà" gibt es dieselbe Unterteilung in zwei Sphären: Heilige auf Wolkenbänken, "Irdische" auf einer Terrasse. Die Himmlische Sphäre ist bei Raffael um eine Gloriole mit Engelsköpfen zentriert, die Overbeck fast wörtlich übernimmt; auch die Gestalten unten sind auf einen Mittelpunkt bezogen.

Aus der "Schule von Athen" ist die Verteilung der Künstler im Szenario aus Boden und Terrasse übernommen: auf der Terrasse stehen die Personen fast Mann an Mann, doch jeweils links und rechts am Boden im Vordergrund haben sich Gruppen gebildet, die sich einem Gegenstand des gemeinsamen Interesses zugewandt haben.

Aus Dürers "Allerheiligenbild" von 1511 in Wien hat Overbeck nach Poley vielleicht die Anregung genommen, den Kaiser und den Papst in Kontrast aufeinander zu beziehen.

Der Brunnen ist ein altes Motiv aus der christlichen Symbolssprache des Mittelalters (dort als Lebensbrunnen) und Overbeck bestimmt geläufig; er deutet ihn jedoch zum Symbol der christlichen Kunst um [10].

Als Quellen für die Künstlerbildnisse hat sich Overbeck hauptsächlich an Vorlagen aus Vasari (1568), Karel van Mander (1764) und Sandrart (1774) gehalten. Er hat aber auch Freunde um Durchzeichnungen von Künstlerbildnissen bemüht, z. B. Steinle um die Durchzeichnung eines Bildes von Schorell in Wien, die von Engert ausgeführt wurde [11]. Weiterhin benutzte er Büsten oder Selbstbildnisse innhalb von Gemälden; seine Bleistiftskizzen nach dergleichen Vorlagen sind teilweise erhalten und heute in der Nationalgalerie Berlin Ost.

V

Außer der Beschreibung bringt Overbeck in seinem Kommentar neben der rudimentären Angabe der Bedeutung des einzeln Dargestellten auch seine Grundanschauungen über Kunst und Religion bzw. Kirche zum Ausdruck. Während sich die Komposition etwas änderte [12], war die Idee des Ganzen von Anfang an da [13]: die Künste sollen zur Verherrlichung Gottes beitragen, dann sind sie die "lieblichste Blüte, mit der die Kirche geschmückt ist" [14]. Dies will er den Kunstjüngern durch das Bild vermitteln - damit es auch deutlich genug wird, ist ein Kommentar beigegeben. Es fällt auf, wie weit sich bei Overbeck die Gedanken seines "Jugendschriftstellers" Wackenroder festgesetzt haben. Vieles, was er im Kommentar ausspricht bzw. voraussetzt, ist bei Wackenroder in den "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" schon vorhanden: der Künstler als Werkzeug zur Verherrlichung Gottes [15], die Malkunst als treue Dienerin der Religion [16]. Weiterhin betrachtet Overbeck die Kunst als ein geistiges Wesen und vom Himmel stammend; hierzu Wackenroder: die Kunst ist himmlischen Ursprungs [17] - woraus Overbeck den Schluß zieht, daß die Anfänge der Kunst "als liebliche Frucht der Andacht und des stillen Fleißes" der "klösterlichen Einsamkeit" ihr Entstehen verdanken - wohl ganz im Sinnes des "kunstliebenden Klosterbruders" gedacht und nicht ohne auf die daraus zu ziehende Moral zu verweisen. Die wahre Kunst kann also nur Dienerin im Heiligtum sein - im christlichen Heiligtum, wohlgemerkt, woraus sich ergibt, daß die heidnische Kunst verachtungswürdig ist und sein muß!

Zertrümmerte griechische Plastik
Zertrümmerte griechische Plastik...
Deswegen ist die griechische Plastik auf dem Bild auch zertrümmert, aber: man kann sie sich doch zunutze kommen lassen (wie Pisano). Heidnische Mädchen waren für die christlichen Kreuzfahrer - und nicht nur für die - zwar verachtungswürdig, doch gut zu gebrauchen; im selben Sinn wie auch die Kinder Israels Schmuck aus Ägypten stahlen, um ihn umzuschmelzen, kann der christliche Künstler sich heidnische Kunstäußerungen zunutze kommen lassen, wenn er sie nur "zum Dienste des wahren Gottes umzuschmelzen und zu heiligen weiß". Man kann aus derlei Äußerungen eine Ideologie herauslesen, die nur eigene Anschauungen gelten läßt, andere aber nicht nur nicht achtet, sondern ausnützt oder auch guten Gewissens ganz vernichtet. Ich sehe darin dieselbe Denkart, die einerseits die religiösen Kulturen Mittel- und Südamerikas durch die Spanier vernichtete, die gegen Andersdenkende mit allen Mitteln der Gewalt vorgeht (Inquisition), die sich andererseits aber gegen "Gleichartige" lammfromm gibt.

Angedeutet hat Overbeck in Kommentar und Bild (freundliche Begrüßung von Künstlern des Nordens und des Südens) auch den Italia-Germania-Gedanken, der in seinem gleichnamigen Bild [18], aber ebenfalls in der Schrift Wackenroders [19] am Beispiel Raffael/Dürer zu finden ist und zur nazarenischen Ideologie gehört. Das Hauptanliegen Overbecks ist aber - außer der Überzeugung, daß die Kunst der christlichen Religion zu dienen habe - die Absicht, auf die Kunstjünger (auch Wackenroder wendet sich dauernd an die Kunstjünger) - speziell der neuen Kunstanstalt in Frankfurt - in dem Sinne zu wirken, eine Erneuerung in Gang zu setzen.

Der Bau der christlichen Kirche war ja - wie durch den unterbrochenen Dombau im Bild zu erkennen und auch an der Auswahl der Künstler (nur bis zum sechzehnten Jahrhundert) - durch die Reformation ins Stocken geraten. Alle Versuche, die Künste wieder "zu höherer Würde zu heben" schlugen fehl und werden weiterhin fehlschlagen, wenn nicht das Übel an der Wurzel gepackt wird. Das Übel ist die Reformation, jene "traurigen Spaltungen", wodurch die "völlige Entwicklng der deutschen Kunst gänzlich verhindert" wurde.

Hier ist ein weiterer Wesenszug Overbecks zu erkennen: nicht der individuelle Glaube an Gott ist entscheidend, nicht die eigene Erfahrung und Auslegung der heiligen Schriften - wesentlich ist der Glaube an die zwischen Mensch und Gott gestellte Instanz, die Kirche. Nur die katholische Kirche ist für Overbeck im Besitz der untrüglichen unwandelbaren Lehre [20], in ihr gibt es den "Überfluß der Heilsmittel, der Gnadenmittel" [21]. Sie ist für ihn "der eine Tempel, in dem Gott angebetet werden will" [22]; da die Aufgabe der Kunst die Verherrlichung Gottes ist, muß die Kunst notwendigerweise somit auch die Kirche verherrlichen.

Seine Einstellung zur Kirche hat Overbeck im Briefwechsel mit Fräulein Linder deutlich zum Ausdruck gebracht [24]. Seine schon fast manische Kirchenverehrung möchte ihn am liebsten Bücher über das Heil schreiben lassen an alle von der Mutterkirche Getrennten [24] (der "Triumph der Religion in den Künsten" samt Kommentar liegt auf dieser Linie) und läßt ihn die Kirchenspaltung scharf verurteilen, weil "nichts weniger die Trennung zuläßt als das Evangelium" [25].

Der Briefwechsel mit Frl. Linder verfolgt die Absicht, sie zur Konversion zu bewegen - was Overbeck wie auch bei einigen anderen erreicht hat. Auch dieser Gedanke der Konversion findet sich schon bei Wackenroder [26]. Overbecks Konversion von 1813 ging allerdings noch das Studium anderer Schriften voraus, darunter Stolbergs "Geschichte der Religion Jesu", Thomas von Kempens, der Schriften der Kirchenväter, Luthers und noch der Augsburger Confession. Vor allem aber eine Vortragsreihe des Professors Pietro Ostini, der die Auffassung vertrat, "daß das geschriebene Wort Gottes durch göttlich bestellte Organe erklärt werden müsse" [27], hat Overbeck starkt beeinflußt; bei Ostini hat er dann auch konvertiert. Interessant ist noch, daß er als einen Hauptgrund für die Konversion die "Notwendigkeit einer sichtbaren Kirche" angibt [28], denn auch Novalis fordert in seiner Schrift "Die Christenheit oder Europa" eine sichtbare Kirche [29]. Am "Sichtbaren" hat die Kunst ihren Anteil, das hebt die Kunst in eine höhere Sphäre, demzufolge ist die Kunst selber etwas Heiliges - Wackenroder vergleicht den Kunstgenuß mit dem Gebet [30], was auf der selben Ebene liegt. Daneben bringt Overbeck im Kommentar noch zum Ausdruck, daß außer dem Papst auch der Kaiser das Gebäude der Kunst stützt, ähnlich wie bei Wackenroder [31] - was im bürgerlichen Frankfurt (am Main) bestimmt nicht gern gehört wurde.

Zusammenfassend kann man dem Bild also eine feste Absicht unterstellen: es vertritt eine bestimmte Auffassung über Kunst und Kirche, sieht deren Verhältnis und damit Gedeihen gestört und will zeigen, wie es geheilt werden kann, nämlich durch Rückkehr zur katholischen Kirche. Overbeck betrachtet das Bild mit Kommentar als Predigt in diesem Sinn und schließt deshalb seine Erläuterungsschrift mit "Amen" ab.

VI

Das fertige Gemälde wurde am 30. Oktober 1840 im Städel (in Frankfurt am Main) ausgestellt. Inzwischen hatten sich die Verhältnisse in Frankfurt für die nazarenische Richtung nicht gut entwickelt. Es war immer wieder zu Auseinandersetzungen um Veits für den Protestantismus gefährliche Bestrebungen gekommen, die bei der jahrelangen Wartezeit auf Overbecks Bild immer heftiger wurden. Diese Auseinandersetzungen wurden bis in die Administration getragen, woraus Steinle den Schluß zieht, daß ein farbenglühendes Schlachtenbild de Keysers mit Absicht im selben Raum wie Overbecks "Triumph (der Religion in den Künsten)" gezeigt wurde. Angeregt durch die vollkommen gegensätzlichen Auffassungen Overbecks und de Keysers bildeten sich auch gleich Parteien, deren Kampf den Richtungen, nicht allein den Bildern galt. Overbecks Anhänger vertraten dessen Sache bei der Administration aber fürs erste so gut, daß ein Extrahonorar ausgezahlt wurde [32]. Im nächsten Jahr wird der "Triumph" dann Gegenstand einer eingehenden Kritik, besonders von F. Th. Vischer.

VII

Die 1841 erschienene Kritik Vischers versteht sich in erster Linie als philosophische Kritik: Overbeck "hat mit dem Pinsel eine Abhandlung geschrieben", "wir antworten mit der Feder" [33] - bei der die ästhetische Kritik ein gefordertes Anhängsel ist, denn "was philosophisch unwahr, muß in ihm (dem Bild) als unschön zur Erscheinung kommen". Deshalb befaßt sich Vischer aber auch nur rudimentär mit dem Formalen des Bildes, man merkt, ihm geht es nicht zur Hauptsache darum, viele kritische Punkte werden nur kurz angesprochen oder gar nicht erwähnt. Er hat das Bild aus philosophischen, nicht aus ästhetischem Interesse problematisiert.

Die "philosophische" Kritik Vischers fußt auf der Einschätzung seiner Zeit und dem kunstgeschichtlichen Standort derselben, einem Bild der kunstgeschichtlichen Entwicklung und Gedanken zum Verhältnis von Kunst und Religion sowie einer Reflexion über die Aufgaben der Kunst - welche Anschauungen zum Verständnis der Kritik skizziert werden müssen.

Vischer lebt also in einer Zeit, in der "der Olymp des Mittelalters für immer ausgeleert" ist [34], wo Gott nur noch ein "immanenter Gott" ist, dessen Wohnung "überall und nirgends" ist. Die Welt ist sein Leib und der Menschengeist seine wahre Gegenwart, außer den Wundern des Geistes gibt es keine Wunder mehr [35]. Die Welt ist hell und klar, das Gemeine ist endlich an ihr - und "nicht bloß unsere Theologie, sondern unsere ganze Bildung (ist) längst über das Dilemma des Rationalismus und Supranaturalismus hinaus" [35]. Große Worte, aber man ist legitimiert: "Meint ihr denn, das sei zufällig, daß wir einen Luther, einen Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Strauß haben?" - nein, alles nur "Symptom und Sprache unserer Gesamtbildung" [36]. Überdies besitzt man den geschichtlichen Geist, denn der moderne Geist war endlich fähig, die "Vermittlungen der Kritik und der freien Universalität" auf sich zu nehmen, die die dazu notwendige objektive Betrachtung verlangt [37].

Vischers geschichtlicher Geist sieht die kunstgeschichtliche Entwicklung zu Recht eng mit der Religion verknüpft, über die Einheit von Kunst und Religion gibt es ja keine Frage, "sie haben einen und denselben Boden" [38]. Hierin bezieht er sich stark auf Hegel, der Kunst, Religion und Philosophie als Stufen des absoluten Geistes nennt; der absolute Geist erhebt sich, beide übergreifend, über den subjektiven und objektiven Geist. Im Kunstwerk erscheint nach Hegels Ästhetik "der nur sich selbst versöhnte Geist, erscheinen Subjekt und Objekt in vollendeter Harmonie, erscheint die absolute Idee in ihrer Reinheit [39].

Deshalb ist in der "Einheit auch der Unterschied und die Lösbarkeit beider Sphären nicht zu verkennen", da die Religion schon in die nächste (hegelsche) Stufe reicht, in die des abstrakten Denkens, der Philosophie. Eine Religion des Geister bedarf der "äußerlichen Anschauung des innerlich Vorgestellten" nicht mehr [40], die Absichten beider können sogar entgegengesetzt sein [41].

In der geschichtlichen Entwicklung ist dies als Widerspruch, besonders im Künstler, zu sehen. Die Religion stellt dem empirischen Selbst das innerste, ideale Selbst gegenüber; dieses leistet aber umso mehr, je vollendeter die Form ist. Der Künstler bemüht sich also, aus der Natur, der Welt die schönste Form herauszuholen - aber sein ideales Selbst, daß ihm dann mit Formen der Natur hingestellt ist, soll die Natur als nichtig betrachten - "woraus sein Werk verbannen soll, das ist seine Heimat, seine Lebensluft" [42]. In der Vollendung der Form, dem Erreichen des religiösen Ideals (Raphael), liegt also gleichzeitig der Moment der Entzweiung für immer. Das Bewußtsein des Künstlers ist weltlich geworden, gleichzeitig hat auch der denkende Geist der Einheit ein Ende gemacht [43].

Der Katholizismus fühlt seinen Verfall, versucht eine Restauration und bedient sich dafür auch der Kunst, woraus nach Vischer der "Zopfstil" entsteht [44]. Es gibt aber schon Anzeichen einer neuen Kunst (in Holland, in Deutschland), die zum Inhalt die Wirklichkeit, die Geschichte hat. Die fehlende ideale Form war aber nur aus der Antike zu lernen, wobei aber die antike Form zuerst mißverstanden wird und mit einem falschen Geist gefüllt wird - ebenfalls einer Hauptbedingung des "Zopfes" [45].

Die Erlösung kam dann um 1750: Winckelmann macht 1763 den Blick frei für die wahre Antike, und Deutschland vermählt sein tiefes Gemüt mit der klassischen Form [46], der "gebildete, mit der Wirklichkeit versöhnte freie Geist der modernen Zeit wird in die silbernen Schalen antiken plastischen Sinnes gegossen" [47]. Das moderne Ideal besteht nach Vischer also in der Einheit von "klassischer Form und germanischem, romantisch vertieftem Seelenleben" [48]. Allerdings war das noch nicht der letzte Schritt, in der antiken Form kann das Gemüt nicht voll aufgehen und so folgt geschichtlich notwendig die Reaktion im Auftreten der romantischen Schule, als dem "spätgeborenen Kind der eigentlichen Romantik..., welche in Deutschland ihren völligen Abschluß nicht hatte vollbringen können" [49]. Die Entdeckung der Romantik war ein höchst notwendiger Schritt nach Vischer, erschließt sich doch der Kunst die "deutsche Landschaft, kurz, ein unendliches Feld" [50]. Aber wieder handelte "man" falsch, man wollte ganz ins Mittelalter zurück und stürzte sich sogar wie Overbeck in die Kirche. Von einer Einseitigkeit ging man zur nächsten, statt nach Vischers Patentrezept vom Mittelalter den "Gemütskern, die geistige Unendlichkeit" [51], vom klassischen Altertum die klare Form aufzunehmen und beide zu verschmelzen!

Und hierin liegt die Hauptkritik Vischers am Bild von Overbeck: er sieht darin die "Frucht dieser Tendenzen" [52], dieses einseitig ins Mittelalter zurückwollen, das überhaupt nicht zeitgemäß ist, in diesem Hinstellen des Mittelalters als höchste Aufgabe. Vischers ganzer Rekurs auf die Kunstgeschichte hatte nur den Zweck, dieses Falsche am Bild klarzustellen.

Von seinen weltanschaulichen Voraussetzungen aus hat er darin recht, eine Kritik Vischers müßte also an der Kritik seines Zeitalters ansetzen, an der optimistischen Diesseitreligion des Fortschritt- und Kulturglaubens, dem Bildungsoptimismus, was aber nicht die Aufgabe des Referats ist.

Die wahre "zeitgemäße" Kunst ist für ihn "das sogenannte profan-historische Gemälde nebst seiner Voraussetzung, Vorstudie oder wie man es nennen mag, dem edleren Genrebild" [53]. Ansätze hierzu sieht er schon, der Weg ist gefunden [54]. Interessant ist noch, daß er der Kunst weiterhin eine der Religion dienende Rolle zuweist; nach dem Verfall der christlichen Religion wäre an sich die Kunst selbständig, er bezeichnet sie auch als interesselos [55], aber kaum ist die alte Religion tot, lebe schon die neue und Vischers Kunst schreit ihr Hurra dazu "diesen Gott (den immanenten, s. o.) zu verherrlichen, ist die höchste Aufgabe der neuen Kunst" [56].

VIII

Der ästhetischen Kritik widmet Vischer nur geringen Raum. Im folgenden soll nur das Notwendigste umrissen werden. Als erstes fällt an dem Bild - nicht nur Vischer - auf, daß sich die beiden Teile nicht zu einer Einheit fügen [57] - außer vielleicht für Overbeck oder einem mittelalterlichen Geist. Der obere Teil soll als eine Vision der unten stehenden Künstler erscheinen, was aber nicht ersichtlich ist [58]. Mit ganz wenigen Ausnahmen bleibt jede Sphäre für sich, sie haben kaum Kontakt miteinander.

Die Auswahl der Künstler ist nicht einsichtig; wenn Overbeck die Venezianer wie Bellini, Tizian und Corregio bringt, trotzdem sie "weltlich" malten - warum nicht auch Künstler wie Rubens und van Dyck? [59]. Vischer findet Overbecks Auswahl mit Recht problematisch!

Wie vielen anderen, auch Steinle [69], fällt Vischer die Unmännlichkeit der Dargestellten auf, sie sind in zu schüchternem, frommen Ton gemalt, Heilige wie Künstler, die Charaktere insgesamt abgedämpft und abgeschwächt [61]. Aber man kann hier Overbeck wohl doch eine Absicht unterstellen, es sollen ideale Charaktere sein, keine nur realistischen Porträts. Das ist nur auf dem Hintergrund von Overbecks Gesamtabsicht zu kritisieren, nicht verselbständigt. Etwas anders steht es mit Overbecks Vermittlung seiner Ideen durch Allegorien und Symbole, Vischer wirft ihm hier eine berechtigte Verwirrung vor [62]. Die "Allegorien" sind ohne Kommentar gar nicht zu entziffern! Auch die Wahl der Allegorien ist problematisch - wieso vertritt die Madonna die Poesie? Von den vier "Kunstheiligen" sind Lukas und David bekannt, aber Johannes und Salomo? Eine ganze Anzahl von "Bildern", "Allegorien" oder wie man es nennen soll, sind bei Overbeck so uneinsichtig gewählt, daß man sich das Gemälde ohne Kommentar tatsächlich kaum vorstellen kann, was auch zu kritisieren ist. Als kleines Kuriosum kann noch erwähnt werden, das Vischer selbst einer "Allegorie" Overbecks aufgesessen ist: Die Landschaft, die heitere Ferne des Bildes, steht für die Zukunft wie sie sich Overbeck erhofft, aber Vischer findet diese Landschaft sehr schön, er kann die ungestörteste Freude daran haben - obwohl "philosophisch" falsch [63].

Findet Vischer das Kolorit ungleich [64], so empfindet es Overbeck auf seiner Deutschlandreise 1865 "schonungslos restauriert" [65] und will es nicht mehr als sein Bild betrachten [66] - und das, obwohl das Bild sehr sorgfältig restauriert wurde. Overbeck war durch den zeitlichen Abstand zu seinem Bild etwas "objektiver", und konnte deswegen auch "objektiver" urteilen. Allerdings schiebt er die Schuld einseitig auf die schlechte Restauration, und, da nichts dagegen getan werden soll, "so bleibt mir nichts anderes übrig, als mit Hiob mich zu bescheiden" [67]. Tatsächlich ist dies aber ein Zeichen für seine mangelnde Farbgebung.

IX

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß es sich um keine eigentliche Kunstkritik an einem Bild handelte, sondern um das Aufeinandertreffen von zwei verschiedenen "Weltanschauungen", wobei es nötig war, sowohl Overbecks Verhältnis zur Religion/Kirche wie auch Vischers Weltbild etwas auszuführen. Über Vischers Weltbild gäbe es viel zu sagen, was aber nicht mehr Sache dieses Referats ist.

 

Anhang

Literatur

Bachleitner, R. - "Die Nazarener", in: Heyne Stilkunde 2, München 1976

Hederer, O. - "Der Klassizismus" in: Heyne Stilkunde 1, München 1976

Howitt, M. - "Friedrich Overbeck, Sein Leben und Schaffen", Bern 1971

Katalog Ausstellung Nürnberg "Klassizismus und Romantik in Deutschland", Nürnberg 1966 (im folgenden: Kat. 1966)

Katalog Ausstellung Städelsches Kunstinstitut "Die Nazarener", Frankfurt a. M. 1977 (im folgenden: Kat. 1977)

Katalog Städelsches Kunstinstitut, hrg. von H. J. Ziemke, "Die Gemälde des 19. Jahrhunderts", Frankfurt a. M. 1972 (im folgenden: Kat. Städel)

von Steinle, A. M. - "Eduard von Steinle's Briefwechsel mit seinen Freunden", 2 Bände, Freiburg i. Br. 1897

Störig, H. J. - "Kleine Weltgeschichte der Philosophie 2", Fischer TB 6136, 2 Bde, Frankfurt a. M.

Vischer, F. Th. - "Overbecks Triumph der Religion", in: Kritische Gänge V, 2. vermehrte Auflage, München 1922

Wackenroder, Wilhelm Heinrich / Tieck, Ludwig - "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders", 1797 (zitiert nach Reclams UB 7860/61)

Anmerkungen

1) Kat. 1977, S. 14
2) Kat. 1977, S. 14
3) Overbecks Tagebuch, Briefwechsel Steinles, Schorn's Kunstblatt - Zitate nach Howitt
4) nach Howitt; nach Schornīs Kunstblatt am 25.3.1840
5) Howitt II S. 56
6) Kommentar, Howitt II S. 61
7) nicht näher bezeichnete Zitate alle aus dem Kommentar, Howitt II S. 61 - 72
8) Wackenroder, S. 32, S. 52
9) zit. nach Katalogzusatzblatt
10) Vergleich mit Raphael und Dürer teilweise nach Poley
11) Steinle, S. 254 - S. 259
12) Karton, Zeichnung, Ölskizze erhalten
13) Kat. 1977, S. 19
14) Kommentar, nicht näher bezeichnete Zitate wieder aus demselben
15) Wackenroder, S. 26
16) Wackenroder S. 102
17) Wackenroder S. 27
18) "Italia und Germania", 1811 - 28, München
19) Wackenroder S. 58/59
20) Howitt II, S. 14, S. 18
21) Howitt II, S. 14
22) Angaben fehlen
23) abgedruckt bei Howitt II, S. 12 ff
24) Howitt II, S. 12
25) Howitt II, S. 16
26) vermutlich in: "Brief eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg, Wackenroder, S. 81 - 86
27) Howitt I, S. 26 ff
28) Howitt I, S. 26
29) Kat. S. 29
30) Wackenroder S.72
31) Wackenroder S. 3
32) Steinle I, S. 33 ff
33) Vischer, S. 27/28
34) Vischer, S. 24
35) Vischer, S. 25
36) Vischer, S. 26
37) Vischer, S. 27
38) Vischer, S. 16
39) Störig, S. 131
40) Vischer, S. 17
41) Vischer, S. 18
42) Vischer, S. 19
43) Vischer, S. 20
44) Vischer, S. 21
45) Vischer, S. 22
46) Vischer, S. 22
47) Vischer, S. 23, leicht verändertes Zitat
48) Vischer, S. 23
49) Vischer, S. 23
50) Vischer, S. 24
51) Vischer, S. 24
52) Vischer, S. 24
53) Vischer, S. 26
54) Vischer, S. 26
55) Vischer, S. 18
56) Vischer, S. 24
57) Vischer, S. 26
58) Vischer, S. 64
59) Vischer, S. 5
60) Howitt II, S. 46
61) Vischer, S. 31
62) Vischer, S. 66 ff
63) Vischer, S. 33
64) Vischer, S. 32
65) Steinle I, S. 331
66) ebd, S. 334
67) ebd S. 334

 

Seminararbeit von Béla Hassforther, Sommersemester 1977
Kunsthistorisches Seminar der Universität Heidelberg, Prof. Hans Belting

 


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